17. Juni 2020
BGB § 126b; BGB § 32 Abs. 2; MaßnG-GesR § 5 Abs. 3

Eingetragener Verein; Beschlussfassung im Rahmen einer sog. Doodle-Umfrage; Anforderungen an Textform

BGB §§ 32 Abs. 2, 126b; MaßnG-GesR § 5 Abs. 3
Eingetragener Verein; Beschlussfassung im Rahmen einer sog. Doodle-Umfrage; Anforderungen an Textform

I. Sachverhalt
Ein eingetragener Verein kann wegen der Corona-Pandemie aktuell keine Mitgliederversammlung abhalten. Die anstehenden Beschlüsse sollen daher gem. § 5 Abs. 3 des Gesetzes über Maßnahmen im Gesellschafts-, Genossenschafts-, Vereins-, Stiftungs- und Wohnungseigentumsrecht zur Bekämpfung der Auswirkungen der COVID-19-Pandemie (BGBl. I 2020, S. 570, dort Art. 2; im Folgenden kurz: MaßnG-GesR) gefasst werden. Konkret ist geplant, die Beschlüsse über die Internet-Plattform „Doodle“ abzuwickeln.

„Doodle“ ist eine Internetseite, auf der die Benutzer Umfragen und Abstimmungen einrichten und die Teilnehmer dazu per E-Mail einladen können. Dafür wird den Teilnehmern ein Link zu einer Internetseite bereitgestellt, auf der diese ihre Stimmen unter Nennung ihres Namens abgeben können. Die Identität der Teilnehmer wird nicht überprüft. Es können aber nur diejenigen ihre Stimme abgegeben, denen der Einladungslink bekannt ist. Das Ergebnis der Umfrage lässt sich auf der Internetseite unter dem bereitgestellten Link dauerhaft abrufen. Der Initiator (= Administrator der jeweiligen Umfrage) kann die Abstimmungsmodalitäten festlegen. Je nachdem, ob eine kostenlose Basisversion oder eine kostenpflichtige Version verwendet wird, stehen verschiedene Einstellungsmöglichkeiten zur Verfügung (Stimmen veränderbar, Abstimmungsfristen, „versteckte Umfrage“, anonyme Abstimmung etc.). Unter anderem lässt sich bestimmen, dass nur die eigene Stimme sichtbar ist und dass die Stimme nur unter bestimmten Voraussetzungen bis zu einem bestimmten Zeitpunkt geändert werden kann. Ab dem festgelegten Zeitpunkt ist die eigene Stimme unveränderlich.

II. Frage
Genügt diese Art der Abstimmung den Anforderungen des § 5 Abs. 3 MaßnG-GesR?

III. Zur Rechtslage
1. Modifikation des § 32 Abs. 2 BGB durch § 5 Abs. 3 MaßnG-GesR
Gem. § 32 Abs. 1 BGB werden die Angelegenheiten des Vereins grundsätzlich durch Beschlussfassung in einer Versammlung der Mitglieder geordnet. Davon macht § 32 Abs. 2 BGB eine Ausnahme für den Fall, dass alle Mitglieder ihre Zustimmung zum Beschluss schriftlich erklären. Geschieht dies, so ist die Abhaltung einer Versammlung entbehrlich. Bisher konnte aber selbst eine einzige Nein-Stimme den Beschluss im schriftlichen Verfahren verhindern (vgl. BeckOGK-BGB/Notz, Std.: 15.9.2018, § 32 Rn. 196).

§ 5 Abs. 3 MaßnG-GesR modifiziert § 32 Abs. 2 BGB dahingehend, dass ein versammlungsloser Beschluss auch dann gültig ist, „wenn alle Mitglieder beteiligt wurden, bis zu dem vom Verein gesetzten Termin mindestens die Hälfte der Mitglieder ihre Stimmen in Textform abgegeben haben und der Beschluss mit der erforderlichen Mehrheit gefasst wurde“. Für eine wirksame Beschlussfassung ist demnach erforderlich, dass die Stimmen mindestens in Textform abgegeben wurden. Es stellt sich also die Frage, ob die Stimmabgabe im Rahmen einer sog. Doodle-Umfrage den Anforderungen des § 126b BGB genügt. Die Gesetzesbegründung nennt beispielhaft eine Abstimmung per E-Mail und Telefax (vgl. BT-Drucks. 19/18110, S. 30), schließt aber andere Methoden der Stimmabgabe in Textform nicht aus. Das Gesetz ist insofern medienoffen gestaltet. Es dürfte daher grundsätzlich möglich sein, auf andere Verfahren zurückzugreifen, solange diese den Anforderungen des § 126b BGB genügen.

