16. Mai 2023
BGB § 1094; BGB § 1097

Vorkaufsrecht für den ersten echten Verkaufsfall; auflösend bedingtes Vorkaufsrecht für alle Verkaufsfälle

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Gutachten des Deutschen Notarinstituts
Abruf-Nr.: 197643
letzte Aktualisierung: 16. Mai 2023

BGB §§ 1094, 1097
Vorkaufsrecht für den ersten echten Verkaufsfall; auflösend bedingtes Vorkaufsrecht für
alle Verkaufsfälle

I. Sachverhalt

In einem Übergabevertrag bestellt der Erwerber ein dingliches Vorkaufsrecht für alle Verkaufsfälle
an dem übergebenen Grundbesitz zugunsten eines weiteren Kindes des Übergebers. In der
Urkunde findet sich hierzu u.a. folgende Formulierung:

„Das Vorkaufsrecht ist auf die Lebenszeit des Berechtigten
befristet und auflösend bedingt. Es erlischt, wenn es im Rahmen
des ersten echten Verkaufsfalls vom Berechtigten nicht ausgeübt
wurde.“

Das Grundbuchamt lehnt die Eintragung ab. Eine derartige auflösende Bedingung könne unter
Berücksichtigung der schwierigen Nachweisbarkeit i. S. d. §§ 22, 29 GBO nicht als dinglicher
Inhalt des Vorkaufsrechts im Grundbuch eingetragen werden. Es handle sich vielmehr um eine
schuldrechtliche Vereinbarung zwischen den Parteien. Falls ein Vorkaufsrecht nur für den ersten
Verkaufsfall gewollt sei, müsse dies klargestellt werden.

II. Frage

Kann ein dingliches Vorkaufsrecht für alle Verkaufsfälle unter die auflösende Bedingung der
Nichtausübung im Rahmen des ersten echten Verkaufsfalls gestellt werden?

III. Zur Rechtslage

1. Vorbemerkung: Keine Gestaltungsfreiheit bei dinglichen Rechten

Im Ausgangspunkt ist festzuhalten, dass im Rahmen der Begründung eines dinglichen Vorkaufsrecht
aufgrund des sachenrechtlichen Typenzwangs keine Gestaltungsfreiheit jenseits
der Möglichkeiten der §§ 1094 ff. BGB besteht (andeutungsweise bereits BGH NJW
1954, 1035; OLG Frankfurt am Main NJW-RR 2008, 895, 896; KG MittBayNot 2019, 452
Rn. 16; Grüneberg/Herrler, BGB, 82. Aufl. 2023, § 1094 Rn. 1; Staudinger/Schermaier, BGB,
2021, § 1094 Rn. 31). Ein auflösend bedingtes dingliches Vorkaufsrecht für alle Vorkaufsrechte
kann daher nur dann zulässig sein, wenn es mit den §§ 1094 ff. BGB in Einklang zu
bringen ist.

2. Keine Bedingungsfeindlichkeit des dinglichen Vorkaufsrechts

In einem ersten Schritt ist daher zu erörtern, inwieweit dingliche Vorkaufsrechte einer
Bedingung zugänglich sind.

Auch wenn nach dem Vorstehenden nur wenig Spielraum für die Gestaltung eines Vorkaufsrechts
besteht, ist nach allgemeiner Auffassung anerkannt, dass Bedingungen beim dinglichen
Vorkaufsrecht grundsätzlich möglich sind (BayObLG NJW-RR 1990, 1169, 1170;
BeckOGK-BGB/Omlor, 1.7.2022, § 1094 Rn. 52; Staudinger/Schermaier, § 1094 Rn. 32).
Allerdings kann nicht jeder beliebige Umstand als auflösende Bedingung für ein dingliches
Vorkaufsrecht bestimmt werden. Vielmehr ist, so das Bayerische Oberste Landesgericht,
„Rücksicht zu nehmen auf den Zweck des Grundbuchs, sicher und zuverlässig Auskunft zu
geben über die Voraussetzungen des Entstehens und Erlöschens von Rechten am Grundstück
(…). Das bedeutet, dass nur solche Umstände wirksam als Bedingung für das Erlöschen
von Rechten am Grundstück bestimmt werden können, die objektiv bestimmbar sind“
(BayObLG NJW-RR 1990, 1169, 1170 – Hervorhebung durch DNotI).

