15. Mai 2020
BeurkG § 30; GBO § 35

Nachweis der Erbfolge bei Testamentserrichtung durch Übergabe einer Schrift

BeurkG § 30; GBO § 35
Nachweis der Erbfolge bei Testamentserrichtung durch Übergabe einer Schrift

I. Sachverhalt
Es wurde entsprechend den Ausführungen in DNotI-Report 7/2020, 50 ein Testament durch Übergabe einer offenen Schrift beurkundet.

II. Fragen
1. Hat ein durch Übergabe einer Schrift errichtetes öffentliches Testament erbscheinsersetzende Wirkung i. S. d. § 35 Abs. 1 S. 2 GBO?

2. Macht es für den Nachweis gegenüber dem Grundbuchamt einen Unterschied, ob die Schrift offen oder geschlossen übergeben wird?

III. Zur Rechtslage
1. Nachweis der Erbfolge im Grundbuchverfahren
Gem. § 35 Abs. 1 S. 1 GBO kann im Grundbuchverfahren der Nachweis der Erbfolge nur durch einen Erbschein oder ein Europäisches Nachlasszeugnis (ENZ) geführt werden. Beruht die Erbfolge jedoch auf einer Verfügung von Todes wegen, die in einer öffentlichen Urkunde enthalten ist, dann genügt es nach § 35 Abs. 1 S. 2 Hs. 1 GBO, wenn anstelle des Erbscheins die Verfügung und die Niederschrift über die Eröffnung der Verfügung vorgelegt werden. Nur für den Fall, dass das Grundbuchamt die Erbfolge durch diese Urkunden nicht für nachgewiesen erachtet, kann es die Vorlage eines Erbscheins verlangen (§ 35 Abs. 1 S. 2 Hs. 2 GBO).

Soll die Erbfolge durch ein notarielles Testament (Erbvertrag) samt Eröffnungsniederschrift des Nachlassgerichts nachgewiesen werden, so hat das Grundbuchamt zunächst die Formgültigkeit und anschließend den Inhalt des Testaments zu prüfen (Schöner/Stöber, Grundbuchrecht, 15. Aufl. 2012, Rn. 787). Dabei erstreckt sich die inhaltliche Prüfung auf die Erbeinsetzung und deren Beschränkung durch Vor- und Nacherbfolge oder durch Testamentsvollstreckung sowie auf die Frage, ob eine spätere Verfügung von Todes wegen infolge entgegenstehender Bindungswirkung unwirksam ist (vgl. BayObLG ZEV 2000, 233 = DNotI-Report 2000, 77; OLG Schleswig RNotZ 2007, 37, 38). Das Grundbuchamt hat dabei die Verfügung von Todes wegen selbständig – ggf. unter Heranziehung der gesetzlichen Auslegungsregeln – auszulegen und rechtlich zu würdigen, auch wenn es sich um rechtlich schwierige Fragen handelt (vgl. Schöner/Stöber, Rn. 787 m. w. N.; BeckOK-GBO/Wilsch, Std.: 1.3.2020, § 35 Rn. 104).

Das Grundbuchamt ist jedoch nicht berechtigt und verpflichtet, eigene Ermittlungen anzustellen (Schöner/Stöber, Rn. 788). Es kann daher zum Nachweis des Erbrechts einen Erbschein (bzw. ein ENZ) verlangen, wenn sich bei der Prüfung des Erbrechts begründete konkrete Zweifel ergeben, die sich nur durch weitere Ermittlungen über den tatsächlichen Willen des Erblassers oder sonstige tatsächliche Verhältnisse klären lassen (Schöner/Stöber, Rn. 788 m. w. N.; Meikel/Krause, GBO, 11. Aufl. 2015, § 35 Rn. 117 m. w. N.; vgl. dazu auch Böhringer, ZEV 2001, 387).

2. Verfügung von Todes wegen durch Übergabe einer Schrift: Eignung als Erbnachweis
Bei dem durch Übergabe einer offenen oder verschlossenen Schrift beurkundeten Testament (§ 30 BeurkG) handelt es sich um ein öffentliches Testament (vgl. § 2232 BGB) oder einen Erbvertrag (vgl. § 2276 Abs. 1 S. 2 BGB), also um eine öffentliche Verfügung von Todes wegen. Ein solches Testament bzw. ein solcher Erbvertrag ist daher grundsätzlich auch ein geeigneter Erbnachweis i. S. v. § 35 Abs. 1 S. 2 GBO (vgl. Demharter, GBO, 31. Aufl. 2018, § 35 Rn. 33, 35; Meikel/Krause, § 35 Rn. 105 – jeweils bezogen auf alle zur Niederschrift eines Notars errichteten Testamente oder Erbverträge). Hierbei spielt es nach dem Gesetz keine Rolle, ob die Schrift, die der Errichtung der öffentlichen Verfügung von Todes wegen zugrunde liegt, dem Notar offen oder verschlossen übergeben worden ist.

