26. März 2018
BGB § 877; BGB § 892; BGB § 876; WEG § 10

Gutgläubiger Erwerb eines Sondernutzungsrechts; maßgeblicher Zeitpunkt

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Gutachten des Deutschen Notarinstituts
Abruf-Nr.: 160293
letzte Aktualisierung: 26. März 2018

WEG § 10; BGB §§ 892, 876, 877
Gutgläubiger Erwerb eines Sondernutzungsrechts; maßgeblicher Zeitpunkt

I. Sachverhalt
V ist Eigentümer mehrerer Sondereigentumseinheiten in einer in Wohnungseigentum aufgeteilten
Anlage.

Am 30.5.2017 schließt er mit K einen notariellen Kaufvertrag bzgl. der im Aufteilungsplan mit
der Nr. 4 bezeichneten Eigentumswohnung.

Am 26.7.2017 schließen K und V einen zweiten Kaufvertrag bzgl. einer weiteren, in derselben
Anlage belegenen Eigentumswohnung (Nr. 3 laut Aufteilungsplan). Anlässlich dieser Beurkundung
weist V mit Zustimmung des K im Rahmen eines Nachtrags zur Teilungserklärung der
Wohnung Nr. 4 ein Sondernutzungsrecht an einem Raum im Dachspitz zu. In der ursprünglichen
Teilungserklärung ist weder das vertragsgegenständliche Sondernutzungsrecht noch ein entsprechender
Zuweisungsvorbehalt zugunsten des V vorgesehen. Der vorgenannte Nachtrag soll daher
zur erstmaligen Begründung eines Sondernutzungsrechts führen. Die erforderliche Mitwirkung
der übrigen Wohnungseigentümer war gegeben. Versehentlich unterlassen wurde jedoch die
Einholung der Zustimmung eines dinglich Berechtigten nach §§ 877, 876 BGB (Wohnungsrechtsberechtigter),
weil die Beteiligten irrtümlich davon ausgingen, dass dieser durch die Änderung
nicht betroffen sei.

Am 7.8.2017 wurde das Sondernutzungsrecht entsprechend dem Antrag des V gleichwohl in das
Grundbuch eingetragen.

Am 16.8.2017 wird K als neuer Eigentümer der Wohnung Nr. 4 (samt Sondernutzungsrecht) im
Grundbuch eingetragen, am 26.10.2017 erfolgt die Eintragung der Auflassung bzgl. Wohnung
Nr. 3.

Von der fehlenden Zustimmung hatte K zu keinem Zeitpunkt positive Kenntnis.

II. Fragen
1. Hat K das Sondernutzungsrecht (ggf. gutgläubig) erworben?

2. Die Möglichkeit eines gutgläubigen Erwerbs von Sondernutzungsrechten unterstellt – welches
ist der für die Gutgläubigkeit des Erwerbers maßgebliche Zeitpunkt?

III. Zur Rechtslage
1. Nachträgliche Begründung und Erwerb von Sondernutzungsrechten
In einer bereits bestehenden Wohnungseigentümergemeinschaft kann eine entsprechende
Zuweisung eines Sondernutzungsrechts grundsätzlich nicht mehr durch einseitige Erklärung
des aufteilenden Eigentümers erfolgen, sofern ein entsprechender Vorbehalt nicht bereits in
der ursprünglichen Teilungserklärung vorgesehen und mittels entsprechender Verweisung
im Grundbuch eingetragen worden ist (ausf. zu möglichen Gestaltungen vgl. DNotI-Report
2016, 117 ff.). Ein Zuweisungsvorbehalt besteht im vorliegenden Fall nicht. Allerdings
haben sämtliche Wohnungseigentümer durch Vereinbarung das Sondernutzungsrecht
begründet.

Wie jede andere Vereinbarung nach § 10 Abs. 2 WEG kann das Sondernutzungsrecht ins
Grundbuch eingetragen werden und erhält dadurch einen verdinglichten Charakter (§ 10
Abs. 3 WEG). Es handelt sich jedoch nicht um ein dingliches Recht, vielmehr bedeutet die
dingliche Wirkung ausschließlich, dass das schuldrechtliche Nutzungsrecht durch die
Grundbucheintragung auch gegenüber jedem Sonderrechtsnachfolger der einzelnen
Wohnungseigentumseinheiten fortbesteht. Das Sondernutzungsrecht wird zum Inhalt des
Sondereigentums, indem es durch seine positive und seine negative Komponente den
Gebrauch des Wohnungseigentums bestimmt. Üblicherweise werden Sondernutzungsrechte
aufgrund ihrer herausgehobenen wirtschaftlichen Bedeutung auch auf dem Wohnungs- oder
Teileigentumsgrundbuchblatt selbst vermerkt, obgleich auch eine Bezugnahme auf die
zugrunde liegende Eintragungsbewilligung (Teilungserklärung) ausreichend wäre, § 7 Abs.
3 WEG, § 3 Abs. 2 WGV (Schöner/Stöber, Grundbuchrecht, 15. Aufl. 2012, Rn. 2915).

