16. April 2021
BGB § 2289

Abänderung der Schlusserbeneinsetzung eines gemeinschaftlichen Testaments unter Ausnutzung eines Änderungsvorbehalts; Vorversterben der Schlusserbin; Frage der Gültigkeit der widerrufenen Verfügung

BGB § 2289
Abänderung der Schlusserbeneinsetzung eines gemeinschaftlichen Testaments unter Ausnutzung eines Änderungsvorbehalts; Vorversterben der Schlusserbin; Frage der Gültigkeit der widerrufenen Verfügung

I. Sachverhalt
Die Ehegatten W und E haben am 10.10.1990 ein gemeinschaftliches notarielles Testament errichtet, in welchem sie sich gegenseitig zu alleinigen Erben einsetzten. Schlusserbe sollte der einseitige Sohn S der Ehefrau E aus deren erster Ehe sein. In dem Testament wurde ferner ein Vermächtnis zugunsten des S nach dem Tod von E ausgesetzt und weiterhin verfügt:

„Sämtliche Bestimmungen dieses Testaments sind wechselbezüglich. Der Überlebende von uns ist jedoch berechtigt, von diesem Testament abweichende Verfügungen zu treffen.“

Die Ehefrau E verstarb bereits 1992. Der verwitwete W errichtete im Januar 2008 ein weiteres notarielles Testament. In diesem machte er ausdrücklich von dem im gemeinschaftlichen Testament aus dem Jahr 1990 verfügten Recht Gebrauch, von dem Testament abweichende Verfügungen treffen zu können, und bestimmte „unter Abänderung“ des gemeinschaftlichen Testaments seine Lebensgefährtin L zu seiner Alleinerbin. Weiteres regelte W nicht, insbesondere keine Ersatzerbfolge.

Die als Alleinerbin eingesetzte Lebensgefährtin L verstarb 2015, der Erblasser W im Jahr 2020 ohne weitere letztwillige Verfügungen.

Der Sohn S der verstorbenen Ehefrau des Erblassers bittet nun als vermeintlicher Alleinerbe um die Erstellung eines Erbscheinsantrags. Er trägt vor, die ursprünglich in dem gemeinschaftlichen Testament von 1990 verfügte Erbeinsetzung sei durch das Vorversterben der im Testament von 2008 eingesetzten L wiederhergestellt.

II. Fragen
1. Beseitigt die Abänderung einer Verfügung von Todes wegen unter Ausnutzung des Änderungsvorbehalts in einem gemeinschaftlichen Testament die ursprüngliche Verfügung endgültig oder gilt die inhaltliche Umgestaltung der ursprünglichen Verfügung nur insoweit, als die geänderten Verhältnisse noch eine Rolle spielen?

2. Kommt – mit anderen Worten – die ursprünglich verfügte (Schluss-)Erbeinsetzung wieder zum Tragen, wenn die davon abweichende neue Verfügung von Todes wegen ins Leere läuft, oder greift mangels gewillkürter Erbeinsetzung die gesetzliche Erbfolge ein?

III. Zur Rechtslage
1. Erbrechtliche Ausgangssituation
Im vorliegenden Fall haben die Ehegatten in ihrem gemeinschaftlichen notariellen Testament die sog. Einheitslösung gewählt, indem sie sich wechselseitig zu Vollerben und den erstehelichen Sohn der Ehefrau zum Schlusserben eingesetzt haben. Bei Wahl der sog. Ein­heitslösung (vgl. § 2269 Abs. 1 BGB) ist der überlebende Ehegatte nach dem Tod des Erstversterbenden und Annahme der Erbschaft (vgl. § 2271 Abs. 2 BGB) an die Schlusserbeneinsetzung erbrechtlich gebunden, wenn es sich hierbei um eine wechselbezügliche Verfügung i. S. v. § 2270 BGB handelt.

Im vorliegenden Fall wurde die Schlusserbeneinsetzung nach dem Testament ausdrücklich wechselbezüglich und daher erbrechtlich bindend getroffen.

