05. Januar 2024
BGB § 2057a; BGB § 2316

Ausgleichung von Pflegeleistungen; Auswirkung auf Pflichtteilsanspruch des übergangenen Geschwisters; Berechnung des Ausgleichungsanspruchs

BGB §§ 2316, 2057a
Ausgleichung von Pflegeleistungen; Auswirkung auf Pflichtteilsanspruch des übergangenen Geschwisters; Berechnung des Ausgleichungsanspruchs

I. Sachverhalt
Ein Erbauseinandersetzungsvertrag soll beurkundet werden. Die verstorbene Erblasserin E (verwitwet) hinterlässt drei Kinder K1, K2 und K3. Sie hat testamentarisch die Kinder K1 und K2 zu ihren Erben zu je 1/2 Anteil eingesetzt. K3 soll den Pflichtteil erhalten.

Im Rahmen der Auseinandersetzung soll K1 die zum Nachlass gehörende Immobilie gegen Auszahlung von K2 erhalten. Ferner wirkt an der Auseinandersetzung auch K3 mit, der von K1 seinen Pflichtteil ausbezahlt bekommen soll. K1 hat E zu Lebzeiten gepflegt und im Haushalt unterstützt. Sie war über sechs Jahre hinweg täglich von 10 bis 14 Uhr bei ihr, hat sie bekocht, das Haus gereinigt und den Einkauf organisiert. Eine Vereinbarung mit der E hierüber gab es nicht. K1 hatte aber von der Krankenkasse monatliches Pflegegeld i. H. v. 360 EUR erhalten.

Der Pflichtteil ist ansonsten zwischen K1 und K3 beziffert. Es soll aber die Frage geklärt werden, ob die Pflegeleistungen der K1 den Pflichtteil schmälern.

II. Fragen
1. Kann die Erbin K1 gem. §§ 2316, 2057a BGB oder aufgrund anderer Regelungen gegenüber dem Pflichtteilsberechtigten K3 ihre erbrachten Pflegeleistungen in Abzug bringen, sodass sich dessen Pflichtteil reduziert?

2. Ist das Pflegegeld anzurechnen?

III. Zur Rechtslage
1. Auswirkung der Ausgleichungspflicht auf die Berechnung des Pflichtteils
Nach § 2316 Abs. 1 BGB bestimmt sich der Pflichtteil eines Abkömmlings, wenn mehrere Abkömmlinge vorhanden sind und unter ihnen im Falle der gesetzlichen Erbfolge eine Zuwendung des Erblassers oder Leistungen der in § 2057a BGB bezeichneten Art zur Ausgleichung zu bringen sein würden, nach demjenigen, was auf den gesetzlichen Erbteil unter Berücksichtigung der Ausgleichungspflichten bei der Teilung entfallen würde. Demnach setzt § 2316 Abs. 1 BGB voraus, dass beim Tod des Erblassers mehrere Abkömmlinge vorhanden sind. Dies ist hier ohne Weiteres der Fall.

Darüber hinaus muss eine ausgleichungspflichtige Zuwendung vorliegen; es muss im (hypothetischen) Fall der gesetzlichen Erbfolge eine Leistung der in § 2057a BGB bezeichneten Art zur Ausgleichung zu bringen sein. Hat ein Abkömmling besondere Leistungen i. S. d. § 2057a BGB erbracht, so sind diese Leistungen folglich sowohl im Rahmen der Auseinandersetzung bei gesetzlicher Erbfolge auszugleichen, als auch im Rahmen der Pflichtteilsberechnung zu berücksichtigen (§ 2316 BGB).

Im Rahmen der Auseinandersetzung bei gesetzlicher Erbfolge wird die Ausgleichung so durchgeführt, dass von dem auf die Abkömmlinge entfallenden reinen Nachlassteil zunächst der Wert abgezogen wird, der dem ausgleichungsberechtigten Abkömmling zufällt. Der um diese Summe verminderte fiktive Nachlass wird dann entsprechend den Erbquoten auf die Abkömmlinge verteilt. Dem ausgleichungsberechtigten Abkömmling wird zusätzlich der Ausgleichungsbetrag zugeschlagen (vgl. zur Berechnung Grüneberg/Weidlich, BGB, 83. Aufl. 2024, § 2057a Rn. 10).

Auch etwaige Pflichtteile der Abkömmlinge sind gem. § 2316 BGB unter Berücksichtigung etwaiger Ausgleichungsbeträge gem. § 2057a BGB zu berechnen. Dies bedeutet, dass sich die Pflichtteile etwaiger anderer Abkömmlinge entsprechend vermindern, da vom zu verteilenden Nachlass zunächst der Ausgleichungsbetrag nach § 2057a BGB abgezogen wird und erst aus dem verminderten Betrag die Pflichtteile wertmäßig berechnet werden.

