29. Juli 2019
BGB § 30; GmbHG § 85 Abs. 3; GmbHG § 35; GmbHG § 46

Bestellung eines besonderen Vertreters für die GmbH; analoge Anwendung des § 30 BGB im GmbH-Recht

BGB § 30; GmbHG §§ 35, 46 Nr. 8 Var. 2, 85 Abs. 3 S. 2
Bestellung eines besonderen Vertreters für die GmbH; analoge Anwendung des § 30 BGB im GmbH-Recht

I. Sachverhalt
Die Gesellschafter einer GmbH haben davon erfahren, dass für den Verein neben dem Vorstand als eigentlichem gesetzlichem Vertreter sog. besondere Vertreter bestellt werden können, die den Verein in bestimmten Geschäftsbereichen vertreten (§ 30 BGB). Wenn möglich, wollen die Gesellschafter auch für ihre GmbH solche Vertreter bestellen.

II. Frage
Gilt § 30 BGB entsprechend für die GmbH?

III. Zur Rechtslage
1. Der besondere Vertreter im Vereinsrecht (§ 30 BGB)Gem. § 30 BGB kann die Vereinssatzung bestimmen, dass neben dem Vorstand für gewisse Geschäfte besondere Vertreter zu bestellen sind; die Vertretungsmacht eines solchen Vertreters erstreckt sich im Zweifel auf alle Rechtsgeschäfte, die der ihm zugewiesene Geschäftskreis gewöhnlich mit sich bringt.

Der besondere Vertreter ist in seinem Aufgabenbereich Organ des Vereins, nicht bloß rechtsgeschäftlicher Vertreter (BeckOGK-BGB/Kling, Std.: 1.7.2019, § 30 Rn. 1; Baumann, in: Baumann/Sikora, Hand- und Formularbuch des Vereinsrechts, 2. Aufl. 2017, § 9 Rn. 6; Stöber/Otto, Handbuch zum Vereinsrecht, 11. Aufl. 2016, Rn. 569; Reichert/Wagner, Vereins- und Verbandsrecht, 14. Aufl. 2018, Kap. 2 Rn. 2778). Daher ist er nach wohl herrschender Ansicht auch zwingend in das Vereinsregister einzutragen (siehe nur OLG Zweibrücken NZG 2013, 907; BeckOGK-BGB/Kling, § 30 Rn. 26 ff.; Palandt/Ellenberger, BGB, 78. Aufl. 2019, § 30 Rn. 6: sofern nicht bloßer „Haftungsvertreter“; Sauter/Schweyer/Waldner, Der eingetragene Verein, 20. Aufl. 2016, Rn. 313; Krafka, Registerrecht, 11. Aufl. 2019, Rn. 2174a; Baumann, § 9 Rn. 41; a. A. Stöber/Otto, Rn. 578: nur fakultative Eintragung).

Allerdings können auch besondere Vertreter ohne Vertretungsmacht bestellt werden; organschaftliche Vertretungsmacht kommt dem besonderen Vertreter folglich nur insoweit zu, als sie ihm konkret eingeräumt ist (vgl. BeckOK-BGB/Schöpflin, Std.: 1.5.2019, § 30 Rn. 7; Palandt/Ellenberger, § 30 Rn. 3; krit. zum vollständigen Ausschluss der Vertretungsmacht: BeckOGK-BGB/Kling, § 30 Rn. 53; MünchKommBGB/Leuschner, 8. Aufl. 2018, § 30 Rn. 5; zum sog. Haftungsvertreter s. BeckOK-BGB/Schöpflin, § 30 Rn. 5). § 30 S. 2 BGB zur Reichweite der Vertretungsmacht ist lediglich eine Auslegungsregel, wenn Satzung und Bestellungsbeschluss schweigen (Baumann, § 9 Rn. 32).