Wie oben bereits ausgeführt, genügt die Vorlage einer öffentlichen Verfügung von Todes wegen (nebst Eröffnungsniederschrift) jedoch nicht zwangsläufig und in allen Fällen als Erbnachweis im Grundbuchverfahren. Aus den vorgelegten Urkunden muss sich vielmehr auch einigermaßen klar und eindeutig die jeweilige Erbfolge ergeben. Das Grundbuchamt kann ausnahmsweise die Vorlage eines Erbscheins oder eines ENZ verlangen, wenn es die Erbfolge durch die vorgelegten Urkunden nicht für nachgewiesen erachtet (§ 35 Abs. 1 S. 2 Hs. 2 GBO). „Nicht nachgewiesen“ bedeutet in diesem Zusammenhang, dass tatsächliche Ermittlungen über Umstände angestellt werden müssen, die sich außerhalb der Urkunde befinden (vgl. BeckOK-GBO/Wilsch, § 35 Rn. 113 m. w. N.). Insoweit sind u. E. – was die Eignung als Erbnachweis anbelangt – bei offen oder verschlossen übergebenen Schriften Unterschiede denkbar, denn bei Übergabe einer verschlossenen Schrift prüft der Notar den Inhalt nicht und berät nicht hinsichtlich der Formulierung und des Inhalts (vgl. nur BeckOGK-BeurkG/Grziwotz, Std.: 1.4.2020, § 30 Rn. 11).

Tatsächlich mag es daher gerade bei Errichtung einer öffentlichen Verfügung von Todes wegen durch Übergabe einer geschlossenen Schrift häufiger der Fall sein, dass das Testament bzw. der Erbvertrag keinen klaren Nachweis der Erbfolge ermöglicht und daher wegen der vorzunehmenden tatsächlichen Ermittlungen – wofür ausschließlich das Nachlassgericht zuständig ist – doch die Einholung und Vorlage eines Erbscheins erforderlich wird. Klassischer Beispielsfall wäre die in der verschlossenen Schrift enthaltene Einzelzuweisung von Nachlassgegenständen ohne eigentliche Bestimmung der Erbfolge (hier lässt sich auch unter Heranziehung der gesetzlichen Auslegungsregel des § 2087 Abs. 2 BGB die Erbfolge nicht ermitteln, wenn erst die Werte der einzelnen Nachlassgegenstände ermittelt werden müssen). Zu denken wäre aber auch an eine unbestimmte Bezeichnung der Erben (wie z. B. „meine nächsten Verwandten“, unsere „herzensguten Nachbarn“ usw.), bei der die Erben erst aufgrund Ermittlungen tatsächlicher Art konkretisiert werden müssen.

Bei offen übergebenen Schriften, namentlich solchen, die vom Notar entworfen wurden, dürften diese Probleme angesichts der notariellen Beratungspflicht (§ 17 BeurkG) nicht in gleichem Maße auftreten. Allerdings ist es auch hier nicht ganz ausgeschlossen, dass das Testament (bzw. der Erbvertrag) im Einzelfall nicht als Erbnachweis genügt, etwa weil es in einer fremden Sprache oder unter Verwendung besonderer Schriftzeichen errichtet wurde (vgl. Gutachten DNotI-Report 2020, 50) oder weil ein später errichtetes privatschriftliches Testament vorliegt, das nicht offenbar ungültig, widerrufen oder für die Erbfolge ohne Bedeutung ist (vgl. OLG Frankfurt NJW-RR 2005, 380; Meikel/Krause, § 35 Rn. 150).

Diese Sonderkonstellationen ändern aber nichts an der grundsätzlichen Feststellung, dass auch ein durch Übergabe einer offenen oder verschlossenen Schrift errichtetes öffentliches Testament (oder ein solchermaßen errichteter Erbvertrag) nebst Eröffnungsniederschrift im Grundsatz einen geeigneten Erbnachweis i. S. v. § 35 Abs. 1 S. 2 GBO darstellt.

Gutachten/Abruf-Nr:

177308

Erscheinungsdatum:

15.05.2020

Rechtsbezug

National

Rechtsgebiete:

Testamentsform
Grundbuchrecht

Erschienen in:

DNotI-Report 2020, 76-77

Normen in Titel:

BeurkG § 30; GBO § 35