15. November 2019
SGB II § 34; BGB § 1948; BGB § 138; BGB § 1953; SGB II § 31

Ausschlagung als testamentarisch berufener Erbe zur Erlangung der gesetzlichen Erbenstellung; Fragen der Ausschlagung durch einen Bezieher von ALG II

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Gutachten des Deutschen Notarinstituts
Abruf-Nr.: 173056
letzte Aktualisierung: 15. November 2019

BGB §§ 138, 1948, 1953; SGB II §§ 31, 34
Ausschlagung als testamentarisch berufener Erbe zur Erlangung der gesetzlichen
Erbenstellung; Fragen der Ausschlagung durch einen Bezieher von ALG II

I. Sachverhalt

Herr L (Vater) und Frau L (Mutter) sind verheiratet und haben ein gemeinschaftliches Testament
errichtet, in dem die Ehegatten sich gegenseitig als Erben einsetzen. Alleiniger Ersatzerbe
ist der Sohn. Der Sohn hat keine eigenen Abkömmlinge. Die Tochter der Eheleute bezieht
ALG II und ist im Testament nicht bedacht. Die Tochter hat ebenfalls keine eigenen Abkömmlinge.

Eine spezielle Testamentsgestaltung betreffend die finanzielle Situation der Tochter war
bei Errichtung des Testaments nicht gewünscht. Der Vater ist nunmehr verstorben und die
Familie L fürchtet, dass die Sozialbehörden die Pflichtteilsansprüche der Tochter gem. § 33
SGB II geltend machen könnten.

II. Fragen

1. Ist es richtig, dass für den Fall, dass Mutter und Sohn beide in derselben Urkunde die testamentarische
Erbschaft gem. § 1948 Abs. 1 BGB ausschlagen, die Mutter, die Tochter und
der Sohn alle drei als gesetzliche Erben erben würden?

2. Ist es richtig, dass ein Bezieher von Grundsicherung eine Erbschaft ohne negative Auswirkungen
auf den Sozialleistungsbezug ausschlagen kann?

3. Könnten Gründe bestehen, dass eine Ausschlagung der gesetzlichen Erbschaft durch die
Tochter und die damit verbundene Anwachsung zugunsten der Mutter und des Sohnes zu
einer Kürzung der Sozialleistungen der Tochter führt?

III. Zur Rechtslage

1. Nach § 1948 Abs. 1 BGB kann, wer durch Verfügung von Todes wegen als Erbe berufen
ist, wenn er ohne die Verfügung als gesetzlicher Erbe berufen sein würde, die Erbschaft als
eingesetzter Erbe ausschlagen und als gesetzlicher Erbe annehmen. Mit der „Verfügung“
des § 1948 Abs. 1 BGB ist hier nicht die letztwillige Verfügung insgesamt, sondern lediglich
die konkrete einzelne Anordnung des Erblassers gemeint, welche die Erbeinsetzung des
Ausschlagenden zum Gegenstand hat. Nur derjenige Erbe kann daher die Erbschaft (oder
den Erbteil) als gewillkürter Erbe ausschlagen und als gesetzlicher Erbe annehmen, der
ohne diese konkrete einzelne Anordnung, aber unter Aufrechterhaltung aller sons-
tigen (konkreten) Verfügungen des Erblassers dessen gesetzlicher Erbe wäre (Ivo,
in: NK-BGB, 5. Aufl. 2018, § 1948 Rn. 3; Staudinger/Otte, BGB, 2017, § 1949 Rn. 2). An
dieser Voraussetzung fehlt es, wenn der Erblasser einen Ersatzerben eingesetzt hat (§ 2096
BGB), eine Ersatzerbschaft aufgrund einer gesetzlichen Auslegungsregel zum Zuge kommt
(§§ 2069, 2102 Abs. 1 BGB) sowie in den Fällen der Anwachsung (§ 2094 BGB; vgl.
BeckOGK-BGB/Heinemann, Std.: 1.7.2019, § 1949 Rn. 20; Palandt/Weidlich, BGB,
78. Aufl. 2019, § 1948 Rn. 2; Ivo, § 1948 Rn. 3). Denn nur in diesen Fällen eröffnet die Ausschlagung
des eingesetzten Erben den Weg zur Geltung der gesetzlichen Erbfolge nach
dem Erblasser. Um klarzustellen, dass sich die erklärte Ausschlagung entgegen § 1949
Abs. 2 BGB nicht auf alle Berufungsgründe erstreckt, ist ein entsprechender Vorbehalt
betreffs der gesetzlichen Erbfolge in die Ausschlagungserklärung als gewillkürter Erbe aufzunehmen.
Hier wollen Mutter und Sohn ausschlagen. Abkömmlinge des Sohnes sind nicht vorhanden.

