17. September 2021
BGB § 1094; BauGB § 28 Abs. 2

Konkurrenz zwischen gemeindlichem Vorkaufsrecht und rechtsgeschäftlichem Vor­kaufsrecht

BGB § 1094; BauGB § 28 Abs. 2
Konkurrenz zwischen gemeindlichem Vorkaufsrecht und rechtsgeschäftlichem Vor­kaufsrecht

I. Sachverhalt
Es soll ein Grundstück von einem Privaten an eine Gemeinde veräußert werden. Das Grundstück ist in Abteilung II des Grundbuchs mit einem subjektiv-dinglichen Vorkaufsrecht für den ersten Verkaufsfall für den jeweiligen Eigentümer eines Nachbargrundstücks belastet.

II. Fragen
1. Ist beim Verkauf an die Gemeinde das subjektiv-dingliche Vorkaufsrecht des Grundstücksnachbarn zu beachten, obwohl wertungsmäßig das Recht der Gemeinde dem Recht des Grundstücksnachbarn vorgeht, oder kann der Erstkauf der Gemeinde durch das private Vorkaufsrecht vereitelt werden?

2. Erlischt das subjektiv-dingliche Vorkaufsrecht?

III. Zur Rechtslage
1. Ausgangspunkt: Vorrang des gesetzlichen Vorkaufsrechts
Gesetzliche Vorkaufsrechte sind gegenüber rechtsgeschäftlich bestellten Vorkaufsrechten vorrangig (MünchKommBGB/Westermann, 8. Aufl. 2019, § 463 Rn. 14; Soester, RNotZ 2018, 1, 20; Heintz, Vorkaufsrecht des Mieters, 1998, Rn. 486). In Bezug auf das gemeindliche Vorkaufsrecht nach BauGB geht diese Rechtsfolge aus dem Gesetz inzident hervor. Nach § 28 Abs. 2 S. 5 BauGB erlöschen bei einem Eigentumserwerb aufgrund der Ausübung des Vorkaufsrechts rechtsgeschäftliche Vorkaufsrechte. Hierzu zählen auch dingliche Vorkaufsrechte. Erlischt ein dingliches Vorkaufsrecht, ist es auf Ersuchen der Gemeinde im Grundbuch zu löschen (BeckOK-BauGB/Grziwotz, Std.: 1.2.2021, § 28 Rn. 27).

2. Ansicht der Literatur
Die Literatur steht (sofern überhaupt zu dieser Frage Stellung genommen wird) überwiegend auf dem Standpunkt, dass die Rechtsfolge des § 28 Abs. 2 S. 5 BauGB (nämlich der Untergang der übrigen Vorkaufsrechte, insbes. rechtsgeschäftlicher Vorkaufsrechte) nur dann eintritt, wenn tatsächlich der Erwerb des Grundbesitzes durch die Gemeinde im Wege der Ausübung des baurechtlichen Vorkaufsrechts erfolgt. Insbesondere im Falle des vorliegend avisierten freihändigen Erwerbs durch die Gemeinde greife § 28 Abs. 2 S. 5 BauGB nicht ein (Stock, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg, BauGB, 142. EL, Std.: Mai 2021, § 28 Rn. 51; Brügelmann/Roos, BauGB, 52. EL, Std.: 3/2006, § 24 Rn. 75a und § 28 Rn. 35). Nach Auffassung dieser Autoren kommt es aber zu einer Vorkaufsrechtskaskade: Übt der Vorkaufsberechtigte sein Vorkaufsrecht mit Blick auf den Kaufvertrag zwischen Verkäufer und Gemeinde aus, kann die Gemeinde nunmehr ihrerseits ihr Vorkaufsrecht ausüben und nach § 28 Abs. 2 S. 5 BauGB das private Vorkaufsrecht ausschalten.

Demgegenüber vertritt insbes. Hertel, dass ein Erlöschen sämtlicher privatrechtlicher Vorkaufsrechte auch bei einem freihändigen Erwerb eines Grundbesitzes durch die Gemeinde zur Abwendung der Ausübung des gemeindlichen Vorkaufsrechtes nach § 24 BauGB gelten müsse (so Hertel, in: Würzburger Notarhandbuch, 5. Aufl. 2018, Teil 2 Kap. 2 Rn. 408 zweiter Spiegelstrich; ders., in: Lambert/Lang/Tropf/Frenz, Handbuch der Grundstückspraxis, 2. Aufl. 2005, Teil 2 Rn. 550, 645 unter Berufung auf das Urteil des OLG Hamm DNotZ 1989, 786 ff.; vgl. auch Gutachten DNotI-Report 2010, 137, 138).