2. Analoge Anwendung des § 30 BGB im GmbH-Recht
a) Meinungsstand
Die Frage nach der entsprechenden Anwendung des § 30 BGB wird in der GmbH-rechtlichen Literatur – soweit ersichtlich – nicht erörtert. Dagegen wollen die Kommentatoren des § 30 BGB die Bestimmung fast einhellig auch auf die GmbH anwenden (BeckOK-BGB/Schöpflin, § 30 Rn. 2; BeckOGK-BGB/Kling, § 30 Rn. 76; Palandt/Ellenberger, § 30 Rn. 2; Staudinger/Schwennicke, BGB, 2019, § 30 Rn. 37; Soergel/Hadding, BGB, 13. Aufl. 2000, § 30 Rn. 2; wohl ebenso Erman/Westermann, BGB, 15. Aufl. 2017, § 30 Rn. 1). Wenn man dies überhaupt begründet, verweist man lapidar darauf, dass es sich um eine allgemeine korporationsrechtliche Norm handele. Im Hinblick auf die AG mit ihrer gesetzlich zwingenden Vertretungs- und Handlungsorganisation schränkt man diesen Grundsatz zwar regelmäßig ein (s. nur BeckOK-BGB/Schöpflin, § 30 Rn. 2); sogar in der aktienrechtlichen Literatur finden sich aber vereinzelt Befürworter der Anwendung (so Hüffer/Koch, AktG, 13. Aufl. 2018, § 1 Rn. 3; ausdrücklich anders MünchKommAktG/Heider, 5. Aufl. 2019, § 1 Rn. 18; GroßkommAktG/Bachmann, 5. Aufl. 2017, § 1 Rn. 26; Grigoleit, in: Grigoleit, AktG, 2013, § 1 Rn. 11). Generell zurückhaltend gegenüber einer rechtsformübergreifenden Anwendung zeigt sich Leuschner (MünchKommBGB, § 30 Rn. 3; anders noch Münch­KommBGB/Arnold, 7. Aufl. 2015, § 30 Rn. 16). Er sieht den Grund für die großzügig befürwortete Analogie im primär haftungsrechtlichen Blickwinkel der h. M.; für die Zurechnung komme es indes nicht darauf an, dass der Handelnde besonderer Vertreter sei. Lege man den Fokus richtigerweise auf die organisationsrechtliche Komponente der Norm, so erweise sie sich als nur sehr eingeschränkt analogiefähig. Eine Anwendung u. a. auf die GmbH komme nicht in Betracht, da dort Verkehrsschutzinteressen höher gewichtet würden als beim BGB-Verein.

Soweit ersichtlich, hat sich die Rechtsprechung mit der entsprechenden Anwendung noch nicht argumentativ auseinandergesetzt. Das Reichsgericht hat in einer Entscheidung vom 19.12.1935 (JW 1936, 915) die Anwendung des § 30 BGB auf die GmbH bejaht – indes aus der haftungsrechtlichen Perspektive des § 31 BGB: Wenn der Zweigstellenleiter eines Großunternehmens (konkret: Warenhauskette) kein besonderer Vertreter i. S. d. §§ 30, 31 BGB wäre, aber dennoch wegen seiner Erfahrung keiner Anleitung und Aufsicht bedürfte, so könnte man ein Großunternehmen wegen Vernachlässigung der Verkehrssicherungspflichten niemals in Anspruch nehmen. Dazu, dass sich § 30 BGB wesensmäßig auf die GmbH übertragen lässt, enthält die Entscheidung nichts.

