03. November 2022
BGB § 433; BGB § 577; BGB § 577a

Realteilung eines mit zwei Einfamilienhäusern bebauten Grundstücks; Vor­kaufsrecht und Kündigungsschutz zugunsten des Mieters bei Veräußerung eines der vermieteten Hausgrundstücke

BGB §§ 433, 577, 577a
Realteilung eines mit zwei Einfamilienhäusern bebauten Grundstücks; Vor­kaufsrecht und Kündigungsschutz zugunsten des Mieters bei Veräußerung eines der vermieteten Hausgrundstücke

I. Sachverhalt
A ist Eigentümer eines Grundstücks, welches mit zwei unmittelbar aneinander ge­bauten Häusern bebaut ist. Ein Haus ist nicht vermietet und steht leer (Haus 1) und das andere Haus ist zu Wohnzwecken an M vermietet (Haus 2). Das Grundstück wurde zwischen den beiden Häusern real geteilt und das mit Haus 1 bebaute Grundstück an einen Dritten verkauft. Das mit Haus 2 bebaute Grundstück soll jetzt auch an einen Drit­ten verkauft werden. M wendet ein, dass er ein Mietervorkaufsrecht habe und die Sperrfrist nach § 577a BGB gelte, weil die Realteilung wie eine Aufteilung in Wohnungseigentum gem. §§ 577 f. BGB zu behandeln sei.

II. Fragen
1. Hat M bezüglich des mit Haus 2 bebauten Grundstücks ein Mietervorkaufsrecht gem. § 577 BGB?

2. Besteht eine Sperrfrist bei der Eigenbedarfskündigung gem. § 577a BGB?

III. Zur Rechtslage
1. Analoge Anwendung von §§ 577, 577a BGB bei Realteilung von Grundstücken
Mit Urteil vom 28.5.2008 hat der VIII. Zivilsenat des BGH (DNotZ 2008, 771) entschie­den, dass die §§ 577, 577a BGB grundsätzlich auch auf die Realteilung von Grundstücken entsprechend anwendbar sein können. Die Entscheidung betraf die Veräußerung eines mit einem Einfamilienreihenhaus bebauten Grundstücks. Das Grundstück war aus einer Realteilung hervorgegangen. Der BGH stellte entsprechend dem Klageantrag der Mieterin fest, dass diese für den Fall des erstmaligen Verkaufs des Reihenhausgrundstücks vorkaufsberechtigt sei und dass die Mieterin für den Fall des Verkaufs des Reihenhausgrundstücks den Kündigungsschutz gem. § 577a BGB genieße (vgl. auch BeckOGK-BGB/Klühs, Std.: 1.7.2022, § 577 Rn. 10, 577a Rn. 11, 31; Blank/Börstinghaus, Miete, 6. Aufl. 2020, § 577 BGB Rn. 85, § 577a BGB Rn. 29; Hannemann/Wiegner, Münchener Anwaltshandbuch Mietrecht, 5. Aufl. 2019, § 33 Rn. 50).

Mit Urteil vom 23.6.2010 dehnte der VIII. Zivilsenat des BGH (NJW 2010, 3571) seine Rechtsprechung auf die Veräußerung eines durch Realteilung entstandenen und mit einem Zweifamilienhaus bebauten Grundstücks aus. Im Gegensatz zur ersten Entscheidung be­schränkte sich der Klageantrag des Mieters indes auf die Feststellung des Kündigungsschut­zes gem. § 577a BGB. Vor dem Hintergrund, dass die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 577a BGB identisch sind mit denen des Vorkaufsrechts gem. § 577 Abs. 1 S. 1 Var. 1 BGB, ist zumindest nicht auszuschließen, dass das Gericht auch im Falle der Veräußerung eines Zweifamilienhauses ein Vorkaufsrecht zugunsten des Mieters bejahen würde (vgl. ins­besondere den amtlichen Leitsatz der vorgenannten Entscheidung).

