Testierfähigkeit als Voraussetzung für die Rücknahme eines gemeinschaftlichen Testaments; Nachweis des Erbrechts im Erbscheinsverfahren bei nicht mehr im Original vorhandener Testamentsurkunde; Reichweite des § 2287 BGB
BGB §§ 2255, 2272, 2287; BeurkG § 46
Testierfähigkeit als Voraussetzung für die Rücknahme eines gemeinschaftlichen Testaments; Nachweis des Erbrechts im Erbscheinsverfahren bei nicht mehr im Original vorhandener Testamentsurkunde; Reichweite des
I. Sachverhalt
Die Erblasser haben 2007 ein notarielles gemeinschaftliches Testament errichtet. In diesem Testament hatten sich die zu diesem Zeitpunkt voll geschäfts- und testierfähigen Erblasser gegenseitig zu Alleinerben bestimmt und die Schlusserbfolge festgelegt. 2010 haben beide Ehegatten das Amtsgericht – Nachlassgericht – aufgesucht und das gemeinschaftliche Testament aus der amtlichen Verwahrung zurückgenommen. Die Ehefrau war zum Zeitpunkt der Rücknahme gemäß ärztlichem Gutachten nicht mehr geschäfts- und testierfähig.
Zudem hat der Ehemann 2012 ein ihm allein gehörendes Grundstück seiner Enkeltochter übertragen. Die Ehefrau konnte aus denn oben genannten Gründen nicht zustimmen.
Der Ehemann ist kurz darauf verstorben; ein Erbschein nach dem Ehemann liegt nicht vor. Nach dem Tode der Ehefrau 2019 wurde ein Erbschein aufgrund gesetzlicher Erbfolge erteilt, die von der testamentarischen Erbfolge abweicht. Nun wurde beantragt, den Erbschein aufgrund gesetzlicher Erbfolge nach der Ehefrau einzuziehen.
II. Fragen
1. Ist die Rücknahme des Testaments durch einen Testierunfähigen wirksam?
2. Was geschieht, wenn das Testament nicht nur zurückgenommen, sondern auch vernichtet wurde? Kann es „wieder hergestellt“ werden? Kann im Wege des Erbscheinsverfahrens eine beglaubigte Abschrift das Original ersetzen?
3. Konnte der Ehemann ohne Zustimmung der Ehefrau über das Familienheim verfügen?
III. Zur Rechtslage
1. Zur Wirksamkeit des Widerrufs
Ein vor einem Notar errichtetes Testament gilt als widerrufen, wenn die in amtliche Verwahrung genommene Urkunde dem Erblasser zurückgegeben wird (§ 2256 Abs. 1 S. 1 BGB). Ein gemeinschaftliches Testament kann nach Maßgabe des § 2256 BGB nur von beiden Ehegatten zurückgenommen werden (§ 2272 BGB). Ob für die an die Rücknahme geknüpfte Widerrufsfolge die Testierfähigkeit beider Ehegatten notwendige Voraussetzung ist, ist nicht ganz unbestritten. Von einer Mindermeinung in der Literatur wird die Ansicht vertreten, die Rückgabe setze nur die Fähigkeit voraus, einen natürlichen Rücknahmewillen zu bilden. Zur Begründung wird darauf verwiesen, dass das Gesetz in § 2256 BGB eine Fiktion enthalte, sodass es auf den Willen des rückfordernden Erblassers gerade nicht ankomme. Zudem wird angeführt, auch ein Testierunfähiger könne ein Testament vernichten oder verändern (vgl. J. Mayer/Sammet, in: Reimann/Bengel/Dietz, Testament und Erbvertrag, 7. Aufl. 2020, § 2272 BGB Rn. 7; zur früheren Ansicht von J. Mayer s. den Überblick bei BeckOGK-BGB/Braun, Std.: 15.2.2021, § 2272 Rn. 13.2 ff.). Demgegenüber nimmt die ganz h. M. an, dass die Rücknahme ihrer Rechtsnatur nach zum einen ein Rechtsgeschäft unter Lebenden, zum anderen aber auch zugleich eine Verfügung von Todes wegen sei (BGH
Vom Standpunkt der bislang hierzu ergangenen Rechtsprechung sowie der in der Literatur ganz herrschenden Auffassung aus gesehen, kann also die Rückgabe eines gemeinschaftlichen Testaments nicht die in
2. Vernichtung der Originalurkunde
Wurde die Originalurkunde über das gemeinschaftliche Testament vernichtet, so ist für den inhaltlichen Fortbestand der in dieser Urkunde getroffenen Regelung zu unterscheiden:
Zum einen kann es sich um einen Anwendungsfall des § 2255 BGB handeln: Ein Testament kann hiernach auch dadurch widerrufen werden, dass der Erblasser in der Absicht es aufzuheben, die Testamentsurkunde vernichtet oder an ihr solche Veränderungen vornimmt, durch die der Wille, eine schriftliche Willenserklärung aufzuheben, üblicherweise ausgedrückt wird. Handelt es sich – wie vorliegend – um ein gemeinschaftliches Testament, so können es die Ehegatten (nur) gemeinsam in der Form des § 2255 BGB widerrufen, soweit der Widerruf wechselbezügliche Regelungen betrifft (vgl. BayObLG