b) Stellungnahme    
Unseres Erachtens spricht jedenfalls prima facie nichts gegen die analoge Anwendung. Die Normen des GmbHG stünden ihr nicht entgegen. Zwar sieht das GmbHG die Bestellung besonderer Vertreter nur in den Spezialfällen des § 46 Nr. 8 Var. 2 und § 85 Abs. 3 S. 2 GmbHG vor (dazu auch Schürnbrand, ZIP 2013, 1301, 1304 ff.), letztlich also nur subsidiär und für den Fall, dass beim Handeln der Geschäftsführer ein Interessenkonflikt zu befürchten ist. Jedoch muss man diese Bestimmungen im vorliegenden Zusammenhang schon deshalb nicht als limitierend verstehen, weil die Bestellung des besonderen Vertreters i. S. d. § 30 BGB einer Satzungsgrundlage bedarf. Die im GmbHG geregelten Fälle hingegen betreffen eine Bestellung durch einfachen Gesellschafterbeschluss. Daher ist auch der Streit, ob und inwieweit sich die Bestellung eines besonderen Vertreters gegen einen vorhandenen fakultativen Aufsichtsrat durchsetzen kann (vgl. BeckOK-GmbHG/Schindler, Std.: 1.2.2018, § 46 Rn. 105; Zöllner/Noack, in: Baumbach/Hueck, GmbHG, 21. Aufl. 2017, § 46 Rn. 69; Römermann, in: Michalski/Heidinger/Leible/J. Schmidt, GmbHG, 3. Aufl. 2017, § 46 Rn. 473; GroßkommGmbHG/Hüffer/Schürnbrand, 2. Aufl. 2014, § 46 Rn. 119), eigentlich nicht aussagekräftig. Teilweise klingt in diesem Kontext aber die Vorstellung an, die Bestellungsmöglichkeiten seien vor dem Hintergrund der „zwingenden Regelung in §§ 35 Abs. 1, 37 Abs. 2“ zu beurteilen (BeckOK-GmbHG/Schindler, § 46 Rn. 107). Auch andernorts ist davon die Rede, dass die organschaftliche Vertretung der GmbH zwingend allein den Geschäftsführern obliege und selbst durch Satzung anderen Personen nicht übertragen werden könne (BeckOK-GmbHG/Wisskirchen/Kuhn, Std.: 1.5.2019, § 35 Rn. 5; vgl. auch Lutter/Hommelhoff/Kleindiek, GmbHG, 19. Aufl. 2016, § 35 Rn. 2: organschaftliche Alleinzuständigkeit). Dagegen lässt sich wiederum einwenden, dass sich ein solch kategorischer Satz dem GmbHG nicht ohne Weiteres entnehmen lässt. Solange die Bestellung des besonderen Vertreters nicht verdrängend wirkte (und das müsste nicht der Fall sein), würde das gesetzlich zwingende Vertretungsorgan „Geschäftsführung“ weder untergraben noch funktional eingeschränkt. Das von Leuschner angeführte höhere Verkehrsschutzinteresse taugt nur als vages Gegenargument: Wenn der besondere Vertreter etwa im Register der GmbH eingetragen werden könnte, wäre diese Sonderform organschaftlicher Vertretung dem Rechtsverkehr ersichtlich. Insoweit läge darin u. E. auch kein Widerspruch zu § 37 Abs. 2 GmbHG, denn der besondere Vertreter wäre von vornherein mit beschränkter Vertretungsmacht entsprechend der Registereintragung ausgestattet.

Am Ende bliebe freilich immer noch positiv zu begründen, warum § 30 BGB als „rechtsformfremde“ Norm auf die GmbH anzuwenden wäre. Insoweit ließe sich zumindest anführen, dass das Vereinsrecht nicht „irgendein“ Spezialrecht für einen wesensverschiedenen Rechtsträger ist, sondern in mancher Beziehung einen Grundbestand korporativer Normen bereithält (vgl. Baumbach/Hueck/Fastrich, Einl. Rn. 3: GmbH sei als Körperschaft Verein i. S. d. BGB, nicht Gesellschaft im engeren Sinne). So werden auch andere vereinsrechtliche Bestimmungen anerkanntermaßen auf die GmbH angewendet (§§ 29, 31, 33 Abs. 1 S. 2, 35 BGB, vgl. GroßkommGmbHG/Ulmer, 2. Aufl. 2013, Einl. Rn. A 99; Zöllner/Noack, § 53 Rn. 29).

Letztlich lässt sich die analoge Anwendung des § 30 BGB nicht eindeutig und abschließend bejahen oder verneinen. Durchgreifende Bedenken stehen u. E. nicht entgegen.

Gutachten/Abruf-Nr:

166961

Erscheinungsdatum:

29.07.2019

Rechtsbezug

National

Rechtsgebiete:

Verein
GmbH

Erschienen in:

DNotI-Report 2019, 113-115

Normen in Titel:

BGB § 30; GmbHG § 85 Abs. 3; GmbHG § 35; GmbHG § 46