05. März 2021
ErbStG § 3

Berücksichtigung von Pflichtteilsansprüchen als Nachlassverbindlichkeiten bei der Erbschaftsteuer; Auswirkung der Urteile des BFH v. 5.2.2020, Az. II R 1/16 und II R 17/16

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Gutachten des Deutschen Notarinstituts
Abruf-Nr.: 180583
letzte Aktualisierung: 05. März 2021

ErbStG § 3
Berücksichtigung von Pflichtteilsansprüchen als Nachlassverbindlichkeiten bei der
Erbschaftsteuer; Auswirkung der Urteile des BFH v. 5.2.2020, Az. II R 1/16 und
II R 17/16

I. Sachverhalt

Ehegatten haben ein Berliner Testament errichtet. Der eine Ehegatte ist verstorben. Der überlebenden
Ehegatte möchte wissen, ob es aus steuerlicher Perspektive sinnvoll ist, dass die
Kinder gegenüber dem überlebenden Elternteil Pflichtteilsansprüche geltend machen und
welche alternativen Gestaltungen möglich sind.

II. Fragen

1. Welche steuerlichen Folgen ergeben sich, wenn beim Todesfall des ersten Ehegatten
Pflichtteile durch die Kinder geltend gemacht werden?

2. Welche steuerlichen Folgen ergeben sich wenn der Pflichtteil nicht geltend gemacht wird,
sondern für den Verzicht auf die Geltendmachung des Pflichtteils eine Abfindung bezahlt
wird?

3. Welche Besonderheiten sind zu beachten, wenn die Abfindung nicht sofort bezahlt werden
soll, sondern erst beim Tod des überlebenden Ehegatten?

4. Wenn der Pflichtteil zu Lebzeiten des Pflichtteilsschuldner (überlebender Ehegatte) nicht
geltend gemacht wird, kann dies dann nach dem Tod des Pflichtteilsschuldner noch
steuerwirksam nachgeholt werden, insb. auch wenn der Pflichtteilsberechtigte Alleinerbe
des überlebenden Ehegatten geworden ist? Macht es einen Unterschied, ob der
Pflichtteilsanspruch zu diesem Zeitpunkt bereits verjährt ist?

III. Zur Rechtslage

1. Behandlung des Pflichtteilsanspruchs beim Erwerber

In § 3 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG ist geregelt, dass als Erwerb von Todes wegen der Erwerb aufgrund
eines „geltend gemachten“ Pflichtteilsanspruchs (§§ 2303 ff. BGB) gilt. Daraus folgt,
dass der Pflichtteilsberechtigte den Pflichtteilsanspruch nur dann zu versteuern hat, wenn er
den Pflichtteil geltend macht (§ 9 Abs. 1 Nr. 1b ErbStG). Die Steuer entsteht somit erst mit
dem Zeitpunkt der Geltendmachung.

Solange der Pflichtteil nicht geltend gemacht wird, wird ein erbschaftsteuerlicher Vorgang
nicht begründet. Dem bloßen Entstehen des Anspruchs auf einen Pflichtteil mit dem Erbfall
(§ 2317 Abs. 1 BGB) kommt erbschaftsteuerrechtlich daher keine Bedeutung zu, und
zwar sowohl gegenüber dem Berechtigten als auch gegenüber dem Verpflichteten (BFH,
Entsch. v. 19.2.2013 – II R 47/11 [juris] Rn. 11).

Dieses zeitliche Hinausschieben der erbschaftsteuerlichen Folgen eines Pflichtteilsanspruchs
liegt im Interesse des Berechtigten und soll ausschließen, dass bei ihm auch dann Erbschaftsteuer
anfällt, wenn er seinen Anspruch zunächst oder dauerhaft nicht erhebt (so
BFH, Entsch. v. 19.2.2013 – II R 47/11 [juris] Rn. 11 m. w. N. a. die Rspr.).

Die „Geltendmachung“ des Pflichtteilsanspruchs besteht in dem ernstlichen Verlangen auf
Erfüllung des Anspruchs gegenüber den Erben. Der Berechtigte muss seinen Entschluss,
die Erfüllung des Anspruchs zu verlangen, in geeigneter Weise bekunden, die Höhe aber
nicht beziffern (BFH, Entsch. v. 19.7.2006 – II R 1/05 [juris]; Carle, KÖSDI 2016,
19773 ff., Rn. 12-17 m. w. N.). Im Grundsatz kann ein Pflichtteilsanspruch schriftlich,
mündlich oder konkludent geltend gemacht werden (BFH, Entsch. vom 4.3.2008 –
II B 28/07 [juris]). Jedoch ist eine Dokumentation zu Nachweiszwecken empfehlenswert.

