16. Mai 2023
AktG § 55; AktG § 237

Einziehung von Aktien beim Tod eines Aktionärs; Zwangsabtretung; Erfordernis der Kapitalherabsetzung; Nachfolgeregelung; Vorerwerbsrecht; Vorkaufsrecht

AktG §§ 237, 54, 55, 68 Abs. 2
Einziehung von Aktien beim Tod eines Aktionärs; Zwangsabtretung; Erfordernis der Kapitalherabsetzung; Nachfolgeregelung; Vorerwerbsrecht; Vorkaufsrecht

I. Sachverhalt
Die Satzung einer AG mit Namensaktien soll geändert werden. Es sollen folgende Regelungen eingefügt werden:

– Vorkaufsrecht,
– Einziehung beim Tod eines Aktionärs (ohne ausdrückliche Verpflichtung zur Kapitalherabsetzung),
– alternativ zur Einziehung eine Übertragungsverpflichtung.

Inhaltlich sollen die Regelungen also den üblichen Regelungen in einem GmbH-Gesellschaftsvertrag entsprechen.

II. Frage
Sind diese Regelungen in der Satzung einer AG zulässig?

III. Zur Rechtslage
1. Einziehung im Aktienrecht
Die Einziehung von Aktien und die Einziehung von GmbH-Geschäftsanteilen sind nur bedingt vergleichbar (vgl. MünchKommAktG/Oechsler, 5. Aufl. 2021, § 237 Rn. 42). Vor allem fällt die Regelung der Einziehung von Aktien deutlich komplexer aus. Zunächst soll daher ein Überblick über deren Grundstrukturen gegeben werden.

Im Unterschied zur Einziehung von Geschäftsanteilen setzt die Einziehung von Aktien grds. eine Kapitalherabsetzung voraus (Koch, AktG, 17. Aufl. 2023, § 237 Rn. 1). Die Kapitalherabsetzung durch Einziehung von Aktien bildet die dritte Form der Kapitalherabsetzung (Koch, § 237 Rn. 1; vgl. auch Scholz, in: Münchener Handbuch des Gesellschaftsrechts, Bd. 4, 5. Aufl. 2020, § 61 Rn. 5). Zur vereinfachten Einziehung s. u.

§ 237 Abs. 1 S. 1 AktG unterscheidet zwei Arten von Einziehung: die Zwangseinziehung und die Einziehung nach Erwerb der Aktien durch die Gesellschaft (etwa ein Erwerb eigener Aktien zum Zwecke der Einziehung gem. § 71 Abs. 1 Nr. 6 AktG). Die Zwangseinziehung wiederum begegnet als angeordnete oder gestattete, wobei beide Varianten einer Satzungsgrundlage bedürfen (§ 237 Abs. 1 S. 2 AktG). Im Falle der angeordneten Zwangseinziehung müssen Aktien unter den statutarisch konkret bestimmten Voraussetzungen eingezogen werden (Koch, § 237 Rn. 10; BeckOGK-AktG/Marsch-Barner/Maul, Std.: 1.1.2023, § 237 Rn. 11). Die Entscheidung trifft der Vorstand (vgl. § 237 Abs. 6 AktG und Koch, § 237 Rn. 14) ohne eigenen Ermessensspielraum (Grigoleit/Rieder, AktG, 2. Aufl. 2020, § 237 Rn. 14). Hingegen besteht bei der gestatteten Zwangseinziehung lediglich die Möglichkeit der Einziehung. Zwangseinziehung heißt sie im Hinblick darauf, dass sie gegen den Willen des betroffenen Aktionärs erfolgen kann (vgl. KölnKommAktG/Ekkenga/Schirrmacher, 3. Aufl. 2021, § 237 Rn. 26). Über die gestattete Zwangseinziehung entscheidet die Hauptversammlung durch Beschluss (LG Stuttgart NZG 2021, 1227 Rn. 23).

Die angeordnete Zwangseinziehung erfordert statutarisch definierte Einziehungsgründe, deren Beschaffenheit innerhalb der allgemeinen Schranken in das Belieben der Aktionäre gestellt ist (Grigoleit/Rieder, § 237 Rn. 17). Namentlich als Einziehungsgrund akzeptiert wird der Tod des Aktionärs (BeckOGK-AktG/Marsch-Barner/Maul, § 237 Rn. 12; Haberstock/Greitemann, in: Hölters/Weber, AktG, 4. Aufl. 2022, § 237 Rn. 18; Grigoleit/Rieder, § 237 Rn. 18; K. Schmidt/Lutter/Veil, AktG, 4. Aufl. 2020, § 237 Rn. 12). Hinsichtlich der gestatteten Zwangseinziehung kann die Satzung besondere Einziehungsgründe vorsehen (insoweit gilt dann das gleiche wie für die angeordnete Zwangseinziehung), muss es aber nicht (LG Stuttgart NZG 2021, 1227 Rn. 50; Grigoleit/Rieder, § 237 Rn. 20; Koch, § 237 Rn. 15). Entscheidet die Hauptversammlung nicht auf Basis statutarischer Einziehungsgründe, so muss der Beschluss allerdings sachlich gerechtfertigt sein (Grigoleit/Rieder, § 237 Rn. 21; MünchKommAktG/Oechsler, § 237 Rn. 42; BeckOGK-AktG/Marsch-Barner/Maul, § 237 Rn. 15; Koch, § 237 Rn. 16: „willkürfrei i. S. d. § 53a [AktG]“).