Nicht ausgeschlossen erscheint es, dass man in Folge einer freien Testamentsauslegung zu
einer Berufung der Tochter als weitere eingesetzte Ersatzerbin gelangen würde, auch wenn
hierfür keine gesetzliche Auslegungsvorschrift ins Feld zu führen wäre. Daher dürfte es sich
weiterhin empfehlen, dass vorsichtshalber auch die Tochter als eingesetzte Erbin ausschlägt,
falls ihr aufgrund Auslegung eine entsprechende Ersatzerbenstellung zukommen sollte. Da
auch die Tochter keine Abkömmlinge hat, sind weitere Personen, die weiter hilfsweise als
Ersatzerben oder Anwachsungsberechtigte in Betracht kommen könnten, auf den ersten
Blick nicht ersichtlich. Letztlich kann das DNotI die hier aufgeworfene Frage der Testamentsauslegung
nicht mit letzter Sicherheit beurteilen. Allein aufgrund Testamentslektüre
möchten wir aber, wenn auch die Tochter vorsichtshalber eine Berufung aufgrund
Testaments ausschlägt, § 1948 Abs. 1 BGB in der Tat für einschlägig halten. Dann wäre der
Weg zur gesetzlichen Erbfolge eröffnet. Infolgedessen würde, da der Erblasser und seine
Ehefrau im gesetzlichen Güterstand verheiratet waren, die Ehefrau zur Hälfte erben
(§§ 1931 Abs. 1, 3, 1371 Abs. 1 BGB) sowie Sohn und Tochter zu jeweils 1/4 (§ 1924
Abs. 1, 4 BGB).

Die spezielle Problematik der Ausschlagung als eingesetzter Erbe und Annahme als gesetzlicher
Erbe zwecks Wiedererlangung der Testierfreiheit bei einem bindenden gemeinschaftlichen
Testament ist hier nicht aufgeworfen, da der Ehefrau ohnehin ein freies
Abänderungsrecht vorbehalten war (Ziff. III 2 der Testamentsurkunde). Auf die
insbesondere vom KG (OLGZ 1991, 7 ff.) vertretene „Opfertheorie“, wonach Voraussetzung
für die Wiedererlangung der Testierfreiheit sei, dass der angenommene gesetzliche
Erbteil erheblich geringer sein müsse als der ausgeschlagene testamentarische, kommt es im
vorliegenden Zusammenhang daher nicht an.

2. Die Zulässigkeit der Ausschlagung einer Erbschaft durch einen Sozialleistungsbezieher war
bereits unter dem Gesichtspunkt des § 138 Abs. 1 BGB längere Zeit in der Judikatur umstritten.
Das OLG Stuttgart (NJW 2001, 3484 ff.) hatte angenommen, die Ausschlagung der
Erbschaft durch ein behindertes Kind könne nicht vormundschaftsgerichtlich genehmigt
werden, weil sie mit dem sozialhilferechtlichen Nachrangprinzip nicht zu vereinbaren sei.

Der Behinderte entziehe durch die Ausschlagung bereits angefallenes Vermögen dem
Zugriff des Sozialhilfeträgers und treffe daher eine nach § 138 Abs. 1 BGB sittenwidrige
Disposition zu Lasten der hilfeleistenden Allgemeinheit. Diesem Ergebnis stehe die Rechtsprechung
des BGH zum Behindertentestament deswegen nicht entgegen, weil die Entscheidung
über die Ausschlagung nicht Ausfluss der Testierfreiheit sei (in diesem Sinne
auch OLG Hamm ZEV 2009, 471).

Dem ist der BGH in seinem grundlegenden Urteil vom 19.1.2011 (DNotZ 2011, 381 ff.)
entgegengetreten, in dem es primär um den Pflichtteilsverzicht eines behinderten
Sozialleistungsbeziehers ging. Hier wurde die Anwendung von § 138 Abs. 1 BGB abgelehnt.