Ist die Testamentsurkunde abhandengekommen oder auch vernichtet worden, jedoch ohne dass bei dieser Vernichtung die von § 2255 BGB geforderten Voraussetzungen nachweisbar wären, so bliebe das gemeinschaftliche Testament gültig, auch wenn die Testamentsurkunde selbst nicht mehr oder nur in veränderter Form zur Verfügung stünde. Allein die Tatsache, dass ein Originaltestament nicht mehr auffindbar ist, begründet noch keine Vermutung dafür, dass es gem. § 2255 BGB vom Erblasser mit Widerrufsabsicht vernichtet worden ist, da es für einen schlichten Urkundenverlust vielfältige Erklärungen geben kann (KG
3. Nachweis des Erbrechts
Nach dem zuvor Gesagten muss also zum Nachweis des auf das gemeinschaftliche Testament gestützten Erbrechts nicht notwendigerweise das Original bzw. eine Ausfertigung (§ 47 BeurkG) der Testamentsurkunde vorgelegt werden. Deswegen besteht der in § 46 Abs. 1 S. 1 BeurkG vorausgesetzte Anlass, die Urschrift zu ersetzen, im Erbscheinsverfahren und auch in den Fällen des Erbnachweises allein durch eröffnete notarielle Verfügung von Todes wegen samt Eröffnungsniederschrift nicht (BeckOGK-BeurkG/Regler, Std.: 1.4.2021, § 46 Rn. 14; Winkler, BeurkG, 19. Aufl. 2019, § 46 Rn 13; Preuß, in: Armbrüster/Preuß/Renner, BeurkG/DONot, 8. Aufl. 2020, § 46 BeurkG Rn. 4) Das hiernach auch im vorliegenden Fall festzustellende Fehlen eines Ersetzungsanlasses macht allerdings die Ersetzung nicht unzulässig. Die verwahrende Stelle kann sie gleichwohl vornehmen; es besteht ohne Ersetzungsanlass lediglich keine Amtspflicht hierzu (Winkler, § 46 Rn. 12; BeckOGK-BeurkG/Regler, § 46 Rn. 12). Obwohl im unterbreiteten Sachverhalt also keine Amtspflicht zur Ersetzung der abhandengekommenen Urschrift besteht, bleibt es dennoch möglich, nach Maßgabe des in § 46 BeurkG vorgeschriebenen Verfahrens die zerstörte Urschrift dadurch zu ersetzen, dass auf der vorhandenen beglaubigten Abschrift vermerkt wird, dass sie an die Stelle der Urschrift tritt.
Für die Ersetzung wäre an sich das Amtsgericht als zuletzt die Urschrift des gemeinschaftlichen Testaments verwahrende Stelle zuständig (§§ 46 Abs. 2, 48 BeurkG; Winkler, § 48 Rn. 5 a. E.). Für eine Ersetzung durch den vor Ablieferung an das Amtsgericht die Urschrift zunächst verwahrenden Notar käme allenfalls eine analoge Anwendung des § 46 Abs. 1, 2 BeurkG in Betracht. Hierfür ließe sich anführen, dass die Ersetzung durch das Amtsgericht im konkreten Fall auf praktische Schwierigkeiten stoßen dürfte. Dies bestätigende Stellungnahmen in der Literatur liegen bislang – soweit ersichtlich – nicht vor.
4. Wirksamkeit der Überlassung
Einschränkungen der rechtlichen Handlungsmöglichkeiten des Ehemannes bei der Überlassung hätten sich seinerzeit aus
Fraglich ist weiterhin noch, ob der Ehemann ggf. aus Gründen der erbrechtlichen Bindung an das gemeinschaftliche Testament bei der Grundstücksübertragung an die Enkeltochter in seiner Verfügungsmacht eingeschränkt war. Insoweit ist jedoch selbst für bindende wechselbezügliche Verfügungen in einem gemeinschaftlichen Testament von der entsprechenden Anwendbarkeit des
Darüber hinaus ist zwar auch
Im Ergebnis hätte der erstverstorbene Ehemann dann nur unter den Voraussetzungen des
5. Gesamtergebnis
Der Rücknahme des Testaments durch einen testierunfähigen Ehegatten kommt nach ganz h. M. keine Widerrufswirkung zu. Wurde die Urschrift der Testamentsurkunde vernichtet, so besteht die darin getroffene Regelung gleichwohl inhaltlich fort, falls sich bei der Vernichtung der Urkunde nicht die Voraussetzungen des § 2255 BGB nachweisen lassen; auch diese Vorschrift setzt aber die Testierfähigkeit des Erblassers voraus. Durch die noch vorhandene beglaubigte Abschrift kann nach Maßgabe der §§ 46, 48 BeurkG die fehlende Urschrift durch das derzeit verwahrende Amtsgericht ersetzt werden, ohne dass vorliegend eine Amtspflicht dazu bestünde. Eine notarielle Zuständigkeit ließe sich nunmehr nur mit einer Analogie begründen. Die Wirksamkeit der Verfügung des Ehemannes über das Familienheim steht vorliegend nicht aus erbrechtlichen Gründen in Frage, sondern lediglich falls die Voraussetzungen des
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Erscheinungsdatum:11.06.2021
RechtsbezugNational
Rechtsgebiete:
Testamentsform
Gemeinschaftliches Testament
Erbvertrag
BGB § 2255; BGB § 2287