2. Behandlung der Pflichtteilsverbindlichkeit beim Verpflichteten

Nach § 10 Abs. 5 Nr. 2 ErbStG sind Verbindlichkeiten aus geltend gemachten Pflichtteilen
als Nachlassverbindlichkeit abzugsfähig. Hinsichtlich des Abzugs des Pflichtteils als
Nachlassverbindlichkeit wirkt dessen Geltendmachung auf den Zeitpunkt der Entstehung
der Steuer gegenüber dem Erben, also auf den Zeitpunkt des Todes des Erblassers zurück
(§ 9 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG), stellt also ein rückwirkendes Ereignis i. S. v. § 175 Abs. 1 S. 1
Nr. 2 AO dar (so BFH, Entsch. v. 19.2.2013 – II R 47/11 [juris] Rn. 12).

Der Erbe kann somit die Verbindlichkeit aus Pflichtteilen erst dann in Ansatz bringen,
wenn der Pflichtteil geltend gemacht wurde. Das bloße Bestehen von Pflichtteilsverbindlichkeiten
ist insoweit ohne steuerrechtliche Bedeutung (BFH, Entsch. v. 31.2.2010 –
II R 22/09 [juris]).

3. Verzicht auf die Geltendmachung des Pflichtteils gegen Abfindungszahlung

Verzichtet der Pflichtteilsberechtigte auf die Geltendmachung des Pflichtteilsanspruchs, und
wird für den Verzicht eine Abfindung gewährt, so gilt dies nach § 3 Abs. 2 Nr. 4 ErbStG als
Zuwendung vom Erblasser. In § 3 Abs. 2 Nr. 4 ErbStG ist geregelt, dass als vom Erblasser
als zugewendet gilt, „was als Abfindung für einen Verzicht auf den entstandenen Pflichtteilsanspruch“
gewährt wird oder dafür gewährt wird, „dass eine Rechtstellung, insbesondere
eine Erbenstellung, oder ein Recht oder ein Anspruch, der zu einem Erwerb
nach Abs. 1 führen würde, nicht mehr oder nur teilweise geltend gemacht wird.

4. Besonderheiten bei Gestaltungen im Zusammenhang mit einem sog. „Berliner
Testamenten“

Nach Auffassung des BFH ist es im Grundsatz erforderlich, dass die Verbindlichkeiten
rechtlich bestehen und den pflichtteilsverpflichteten Erblasser (hier: der überlebende
Elternteil) im Todeszeitpunkt wirtschaftlich belastet haben. An einer wirtschaftlichen
Belastung fehlt es, wenn der pflichtteilsverpflichtete Erblasser als Schuldner davon
ausgehen konnte, die Verpflichtungen unter normalen Umständen nicht (mehr) selbst
erfüllen zu müssen (BFH, Entsch. v. 27.6.2007 – II R 30/05 [juris]; BFH, Beschl. v.
15.5.2009 – II B 155/08 [juris] m. w. N.).

Verzichten z. B. Kinder gegenüber dem überlebenden Elternteil (Alleinerbe) auf die
Geltendmachung ihres Pflichtteils gegen Zahlung eines Geldbetrags, der mit dem
Ableben des überlebenden Elternteils fällig wird, so stellt die sich aus dieser Vereinbarung
ergebende Abfindungsverpflichtung nach Auffassung des BFH (v. 27.6.2007 –
II R 30/05 [juris]) keine Nachlassverbindlichkeit i. S. d. § 10 Abs. 5 Nr. 1 ErbStG dar, da sie
für den überlebenden Elternteil keine wirtschaftliche Belastung darstellt. Korrespondierend
mit der fehlenden Belastung für den überlebenden Elternteil führt die Begründung der
Abfindungsansprüche auf Seiten der Kinder wirtschaftlich zu keiner Bereicherung, da sie
erst zu einem Zeitpunkt befriedigt werden sollen, zu dem das gesamte Vermögen des überlebenden
Elternteils (soweit noch vorhanden) diesen bereits aus einem anderen Rechtsgrund
zugefallen sein würde (so BFH, v. 27.6.2007 – II R 30/05 [juris], Rn. 13).

