29. November 2019
BGB § 888; BGB § 883

Gutgläubiger Erwerb einer Vormerkung; Mitwirkung des Grundbuchamts an einem gutgläubigen Erwerb

BGB §§ 883, 888
Gutgläubiger Erwerb einer Vormerkung; Mitwirkung des Grundbuchamts an einem gutgläubigen Erwerb

I. Sachverhalt
Im Grundbuch ist eine befreite Vorerbin als Eigentümerin des Grundbesitzes eingetragen. In Abteilung II ist ein entsprechender Nacherbenvermerk eingetragen. Der Notar beurkundete einen Grundstückskaufvertrag, bei dem die Vorerbin aufgrund einer General- und Vorsorgevollmacht durch einen Bevollmächtigten vertreten wurde.

Nach Beurkundung des Grundstückskaufvertrages wurde eine Vormerkung im Grundbuch eingetragen. Nachträglich stellte sich heraus, dass die Vorerbin bereits vor Beurkundung verstorben war. Hiervon hatten weder der Notar noch der Bevollmächtigte noch der Erwerber bei Beurkundung Kenntnis. Die Erben der Vorerbin und die Nacherben sind nicht personenidentisch.

II. Frage
Ist das Grundbuchamt verpflichtet, den nun gestellten Antrag auf Eigentumsumschreibung zu vollziehen, obwohl das Grundbuchamt inzwischen davon erfahren hat, dass die Vorerbin bereits zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses verstorben war?

III. Zur Rechtslage
Die eingetragene Vorerbin war zum Zeitpunkt der Beurkundung nicht mehr Eigentümerin, da sie bereits verstorben war. Das Eigentum ging mit dem Tod der Vorerbin auf die Nacherben gem. § 1922 BGB über. Der Nacherbe beerbt jedoch nicht den Vorerben, sondern ist Erbe des ursprünglichen Erblassers, sodass der im Namen der Vorerbin geschlossene Kaufvertrag die Nacherben nicht binden kann. Das Grundbuch war demnach in Abteilung I bzgl. der Eigentümerposition zum Zeitpunkt des Abschlusses des Kaufvertrags und der Bewilligung der Vormerkung unrichtig. Es fragt sich daher, ob aufgrund der Eintragung der Vorerbin als Eigentümerin ein gutgläubiger Erwerb des Eigentums durch den Käufer in Betracht kommt.

1. Gutgläubiger Erwerb durch den Käufer
Gem. § 892 Abs. 1 BGB gilt der Inhalt des Grundbuchs zugunsten des Erwerbers als richtig, es sei denn, dass ein Widerspruch gegen die Richtigkeit eingetragen oder die Unrichtigkeit dem Erwerber bekannt ist. Liegen die Voraussetzungen des § 892 Abs. 1 BGB vor, erwirbt der Begünstigte das Recht so, als sei das Grundbuch richtig gewesen (BeckOK BGB/H.-W. Eckert, Std.: 1.11.2019, § 892 Rn. 26). Maßgeblicher Zeitpunkt für den gutgläubigen Erwerb ist grundsätzlich der Grundbuchstand zum Zeitpunkt der Vollendung des Rechtserwerbs (BGH NJW 2003, 202, 203; NJW 1980, 2413 ff.).

Wird jedoch zur Sicherung des Eigentumsverschaffungsanspruchs eine Vormerkung im Grundbuch eingetragen, kommt es für den guten Glauben i. S. d. § 892 Abs. 1 BGB nicht mehr auf den Zeitpunkt der Vollendung des Rechtserwerbs (Eintragung als Eigentümer), sondern auf den Zeitpunkt an, in dem der Antrag auf Eintragung der Vormerkung gestellt wird (BGH NJW-RR 2008, 102, 104; BGH NJW 1981, 446). Die Vormerkung „konserviert“ gewissermaßen den Grundbuchstand und den guten Glauben des Erwerbers (BeckOGK-BGB/Hertel, Std.: 1.10.2019, § 892 Rn. 60). Vorliegend wurde jedoch auch die Vormerkung bereits vom nichtberechtigten Bucheigentümer bzw. dessen Bevollmächtigtem beantragt, sodass sich die Frage stellt, ob die Vormerkung überhaupt wirksam entstanden ist.

2. Voraussetzungen des gutgläubigen Erwerbs der Vormerkung
Nach gefestigter Meinung kann auch eine Vormerkung gutgläubig „erworben“ werden (vgl. nur BGH NJW 1957, 1229; NJW 1958, 2013; NJW 1972, 434; NJW 1981, 446; Staudinger/Gursky, BGB, 2013, § 883 Rn. 341). Lediglich bzgl. der dogmatischen Begründung besteht Uneinigkeit, ob der gutgläubige Erwerb auf § 892 BGB oder auf § 893 BGB analog zu stützen ist (MünchKommBGB/Kohler, 7. Aufl. 2017, § 893 Rn. 13). Für die Praxis ist dieser Streit jedoch ohne Belang.

Voraussetzung für den gutgläubigen Erwerb der Vormerkung ist, dass der gesicherte Anspruch tatsächlich besteht und dass der Erwerber zum Zeitpunkt der Beantragung der Vormerkung gutgläubig bzgl. der Eigentümerposition des Buchberechtigten war. Der zu diesem Zeitpunkt vorhandene gute Glaube bleibt auch für den späteren Erwerb des gesicherten dinglichen Rechts maßgeblich (BGH NJW 1981, 446).