Dazu folgendes Berechnungsbeispiel:

Der Nachlasswert beträgt 100.000 EUR. Der Abkömmling A ist Alleinerbe, die beiden weiteren Abkömmlinge B und C sind auf den Pflichtteil gesetzt. A hat Leistungen i. S. d. § 2057a BGB erbracht, die mit 40.000 EUR zu bewerten sind. Der Pflichtteilsanspruch von B und C berechnet sich dann nicht aus 100.000 EUR, sondern aus 60.000 EUR, da § 2057a BGB auch zugunsten des Alleinerben anwendbar ist (vgl. BGH DNotZ 1993, 533; OLG Nürnberg DNotZ 1992, 524). Der Pflichtteilsanspruch würde daher statt 16.666,67 EUR nur 10.000 EUR betragen.

2. Voraussetzungen und Höhe des Ausgleichungsanspruchs
Ausgleichung kann nach § 2057a Abs. 1 S. 2 BGB ein Abkömmling verlangen, der den Erblasser während längerer Zeit gepflegt hat. Was ein längerer Zeitraum ist, muss nach den Umständen des Einzelfalls entschieden werden, insbesondere danach, wie aufwändig und zeitintensiv die Pflege war (BeckOK-BGB/Lohmann, Std.: 1.11.2023, § 2057a Rn. 8). In Erbfällen vor dem 1.1.2010 (vgl. Art. 229 § 23 Abs. 4 EGBGB) musste der Abkömmling zudem ganz oder teilweise auf berufliches Einkommen verzichtet haben. Diese zusätzliche Voraussetzung ist mit Inkrafttreten der Erbrechtsreform 2010 entfallen. Der Begriff der „Pflege“ kann in Anlehnung an § 14 SGB XI bestimmt werden und umfasst die Hilfe bei allen gewöhnlichen, regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens, bei dem ein Pflegebedürftiger Unterstützung braucht (vgl. OLG Naumburg ZEV 2022, 531 Rn. 23; BeckOK-BGB/Lohmann, a. a. O.). Die vorstehenden Voraussetzungen dürften ausweislich des geschilderten Sachverhalts vorliegend erfüllt sein.

Negativ setzt das Bestehen eines Ausgleichungsanspruchs nach § 2057a BGB voraus, dass für die Ausgleichung nicht bereits ein „Ausgleich“ erfolgt ist. Denn der Anspruch auf Ausgleichung ist ausgeschlossen, wenn und soweit für die Leistungen ein angemessenes Entgelt gewährt worden ist (§ 2057a Abs. 2 S. 1 Fall 1 BGB). Gleiches gilt, wenn eine angemessene Gegenleistung vereinbart war (vgl. § 2057a Abs. 2 S. 1 Fall 2 BGB), die dann als Nachlassverbindlichkeit zu berücksichtigen wäre. Ausgeschlossen ist eine Ausgleichung schließlich dann, wenn eine Gegenleistung nicht erbracht und nicht vereinbart worden ist, aber ein Ersatz- oder Erstattungsanspruch des Abkömmlings aus einem anderen Rechtsgrund folgt (§ 2057a Abs. 2 S. 1 Fall 3 BGB), wie etwa aus Geschäftsführung ohne Auftrag oder aus Bereicherungsrecht (BeckOK-BGB/Lohmann, § 2057a Rn. 9).

Nach dem mitgeteilten Sachverhalt war zwischen der Erblasserin und K1 keine Vereinbarung über den Ausgleich der Pflegeleistung bzw. keine Vergütungsvereinbarung getroffen worden. K1 hatte aber nach dem mitgeteilten Sachverhalt von der Krankenkasse monatliches Pflegegeld i. H. v. 360 EUR erhalten. Betrachtet man, dass das Pflegegeld nicht dem Pflegenden, sondern dem Pflegebedürftigen zusteht (vgl. § 37 Abs. 1 S. 1 SGB XI), könnte in der Aushändigung bzw. Weiterleitung des Pflegegeldes an die Pflegeperson ein Ausgleich bzw. eine Gegenleistung für die Pflege zu sehen sein. Rechtsprechung liegt zu dieser Problematik, soweit ersichtlich, bislang nicht vor. Im Rahmen der Begründung des Regierungsentwurfs zum Zweiten Pflegestärkungsgesetz wurde allerdings ausgeführt, dass die Weitergabe des Pflegegeldes (§ 37 Abs. 1 SGB XI) an den pflegenden Abkömmling kein „angemessenes Entgelt“ darstelle, weil es nur den Charakter einer Anerkennung für die innerfamiliäre Unterstützungs- und Hilfeleistung habe (BT-Drucks. 18/5926, S. 122; vgl. jurisPK-BGB/Schermann, 10. Aufl. 2023, § 2057a Rn. 73). Wir interpretieren die Aussage in der amtlichen Begründung des Regierungsentwurfs dahingehend, dass es sich bei der Aushändigung des Pflegegeldes wohl um eine Gegenleistung handeln könnte, die allerdings nicht als „angemessenes“ Entgelt i. S. v. § 2057a BGB angesehen werden muss.