2. Anforderungen an die Textform i. S. d. § 126b BGB
a) Dauerhafter Datenträger
Gem. § 126b S. 1 BGB verlangt „Textform“ eine lesbare Erklärung, in der die Person des Erklärenden genannt ist, auf einem dauerhaften Datenträger. Dauerhafter Datenträger ist gem. § 126b S. 2 BGB jedes Medium, das es dem Empfänger ermöglicht, eine auf dem Datenträger befindliche, an ihn persönlich gerichtete Erklärung so aufzubewahren oder zu speichern, dass sie ihm während eines für ihren Zweck angemessenen Zeitraums zugänglich ist und geeignet ist, die Erklärung unverändert wiederzugeben. Weitere Anforderungen, bspw. an die Feststellung der Identität oder die Identifizierbarkeit mittels Unterschrift, stellt das Gesetz an die Textform nicht. Die Textform bietet demnach keinen Schutz der Authentizität oder Integrität der Erklärung und erfüllt keine Identifizierungs- oder Beweisfunktion. Ihr Sinn und Zweck erschöpft sich darin, dass die Beteiligten den Inhalt der Erklärung in Ruhe durchlesen und später ggf. noch einmal nachlesen können (BeckOGK-BGB/Primaczenko/Frohn, Std.: 1.5.2020, § 126b Rn. 5; Staudinger/Hertel, BGB, 2017, § 126b Rn. 10). Vor diesem Hintergrund reicht etwa die dauerhafte Speicherung auf Festplatte, USB-Stick, CD-ROM, DVD oder E-Mail.

Die Frage, ob eine sog. Doodle-Umfrage (oder eine sonstige „Abstimmungswebsite“) den genannten Anforderungen genügt, haben wir nicht unmittelbar erörtert gefunden. Auch sind uns die technischen Hintergründe des Ablaufs und der Speicherung der Umfrageergebnisse nicht vollumfänglich bekannt. Geht man – wie im Sachverhalt – davon aus, dass die Ergebnisse dauerhaft gespeichert und jedenfalls dem Administrator der Umfrage dauerhaft zugänglich sind, so wird letztlich vom Initiator eine Plattform bei einem Drittanbieter bereitgestellt, auf der die einzelnen Vereinsmitglieder ihre Stimme dauerhaft „hinterlegen“ können. Im Hinblick auf die Mindestanforderungen der Textform ist jedenfalls auf einen Abstimmungsmodus zu achten, in dem die Stimmen nicht von anderen Benutzern oder noch nach Abstimmungsende vom Abstimmenden selbst geändert werden können.

b) Zugang der Erklärung
Erforderlich ist zudem der formgerechte Zugang der Erklärung i. S. d. § 130 BGB (vgl. BeckOGK-BGB/Primaczenko/Frohn, § 126b Rn. 20). Während Fax, PDF-Scan oder E-Mail beim Empfänger unproblematisch zugehen können, ist bei digitalisierten Inhalten auf einer Internetseite zu differenzieren. Die Literatur geht überwiegend davon aus, dass das Einstellen von Informationen auf einer Website nur dann dem Textformerfordernis genügt, wenn der Empfänger die im Internet bereitgehaltene Erklärung tatsächlich abspeichert oder ausdruckt (vgl. BeckOGK-BGB/Primaczenko/Frohn, § 126b Rn. 18; MünchKommBGB/Einsele, 8. Aufl. 2018, § 126b Rn. 11; für das Bereitstellen einer Widerrufsbelehrung auf einer Website BGH NJW 2014, 2857). Die vorhandene Rechtsprechung betraf allerdings Fälle, in denen die Erklärung (dort: Widerrufsbelehrung) auf einem Server des Erklärenden gespeichert war. Dies ist mit dem vorliegenden Fall nicht vergleichbar. Darin eröffnet nämlich der Erklärungsempfänger eine technische Möglichkeit, die abgegebene Erklärung auf einer Homepage zu hinterlegen. Die Homepage wird zwar von einem Drittanbieter betrieben, die konkrete Umfrage unterliegt jedoch der Herrschaftsmacht des Erklärungsempfängers (über die Administrationsseite der konkreten Umfrage). Es dürfte also schon mit der Stimmabgabe auf der bereitgestellten Homepage ein „Abspeichern“ der Erklärung im vorgenannten Sinne zu bejahen sein, denn es kann keinen Unterschied machen, ob dem Empfänger eine E-Mail zugeht, die auf dem Server des E-Mail-Providers gespeichert wird, oder für ihn eine Ja/Nein-Erklärung auf einer sonstigen Website, die der Empfänger zum Empfang bereitstellt, hinterlegt wird (ähnlich jurisPK-BGB/Junker, 9. Aufl. 2020, § 126b Rn. 40).