Gem. §§ 877, 876 BGB bedarf die wirksame Begründung des mit dinglicher Wirkung ausgestatteten
Sondernutzungsrechts dabei auch der Zustimmung etwaiger durch die Inhaltsänderung
betroffener Drittberechtigter. Letzteres wurde vorliegend nicht beachtet. Somit ist
festzuhalten, dass das Sondernutzungsrecht grundsätzlich bereits durch die Vereinbarung der
Miteigentümer als ein schuldrechtliches entstanden ist, es aber nicht gegenüber den
Grundpfandrechtsgläubigern wirkt, deren Zustimmng nicht eingeholt worden ist.

2. Gutgläubiger Erwerb von Sondernutzungsrechten
Die ganz überwiegende Auffassung in Literatur und Rechtsprechung geht grundsätzlich davon
aus, dass verdinglichte Sondernutzungsrechte, die im Grundbuch als Inhalt des Sondereigentums
vermerkt sind, gem. § 892 BGB (analog) gutgläubig erworben werden können.

Im Grundsatz wird diese Möglichkeit hierbei sowohl für den Erst- wie auch für den
Zweiterwerb von Sondernutzungsrechten bejaht (ausf. zum Meinungsstand jeweils m. zahlreichen
w. N.: Schneider, in: Bärmann/Seuß, Praxis des Wohnungseigentums, 7. Aufl.
2017, § 13 Rn. 136 ff.; BeckOK-WEG/Dötsch, Stand: 1.10.2017, WEG § 15 Rn. 291 ff.).
Hierfür spricht auch die neuere Rechtsprechung des BGH, wonach sich der Gutglaubensschutz
des § 892 BGB ausdrücklich nicht nur auf den Erwerb des dinglichen Rechts als solchen,
sondern auch auf dessen Inhalt einschließlich des Bestands und des Umfangs eingetragener
Sondernutzungsrechte erstreckt (BGH ZWE 2017, 169 Tz. 19).

Vorliegend ist das verdinglichte Sondernutzungsrecht mangels Zustimmung des übergangenen
dinglich Berechtigten gem. §§ 876, 877 BGB nicht wirksam als solches entstanden.
Ein klassischer „Ersterwerb“ auf Grundlage der in der Teilungserklärung vorbehaltenen Zuweisung
des neu entstandenen Sondernutzungsrechts bei der erstmaligen Veräußerung
kommt vorliegend mangels einer entsprechenden Regelung in der ursprünglichen Teilungs
erklärung, die als im Grundbuch (mittelbar) verzeichneter Anknüpfungspunkt für den guten
Glauben des Erwerbers dienen könnte, nicht in Betracht.

Mit der Eintragung des Sondernutzungsrechts im Grundbuch am 7.8.2017 – und damit noch
vor Vollendung des Eigentumsübergangs an der betreffenden Sondereigentumseinheit –
wies das Grundbuch hinsichtlich der Wohnung Nr. 4 jedoch einen der materiellen Rechtslage
widersprechenden Inhalt des Sondereigentums aus und war damit unrichtig i. S. v. § 892
BGB. Damit käme ein gutgläubiger (Zweit-)Erwerb, wie von Ihnen zutreffend angenommen,
grundsätzlich in Betracht.

3. Anwendung auf den vorliegenden Sachverhalt: Maßgeblicher Zeitpunkt
Fraglich ist jedoch, auf welchen Zeitpunkt für das Vorliegen der Grundbuchunrichtigkeit
und der diesbezüglichen Gutgläubigkeit des Dritterwerbers abzustellen ist.

Da eine diesbezügliche Sonderbehandlung in Bezug auf das Sondernutzungsrecht, soweit
ersichtlich, weder in der einschlägigen Literatur noch in der Rechtsprechung diskutiert wird,
gehen wir davon aus, dass im Ausgangspunkt die im Zusammenhang mit der Anwendung
von §§ 892f. BGB anerkannten, allgemeinen Rechtsgrundsätze gelten.

Gemäß § 892 Abs. 1 BGB müssen Grundbuchunrichtigkeit und guter Glaube grundsätzlich
im Zeitpunkt der Vollendung des Erwerbstatbestandes vorliegen, ferner darf in diesem Zeitpunkt
kein entsprechender Widerspruch in das Grundbuch eingetragen sein (vgl. § 892
Abs. 1 BGB). Hinsichtlich der Gutgläubigkeit ist zu bemerken, dass die positive Kenntnis
hierbei nach allgemeiner Auffassung nicht lediglich in Bezug auf die der Grundbuchunrichtigkeit
zugrunde liegenden Tatsachen gegeben sein muss, sondern der Erwerber darüber
hinaus auch die zutreffenden rechtlichen Schlussfolgerungen auf die Unrichtigkeit oder Unvollständigkeit
der Eintragung ziehen muss. Einschränkungen sind insoweit nur dann zu beachten,
wenn der Erwerber die Kenntnisnahme der für die Beurteilung der Rechtslage erheblichen
Umstände grundlos verweigert oder sich in Kenntnis dieser Umstände grundlos der
erkennbar zutreffenden rechtlichen Beurteilung verschließt. Damit kann im Ergebnis trotz
entsprechender Tatsachenkenntnis auch ein begründeter Rechtsirrtum die Kenntnis der
Grundbuchunrichtigkeit ausschließen.

