05. Mai 2023
BGB § 928

Vormerkungsfestigkeit einer Dereliktion

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Gutachten des Deutschen Notarinstituts
Abruf-Nr.: 186514
letzte Aktualisierung: 05. Mai 2023

BGB § 928
Vormerkungsfestigkeit einer Dereliktion

I. Sachverhalt

Der Notar hat für eine Mandantin eine Dereliktion eines bebauten Grundstücks in Konstanz
begleitet. Die Eigentumsaufgabe wurde im Grundbuch eingetragen. In Abt. II des Grundbuches
sind zu Gunsten der Eltern der Mandantin eine Rückauflassungsvormerkung zur Absicherung
eines bedingten Rückübertragungsanspruchs sowie ein Wohnungsrecht eingetragen mit der Auflage,
dass die Tochter, welche zu diesem Zeitpunkt gerade einmal 14 Jahre alt war, sämtliche
Kosten einschließlich der Schönheitsreparaturen zu tragen habe. Die anwaltliche Vertretung der
Eltern verlangt nun von der Mandantin die Zustimmung zur Rückauflassung.

II. Fragen

Kann die Mandantin die Zustimmung zur Rückübertragung wirksam erteilen, obwohl sie nicht
mehr Eigentümerin ist? Ist die Auffassung der anwaltlichen Vertretung, wonach die Dereliktion
gegenüber den Eltern relativ unwirksam ist, korrekt?

III. Zur Rechtslage

1. Verfügungsberechtigung der früheren Eigentümerin

Die Verfügungsberechtigung muss grundsätzlich noch im Zeitpunkt der Vollendung des
Rechtserwerbs, also im Zeitpunkt des Vollzugs der Eigentumsumschreibung im Grundbuch
vorhanden sein. Im vorliegenden Fall ist die Verfügende grundsätzlich nicht mehr verfügungsbefugt,
da sie nicht mehr Eigentümerin des betroffenen Grundbesitzes ist.

Die vormalige Eigentümerin könnte allerdings weiterhin verfügungsbefugt sein, wenn die
Eigentumsaufgabe gegenüber dem vormerkungsberechtigten Erwerber gem. § 883 Abs. 2
BGB relativ unwirksam wäre.

Nach bislang einhelliger Auffassung kann auch die Eigentumsaufgabe nach § 928 Abs. 1 BGB
eine vormerkungswidrige Verfügung darstellen (KGJ 51, 192, 197; BeckOGKBGB/
Assmann, 1.2.2023, § 883 Rn. 125; Löhnig/Gietl, JuS 2008, 102, 105;
MünchKommBGB/Lettmaier, 9. Aufl. 2023, BGB § 883 Rn. 62; Staudinger/Kesseler, BGB,
2020, § 883 Rn. 239).

Dabei kommt es nicht darauf an, ob die Verfügung eine nach dem damaligen Übertragungsvertrags
verbotene „Veräußerung“ oder „Belastung“ darstellt, da dort nur die Entstehungsvoraussetzungen
für den schuldrechtlichen Anspruch geregelt sind. Ob der Anspruch bereits
entstanden ist, ist für das Eingreifen des Vormerkungsschutzes nicht relevant, da nur der
Anspruch selbst, nicht die Vormerkung bedingt ist. Der Vormerkungsschutz greift in diesem
Fall unabhängig vom Vorliegen der Voraussetzungen für die Entstehung des Anspruchs
(Staudinger/Kesseler, BGB, 2020, § 883 Rn. 273, 279; OLG München BeckRS 2012, 8018).

Die Eigentumsaufgabe bleibt zudem ohne Folgen für das Bestehen von schuldrechtlichen
Verpflichtungen des (früheren) Eigentümers zur Bestellung von dinglichen Rechten oder zur
Übertragung des Eigentums (BeckOGK-BGB/J. Weber, 1.3.2023, § 928 Rn. 19;
Staudinger/Diehn, BGB, 2020, § 928 Rn. 29).

Folge der relativen Unwirksamkeit des § 883 Abs. 2 BGB ist, dass der Verfügende zugunsten
des Vormerkungsberechtigten weiterhin über das Recht verfügen kann. Der Vormerkungsschuldner
behält die rechtliche Fähigkeit, den gesicherten Anspruch so zu erfüllen, als hätte
er die betreffende Verfügung – hier die Aufgabe des Eigentums – nicht vorgenommen und
als wäre der daraus herrührende Rechtsverlust nicht eingetreten (vgl. nur
Staudinger/Kesseler, § 883 Rn. 294; Grüneberg/Herrler, BGB, 82. Aufl. 2023, § 883 Rn. 21,
§ 888 Rn. 3; BeckOGK-BGB/Assmann, § 883 Rn. 169 f.).

Wendet man dies auf den vorliegenden Fall an, ergibt sich daraus, dass die frühere Eigentümerin
weiterhin die Auflassung erklären kann.

Im Ergebnis ist die Auffassung der anwaltlichen Vertretung der Eltern insoweit richtig, als
die Eigentumsaufgabe relativ unwirksam ist und die Auflassung durch die Tochter noch
erklärt werden kann.

2. Weitere Fragen

Ob ein Auflassungsanspruch bereits besteht, ist abhängig von der genauen Ausgestaltung des
Rückforderungsrechts der Eltern. Die Frage, ob eine Zustimmung nach § 888 Abs. 1 BGB
erforderlich ist, war bereits Gegenstand einer genaueren Untersuchung seitens des DNotI
(vgl. Internet-Gutachten 147491, dort Ziff. 2 und 3), wonach es nach der noch überwiegenden
Auffassung einer entsprechenden Erklärung des neuen Eigentümers oder eines Pflegers
bedarf.

Gutachten/Abruf-Nr:

186514

Erscheinungsdatum:

05.05.2023

Rechtsbezug

National

Rechtsgebiete:

Sachenrecht allgemein

Normen in Titel:

BGB § 928