10. April 2019
BGB § 1094

Erlöschen eines für alle Verkaufsfälle bestellten Vorkaufsrechts

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Gutachten des Deutschen Notarinstituts
Abruf-Nr.: 164329
letzte Aktualisierung: 10. April 2019

BGB § 1094
Erlöschen eines für alle Verkaufsfälle bestellten Vorkaufsrechts
I. Sachverhalt

Für die Stadt S ist ein subjektiv-dingliches Vorkaufsrecht im Grundbuch für alle Verkaufsfälle
des Grundstücks des E eingetragen. E verkauft sein Grundstück an einen Dritten. S übt ihr Vorkaufsrecht
aus. Danach einigen sich E und S, dass das Vorkaufsrecht doch nicht ausgeübt werden
und das Vorkaufsrecht für S fortbestehen soll.

II. Frage

Besteht ein subjektiv-dingliches Vorkaufsrecht fort oder erlischt es, wenn der Vorkaufsberechtigte
das Vorkaufsrecht in einem konkreten Ausübungsfall ausübt, der demgemäß zustande gekommene
Kaufvertrag dann aber aufgehoben wird?

Hierzu merken Sie Folgendes an:

Die Kommentierung von Wegmann (in: Bamberger/Roth, BGB, § 1097 Rn. 11) ist hier eindeutig:
Das Vorkaufsrecht erlischt mit Ausübung. Gibt es eine herrschende oder einhellige Meinung?
III. Zur Rechtslage

1. Für den ersten Verkaufsfall bestelltes Vorkaufsrecht

Unstreitig ist in Literatur und Rechtsprechung, dass ein für den ersten Verkaufsfall bestelltes
Vorkaufsrecht durch Ausübung erlischt. Für die Frage, ob ein für alle Verkaufsfälle bestelltes
Vorkaufsrecht durch Ausübung erlischt, lässt sich eine einhellige Meinung in der Literatur
nicht feststellen.

2. Für alle Fälle bestelltes Vorkaufsrecht

Die Rechtsprechung hat sich mit dieser Frage – soweit ersichtlich – nur einmal im Jahr 1932
befasst. Das Reichsgericht hat in seiner damaligen Entscheidung (HRR 1932, Nr. 1208) unter
Hinweis auf die Entstehungsgeschichte den Standpunkt vertreten, dass auch ein für alle
Verkaufsfälle bestelltes Vorkaufsrecht durch einmalige Ausübung des Rechts „verbraucht“
sei. Die Zulassung eines dinglichen Vorkaufsrechts für alle Verkaufsfälle erweitere nicht den
Umfang der sich aus dem Vorkaufsrecht gegenüber dem Berechtigten ergebenden Ver-
pflichtungen, sondern lediglich den Kreis der durch das Vorkaufsrecht verpflichteten Personen.
Auch von einem für alle Verkaufsfälle bestellten Vorkaufsrecht könne deshalb nur
einmal Gebrauch gemacht werden.

Dies scheint auch die h.M. in der Literatur zu sein (BeckOGK-BGB/Omlor, Stand:
1.4.2018, § 1097 Rn. 29, § 1094 Rn. 67; Staudinger/Schermaier, Neubearb. 2017, § 1097 Rn.
16; Palandt/Herrler, 77. Aufl. 2018, § 1097 Rn. 6; Planck/Strecker, BGB, Bd. 3, 4. Aufl.
1920, § 1097 Rn. 1b; BeckOK-BGB/Wegmann, 46. Ed., Stand: 1.5.2018, § 1097 Rn. 13).
Lediglich eine Literaturfundstelle sieht dies anders (Erman/Grziwotz, BGB, 15. Aufl. 2017,
§ 1094 Rn. 7) und verweist hierbei auf ein in DNotI-Report 1999, 149 veröffentlichtes Gutachten.
Dort wurde allerdings ebenfalls auf die unsichere Rechtslage hingewiesen und lediglich
festgestellt, dass sich aus den verschiedenen zum Vorkaufsrecht vertretenen Theorien
nicht zwingend ableiten lasse, dass ein für alle Fälle bestelltes Vorkaufsrecht durch Ausübung
erlösche.

Diese Auffassung ist in der Literatur singulär geblieben und die herrschende Auffassung
geht weiter davon aus, dass auch ein für alle Vorkaufsfälle bestelltes Vorkaufsrecht durch
Ausübung erlischt.

3. Wiederaufleben durch Aufhebung des bereits geschlossenen Kaufvertrags
An dem Erlöschen dürfte auch die zwischenzeitlich erfolgte Aufhebung des Kaufvertrages
nichts ändern. Denn das einmal ausgeübte Vorkaufsrecht ist mit Ausübung erloschen.
Der BGH hatte sich mit einer ähnlichen Situation – soweit ersichtlich – erst einmal auseinanderzusetzen.
Allerdings ging es in diesem Fall (BGHZ 35, 146, 148) darum, dass ein
zweitrangig eingetragenes Vorkaufsrecht ausgeübt, aber durch ein vorrangiges Vorkaufsrecht
„ausgestochen“ wurde. Für diesen Fall hat der BGH entschieden, dass das Vorkaufsrecht
trotz Ausübung nicht zum Erlöschen gekommen ist. Mit dem vorliegenden Fall dürfte
diese Konstellation jedoch u. E. nicht vergleichbar sein, da im vorliegenden Fall der Kaufvertrag
mit dem Vorkaufsberechtigten bereits wirksam zustande gekommen war. Dass
dieser Kaufvertrag nicht erfüllt wurde, beruhte auf einem freien Willensentschluss des
Vorkaufsberechtigten, und nicht wie im Fall des BGH darauf, dass ein rangbesseres Recht
die wirksame Ausübung des Vorkaufsrechts hinderte.

Zusammenfassung:

Die weit überwiegende Meinung und die Rechtsprechung des Reichsgerichts gehen davon aus,
dass das Vorkaufsrecht, auch wenn es für alle Verkaufsfälle bestellt ist, mit der ersten Ausübung
erlischt. Die gegenteilige Auffassung von Grziwotz stellt eine Mindermeinung dar, wobei als
offen bezeichnet werden muss, wie sich ein Gericht für den vorliegenden Fall entscheiden würde.

Gutachten/Abruf-Nr:

164329

Erscheinungsdatum:

10.04.2019

Rechtsbezug

National

Normen in Titel:

BGB § 1094