3. Anwendung auf den konkreten Fall
Die unterschiedlichen Auffassungen werden insbes. relevant, wenn der Vorkaufs­berechtigte sein Vorkaufsrecht nicht ausübt. Wendet man § 28 Abs. 2 S. 5 BauGB nicht entsprechend an, erwirbt die Gemeinde das mit dem privaten Vorkaufsrecht belastete Grundstück.

a) Vertretbar wäre es wohl, im Sinne der Ansicht von Hertel anzunehmen, dass es keinen Unterschied machen könne, ob der Verkäufer das Grundstück an einen Dritten verkauft und die Gemeinde ihr Vorkaufsrecht ausübt (mit den Wirkungen des § 28 Abs. 2 S. 5 BauGB auf das dingliche Vorkaufsrecht) oder ob die Gemeinde das Grundstück direkt vom Veräußerer erwirbt. So wäre etwa denkbar, dass der Verkäufer das Grundstück an ein Tochterunternehmen der Gemeinde verkauft und die Gemeinde daraufhin ihr Vorkaufsrecht ausübt, um das private dingliche Vorkaufsrecht auszuschalten, sofern hierin kein Scheingeschäft (§ 117 BGB) liegt. Den Verkauf an die Gemeinde bei Bestehen eines gemeindlichen Vorkaufsrechts könnte man daher mit Blick auf § 28 Abs. 2 S. 5 BauGB nicht anders behandeln als den Fall der Vorkaufsrechtsausübung durch die Gemeinde. Zweckmäßigerweise wird man in der Urkunde darlegen, dass der Gemeinde ein Vorkaufsrecht zusteht und dass sie das Vorkaufsrecht ausüben würde, wenn der Vertrag mit einem Dritten zu entsprechenden Konditionen geschlossen würde.

b) Gegen Hertels Auffassung spricht jedoch, dass wohl unverhältnismäßig in die Rechtsposition des privaten Dritten eingegriffen würde, brächte man § 28 Abs. 2 S. 5 BauGB analog auch beim freihändigen Erwerb der Gemeinde zur Anwendung.

Für die entsprechende Anwendung von § 28 Abs. 2 S. 5 BauGB besteht zunächst in der Sache regelmäßig kein Grund: Der Vorkaufsberechtigte wird wohl nur in seltenen Fällen von seinem Vorkaufsrecht Gebrauch machen, da er stets damit rechnen muss, dass die Gemeinde in einem zweiten Schritt das gesetzliche Vorkaufsrecht zur Anwen­dung bringt – mit der Folge des § 28 Abs. 2 S. 5 BauGB. Zudem gilt es zu bedenken, dass das dingliche Vorkaufsrecht mit gesetzlichem Inhalt sich grundsätzlich nur auf „einen Vorkaufsfall“ bezieht (vgl. OLG München NotBZ 2010, 232 = Rpfleger 2010, 260; ausf. Gutachten DNotI-Report 2011, 97 f.). Es erlischt daher im Ergebnis schon auf zivilrechtlicher Grundlage, wenn – wovon nach vorstehenden Überlegungen regelmäßig auszugehen ist – der private Dritte keinen Gebrauch von ihm macht.

Etwas anderes gilt freilich für den – vorliegend nicht einschlägigen – Fall, dass das Vorkaufsrecht für mehrere oder alle Vorkaufsfälle bestellt ist. Hier wird zwar der private Dritte beim freihändigen Erwerb durch die Gemeinde von seinem Vorkaufsrecht ebenfalls keinen Gebrauch machen, weil er ja wiederum damit rechnen muss, dass die Gemeinde in einem zweiten Schritt ihr gesetzliches Vorkaufsrecht zur Anwendung bringt und er gem. § 28 Abs. 2 S. 5 BauGB kraft Gesetzes sein Vorkaufsrecht für die Zukunft verlöre. Macht der Vorkaufsberechtigte von seinem Vorkaufsrecht vor diesem Hintergrund naheliegenderweise keinen Gebrauch, würde es indessen nur dann erlöschen, wenn man § 28 Abs. 2 S. 5 BauGB schon auf den freihändigen Erwerb entsprechend anwenden würde. Hierfür besteht jedoch kein sachlich gerechtfertigtes Interesse: Die Erlöschensfolge des § 28 Abs. 2 S. 5 BauGB soll nicht die freihändige Weiterveräußerung des (bei analoger Anwendung von § 28 Abs. 2 S. 5 BauGB von Vorkaufsrechten freien) Grundstücks durch die Gemeinde ermöglichen, sondern lediglich die Ausübung des gesetzlichen Vorkaufsrechts sichern. Würde man demgegenüber schon auf den freihändigen Erwerb § 28 Abs. 2 S. 5 BauGB analog anwenden, so würde die Gemeinde besser als ein sonstiger Privater stehen, der das in Rede stehende Grundstück ebenfalls freihändig am Markt erwirbt. Auf seinem Grundstück würde das Vorkaufsrecht weiterhin lasten, während es auf dem durch die Gemeinde erworbenen Grundstück erloschen wäre.

4. Ergebnis
Nach dem Vorstehenden neigen wir daher zu der Ansicht, dass § 28 Abs. 2 S. 5 BauGB nicht auf den freihändigen Erwerb durch die Gemeinde entsprechend anwendbar ist. Mangels einschlägiger Rechtsprechung verbleibt jedoch eine gewisse Rechtsunsicherheit, ob ein zur Entscheidung berufenes Gericht sich dieser Einschätzung anschließen würde.

Gutachten/Abruf-Nr:

184872

Erscheinungsdatum:

17.09.2021

Rechtsbezug

National

Rechtsgebiete:

Dingliches Vorkaufsrecht
Öffentliches Baurecht

Erschienen in:

DNotI-Report 2021, 139-140

Normen in Titel:

BGB § 1094; BauGB § 28 Abs. 2