Ist eine (unverzinsliche) Stundung bis zum Tod des überlebenden Elternteils vereinbart mit
der Folge, dass der Pflichtteil für den Erben keine wirtschaftliche Belastung darstellt, so
kann darin nach einer weiteren Entscheidung des BFH (v. 31.3.2010 – II R 22/09 [juris])
auch keine Geltendmachung des Pflichtteilsanspruchs gesehen werden. Denn dies
erfordert ein ernstliches Verlangen auf Erfüllung gegenüber dem Erben. In einer solchen
Stundungsvereinbarung (Fälligkeit des Geldbetrags erst beim Ableben des überlebenden
Elternteils) kann ein solches ernstliches Verlangen aber nicht gesehen werden (BFH v.
31.3.2010 – II R 22/09 [juris] Rn. 13-16).

Die Entscheidungen des BFH betrafen bisher nur unverzinsliche Stundungsvereinbarungen.
Das Finanzgericht Baden-Württemberg (Urt. v. 29.7.2017 – K 1250/13 [juris]) hatte sich
mit einer verzinslichen Stundungsvereinbarung zu befassen und nahm hier eine „wirtschaftliche
Belastung“ an. Der Entscheidung lag der Fall zugrunde, dass die Mutter ihren
Söhnen zur Vermeidung der Geltendmachung von erbrechtlichen Ansprüchen nach dem
Tod des (vorverstorbenen) Vaters jeweils einen bestimmten Geldbetrag zur Abgeltung aller
erbrechtlichen Ansprüche leisten sollte. Dabei wurde festgelegt, dass die Beträge von den
Söhnen bis zum Ableben der Mutter gestundet würden. Sie waren unabhängig von der
Fälligkeit ab 1.1.2004 mit 4 % jährlich zu verzinsen, wobei die Zinsen jeweils jährlich nachträglich
zu entrichten waren. Das FG hat entschieden, dass aufgrund der Vereinbarung der
Kinder mit der Mutter (überlebender Ehegatte), gegen Zahlung einer erst mit ihrem Tod
fälligen Abfindung auf die Geltendmachung der Pflichtteile nach dem Erstverstorbenen
Vater zu verzichten, die Nachlassverbindlichkeit bereits im Zeitpunkt des Erbfalls in der
Person des überlebenden Ehegatten (d. h. der Mutter) entstanden ist und den Nachlass des
Vaters betrifft (Finanzgericht Baden-Württemberg, Urt. v. 29.7.2017 – K 1250/13 [juris]
Rn. 14). Das Finanzgericht ließ den Abzug der Nachlassverbindlichkeit auch nicht daran
scheitern, dass auf Seiten der Mutter bis zu ihrem Tod keine wirtschaftliche Belastung vorliegen
würde. Denn zum einen sei die Mutter bereits durch die Vereinbarung der Zinszahlung
wirtschaftlich belastet; zum anderen hätte der BFH in seiner Entsch. v. 2.3.2011
(II R 5/09 [juris]) sowie auch in seinem Urt. v. 19.2.2013 (II R 47/11 [juris]) erkennen
lassen, dass das Kriterium der wirtschaftlichen Belastung für den Abzug von Nachlassverbindlichkeiten
nur von eingeschränkter Bedeutung sei. Das Finanzgericht hielt den vorliegenden
Fall ferner mit der Gestaltung vergleichbar, dass eine ohne Stundung vereinbarte
Abfindung zwar ausbezahlt wird, der ausbezahlte Betrag jedoch im Wege einer verzinslich
vereinbarten (und tatsächlich vollzogenen) Darlehensgewährung unmittelbar wieder an den
Abfindungsverpflichteten zurückgewährt wird.

Ob diese Auffassung des Finanzgerichts Baden-Württemberg mit der Rechtsprechung des
Bundesfinanzhofs (Urt. v. 27.6.2007 – II R 30/05 [juris]) zu vereinbaren ist, bleibt allerdings
abzuwarten (kritisch insoweit Billig, UVR 2016, 87 ff., 89). Solange die Rechtslage nicht eindeutig
geklärt ist, ist es daher empfehlenswert, alternative Gestaltungsmöglichkeiten zu
wählen (so auch Billig, UVR 2016, 90; Moench/Weinmann, ErbStG, Loseblatt, § 3
Rn. 121a; Fischer/Pahlke/Wachter, ErbStG, 7.Aufl. 2020, § 3 Rn. 419, 420).