Als hinreichend bestimmte und objektiv bestimmbare Bedingung wurden in der Rechtsprechung
etwa der Ablauf eines Pachtvertrages (OLG Zweibrücken DNotZ 1990, 177) oder die
Beendigung eines Mietverhältnisses (BayObLG MittBayNot 1990, 174) zugelassen. Insbesondere
ist es nicht erforderlich, dass sich der Eintritt oder Nichteintritt der Bedingung
unmittelbar aus dem Grundbuch ergibt. Es soll vielmehr sogar unschädlich sein, wenn
zur Feststellung des Bedingungseintritts möglicherweise ein Rechtsstreit geführt werden
muss, denn – so das BayObLG wörtlich – „selbst die allgemein als möglich angesehenen
Bedingungen wie Tod oder Heirat eines Beteiligten sind nicht in jedem Fall ohne gerichtliches
Verfahren feststellbar“ (BayObLG MittBayNot 1990, 174, 175).

Gemessen an den vorstehend aufgeführten Kriterien begegnet es keinen Bedenken, den Fortbestand
eines für alle Verkaufsfälle bestellten Vorkaufsrechts an die Nichtausübung im ersten
„echten“ Verkaufsfall zu knüpfen. Es trifft zwar zu, dass der Eintritt der Bedingung und
damit das Erlöschen des Vorkaufsrechts nicht in Form des § 29 GBO nachweisbar sein
wird. Denn die Nichtausübung eines Vorkaufsrechts entzieht sich als Negativtatsache von
vornherein einem Nachweis in der Form des § 29 GBO, also durch öffentliche Urkunden
(vgl. Demharter, GBO, 32. Aufl. 2021, § 29 Rn. 63). Dies ist jedoch ausweislich der Ausführungen
des BayObLG für die Zulässigkeit der Bedingung unerheblich. Im Wege
einer Feststellungsklage lässt sich ohne Weiteres eine Klärung herbeiführen, ob das Vorkaufsrecht
ausgeübt worden ist.

Im Ergebnis ist es u. E. daher zulässig, ein dingliches Vorkaufsrecht unter die auflösende
Bedingung seiner Nichtausübung im ersten „echten“ Verkaufsfall zu stellen.
Der Vollständigkeit halber sei darauf hingewiesen, dass Bedingungen und Zeitbestimmungen
der Eintragung in das Grundbuch – und zwar einer Verlautbarung im Eintragungsvermerk
selbst – bedürfen (BeckOGK-BGB/Omlor, § 1094 Rn. 52). Eine Bezugnahme auf die Eintragungsbewilligung
reicht nach h. M. nicht aus (Staudinger/Schermaier, § 1094 Rn. 32
m. w. N.).

3. Vereinbarkeit des Vorkaufsrechts mit § 1097 BGB

In einem zweiten Schritt stellt sich die Frage, ob das in Rede stehende Vorkaufsrecht mit den
nach § 1097 BGB gesetzlich vorgesehenen Ausgestaltungsformen vereinbar ist.
Gegen die Zulässigkeit des Vorkaufsrechts könnte insoweit allenfalls sprechen, dass es zwar
einerseits für alle Verkaufsfälle bestellt ist – was ausweislich des § 1097, 2. Hs., 2. Var. BGB
ausdrücklich zulässig ist –, andererseits aber aufgrund der auflösenden Bedingung faktisch
nur einmal ausgeübt werden kann. Das Vorkaufsrecht ähnelt somit in seiner Wirkung
der in der Kautelarpraxis üblichen Gestaltung, nach der das Vorkaufsrecht für den
ersten „echten“ Verkaufsfall bestellt wird, also den Verkaufsfall, bei dem erstmals eine
Ausübung des Vorkaufsrechts rechtlich möglich ist (so der Formulierungsvorschlag von
Everts, in: Beck’sches Notar-Handbuch, 7. Aufl. 2019, Kap. 1, § 8 Rn. 19; ähnl. BeckOFVertrag/
Wicke, Std.: 1.3.2022, Form. 8.3.13, vgl. dort auch Anm. 6; Schöner/Stöber, Grundbuchrecht,
16. Aufl. 2020, Rn. 1394; Grüneberg/Herrler, § 1097 Rn. 7).

