01. April 2021
BauGB § 195; BGB § 158; BGB § 433

Zeitpunkt der Übersendungspflicht bei aufschiebend bedingten Kaufverträgen

BauGB § 195; BGB §§ 158, 433
Zeitpunkt der Übersendungspflicht bei aufschiebend bedingten Kaufverträgen

I. Sachverhalt
Ein Verkäufer verkauft sein mit einem Nießbrauch belastetes Hausgrundstück. Der Kaufvertrag ist aufschiebend bedingt geschlossen. Er wird nur wirksam, falls der Nießbrauch materiell-rechtlich innerhalb einer bestimmten Frist erlischt.

II. Frage
Muss die Abschrift an den Gutachterausschuss gem. § 195 BauGB unverzüglich nach Vertragsschluss oder erst mit Bedingungseintritt übersandt werden?

III. Zur Rechtslage
1. Allgemeines
Gem. § 195 Abs. 1 BauGB ist jeder Vertrag über eine entgeltliche Grundstücksveräußerung in Abschrift dem Gutachterausschuss zur Führung der Kaufpreissammlung zu übersenden. Ausweislich des Wortlauts von § 195 Abs. 1 S. 1 BauGB ist demnach nur der Verpflichtungsvertrag zur entgeltlichen Übertragung von Eigentum an einem Grundstück übersen­dungspflichtig. Die Übersendungspflicht des § 195 BauGB liegt darin begründet, dass der Gutachterausschuss den ihm nach § 193 BauGB obliegenden Aufgaben nur nachkommen kann, wenn ihm die Vorgänge auf dem Grundstücksmarkt möglichst vollständig bekannt sind. Die Übersendungspflicht liegt damit im Allgemeininteresse eines möglichst transparenten Grundstücksmarktes und einer möglichst objektiv begründeten Wertermittlung (Kleiber, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, 140. EL, Oktober 2020, § 195 Rn. 4).

Die Übersendungspflicht, die den beurkundenden Notar trifft, bricht als lex specialis die no­tarielle Verschwiegenheitspflicht des § 18 BNotO. Das Geheimhaltungsinteresse der Betroffenen wird dadurch sichergestellt, dass die Gutachterausschüsse verpflichtet sind, die sich aus den Vorgängen ergebenden persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse anderer geheim zu halten (Kleiber, § 195 Rn. 7).

2. Konkreter Sachverhalt
Bei einem aufschiebend bedingten Vertragsschluss (§ 158 BGB) stellt sich die Frage, ob die Übersendungspflicht i. S. d. § 195 Abs. 1 BauGB erst mit Bedingungseintritt besteht oder bereits nach Beurkundung vorliegt.

a) Unergiebigkeit des Schrifttums zur Reichweite der Übersendungspflicht
Der aufschiebend bedingte Vertrag, der seine volle Wirksamkeit erst mit dem Eintritt der Bedingung entfaltet, wird – soweit ersichtlich – im Bereich des § 195 Abs. 1 BauGB weder von der Rechtsprechung noch in der Literatur näher thematisiert. Freise spricht in seiner Kommentierung schlicht von der Übersendungspflicht nach Abschluss des Vertrages, ohne dies näher auszuführen (Brügelmann/Freise, BauGB, Std.: 1/2019, § 195 Rn. 18); erfasst seien Kaufverträge jeder Art. Nicht differenzierend verfährt auch Stemmler (in: Berliner Kommentar, Std.: 1/2014, § 195 Rn. 1), dem zufolge jeder Verpflichtungsvertrag zu übersenden sei. Nach Kleiber sind lediglich bloße Erwerbsverpflichtungen bzw. Kaufanwärterverträge nicht der Übersendungspflicht unterworfen, da im Fall einer Nichterfüllung der Erwerbsverpflichtung dem vorgesehenen Entgelt nicht die Aussagekraft eines tatsächlich gezahlten Entgelts beizumessen sei (Kleiber, § 195 Rn. 10).

b) Auslegung von § 195 Abs. 1 BauGB
Eine Auslegung des § 195 Abs. 1 BauGB ergibt nach unserem Dafürhalten Folgendes: Nach dem Gesetzeswortlaut ist jeder Vertrag, durch den sich jemand verpflichtet, Eigentum an einem Grundstück gegen Entgelt zu übertragen, an den Gutachterausschuss zu übersenden. Unter den Wortlaut der Norm lässt sich daher auch der aufschiebend bedingte Vertrag subsumieren, geht doch mit ihm die (allerdings noch in der Schwebe befindliche) Verpflichtung zur Übertragung des Grundstücks einher.