Eine mögliche Alternative ist darin zu sehen, dass der Pflichtteilsanspruch geltend gemacht
wird, der Betrag ausbezahlt und dann im Wege einer verzinslich vereinbarten und tatsächlich
vollzogenen Darlehensgewährung wieder an den Abfindungsverpflichteten zurückgewährt
wird (so auch Billig, UVR 2016, 90). Die Fälligkeit des Darlehens sollte dabei nicht
an den Tod des Verpflichteten geknüpft werden, sondern es sollten allgemeine Kündigungsregelungen
aufgenommen werden, um dadurch die wirtschaftliche Belastung zu begründen.

Wollen die Beteiligten zu Lebzeiten aus familiären Gründen den Pflichtteil nicht geltend
machen, so besteht nach Auffassung in der Kommentarliteratur auch die Möglichkeit, durch
Vereinbarungen mit dem Pflichtteilsberechtigen die Verjährung zu verlängern und sich die
Möglichkeit der Geltendmachung des Pflichtteils über die gesetzliche Verjährungsfrist
hinaus offen zu halten. Insoweit könne man sich dann die Rechtsprechung des BFH zur
Geltendmachung eines unverjährten Pflichtteils nach dem Tod des
Pflichtteilsverpflichteten zu Nutze machen (s. dazu auch Ausführungen unter Ziff. 4 des
Gutachtens sowie Anmerkung Uhl-Ludäscher zum BFH-Urteil v. 5.2.2020 – II R 17/16,
II R 1/16, ErbStB 2020, 2345; Tanck, Zerb 2018, 8). Die Geltendmachung des
Pflichtteilsanspruchs des Alleinerben „gegen sich selbst“ nach dem Tod des
Pflichtteilsverpflichteten ist nach dem BFH dann nicht mehr möglich, wenn der Anspruch
im Zeitpunkt der Geltendmachung zivilrechtlich verjährt ist (so BFH, Urt. v. 5.2.2020 –
II R 17/16 [juris]; BFH, Entsch. v. 5.2.2020 – II R 1/16 [juris]; s. nachfolgend Ziff. 6 des
Gutachtens).

5. Geltendmachung eines unverjährten Pflichtteilsanspruchs nach dem Tod des
Pflichtteilsverpflichteten (BFH, Entsch. v. 19.2.2013 – II R 47/11)

Nach § 10 Abs. 5 Nr. 2 ErbStG können Verbindlichkeiten aus geltend gemachten
Pflichtteilen als Nachlassverbindlichkeit abgezogen werden. Voraussetzung ist somit, dass
der Pflichtteilsanspruch geltend gemacht ist, da dem bloßen Entstehen des Anspruchs auf
einen Pflichtteil mit dem Erbfall erbschaftsteuerrechtlich noch keine Bedeutung zukommt.
Die Geltendmachung des Pflichtteilsanspruchs besteht in dem ernstlichen Verlangen auf
Erfüllung des Anspruchs gegenüber dem Erben. Der Berechtigte muss seinen Entschluss,
die Erfüllung des Anspruchs zu verlangen, in geeigneter Weise bekunden (so BFH, Entsch.
v. 19.2.2013 – II R 47/11 [juris] Rn. 12). Verstirbt der Pflichtteilsverpflichtete, so wird
erbschaftsteuerrechtlich der Pflichtteil eine abziehbare Nachlassverbindlichkeit des Erblassers
nach § 10 Abs. 5 ErbStG, wenn der Pflichtteilsberechtigte den Pflichtteilsanspruch
entweder zu Lebzeiten des Verpflichteten geltend gemacht hatte, oder ihn nunmehr geltend
macht (BFH, Entsch. v. 19.2.2013 – II R 47/11 [juris] Rn. 13).

Dies gilt selbst dann, wenn der Pflichtteilsberechtigte Alleinerbe des Pflichtteilsschuldners
geworden ist. Denn das Erbschaftsteuerrecht folgt hinsichtlich der Konfusion nicht der
zivilrechtlichen Beurteilung. Vielmehr gelten die infolge des Erbanfalls durch Vereinigung
von Recht und Verbindlichkeit oder von Recht und Belastung erloschenen
Rechtsverhältnisse gemäß § 10 Abs. 3 ErbStG als nicht erloschen. Diese Fiktion umfasst
auch das Recht des Pflichtteilsberechtigten, der der Alleinerbe des Pflichtteilsverpflichteten
ist, die Geltendmachung des Pflichtteils fiktiv nachzuholen. Gibt daher der
Pflichtteilsberechtigte dem zuständigen Finanzamt gegenüber eine entsprechende Erklärung
ab, hat es diese zu berücksichtigen und sowohl hinsichtlich der Besteuerung des Erwerbs
des Pflichtteils gem. § 3 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG als auch hinsichtlich des Abzugs der
Pflichtteilsschuld als Nachlassverbindlichkeit die sich hieraus unter Berücksichtigung der
jeweils maßgebenden Freibeträge ergebenden steuerrechtlichen Folgerungen zu ziehen (so
BFH, Entsch. v. 19.2.2013 – II R 47/11 [juris] Rn. 18).

