29. November 2019
GrdstVG § 9

Ausübung des siedlungsrechtlichen Vorkaufsrechts bezüglich einer Teilfläche

Gutachten-Abruf-Dienst
Gutachten des Deutschen Notarinstituts
Abruf-Nr.: 173627
letzte Aktualisierung: 29. November 2019

GrdstVG § 9; RSG § 4
Ausübung des siedlungsrechtlichen Vorkaufsrechts bezüglich einer Teilfläche

I. Sachverhalt und Frage

Kann ein siedlungsrechtliches Vorkaufsrecht bei fehlender Genehmigungsfähigkeit nach § 9
GrdstVG auch hinsichtlich einer Teilfläche ausgeübt werden?

II. Zur Rechtslage

1. Vorkaufsrecht nach § 4 RSG

a) Allgemeines

Wird ein landwirtschaftliches Grundstück in Größe von zwei Hektar aufwärts durch
Kaufvertrag veräußert, so steht dem gemeinnützige Siedlungsunternehmen, in dessen
Bezirk die Hofstelle des Betriebes liegt, gem. § 4 Abs. 1 RSG ein gesetzliches Vorkaufsrecht
zu, wenn die Veräußerung einer Genehmigung nach dem GrdstVG bedarf und
die Genehmigung nach § 9 GrdstVG zu versagen wäre; ist keine Hofstelle vorhanden,
so steht das Vorkaufsrecht dem Siedlungsunternehmen zu, in dessen Bezirk das Grundstück
ganz oder zum größten Teil liegt. Die Landesregierung kann durch Rechtsverordnung
für das Land oder für Teile des Landes die Mindestgröße der Grundstücke,
die dem Vorkaufsrecht unterliegen, auf mehr als zwei Hektar festsetzen; für eine
beschränkte Zeit kann sie die Mindestgröße auf weniger als zwei Hektar festsetzen,
solange dies zur Durchführung von Maßnahmen zur Verbesserung der Agrarstruktur
notwendig ist, § 4 Abs. 4 RSG. Zudem kann die Siedlungsbehörde bestimmen, dass
statt des gemeinnützigen Siedlungsunternehmens eine nach § 1 Abs. 1 S. 3 RSG als
Siedlungsunternehmen bezeichnete Stelle das Vorkaufsrecht ausüben kann, § 4 Abs. 5
RSG.

b) Wirtschaftlicher Grundstücksbegriff und Grundstück im Rechtssinne

Während das für die Ermittlung der Genehmigungsbedürftigkeit maßgebliche
GrdstVG gem. § 1 Abs. 3 GrdstVG den Begriff des Grundstücks im Rechtssinne
zugrunde legt, ist im Rahmen des RSG auf den wirtschaftlichen Grundstücksbegriff
abzustellen.

Im Gegensatz zu einem Grundstück im Rechtssinne, das sich als räumlich abgegrenzter
Teil der Erdoberfläche definiert, der im Bestandsverzeichnis eines Grundbuchblattes
ohne Rücksicht auf die Art seiner Nutzung unter einer besonderen Nummer verzeichnet
ist (Netz, GrdstVG, 8. Aufl. 2018, Rn. 589), bezeichnet ein Grundstück im wirtschaftlichen
Sinne Bodenflächen, die nach der Verkehrsauffassung als wirtschaftliche
Einheit anzusehen sind und die aus einem oder mehreren Katastergrundstücken
oder Grundstücken im Rechtssinne bestehen können. Denkbar ist aber auch, dass
das Grundstück im wirtschaftlichen Sinne kleiner ist als das Grundstück im Rechtssinne,
sodass es sich lediglich auf eine reale Teilfläche eines rechtlich einheitlichen
Grundstücks erstreckt (Netz, Rn. 4711 f. m. w. N.).

c) Zulässigkeit einer partiellen Ausübung

Was die Frage angeht, inwiefern das siedlungsrechtliche Vorkaufsrecht nur einheitlich
hinsichtlich des gesamten Kaufvertrages ausgeübt werden kann, oder eine
Beschränkung auf Teile des Vertragsgegenstandes zulässig ist, möchten wir zunächst
darauf hinweisen, dass ausdrückliche Literatur und Rechtsprechung hierzu nicht
ersichtlich ist. Die folgenden Ausführungen basieren daher maßgeblich auf dogmatischen
Erwägungen, sodass eine abschließende und rechtssichere Antwort nicht möglich
ist.

Thematisiert wird die Frage nach der Reichweite des Vorkaufsrechts bislang vielmehr
vor allem in zwei Konstellationen. Die erste betrifft den Fall, dass mehrere Grundstücke
im Rechtssinne innerhalb eines Kaufvertrages gemeinsam veräußert werden, eine
Genehmigungspflicht nach § 2 GrdstVG für einzelne von ihnen jedoch nicht gegeben
ist, weil die Freigrenzen nach GrdstVG nicht erreicht werden. Die zweite Sachverhaltskonstellation
ist die, in der mehrere rechtlich selbstständige Grundstücke veräußert
werden, von denen einzelne für sich betrachtet deshalb nicht dem Vorkaufsrecht unterlägen,
weil sie forst- und nicht landwirtschaftlich genutzt werden.