Da das Sondernutzungsrecht rechtsdogmatisch als Inhalt des Wohnungseigentums eingeordnet
wird, ist maßgeblicher Bezugspunkt für den gutgläubigen Rechtserwerbs der Eigentumsübergang
an der zugehörigen Sondereigentumseinheit. Dieser vollzieht sich gemäß §§ 873
Abs.1, 925 Abs. 1 BGB durch dingliche Einigung (Auflassung) und Eintragung in das
Grundbuch. Abzustellen ist daher grundsätzlich auf den der Auflassung regelmäßig nachfolgenden
Zeitpunkt der Grundbucheintragung (§§ 873, 925 Abs.1 BGB).

Ist zum Rechtserwerb die Eintragung im Grundbuch erforderlich, sieht § 892 Abs. 2 BGB
eine Vorverlagerung des für die Gutgläubigkeit maßgeblichen Zeitpunkts auf den Eingang
des betreffenden Eintragungsantrags beim Grundbuchamt vor. Diese Vorschrift dient ihrem
Sinn und Zweck nach jedoch allein dem Schutz des Erwerbers, der den Zeitpunkt der Eintragung
nach Antragsstellung nicht mehr beeinflussen kann und sich ansonsten der Gefahr
ausgesetzt sähe, aufgrund zufallsabhängiger Verzögerungen im Grundbuchverfahren nachträglich
eine erwerbsschädliche positive Kenntnis zu erlangen (vgl. BeckOGK-BGB/Hertel,
1.12.2017, § 892 Rn. 84 ff.; zum Schutzzweck auch BeckOK-BGB/H.-W. Eckert, Stand:
15.6.2017, BGB § 892 Rn. 14). Ändert sich die Buchlage zwischen Antragstellung und
Eintragung zugunsten des Erwerbers, ist eine für den Erwerber nachteilige Rechtsanwendung
folgerichtig ausgeschlossen. Zur Feststellung der Gutgläubigkeit ist in diesem Fall
systemkonform auf denjenigen Zeitpunkt abzustellen, in dem sich die Grundbuchlage geändert
hat (so ausdrücklich BeckOGK-BGB/Hertel, § 892 Rn. 88; wohl auch
MünchKommBGB/Kohler, 7. Aufl. 2017, § 892 Rn. 45 m. w. N.).

Eine entsprechende Anwendung auf das objektive Tatbestandsmerkmal der Grundbuchunrichtigkeit
zum Nachteil des Erwerbers ist vor diesem Hintergrund konsequenterweise ebenfalls
ausgeschlossen. Für die objektive Tatbestandsseite ist daher nach allgemeiner Auffassung
stets der letzte Zeitpunkt maßgeblich. Ist das Grundbuch, wie im vorliegenden Fall,
erst nach Antragstellung, aber vor Vollzug der Rechtsänderung, die zu gutgläubigem Erwerb
führen soll, unrichtig geworden, ist daher die Grundbuchlage bei Eigentumsumschreibung
im Grundbuch als letztmöglicher zeitlicher Anknüpfungspunkt ausschlaggebend (hierzu etwa
BeckOK-BGB/H.-W. Eckert, § 892 Rn. 7; MünchKommBGB/Kohler, § 892 Rn. 45;
BGH NJW 2003, 202, 203; BGH NJW 1969, 93, 94; BayObLG FGPrax 2003, 201).

Für den vorliegenden Sachverhalt bedeutet dies Folgendes: Nach den Sachverhaltsangaben
war der Erwerber von der Antragstellung bis zur Eintragung in keinem Zeitpunkt
bösgläubig, i.S.e. positiven Kenntnis der Grundbuchunrichtigkeit. Bei seiner Eintragung als
Eigentümer der betroffenen Sondereigentumseinheit (Wohnung Nr. 4), war dieser das
Sondernutzungsrecht laut Grundbucheintrag als Inhalt des Wohnungseigentums zugewiesen.
Ein hierauf bezogener Widerspruch war im Grundbuch nicht verzeichnet. Hält man mit der
ganz h.M. in Literatur und Rechtsprechung einen gutgläubigen Erwerb generell für möglich,
ist ein solcher u. E. damit im Ergebnis zu bejahen.

Gutachten/Abruf-Nr:

160293

Erscheinungsdatum:

26.03.2018

Rechtsbezug

National

Rechtsgebiete:

WEG
Sachenrecht allgemein

Normen in Titel:

BGB § 877; BGB § 892; BGB § 876; WEG § 10