Die Bejahung eines Mietervorkaufsrechts im Falle der Veräußerung eines mit einem Zwei- oder Mehrfamilienhaus bebauten Grundstücks, das aus einer Realteilung hervorgegangen ist, stünde indes in einem Widerspruch zu einer jüngeren Entscheidung des V. Zivilsenats des BGH (DNotZ 2014, 218). Der V. Zivilsenat hatte sich nämlich mit der Frage zu befas­sen, ob auch die Veräußerung eines mit einem Mehrfamilienhaus bebauten, aber (noch) nicht nach WEG aufgeteilten Grundstücks (sog. en-bloc-Verkauf) ein Vorkaufsrecht zu­gunsten der Mieter gem. § 577 Abs. 1 S. 1 Var. 2 BGB zu begründen vermag (vgl. auch Klühs, Mietervorkaufsrecht bei en-bloc-Verkauf, NZM 2013, 809). Das Gericht verneinte diese Frage mit der überzeugenden Begründung, dass ein Vorkaufsrecht nur dann bestehen kann, wenn der zwischen vorkaufsverpflichtetem Vermieter und Drittem geschlossene Kaufvertrag (sog. Erstkaufvertrag) seinem Inhalt nach den Mieter in die Lage versetzen würde, im Falle der Vorkaufsrechtsausübung das Eigentum an seiner Mietsache zu erlangen. Das Gericht erteilte insbesondere jenen Literaturstimmen eine klare Absage, die sich mit Blick auf die Mehrzahl von Mietvertragsparteien für die Entstehung einer Bruchteils­gemeinschaft am Kaufgegenstand ausgesprochen hatten. Der V. Zivilsenat verlangt mithin eine räumliche Kongruenz zwischen Kaufgegenstand und Mietsache (vgl. auch DNotI-Internetgutachten Nr. 169182). Dieser Argumentation hat sich nun wiederum der VIII. Zivilsenat des BGH (NJW-RR 2016, 910 = DNotI-Report 2016, 105) auch für den Fall der Realteilung eines Grundstücks angeschlossen. Der VIII. Zivilsenat folgt ausdrücklich der Rechtsauffassung des V. Senats, wonach der Mieter nur dann ein Vorkaufsrecht hat, wenn er infolge einer Vorkaufsrechtsausübung einen Anspruch auf (Real-)Teilung entsprechend seines Mietgegenstandes erlangt.
Vor diesem Hintergrund bleibt abzuwarten, ob der VIII. Zivilsenat das Vorkaufsrecht gem. § 577 BGB tatsächlich auf jene Realteilungsfälle ausdehnen wird, bei denen mehrere Mietvertragsparteien ein Wohnhaus be­wohnen, das sich auf einem real geteilten Grundstück befindet; diese Frage war nicht Gegenstand der Entscheidung vom 23.6.2010. Anzumerken ist schließlich noch, dass der BGH in dieser Entscheidung dem Räumungsantrag des Vermieters stattgegeben hatte, weil das Gericht eine analoge Anwendung des Kündigungsschutzes gem. § 577a BGB in den Fällen einer Kündigung gem. § 573a BGB ablehnte.

2. Ergebnis
Nach dem mitgeteilten Sachverhalt steht die Veräußerung eines Einfamilienhauses in Rede, bei dem sich das Mietobjekt und der Kaufgegenstand decken, sodass M in der Tat ein Vorkaufsrecht gem. § 577 Abs. 1 BGB analog zusteht und er den Kündigungsschutz gem. § 577a BGB analog genießt. Dies setzt freilich voraus, dass die Gebrauchsüberlassung an M zeitlich vor der Realteilung stattfand.

Gutachten/Abruf-Nr:

180797

Erscheinungsdatum:

03.11.2022

Rechtsbezug

National

Rechtsgebiete:

Kaufvertrag
Miete

Erschienen in:

DNotI-Report 2022, 163-164

Normen in Titel:

BGB § 433; BGB § 577; BGB § 577a