Hintergrund einer solchen Ausgestaltung des Vorkaufsrechts „für den ersten echten Verkaufsfall“
ist, dass sich ein Vorkaufsrecht dem gesetzlichen Regelfall nach gem. § 1097, 1. Hs.
BGB auf den Fall des Verkaufs durch den Eigentümer, welchem das Grundstück zur Zeit der
Bestellung gehört, oder durch dessen Erben beschränkt. Demzufolge würde ohne anderweitige
Abrede das für den ersten Verkaufsfall bestellte Vorkaufsrecht erlöschen, wenn ein anderer
Vertrag als ein Kaufvertrag Grundlage für die Übereignung des entsprechenden Grundstücks
an den Sonderrechtsnachfolger ist (OLG Zweibrücken NJW-RR 2000, 94; OLG Düsseldorf,
Beschl. v. 5.12.2018 – I-3 Wx 139/18, BeckRS 2018, 36797 Rn. 16). Durch die Bestellung
des Vorkaufsrechts für den ersten „echten“ Verkaufsfall sollen die daraus resultierenden
Umgehungsmöglichkeiten vermieden werden.

Eine solches dingliches Vorkaufsrecht für den ersten „echten“ Verkaufsfall ist nach
ganz h. M. zulässig und insbesondere mit § 1097 BGB vereinbar, obwohl es nicht dem
gesetzlichen Regelfall entspricht (vgl. neben den o.g. Fundstellen etwa BeckOGKBGB/
Omlor, § 1094 Rn. 26.1; MünchKommBGB/Westermann, 9. Aufl. 2023, § 1097
Rn. 2). Lediglich vereinzelt wird vorgebracht, eine so weitgehende Gestaltungsfreiheit sei von
den §§ 1094 ff. BGB nicht eröffnet. § 1097, 1. Hs. BGB fordere für ein Vorkaufsrecht, das
nicht für mehrere oder alle Verkaufsfälle bestellt ist, dass der bestellende Eigentümer und der
verkaufende Vorkaufsverpflichtete identisch sind. Hiervon weiche das Vorkaufsrecht für den
ersten echten Verkaufsfall unzulässig ab (vgl. Staudinger/Schermaier § 1097, Rn. 13; kritisch
wohl auch Stavorinus, NotBZ 2017, 249, 255). Im Ergebnis lassen jedoch auch die Vertreter
dieser Gegenauffassung ein Vorkaufsrecht für den ersten echten Verkaufsfall zu. Dieses sei
nämlich dahingehend auszulegen, dass es gem. § 1097, 2. Hs., 1. Var. BGB für mehrere Verkaufsfälle
bestellt sei. Es könne dann aber nur beim ersten Verkauf ausgeübt werden und
laufe bei sonstigen Veräußerungen leer (Staudinger/Schermaier, § 1097 Rn. 13; ähnl. Zeiß,
DNotZ 1998, 305, 310).

Daraus lässt sich für den vorliegenden Fall im Ergebnis schlussfolgern, dass in einem durch
die Nichtausübung auflösend bedingten Vorkaufsrecht keine unzulässige Abweichung von
§ 1097 BGB erblickt werden kann. Das hier in Rede stehende Vorkaufsrecht orientiert sich
sogar wesentlich enger an den Vorgaben des § 1097 BGB, da ausdrücklich ein Vorkaufsrecht
für alle Verkaufsfälle bestellt wird. Dass der Berechtigte dennoch höchstens einmal tatsächlich
zur Ausübung des Vorkaufsrechts in der Lage sein wird, ist unerheblich.

4. Abschließende Zusammenfassung

Gegen die Zulässigkeit eines dinglichen Vorkaufsrechts für alle Verkaufsfälle, das auflösend
bedingt durch die Nichtausübung im Rahmen des ersten echten Verkaufsfalls ist, bestehen
keine Bedenken. Ein dingliches Vorkaufsrecht ist einer Bedingung grundsätzlich zugänglich.

Erforderlich ist lediglich, dass die Bedingung objektiv bestimmbar ist, nicht hingegen, dass
sich der Eintritt der Bedingung in der Form des § 29 GBO nachweisen lässt. Auch § 1097
BGB steht einem solchen Vorkaufsrecht nicht entgegen.

Gutachten/Abruf-Nr:

197643

Erscheinungsdatum:

16.05.2023

Rechtsbezug

National

Rechtsgebiete:

Sachenrecht allgemein

Normen in Titel:

BGB § 1094; BGB § 1097