Dabei hat der BGH (DNotZ 2011, 381 Rn. 27 ff.) sich aber zugleich zur Erbausschlagung
durch einen behinderten Sozialleistungsbezieher in Abgrenzung zu den
genannten Urteilen des OLG Stuttgart sowie des OLG Hamm positioniert: Die Wertungen
der BGH-Rechtsprechung zum Behindertentestament müssten auch beim erbrechtlichrelevanten
Handeln Behinderter selbst zum Tragen kommen. Die Entscheidung darüber, ob
sie die Erbschaft bzw. den Pflichtteil erhalten wollen, sei zunächst durch die Privatautonomie
gedeckt. Grundsätzlich sei jeder frei in seiner Entscheidung, ob er Erbe eines
anderen werden oder auf andere Weise etwas aus dessen Nachlass bekommen wolle. Vor
diesem Hintergrund sei der Erbrechtsgarantie in Art. 14 Abs. 1 GG auch ein Gegenstück im
Sinne einer „negativen Erbfreiheit“ zu entnehmen. Diese negative Erbfreiheit sei ein
notwendiger Ausgleich zum gesetzlich vorgesehen erbrechtlichen Vonselbsterwerb
(§§ 1922, 1942 BGB). Diese negative Erbfreiheit gelte unabhängig davon, ob Gläubiger von
einem erbrechtlichen Erwerb des Betroffenen profitieren würden. Dabei wies der BGH
auch auf § 83 Abs. 1 S. 1 InsO hin. Die Ausführungen des BGH betreffen insoweit lediglich
die – von ihm verneinte – Frage der Sittenwidrigkeit einer Erbausschlagung durch einen
behinderten Sozialleistungsbezieher. In der Literatur wurde die Entscheidung des BGH
teilweise kritisch aufgenommen (vgl. Staudinger/Sack/Fischinger, BGB, 2017, § 138
Rn. 528 f.). Überwiegend ist die Entscheidung – v. a. im notariellen Schrifttum – aber auf
Zustimmung gestoßen (vgl. Spall, MittBayNot 2012, 141 ff.; Ivo, DNotZ 2011, 387 ff.;
Kleensang, BWNotZ 2011, 162 ff.; Zimmer, ZEV 2011, 262 f.; Dreher/Görner, NJW 2011,
1761).

Im Anschluss an die genannte BGH-Entscheidung kann daher u. E. grundsätzlich davon
ausgegangen werden, dass die Erbausschlagung eines behinderten Sozialhilfebeziehers
nicht sittenwidrig ist.

Als ungeklärt ist demgegenüber noch die Frage anzusehen, inwieweit die Ausführungen des
BGH zu § 138 Abs. 1 BGB auch auf den nicht behinderten Sozialleistungsbezieher Anwendung
finden. Um eine derartige Konstellation geht es in dem von Ihnen unterbreiteten
Sachverhalt. Die allgemeine Argumentation des BGH mit der sog. negativen Erbfreiheit des
Bedachten spricht u. E. aber eher dafür, dass der BGH auch insoweit eine Erbausschlagung
als wirksam ansehen würde.

In der Literatur wird die Frage der Übertragbarkeit auf den nicht behinderten Sozialleistungsbezieher
bejaht, z. B. von Ivo (DNotZ 2011, 381, 389), Dreher/Görner (NJW 2011,
1761, 1766) und Kleensang (ZErb 2011, 121, 124).

Nach unserer Einschätzung dürfte sich die Zulässigkeit einer Erbausschlagung (wie auch
etwa eines Pflichtteilsverzichts oder eines Zuwendungsverzichts) eines nicht behinderten
Sozialleistungsbeziehers – insbesondere auch in dem hier vorliegenden Fall des Bezuges von
ALG II-Leistungen – stets nach sämtlichen Umständen des Einzelfalls beurteilen. So ist es
zwar durchaus zutreffend, dass sich die Argumente des BGH für die Rechtswirksamkeit
von Behindertentestamenten und Pflichtteilsverzichten Behinderter nicht ohne Weiteres auf
die Bedürftigenkonstellation übertragen lassen. Das vom BGH hervorgehobene Prinzip des
Familienlastenausgleichs greift hier nicht in gleicher Weise, weil volljährige Erwerbsfähige
anders als Behinderte typischerweise nicht der Fürsorge ihrer Familienangehörigen
bedürften. Zudem werden Behinderte im Sozialrecht in vielfältiger Weise gegenüber
anderen Hilfebeziehern, insbes. erwerbsfähigen Arbeitslosen, privilegiert (vgl. v. Proff,
RNotZ 2012, 272, 280). Andererseits steht die vom BGH anerkannte „negative Erbfreiheit“
auch den bedürftigen Erben zu (vgl. v. Proff, RNotZ 2012, 272, 280; für die Zulässigkeit
auch MünchKommBGB/Wegerhoff, 7. Aufl. 2017, § 2346 Rn. 5a a. E.).