Unter den Voraussetzungen des § 237 Abs. 3 AktG können Aktien ausnahmsweise vereinfacht eingezogen werden, d. h. ohne Beachtung der Vorschriften über die ordentliche Kapitalherabsetzung. Ganz verzichtbar ist eine Kapitalherabsetzung im Falle des § 237 Abs. 3 Nr. 3 AktG: Hier geht es um eine Einziehung volleingezahlter Stückaktien (§ 8 Abs. 3 AktG), bei der sich der Anteil der verbleibenden Aktien am Grundkapital entsprechend erhöht. Die Kapitalherabsetzung ist entbehrlich, weil die Stückaktie keinen Nennbetrag aufweist und damit keinen Anteil am Grundkapital „verkörpert“ (vgl. KölnKommAktG/Ekkenga/Schirrmacher, § 237 Rn. 126); genügend ist also eine Neustückelung des Grundkapitals, ein sog. reverse stock split (vgl. Grigoleit/Rieder, § 237 Rn. 49; näher MünchKommAktG/Oechsler, § 237 Rn. 110a ff.).

2. Zwangsabtretung nach GmbH-Vorbild
Die Aktionäre sind in ihrem statutarischen Gestaltungsspielraum von vornherein viel stärker eingeschränkt als die GmbH-Gesellschafter. Während der GmbH-Gesellschaftsvertrag fast beliebig gestaltet werden kann, gilt für die AG-Satzung der Grundsatz der Satzungsstrenge (§ 23 Abs. 5 AktG). Auch im Hinblick auf Nachfolgeregelungen haben die Aktionäre weniger Möglichkeiten als die GmbH-Gesellschafter: So scheidet die Statuierung einer Abtretungsverpflichtung zulasten der Erben aus (Dietz, in: Beck’sches Notar-Handbuch, 7. Aufl. 2019, § 17 Rn. 319a; Perzborn, RNotZ 2017, 405, 424; allg. zur Übertragungspflicht BayObLGZ 1988, 371, 375 ff.). Eine solche Abtretungsverpflichtung ist eine Nebenverpflichtung; Nebenverpflichtungen können dem Aktionär aber nur in dem von §§ 54, 55 AktG gesteckten Rahmen auferlegt werden.

3. Vorkaufs- oder Vorerwerbsrecht
Was Abtretungserschwerungen angeht, kennt das AktG nur die Vinkulierung von Namensaktien gem. § 68 Abs. 2 AktG (vgl. allg. zum Gestaltungsspielraum Heckschen/Weitbrecht, NZG 2019, 721, 723 ff.).

Vorkaufs- oder Vorerwerbsrechte können nach überwiegender Meinung nicht in die Satzung aufgenommen werden (Kinzl, Gesellschaftervereinbarungen, 2021, § 80 Rn. 14; D. Mayer, MittBayNot 2006, 281, 285; Noack, JR 1995, 240, 241; K. Schmidt/Lutter/Bezzenberger, § 68 Rn. 16; GroßkommAktG/Merkt, 5. Aufl. 2018, § 68 Rn. 300; Westermann/Klingberg, FS Quack, 1991, S. 545, 551; KölnKommAktG/Ekkenga/Schirrmacher, § 237 Rn. 15; wohl auch MünchKommAktG/Bayer, 5. Aufl. 2019, § 68 Rn. 39; allg. zur Übertragungspflicht BayObLGZ 1988, 371, 377; Scheller, in: Münchener Handbuch des Gesellschaftsrechts, Bd. 9, 6. Aufl. 2021, § 17 Rn. 81; vgl. zum Streitstand ausf. Bühler, Preislimitierte Ankaufsrechte im Gesellschaftsrecht, 2021, S. 428 f. m. Fn. 1648 f.).

Diese Ansicht ist aber nicht unumstritten. Manche Stimmen plädieren für eine Zulässigkeit mit der Begründung, dass durch ein solches Recht die Veräußerung nicht erschwert werde (LG München I BeckRS 2017, 107418, Rn. 22; Koch, § 68 Rn. 14; Giedinghagen, AG 2017, R 243 f.). Allerdings beziehen sich diese Stellungnahmen nur auf Erwerbsrechte, die den Preis zugrunde legen, den ein Dritter zu zahlen bereit wäre; preislimitierte Erwerbsrechte sind auch nach dieser (Minder-)Meinung ausgeschlossen (vgl. dazu Bühler, S. 429 m. N.).

4. Fazit
Im Ergebnis werden die Beteiligten lediglich auf die Zulässigkeit einer „einfachen“ Einziehungsregelung vertrauen können. Eine Satzungsänderung wird der Zustimmung aller betroffenen Aktionäre bedürfen (vgl. Henssler/Strohn/Galla, Gesellschaftsrecht, 5. Aufl. 2021, § 237 AktG Rn. 5; Koch, § 237 Rn. 9).

Allerdings bleibt es den Beteiligten grds. unbenommen, schuldrechtliche Nebenabreden – auch in Gestalt von Verfügungsbeschränkungen – untereinander zu treffen (vgl. Kinzl, § 80 Rn. 15; Cziupka/Kliebisch, BB 2013, 715; D. Mayer, MittBayNot 2006, 281, 285).

Gutachten/Abruf-Nr:

197778

Erscheinungsdatum:

16.05.2023

Rechtsbezug

National

Rechtsgebiete:

Aktiengesellschaft (AG)

Erschienen in:

DNotI-Report 2023, 73-75

Normen in Titel:

AktG § 55; AktG § 237