Die Erklärung muss dem Empfänger dabei dauerhaft und unveränderlich zur Verfügung stehen (BeckOK-BGB/Wendtland, Std.: 1.5.2020, § 126b Rn. 9). Inwieweit dieses Merkmal bei einer sog. Doodle-Umfrage erfüllt ist, vermögen wir nicht abschließend zu beurtei­len. Es erscheint uns jedoch naheliegend, dass man über entsprechende Einstellungen – jedenfalls ab einem bestimmten Zeitpunkt – eine Bearbeitung der Erklärung durch den Erklärenden verhindern kann.

Für das gewählte Verfahren spricht zudem, dass letztlich auch Erklärungen, die über die Doodle-Website an den Initiator gerichtet werden, dauerhaft auf einer Festplatte gespeichert sind – wenngleich nicht auf der Festplatte des Empfängers. Der Empfänger kann jedoch über den Link dauerhaft auf diese Erklärung zugreifen. Ein Erfordernis, dass der Empfänger selbst „Herr über das Speichermedium“ sein muss, lässt sich dem Gesetz nicht entnehmen.

c) Lesbarkeit der Erklärung / Person des Erklärenden
Die Erklärung muss schließlich lesbar sein und die Person des Erklärenden erkennen lassen, wobei genügt, dass die elektronische Erklärung über ein Anzeigeprogramm lesbar ist (Palandt/Ellenberger, BGB, 79. Aufl. 2020, § 126b Rn. 3). Der Wahrung der Textform dürfte also nicht entgegenstehen, dass die einzelnen Stimmen als Code der Website für den Empfänger nur insofern lesbar sind, als die Website die „Übersetzung“ des Quellcodes für den Empfänger übernimmt.

Darüber hinaus muss die Person des Erklärenden genannt werden (Palandt/Ellenberger, § 126b Rn. 4; MünchKommBGB/Einsele, § 126b Rn. 7). Ausreichend dürfte sein, dass die Mitglieder im Abstimmungsfeld ihren Namen angeben, soweit dieser dann auch für den Empfänger (Initiator der Anfrage) lesbar ist. Eine irgendwie geartete Identifizierung des Erklärenden ist gerade nicht erforderlich (vgl. lit. a).

d) Abschluss der Erklärung
Einen „Abschluss der Erklärung“ verlangt die Neufassung des § 126b BGB zwar nicht mehr ausdrücklich; in der Literatur besteht jedoch weitgehend Einigkeit, dass eine inhaltliche Änderung der bisherigen Rechtslage nicht beabsichtigt war (Palandt/Ellenberger, § 126b Rn. 5; BeckOGK-BGB/Primaczenko/Frohn, § 126b Rn. 23; vgl. auch BT-Drucks. 17/12637, S. 44). Der Sinn und Zweck des Erfordernisses liegt darin, dass für den Empfänger ersichtlich ist, ob die Erklärung rechtlich bindend sein soll und vollständig ist (BeckOGK-BGB/Primaczenko/Frohn, § 126b Rn. 23; MünchKommBGB/Einsele, § 126b Rn. 8). Die Erklärung soll sich damit von bloßen Entwürfen ohne rechtliche Bindung abgrenzen lassen (MünchKommBGB/Einsele, § 126b Rn. 8).

Bei der Stimmabgabe im Rahmen einer sog. Doodle-Umfrage gibt es regelmäßig überhaupt nur die Option, seinen Namen einzugeben und mit „Ja“ oder „Nein“ zu stimmen. Für den Empfänger ist also ohne Weiteres ersichtlich, wo die Erklärung beginnt und endet. Abgrenzungsschwierigkeiten zu einem bloßen Entwurf dürften sich hier von vornherein nicht einstellen. Die Erklärung ist vielmehr ihrer Natur nach mit dem Abschicken der Stimme vollständig und „abgeschlossen“. Nach dem Normzweck wird man dieses Erfordernis deshalb vorliegend als erfüllt ansehen können.

3. Fazit
Im Ergebnis würden wir davon ausgehen, dass bei entsprechender Gestaltung des Verfahrens auch die Abstimmung mittels einer sog. Doodle-Umfrage den Anforderungen der Textform genügen kann. Voraussetzung dafür ist, dass die Ergebnisse – jedenfalls ab einem bestimmten Zeitpunkt (dem „Abstimmungsende“) – unveränderlich auf der vom Administrator eingerichteten Abstimmungsseite gespeichert werden.

Gutachten/Abruf-Nr:

177725

Erscheinungsdatum:

17.06.2020

Rechtsbezug

National

Erschienen in:

DNotI-Report 2020, 89-91

Normen in Titel:

BGB § 126b; BGB § 32 Abs. 2; MaßnG-GesR § 5 Abs. 3