Anhaltspunkte dafür, dass der Erwerber zum Zeitpunkt der Antragstellung nicht in gutem Glauben war, können wir dem Sachverhalt nicht entnehmen. Insbesondere kann auch der im Grundbuch eingetragene Nacherbenvermerk nicht zu einer Bösgläubigkeit führen. Die Bösgläubigkeit gem. § 892 Abs. 1 BGB setzt voraus, dass dem Erwerber bekannt ist, dass das Grundbuch unrichtig ist. Für eine Grundbuchunrichtigkeit bestehen jedoch bei einem eingetragenen Nacherbenvermerk keinerlei Anhaltspunkte. Der Nacherbenvermerk sagt nämlich über den Zeitpunkt des Eintritts der Nacherbfolge nichts aus. Ist der Vorerbe als befreiter Vorerbe eingetragen, so ist für den Erwerber daraus im Gegenteil gerade ersichtlich, dass der Vorerbe grundsätzlich über das Grundstück verfügen darf. Auch gibt der Nacherbenvermerk keinen Anhaltspunkt dafür, dass mit einem zeitnahen Eintritt des Nacherbfalls zu rechnen ist oder gar mit einem Versterben des Vorerbens vor Beurkundung des Rechtsgeschäfts. Wir würden im konkreten Fall deshalb davon ausgehen, dass ein gutgläubiger Erwerb der Vormerkung vorliegt und der Erwerber auch das Eigentum am Grundstück – trotz inzwischen eingetretener Bösgläubigkeit – wirksam erwerben kann (vgl. oben).

3. Mitwirkung des Grundbuchamts an einem gutgläubigen Erwerb
Fraglich ist allenfalls, wie der (rechtmäßige) gutgläubige Erwerb grundbuchrechtlich zu vollziehen ist. In der Literatur ist die Frage, ob das Grundbuchamt an einem gutgläubigen Erwerb sehenden Auges mitwirken muss oder darf, umstritten. Die wohl (noch) h. M. geht davon aus, dass das Grundbuchamt durch seine Eintragungen keinen Rechtserwerb herbeiführen darf, von dem es weiß, dass er sich nur kraft guten Glaubens vollzieht (BayObLG DNotI-Report 1994, 6; Demharter, GBO, 31. Aufl. 2018, § 13 Rn. 12; BeckOK-GBO/Reetz, Std.: 1.6.2019, § 13 Rn. 27 – jeweils m. w. N.). Eine im Vordringen befindliche Meinung geht jedoch mit einem Verweis auf den Zweck des § 892 BGB davon aus, dass das Grundbuchamt einen Rechtserwerb auch dann zu vollziehen hat, wenn der Grundbuchbeamte positiv weiß, dass er sich nur aufgrund guten Glaubens verwirklicht (Kesseler, DNotZ 2015, 771, 777 mit zutreffendem Verweis auf die Motive; Schöner/Stöber, Grundbuchrecht, 15. Aufl. 2012, Rn. 352; Lenenbach, NJW 1999, 923, 925; Rieger, BWNotZ 2001, 79, 86 – jeweils m. w. N.). U. E. sprechen gewichtige Argumente für die letztgenannte Ansicht. Der gutgläubige Erwerb gem. § 892 Abs. 1 BGB erfolgt rechtmäßig. Es gibt schlicht keine Grundlage dafür, dass der Erwerb davon abhängen soll, ob das Grundbuchamt zufälligerweise Kenntnis von der Unrichtigkeit des Grundbuchs erlangt oder nicht. Der gute Glaube des Grundbuchbeamten ist kein Tatbestandsmerkmal des § 892 BGB.

Im vorliegenden Fall muss der Streit jedoch nicht entschieden werden. Denn es besteht jedenfalls dahingehend Einigkeit, dass der Erwerb durch das Grundbuchamt dann nicht mehr verhindert werden darf, wenn bereits eine Auflassungsvormerkung eingetragen wurde (OLG Köln FGPrax 2011, 12; OLG Schleswig NotBZ 2004, 320; OLG Karlsruhe NJW-RR 1998, 445; OLG Dresden BeckRS 1999, 12044; BeckOK GBO/Reetz, § 13 Rn. 28; Demharter, § 13 Rn. 12). Das OLG Köln begründet dies damit, dass die Buchberechtigten im Verhältnis zum Erwerber aufgrund der gutgläubig erworbenen Vormerkung als „Berechtigte“ i. S. d. § 20 GBO gelten und auch zur Bewilligung berechtigt sind. Es führt prägnant aus, dass Inhaber des betroffenen Rechts stets der wahre materiell-rechtliche Inhaber des Rechts sei; werde nach Eintragung einer Auflassungsvormerkung der Buchberechtigte gegenüber dem Vormerkungsberechtigten zu dessen Schutz weiterhin als Berechtigter angesehen, bestehe kein Grund, hiervon im Bereich der verfahrensrechtlichen Erklärung der Eintragungsbewilligung abzuweichen (FGPrax 2011, 12, 13). Ein „Umweg“ über die ggf. klageweise Durchsetzung der Zustimmungserklärung der wahren Berechtigten ist also u. E. nicht erforderlich (so noch das OLG Düsseldorf in einer älteren Entscheidung, vgl. DNotZ 1971, 371).

4. Ergebnis
Im Ergebnis gehen wir davon aus, dass das Grundbuchamt die Eigentumsumschreibung vorliegend ohne Zustimmung der Nacherben vorzunehmen hat. Da mit der Umschreibung des Eigentums der Gegenstand aus dem Nachlass ausscheidet, ist der Nacherbenvermerk mit Umschreibung des Eigentums wegen Unrichtigkeit gem. § 22 Abs. 1 GBO zu löschen.

Gutachten/Abruf-Nr:

173435

Erscheinungsdatum:

29.11.2019

Rechtsbezug

National

Rechtsgebiete:

Vormerkung

Erschienen in:

DNotI-Report 2019, 185-187

Normen in Titel:

BGB § 888; BGB § 883