Nach dem gegenwärtigen Stand von Rechtsprechung und Literatur möchten wir
deswegen mit überwiegender Wahrscheinlichkeit davon ausgehen, dass die Erbausschlagung
durch die Tochter, die ALG II bezieht, in der gegebenen Situation nicht
sittenwidrig wäre. Das Ausschlagungsrecht kann nach der genannten Entscheidung des
BGH auch nicht auf den Sozialleistungsträger übergeleitet werden. Rechtssicher durch
obergerichtliche Judikatur entschieden ist die Konstellation für den nichtbehinderten Sozialleistungsbezieher
freilich noch nicht.

Bei einer wirksamen Erbausschlagung durch die Tochter wäre aber auch davon auszugehen,
dass kein Pflichtteilsanspruch der Tochter besteht, der nach § 33 Abs. 1 SGB II
übergehen könnte. Denn das Sozialrecht knüpft hier an das grundsätzlich vorgreifliche
bürgerliche Recht an. Hiernach hat aber derjenige, der sich selbst aus freien Stücken durch
Ausschlagung als gesetzlicher Erbe um die Beteiligung an der Erbschaft bringt, keinen
Pflichtteilsanspruch.. Denn er ist nicht „durch Verfügung von Todes wegen von der Erbfolgen
ausgeschlossen“, wie § 2303 Abs. 1 S. 1 BGB verlangt. Die Ausnahmen von diesem
Grundsatz des Entfallens der Pflichtteilsberechtigung bei Ausschlagung des Zugewendeten
in §§ 1371 Abs. 3, 2306, 2307 BGB sind hier nicht einschlägig (vgl. BeckOGKBGB/
Obergfell, Std.: 15.6.2019, § 2303 Rn. 35; Burandt/Rojahn/Horn, Erbrecht,
3. Aufl. 2019, § 2303 BGB Rn. 28). Lediglich bei einem nach bürgerlichen Recht bestehenden
Pflichtteilsanspruch würden die Einschränkungen seiner Pfändbarkeit nach § 852 Abs. 1
ZPO den Anspruchsübergang nicht hindern (§ 33 Abs. 1 S. 3 SGB II). Dieser Übergang des
Pflichtteilsanspruches träte mithin ein, wenn es nicht zu den Ausschlagungen nach Maßgabe
des § 1948 Abs. 1 BGB käme und daher bei der testamentarischen Enterbung der Tochter
mit der Folge ihrer Pflichtteilsberechtigung nach § 2303 Abs. 1 S. 1 BGB bliebe.

3. Ist also zumindest mit Wahrscheinlichkeit von einer Wirksamkeit der Erbausschlagung
durch die Tochter auszugehen, so ist hiervon die weitere Frage zu trennen, ob selbst eine
wirksame Ausschlagung der Erbschaft zu einer Kürzung der Sozialleistungen an die Tochter
führen könnte. Der BGH (DNotZ 2011, 381 Rn. 31) hat im Zusammenhang mit seiner Ablehnung
von § 138 Abs. 1 BGB insoweit allgemein ausgeführt: Der Verzicht einer Erwerbsquelle
ändere nichts an der Verpflichtung, vorhandenes Vermögen und vorhandene Einkünfte
einzusetzen. Die pflichtwidrige Herbeiführung der eigenen Bedürftigkeit könne
innerhalb des sozialrechtlichen Regelungssystems mit Leistungskürzungen sanktioniert
werden (vgl. § 26 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB XII). Für das Hineinwirken eines solchen öffentlich-
rechtlichen Regelungsprinzips in die Zivilrechtsordnung über § 138 Abs. 1 BGB, um
Behinderten die erbrechtlichen Instrumente zu beschneiden, fehle dagegen eine tragfähige
Grundlage.