Mit Blick auf die Gesetzeszwecke von § 195 Abs. 1 BauGB (Grundlage des Vergleichswertverfahrens, Transparenz des Grundstücksmarkts, objektiv begründete Werter­mittlung, vgl. BeckOK-BauGB/Federwisch, Std.: 1.11.2018, § 195 Rn. 1 f.) könnte man prima facie darauf abstellen, dass es keinen Unterschied macht, ob der Kaufvertrag un­bedingt oder bedingt abgeschlossen wird. Denn der Kaufpreis des verbindlichen und (regelmäßig) nicht mehr allein vom Willen einer der Parteien abhängigen Vertrags steht bereits mit seinem Abschluss fest, wenn­gleich der Vertrag erst mit Bedingungseintritt Wirkungen zeitigt (MünchKommBGB/Westermann, 8. Aufl. 2018, § 158 Rn. 40). Allein auf den Kaufpreis und den veräußerten Gegenstand kommt es aber für den Gutachterausschuss an. Insoweit vermögen auch die Ausführungen von Kleiber (§ 195 Rn. 10) nicht zu überzeu­gen: Zwar unterliegen Erwerbsverpflichtungen und Kaufanwärterverträge nicht der Übersendungspflicht. Der Grund hierfür ist aber nicht, dass das dort vorgesehene Entgelt nicht dem tatsächlichen Entgelt entspräche. Der Kaufpreis kann durchaus den Marktpreis widerspiegeln und damit für die Einschätzung der Immobilienpreissituation von Relevanz sein. Vielmehr ist entscheidend, dass sie nicht einen unmittelbar bindenden Verpflich­tungsvertrag zur Übertragung eines Grundstücks darstellen, sondern nur rechtsgeschäftliche Erklärungen im Vorfeld eines solchen unmittelbar bindenden Vertrags darstellen. Der Bedingungseintritt dürfte mithin für die Wertermittlung des Gutachterausschusses meist irrelevant sein, sofern die Bedingung nicht im Zusammenhang mit dem Preis steht, etwa bei Nachzahlungsvereinbarungen im Fall des Eintrittes bestimmter Bedingungen.

Allerdings lässt sich dagegen einwenden, dass bei einem solchen Normverständnis nicht erst die tatsächlich wirksam gewordenen Kaufverträge, sondern schon die wirksam zustande gekommenen Verträge eine Übersendungspflicht auslösen; darin könnte man eine Ver­fälschung der Wertermittlungsgrundlagen des Gutachterausschusses sehen, weil bei Nichteintritt der Bedingung der abgeschlossene Vertrag nie Rechtswirkungen entfaltet hat. Eine Sicherheit, dass durch die Kaufpreissammlung ein sicheres Abbild der tatsächlich erzielten Preise am Markt geliefert wird, bestünde dann aber nicht mehr. Insoweit ist der aufschiebend bedingte Vertrag mit einem bloßen Angebot vergleichbar, aus dem auch noch keine Rechtswirkungen folgen und das von der Literatur nicht als übersendungspflichtig angesehen wird. Insofern liegt ein restriktives Auslegungsverständnis des § 195 Abs. 1 BauGB durchaus nahe, weil die Daten der Urkundsbeteiligten und die Tatsache des Vertragsschlusses nur offengelegt werden sollen, wenn gesetzliche Vorschriften eine solche Transparenz zwingend gebieten. Dies ist bei einem aufschiebend bedingten Vertrag, dessen Wirksamkeit mit Zustandekommen nicht feststeht, in Ansehung des Ziels von § 195 BauGB (Verschaffung eines Überblicks über die tatsächlich am Markt erzielten Immobilienpreise) nicht zwingend geboten.

Ein Nachteil ergibt sich für den Gutachterausschuss durch die Übersendung erst mit Be­dingungseintritt auch nicht, weil die Kaufpreissammlung mit dem tatsächlich wirksam ge­wordenen Vertrag komplettiert wird und dem Gutachterausschuss ein Überblick über die erzielten Preise im Rahmen von wirksamen Rechtsgeschäften ermöglicht wird.

3. Ergebnis
Vor diesem Hintergrund lässt sich gut begründen, dass die Übersendung aufschiebend bedingter Verträge nicht schon mit Abschluss des Vertrages, sondern erst mit Bedingungseintritt zu erfolgen hat. Ein noch nicht wirksamer Kaufvertrag ist unseres Erachtens dem Gutachterausschuss noch nicht mitzuteilen.

Gutachten/Abruf-Nr:

178808

Erscheinungsdatum:

01.04.2021

Rechtsbezug

National

Rechtsgebiete:

Öffentliches Baurecht
Kaufvertrag

Erschienen in:

DNotI-Report 2021, 52-53

Normen in Titel:

BauGB § 195; BGB § 158; BGB § 433