Nach den vorstehenden Ausführungen dürfte daher grundsätzlich ein weiterer Ausgleichsanspruch nach § 2057a BGB in Betracht kommen, sofern das Pflegegeld nicht als übliche Vergütung für eine vergleichbare Leistung (vgl. §§ 612 Abs. 2, 632 Abs. 2 BGB; jurisPK-BGB/Schermann, § 2057a Rn. 73) angesehen werden muss (Tatfrage). In diesem Zusammenhang bleibt allerdings darauf hinzuweisen, dass die Bemessung des Ausgleichungsbetrages nach § 2057a Abs. 3 BGB unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls im Wege einer „Gesamtschau“ vorzunehmen ist (vgl. jurisPK-BGB/Schermann, § 2057a Rn. 81). Eine genaue Aufstellung und Berechnung aller Einzelposten wird daher nicht für notwendig erachtet; im Streitfall hat das Gericht gem. § 287 Abs. 2 ZPO nach freier Überzeugung über die Höhe des Ausgleichsbetrages zu entscheiden (jurisPK-BGB/Schermann, § 2057a Rn. 81).

Eine Aussage über das Bestehen und die Höhe eines etwaigen Ausgleichsanspruchs kann das DNotI daher nicht treffen. Die Beteiligten wären – wenn sie sich nicht einigen können – insoweit auf die gerichtliche Klärung ihrer Ansprüche zu verweisen.

3. Zusammenhang zwischen Erbeinsetzung und Ausgleichung
Grundsätzlich kann auch der zum Alleinerben eingesetzte pflichtteilsberechtigte Abkömmling die Ausgleichung seiner Leistungen gegenüber den Pflichtteilsansprüchen anderer Abkömmlinge geltend machen (vgl. BGH NJW 1993, 1197; OLG Nürnberg NJW 1992, 2303).

Auch im vorliegenden Fall kann daher von Seiten des zum Miterben eingesetzten Abkömmlings K1 gegenüber dem Pflichtteilsanspruch von K3 ggf. mit Erfolg ein Ausgleichungsanspruch geltend gemacht werden. Nach Auffassung der Kommentarliteratur muss sich der ausgleichungsberechtigte (Allein-)Erbe nicht zwingend entgegenhalten lassen, dass er bereits durch seine Erbeinsetzung zu Lasten der anderen Abkömmlinge honoriert worden sei (vgl. Staudinger/Löhnig, BGB, 2020, § 2057a Rn. 51). Gleichwohl hat der BGH unlängst entschieden, dass der Anspruch eines Erben auf Ausgleichung für den Erblasser erbrachter Pflegeleistungen durch letztwillige Verfügung ausgeschlossen werden könne, und zwar auch konkludent (vgl. BGH NJW-RR 2021, 660 ff. = ZEV 2021, 449 ff. m. Anm. Horn = ErbR 2021, 781 ff. m. Anm. Keim). In dem vom BGH entschiedenen Fall hatte die Erblasserin die Einsetzung des Pflegenden als Alleinerben unter Ausschluss der anderen beiden Kinder ausdrücklich mit dessen Pflege- und anderen Leistungen für sie begründet. Diesem Umstand entnahm die Vorinstanz, dass damit die Leistungen mit der Erbschaft abschließend kompensiert werden sollten und ein darüber noch hinausgehender Ausgleichungsanspruch ausgeschlossen sein sollte. Der BGH billigte dieses Auslegungsergebnis.

Im vorliegenden Fall ist nicht bekannt, ob dem Testament der Erblasserin entsprechende Ausführungen zu besonderen Leistungen von K1 entnommen werden können. Sofern dies der Fall wäre, käme nach der eben genannten, wenn auch umstrittenen Rechtsprechung des BGH auch ein Ausschluss der Ausgleichung von Pflegeleistungen in Betracht.

4. Ergebnis
Im vorliegenden Fall könnte theoretisch wegen der erbrachten Pflegeleistungen ein Ausgleichsanspruch der Miterbin K1 bestehen, der sich pflichtteilsreduzierend auf Seiten des K3 auswirken könnte (§§ 2316 Abs. 1, 2057a BGB). Ob ein solcher Anspruch tatsächlich besteht, hängt aber von mehreren Faktoren ab, die einzelfallbezogen weiter aufzuklären sind.

Gutachten/Abruf-Nr:

199733

Erscheinungsdatum:

05.01.2024

Rechtsbezug

National

Rechtsgebiete:

Pflichtteil
Vorweggenommene Erbfolge (Ausgleichung, Anrechnung)

Erschienen in:

DNotI-Report 2024, 5-7

Normen in Titel:

BGB § 2057a; BGB § 2316