Diesen Ausführungen lässt sich entnehmen, dass aus der Sicht des BGH trotz Ablehnung
eines zivilrechtlichen Sittenwidrigkeitsurteils sozialrechtliche Sanktionen
nicht ausgeschlossen sind und nach den eigenen Voraussetzungen des Sozialrechts unabhängig
von der Ablehnung des § 138 Abs. 1 BGB beurteilt werden müssen. Höchstrichterliche
Rechtsprechung der Sozialgerichte hierzu ist uns nicht bekannt, sodass die
Rechtslage noch unsicher ist (hierzu G. Müller, in: Schlitt/Müller, Handbuch Pflichtteilsrecht,
2. Aufl. 2017, § 10 Rn. 66 ff.). Das SG Karlsruhe (BeckRS 2015, 73070) hat sich lediglich
mit der Pflicht zur Tragung der Bestattungskosten durch einen Sozialhilfeempfänger
nach Erbausschlagung befasst. Nur als persönliche tendenzielle Einschätzung führen wir
daher noch Folgendes aus:

Nach § 31 Abs. 2 Nr. 1 SGB II ist es als eine Pflichtverletzung von erwerbsfähigen
Leistungsberechtigten anzusehen, wenn sie nach Vollendung des 18. Lebensjahres ihr Einkommen
oder Vermögen mit der Absicht vermindert haben, die Voraussetzungen für die
Gewährung oder Erhöhung des ALG II herbeizuführen. Die Minderungen an Wirtschaftskraft
müssen also ursächlich auf ein Verhalten des volljährigen erwerbsfähigen Leistungsberechtigung
während seiner Volljährigkeit zurückzuführen sein (hierzu BeckOKSozialrecht/
Burkiczak, Std.: 1.6.2019, § 31 SGB II Rn. 26; vgl. auch Gagel/Lauterbach,
SGB II, Std.: Juni 2019, § 31 Rn. 63). Die von § 31 Abs. 2 Nr. 1 SGB II geforderte Absicht
ist jedenfalls bei direktem Vorsatz gegeben. Noch strenger hat einmal das SG Schleswig-
Holstein (FEVS 57, 280, 281) vertreten, es genüge, dass der Leistungsberechtigte nach einer
Wertung in der Laiensphäre hätte wissen müssen, dass er das vorhandene Einkommen oder
Vermögen zur Deckung des Lebensunterhaltes einsetzen musste. Grundsätzlich kann der
Sanktionstatbestand auch durch Verzicht auf Ansprüche erfüllt werden (Gagel/Lauterbach,
§ 31 Rn. 63). Es liegt deshalb nahe, dass auch eine Erbausschlagung grundsätzlich
eine Pflichtverletzung i. S. v. § 31 Abs. 2 Nr. 1 SGB II darstellen kann. Ausgeschlossen
sein soll das geforderte absichtliche Verhalten, wenn es „auf einleuchtenden Gründen
familiärer, persönlicher oder wirtschaftlicher Art“ beruht (OVG Rheinland-Pfalz, FEVS 18,
(1971) 232, 237 zu § 25 Abs. 2 Nr. 1 BSHG; zustimmend referiert bei BeckOKSozialrecht/
Burkiczak, § 31 SGB II Rn. 28). Es ist eine Frage des Einzelfalles, ob sich demgegenüber
die von der Rechtsprechung anerkannten „einleuchtenden Gründe“ noch darstellen
lassen oder nicht. Zumindest wird damit die Ausschlagung durch andere als sozialrechtliche
Gründe gerechtfertigt werden müssen.

Wird eine Pflichtverletzung nach § 31 Abs. 2 Nr. 1 SGB II angenommen, so bestünde die
Folge in Leistungskürzungen nach näherer Maßgabe der §§ 31a, 31b SGB II.
Darüber hinaus könnte auf den ersten Blick auch eine Schadensersatzpflicht nach § 34
Abs. 1 SGB XII in Betracht kommen. Voraussetzung dafür ist, dass die Tochter keinen
„wichtigen Grund“ für die Erbausschlagung geltend machen kann. Dann ist aber nicht nur
die erstmalige Herbeiführung der Hilfsbedürftigkeit nach Maßgabe des § 34 Abs. 1 S. 1
SGB II mit einer Schadensersatzplicht sanktioniert, sondern auch das Nicht-Verringern
der Hilfebedürftigkeit nach § 34 Abs. 1 S. 2 SGB II. Um diese letztere Konstellation
könnte es hier gehen. Da das DNotI über keine besondere Expertise im Sozialrecht verfügt,
fügen wir zur Vertiefung dieser Frage lediglich noch Kommentarliteratur bei.

Gutachten/Abruf-Nr:

173056

Erscheinungsdatum:

15.11.2019

Rechtsbezug

National

Rechtsgebiete:

Annahme und Ausschlagung der Erbschaft
Sozialrecht

Normen in Titel:

SGB II § 34; BGB § 1948; BGB § 138; BGB § 1953; SGB II § 31