Dies gilt nach dem vorgenannten Urteil des BFH aber nur dann, wenn die Geltendmachung
des Pflichtteilsanspruchs gegenüber den Finanzbehörden zu einem Zeitpunkt erfolgt, zu
dem der Pflichtteilsanspruch noch nicht verjährt ist. Der BFH hatte insoweit ausdrücklich
offen gelassen, ob die von ihm dargelegte Rechtsauffassung auch dann Geltung hat, wenn
der Pflichtteilsanspruch beim Tod des Verpflichteten oder bei der fiktiven Nachholung der
Geltendmachung des Pflichtteils durch Erklärung gegenüber dem Finanzamt bereits
verjährt war. Zu diesen Fragen hat der BFH nun in den Urteilen vom 5.2.2020 – II R 1/16
und II R 17/16 Stellung genommen (nachfolgend Ziff. 6).

6. Geltendmachung eines verjährten Pflichtteilsanspruchs nach dem Tod des
Pflichtteilsverpflichteten (BFH, Urteile vom 5.2.2020 – II R 1/16 und II R 17/16)
Der Pflichtteilsanspruch verjährt nach den allgemeinen Regelungen innerhalb von drei
Jahren ab dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist, und der Berechtigte
Kenntnis von seinem Anspruch erlangt hat. Solange die Verjährungseinrede nicht erhoben
wird, hat dies im Grundsatz auf den Bestand der Forderung keine Auswirkungen. Denn
durch die Verjährung ist der Anspruch nicht untergegangen. Vielmehr bleibt eine verjährte
Forderung voll wirksam und einklagbar. Die Forderung ist lediglich behaftet mit der
Einrede der Verjährung, was zur Folge hat, dass der Anspruch nicht durchgesetzt werden
kann, wenn der Schuldner die Einrede erhebt (so z. B. FG Schleswig-Holstein, Entsch. v.
4.5.2016 – 3 K 148/15 [juris]).

Zur Frage, ob ein Alleinerbe einen gegen den Erblasser bestehenden Pflichtteilsanspruch
auch dann wirksam gegen sich selbst geltend machen kann, wenn dieser bereits verjährt ist,
lagen unterschiedliche Auffassungen der Finanzgerichte vor.

Das Schleswig-Holsteinische FG (Urt. v. 4.5.2016 – 3 K 148/15 [juris]) war der Auffassung,
dass der Alleinerbe seinen gegen den Erblasser bestehenden Pflichtteilsanspruch,
auch wenn dieser bereits verjährt ist, noch wirksam geltend machen und als Nachlassverbindlichkeit
i. S. d. § 10 Abs. 5 Nr. 1 ErbStG von Todes wegen steuermindernd abziehen
kann (Revision eingelegt, entschieden vom BFH, Urt. v. 5.2.2020 – II R 17/16). Das
hessische Finanzgericht (Urt. v. 3.11.2015 – 1 K 1059/14 [juris]) hat die Geltendmachung
eines verjährten Pflichtteilsanspruchs durch den Pflichtteilsberechtigten gegenüber
sich selbst nicht als Nachlassverbindlichkeit der Erblasserin nach § 10 Abs. 5 ErbStG zum
Abzug zugelassen (Revision eingelegt, entschieden vom BFH, Urt. v. 5.2.2020 – II R 1/16).
Der BFH hat in seinen Urteilen vom 5.2.2020 (II R 1/16 und II R 17/16) die Auffassung
des hessischen Finanzgerichts bestätigt und die Geltendmachung eines verjährten Pflichtteilsanspruchs
des Alleinerben gegen sich selbst nach dem Tod des Pflichtteilsverpflichteten
nicht als Nachlassverbindlichkeit zum Abzug zugelassen.