2. Einschränkung der Bindung durch Aufnahme des Änderungsvorbehalts
Die erbrechtliche Bindungswirkung bedeutet, dass eine neue letztwillige Verfügung des überlebenden Ehegatten in entsprechender Anwendung des § 2289 Abs. 1 S. 2 BGB insoweit unwirksam ist, als hierdurch ein bindend Bedachter beeinträchtigt wird. Eine derartige Beeinträchtigung liegt vor, wenn zum Zeitpunkt des Erbfalls die anderweitige letztwillige Verfügung die wechselbezügliche Zuwendung mindern, beschränken, belasten oder gegenstandslos machen würde (vgl. Palandt/Weidlich, BGB, 80. Aufl. 2021, § 2289 Rn. 2 m. w. N.).

Etwas anderes gilt allerdings dann, wenn sich der Überlebende aufgrund Festlegung im gemeinschaftlichen Testament eine Änderung seiner wechselbezüglichen Verfügungen vorbehalten hat (sog. Änderungsvorbehalt). Dies war vorliegend der Fall.

Die Ausübung des Änderungsvorbehalts erfolgt durch neue Verfügung von Todes wegen gleich welcher Form (vgl. nur BeckOGK-BGB/Braun, Std.: 15.2.2021, § 2271 Rn. 167). Hier wurde von der Änderungsbefugnis im Rahmen eines neuen notariellen Testaments zugunsten der Lebensgefährtin L des Erblassers Gebrauch gemacht.

3. Auswirkungen des Vorversterbens der Lebensgefährtin
Die Erbeinsetzung aus dem späteren Testament, die aufgrund des Änderungsvorbehalts zulässigerweise vorgenommen werden konnte, ist allerdings infolge Vorversterbens der Lebensgefährtin des Erblassers gegenstandslos geworden.

Ob angesichts dieser tatsächlichen Entwicklung die frühere Erbeinsetzung des erstehelichen Sohnes der vorverstorbenen Ehefrau aus dem gemeinschaftlichen Testament wieder Wirksamkeit erlangt hat, ist fraglich und letztlich eine Frage der Auslegung der aufhebenden Verfügung. Grundsätzlich wird durch das spätere Testament die frühere Verfügung i. S. v. § 2258 Abs. 1 BGB aufgehoben. Wird das spätere Testament widerrufen, würde das frühere Testament gem. § 2258 Abs. 2 BGB im Zweifel wieder wirksam.

Anderes gilt nach h. M. aber, wenn das spätere Testament lediglich aus tatsächlichen Gründen wirkungslos geblieben ist, etwa weil – wie hier – die Bedachte vor dem Erblasser verstorben ist. In diesen Fällen soll die Aufhebungswirkung des gültigen späteren Testaments nach einer Entscheidung des BayObLG bestehen bleiben (vgl. BayObLG NJW-RR 1996, 967 ff. = DNotZ 1996, 319 = MittBayNot 1996, 116). Die Literatur hat sich – soweit ersichtlich einheitlich – dieser Rspr. angeschlossen (Palandt/Weidlich, § 2258 Rn. 3; BeckOK-BGB/Litzenburger, Std.: 1.2.2021, § 2258 Rn. 7; Schulze/Hoeren, BGB, 10. Aufl. 2019, § 2258 Rn. 4; BeckOGK-BGB/Grziwotz, Std.: 1.1.2021, § 2258 Rn. 19 m. w. N.). Abweichende Judikate sind nicht bekannt.

4. Ergebnis
Im Ergebnis ist davon auszugehen, dass das Vorversterben der Lebensgefährtin nicht dazu geführt hat, dass die im gemeinschaftlichen Testament verfügte Schlusserbenein­setzung des erstehelichen Sohnes der verstorbenen Ehefrau wieder Wirksamkeit erlangt hat.

Sofern sich dem späteren notariellen Testament keine Ersatzerbeneinsetzung – auch nicht im Wege der Auslegung (vgl. dazu etwa Palandt/Weidlich, § 2069 Rn. 8 ff.) – entnehmen lässt, ist der Erblasser daher nach der gesetzlichen Erbfolge beerbt worden.

Gutachten/Abruf-Nr:

182161

Erscheinungsdatum:

16.04.2021

Rechtsbezug

National

Rechtsgebiete:

Erbvertrag

Erschienen in:

DNotI-Report 2021, 59-60

Normen in Titel:

BGB § 2289