Für den ersten Fall ist dabei zunächst anerkannt, dass sich das siedlungsrechtliche
Vorkaufsrecht ausgehend vom wirtschaftlichen Grundstücksbegriff auch dann auf
sämtliche in einem Vertrag veräußerte Grundstücke erstreckt, wenn eines dieser
Grundstücke dem Vorkaufsrecht nicht unterliegt, die Grundstücke zusammen
aber eine wirtschaftliche Einheit bilden und insgesamt die maßgebliche Mindestgröße
überschreiten (OLG Thüringen, Beschl. v. 9.12.2009 – Lw U 640/09 mit Verweis auf
BGH AgrarR 2001, 382 f.).

Entsprechendes gilt auch für die Möglichkeit einer einheitlichen Vorkaufsrechtsausübung
im Falle einer „gemischten Nutzung“ des veräußerten Grundbesitzes.

Werden forst- und landwirtschaftlich genutzte Grundstücke in einem Vertrag veräußert,
soll eine einheitliche Ausübung unter Einbeziehung des forstwirtschaftlich genutzten
Grundstücks auch hier insbesondere dann möglich sein, wenn die Gesamtfläche wirtschaftlich
eine Einheit bildet (ausf. zur Behandlung mitveräußerter forstwirtschaftlicher
Grundstücke i. R. d. Vorkaufsrechtsausübung, vgl. Netz, Rn. 4673 ff.). Die in einem
einheitlichen Vertrag gemeinsam veräußerten Grundstücke, für die eine Genehmigung
einheitlich beantragt ist, unterliegen dem Vorkaufsrecht dabei ausweislich
der verfügbaren Kommentarliteratur grundsätzlich entweder alle oder gar nicht,
abhängig davon, ob insgesamt ein überwiegend landwirtschaftlich geprägter Charakter
anzunehmen ist. Eine partielle Vorkaufsrechtsausübung nur hinsichtlich der
Landwirtschaftsgrundstücke soll hingegen ausnahmsweise dann in Betracht kom-
men, wenn der Kaufvertrag wirtschaftlich aus mehreren Teilen besteht und anzunehmen
ist, dass die Genehmigung für die landwirtschaftlichen Grundstücke nach Vorstellung
der Vertragsparteien ohne Rücksicht auf das Schicksal des Genehmigungsantrags
im Übrigen gewollt war (Netz, Rn. 4677).

Ähnlich ist der Befund auch für die erstgenannte Fallgruppe (Unterschreitung der Freigrenzen
nach GrdstVG für einzelne Grundstücke). Auch hier entsprach es früher herrschender
Meinung, dass das siedlungsrechtliche Vorkaufsrecht bezüglich eines einheitlichen
Vertrages im Hinblick auf seine besondere Zielsetzung und den Schutzgedanken
des § 9 Abs. 1 Nr. 2 GrdstVG stets nur einheitlich hinsichtlich sämtlicher veräußerter
Grundstücke ausgeübt werden kann (so BGH NJW 1992, 1457, 1458; OLG
Frankfurt a. M., Beschl. v. 8.2.2007 – 20 WLw 4/06, BeckRS 2007, 10670; obiter
dictum bestätigt durch BGH DNotI-Report 2006, 137).

In der jüngeren Rechtsprechung (OLG Frankfurt, Beschl. v. 24.10.2012 – 15 W 17/12,
Rn. 22, juris; AG Friedberg, Beschl. v. 8.7.2015 – 800 Lw 1/15, BeckRS 2015, 13575)
wird demgegenüber vermehrt vertreten, dass nicht nur eine einheitliche, sondern auch
eine nur auf die dem Vorkaufsrecht unterliegenden Grundstücke beschränkte Ausübung
möglich ist, OLG Frankfurt, Beschl. v. 24.10.2012 – 15 W 17/12, Rn. 22, juris:

„Dem Reichssiedlungsgesetz ist nicht zu entnehmen, dass das in
§ 4 geregelte Vorkaufsrecht nur einheitlich ausgeübt werden
kann, wenn in einem Grundstückskaufvertrag mehrere Grundstücke
veräußert werden. Das Vorkaufsrecht ist vielmehr auf ‚ein‘
landwirtschaftliches Grundstück bezogen, wenn die entsprechenden
Voraussetzungen vorliegen. Dass bei einem einheitlichen
Kaufvertrag über eine Sache zusammen mit anderen
Gegenständen das Vorkaufsrecht beschränkt auf die Sache, auf
die es sich bezieht, ausgeübt werden kann, ergibt sich überdies
aus § 467 BGB, der nach § 8 Abs. 1 RSiedlG entsprechend
anwendbar ist. Das gilt auch dann, wenn mehrere Gegenstände
als zusammengehörend verkauft sind oder wenn sie eine wirtschaftliche
Einheit bilden (vgl. Soergel/Wertenbruch, BGB, 13.
Aufl., § 467 Rdnr. 1 m. w. N.). Anderenfalls könnte von dem
Verpflichteten die Ausübung eines Vorkaufsrechts ohne weiteres
umgangen werden. Für den Bereich des Reichssiedlungsgesetzes
gilt nichts anderes, weil es zusammen mit dem Grundstücksverkehrsgesetz
die Gründung und den Erhalt landwirtschaftlicher
Betriebe sicherstellen soll (vgl. hierzu nur BGH
NJW-RR 2006, 1245 [BGH 28.04.2006 – BLw 32/05] ). Nach § 2
Abs. 1 GrdstVG ist das zwar deshalb unproblematisch, weil hiernach
die Veräußerung eines jeden Grundstücks genehmigungsbedürftig
ist. Im Hinblick auf die in § 2 Abs. 3 GrdstVG eingeräumte
Möglichkeit, durch Landesgesetz eine Mindestgrenze zu bestimmen,
ab der die Veräußerung genehmigungsbedürftig ist, wäre
die von den Beteiligten zu 1. und 4. befürchtete Aushöhlung
des reichssiedlungsrechtlichen Vorkaufsrechts in der Tat gegeben,
wenn nicht beim Verkauf mehrerer Grundstücke die Ausübung
des Vorkaufsrechts auch auf einzelne beschränkt
werden könnte, soweit nur bezüglich dieser Grundstücke ein
Vorkaufsrecht besteht.“

(Hervorhebungen durch das DNotI).

2. Vorliegender Fall

Die teilweise Ausübung des siedlungsrechtlichen Vorkaufsrecht kommt in zwei Fallkonstellationen
in Betracht: Hinsichtlich einer realen Teilfläche eines rechtlich einheitlichen
Grundstücks oder hinsichtlich mehrerer Grundstücke im Rechtssinne, die innerhalb
eines Kaufvertrages veräußert wurden, wobei das Vorkaufsrecht begrenzt auf eines
dieser rechtlich selbstständigen Grundstücke ausgeübt werden soll.

In beiden Fallvarianten dürfte eine partielle Ausübung des Vorkaufsrechts von vorneherein
ausgeschlossen sein, wenn der gesamte veräußerte Grundbesitz dem Vorkaufsrecht
unterliegt. Dies wäre bei Veräußerung eines Einzelgrundstücks im Rechtssinne
insbesondere dann anzunehmen, wenn dieses mit seiner gesamten Fläche einem wirtschaftlich
einheitlichen landwirtschaftlichen Betrieb zuzuordnen wäre. Bei Veräußerung mehrerer
Einzelgrundstücke gilt Entsprechendes, wenn diese wirtschaftlich zusammengehören und
als einheitliches, landwirtschaftliches Anwesen genutzt werden. Unschädlich wäre dann
auch, dass einzelne Grundstücke für sich genommen ggf. nicht der Genehmigungspflicht
nach GrdstVG unterliegen. Eine Ausübung des Vorkaufsrechts nur hinsichtlich einzelner
Grundstücke oder einer realen Teilfläche würde unter diesen Umständen das mit § 4 RSG
angestrebte Ziel der positiven Steuerung der Agrarstruktur gefährden, da durch Herauslösung
solcher Splitterflächen aus dem einheitlichen Kaufvertrag die agrarstrukturell
unerwünschte Folge eintreten würde, dass die kleinen für die Bewirtschaftung in
der Regel wenig attraktiven Flurstücke isoliert beim bisherigen Eigentümer verbleiben,
eine wirtschaftlich sinnvolle Verpachtung oder Veräußerung aber nicht mehr möglich
ist und damit die Einbeziehung dieser kleinen Flurstücke in eine effektive, landwirtschaftliche
Nutzung fraglich wäre (vgl. hierzu Netz, Rn. 4748 m. w. N.).

Ergibt eine wirtschaftliche Gesamtbetrachtung hingegen, dass es sich bei dem Vertragsobjekt
nicht um einen einheitlichen, (überwiegend) durch die landwirtschaftliche
Nutzung geprägten Grundbesitz handelt, lässt sich aus vorstehend dargestellten Rechtsprechungsgrundsätzen
u. E. schließen, dass eine partielle Ausübung des Vorkaufsrechts,
abhängig von den Umständen des Einzelfalls, grundsätzlich in Betracht kommen
kann. In diesem Fall bestünde für den Vorkaufsrechtsverpflichteten nach § 467 BGB allerdings
die Möglichkeit, eine Erstreckung der Vorkaufsrechtsausübung auf den gesamten
Grundbesitz zu verlangen.

Gutachten/Abruf-Nr:

173627

Erscheinungsdatum:

29.11.2019

Rechtsbezug

National

Normen in Titel:

GrdstVG § 9