Nach dem BFH reicht die Fiktion des § 10 Abs. 3 ErbStG nicht so weit, dass der
zivilrechtlich aufgrund Konfusion erloschene Pflichtteilsanspruch auch dann noch geltend
gemacht werden kann, wenn er im Zeitpunkt der Geltendmachung zivilrechtlich verjährt
war. Der BFH (Urt. v. 5.2.2020 – II R 1/16 [juris] Rn. 22) führt hierzu aus:

„Zwar hindert zivilrechtlich die Verjährung einer Forderung
grundsätzlich nicht deren Geltendmachung, denn die Forderung
ist nur dauerhaft mit der Einrede der Verjährung behaftet; der
Schuldner ist berechtigt, die Leistung zu verweigern (§ 214 Abs. 1
BGB). Dies gilt jedoch nicht für den durch Konfusion
erloschenen Pflichtteilsanspruch. § 10 Abs. 3 ErbStG lässt den
Pflichtteilsanspruch für Zwecke der Erbschaftsteuer zunächst
(fiktiv) fortbestehen, begründet jedoch kein Recht des
Pflichtteilsberechtigten, den Anspruch auch noch nach Eintritt
der Verjährung fiktiv gegen sich selbst geltend zu machen.
Anderenfalls würde allein aufgrund der Fiktion des § 10 Abs. 3
ErbStG die Funktion der Verjährung, Rechtsfrieden
herbeizuführen, insoweit aufgehoben. Der Erbe könnte zeitlich
unbefristet jederzeit seinen zivilrechtlich erloschenen
Pflichtteilsanspruch als Nachlassverbindlichkeit mit Rückwirkung
gegen sich selbst geltend machen. Das ist vom Regelungsgehalt
des § 10 Abs. 3 ErbStG nicht umfasst.“

Dieses Urteil des BFH hat nun zur Folge, dass die Geltendmachung des Pflichtteilsanspruchs
eines Alleinerben „gegen sich selbst“ nicht mehr möglich ist, wenn der Anspruch
im Zeitpunkt der Geltendmachung zivilrechtlich verjährt ist (kritisch hierzu: Daragan, Anm.
zum BFH-Urt. v. 5.2.2020, ZErb 2020, 322 ff.). Begründet wird dies vom BFH damit, dass
die Fiktion des § 10 Abs. 3 ErbStG nicht so weit reicht, den Pflichtteilsanspruch für
Zwecke der Erbschaftsteuer zunächst (fiktiv) fortbestehen zu lassen und dann nach Eintritt
der Verjährung fiktiv gegen sich selbst geltend zu machen.

Es stellt sich aber auch die Frage, ob dies unter Umständen anders zu beurteilen ist,
wenn ein verjährter Pflichtteilsanspruch zivilrechtlich nicht infolge von Konfusion
untergegangen ist, und es infolgedessen der Fiktion des § 10 Abs. 3 ErbStG nicht
bedarf. Dies kann z. B. dann der Fall sein, wenn Erbe eine Erbengemeinschaft ist, und Miterben
ihre (verjährten) Pflichtteilsansprüche gegen die Erbengemeinschaft geltend machen;
hier tritt zivilrechtlich keine Konfusion ein. Da die Miterbengemeinschaft als Gesamthandsgemeinschaft
wegen der Bindung des Sondervermögens streng von ihren einzelnen Mitgliedern
zu unterscheiden ist, bestehen alte Rechte und Verbindlichkeiten, die zwischen dem
Erblasser und einem einzelnen Miterben bestanden haben, auch nach dem Erbfall fort.
Forderung und Schuld treffen nicht in einer Person zusammen (so
MünchKommBGB/Gergen, 8. Aufl. 2019, § 2032 Rn. 35, 36; BeckOK-BGB/Lohmann,
Std.: 1.8.2020, § 2032 Rn. 6).

Diese Fragestellung ist nach unserer Auffassung durch die vorgenannten Urteile des BFH
nicht geklärt, denn in den zu beurteilenden Sachverhalten ging es in beiden Fällen um einen
Anspruch eines Alleinerben gegen sich selbst, der infolge Konfusion zivilrechtlich untergegangen
ist und daher erbschaftsteuerlich nur über die Fiktion des § 10 Abs. 3 ErbStG
Beachtung finden konnte.

Gutachten/Abruf-Nr:

180583

Erscheinungsdatum:

05.03.2021

Rechtsbezug

National

Rechtsgebiete:

Erbschafts- und Schenkungsteuer

Normen in Titel:

ErbStG § 3