11. September 2020
BGB § 2113; ZVG § 180; BGB § 2115

Übertragung der Nacherbenanwartschaftsrechte auf den Vorerben; Einsetzung von Ersatznacherben; Teilungsversteigerung auf Betreiben des Mitvorerben

BGB §§ 2100, 2113, 2115; ZVG §§ 180 ff.
Übertragung der Nacherbenanwartschaftsrechte auf den Vorerben; Einsetzung von Ersatznacherben; Teilungsversteigerung auf Betreiben des Mitvorerben

I. Sachverhalt
E war Alleineigentümer eines Grundstücks. Er ist verstorben und von seinen Töchtern X und Y zu gleichen Erbteilen von je ½ beerbt worden.

X ist allerdings nicht befreite Vorerbin. Nacherben sind ihre beiden volljährigen Kinder A und B. Y ist ebenfalls nicht befreite Vorerbin. Nacherben sind ihre beiden volljährigen Kinder C und D. Ersatznacherben sind die Abkömmlinge des jeweiligen Nacherben. Sind solche nicht vorhanden, so tritt Anwachsung ein. Die Nacherbenstellung ist auf den Vorerben übertragbar, aber im Übrigen weder vererblich noch veräußerlich.

Diese Regelungen finden sich in einem notariellen Erbvertrag.

Die Kinder A und B möchten nun ihre Nacherbenanwartschaftsrechte auf X übertragen. X möchte anschließend die Teilungsversteigerung hinsichtlich des Grundstücks betreiben.

II. Fragen
1. Können A und B ihre Nacherbenanwartschaftsrechte auf X übertragen, sodass die Anord­nung von Vor- und Nacherbschaft betreffend X entfällt und sie „normale“ Erbin wird? Müssen etwaige Kinder von A und B als Ersatznacherben zustimmen oder Erklärun­gen abgeben?

2. Kann X anschließend erfolgreich die Teilungsversteigerung hinsichtlich des Grundstücks betreiben oder begegnet dies rechtlichen Bedenken?

III. Zur Rechtslage
1. Rechtsstellung des Nacherben nach dem Erbfall
Mit Eintritt des Erbfalls erwirbt der Nacherbe die gesicherte Erwartung, mit dem Nacherbfall die Erbschaft zu erlangen. Diese Erwartung wird als Nacherbenanwartschaftsrecht bezeichnet. Das Nacherbenanwartschaftsrecht stellt bereits einen gegenwärtigen Vermögenswert dar und ist grundsätzlich abtretbar und vererblich (vgl. Palandt/Weidlich, BGB, 79. Aufl. 2020, § 2100 Rn. 12).

Nach h. M. kann der Erblasser die Übertragbarkeit des Nacherbenanwartschaftsrechts allerdings ausschließen (vgl. RGZ 170, 163, 168; Palandt/Weidlich, § 2101 Rn. 13; Wübben, Anwartschaftsrechte im Erbrecht, 2001, S. 70 ff.; a. A. Staudinger/Avenarius, BGB, 2019, § 2100 Rn. 76 mit dem – u. E. nicht überzeugenden – Argument, der Ausschluss der Veräußerlichkeit des Anwartschaftsrechts sei – anders als bei der Vererblichkeit – gesetzlich nicht vorgesehen und außer­dem wegen § 137 S. 1 BGB nicht mit dinglicher Wirkung möglich).

Wenn ein Ausschluss der Übertragbarkeit des Nacherbenanwartschaftsrechts nach h. M. zulässig ist, dann muss Gleiches für die Beschränkung der Übertragbarkeit gelten, vorliegend also in Bezug auf die Übertragung auf den Vorerben.

2. Rechtsfolgen der Übertragung der Nacherbenanwartschaftsrechte von A und B
Die Übertragung des Nacherbenanwartschaftsrechts durch den Nacherben auf den Vorerben kann dazu führen, dass die Anwartschaft in der Hand des Vorerben durch Konsolidation untergeht, der erwerbende Vorerbe somit unbeschränkter Vollerbe wird und sowohl unter Lebenden als auch von Todes wegen frei über die zur Erbschaft gehörenden Gegenstände verfügen kann (vgl. OLG Köln DNotZ 2019, 364 Rn. 22).

Dies gilt jedoch nur, soweit alle vorhandenen Nacherben ihre Anwartschaftsrechte auf den Vorerben übertragen und keine Ersatznacherben eingesetzt sind (vgl. nur Staudin­ger/Avenarius, § 2100 Rn. 85; BeckOGK-BGB/Küpper, Std.: 1.7.2020, § 2100 Rn. 144 m. w. N.). Bei Einsetzung von Ersatznacherben bedürfte der Nacherbe zwar nicht ihrer Zustimmung zur Übertragung seines Anwartschaftsrechts; durch die Übertragung würde nämlich ihre Rechtsstellung nicht berührt, weil der Nacherbe nicht mehr Rechte übertragen kann, als er selbst be­sitzt. Die Rechte der Ersatz­nacherben blieben von der Übertragung aber grundsätzlich unberührt, sofern nicht die Ersatznacherbfolge unter der auflösenden Bedingung der Übertragung des Nacherbenanwartschaftsrechts durch den Nacherben auf den Vorerben angeordnet worden wäre (vgl. OLG Schleswig ZEV 2010, 574 m. Anm. Hartmann). Im Ersatzfall (insbesondere Tod des vorgesehenen Nacherben) würde die auflösend bedingte Vereinigung der beiden Rechtsstellungen in der Person des Vorerben enden und es würden die Nacherben­anwart­schaftsrechte für die bisherigen Ersatznacherben zur Entstehung gelangen (vgl. BayObLG NJW 1970, 1794; BeckOGK-BGB/Küpper, 1.7.2020, § 2100 Rn. 144, 162 m. w. N.). Etwas anderes würde nur gelten, wenn es sich um ein vererbliches Nacherbenanwart­schaftsrecht handelte (vgl. dazu bereits Gutachten DNotI-Report 2010, 85).

Aus dem mitgeteilten Sachverhalt ergibt sich, dass zu Ersatznacherben die Ab­kömmlinge des jeweiligen Nacherben eingesetzt sind. Dies dürfte sich nicht nur auf den Stamm Y, sondern auch auf den Stamm X beziehen (der mitgeteilte Sachverhalt ist insoweit nicht ganz eindeutig). Die Vererblichkeit des Nacherbenanwartschaftsrechts ist aus­drücklich ausgeschlossen worden.

Sind im vorliegenden Fall auch in Bezug auf den Stamm X ausdrücklich Ersatznacherben bestimmt, dann führt die Übertragung des Nacherbenanwartschaftsrechts durch A und B auf X folglich nicht dazu, dass X Vollerbin würde. Die Übertragung hätte nur zur Folge, dass die Vorerbin bis zum etwaigen Eintritt des Ersatzfalls die Rechtsstellung als Vorerbe und Nacherbe in einer Person vereinigen würde, sodass etwa zu Verfügungen i. S. d. § 2113 BGB nicht die Zustimmung dieses Nacherben erforderlich wäre (dass also X die Zustimmung quasi selbst erklären könnte). Denn die dem Nacherben zustehenden Kontroll-, Sicherungs- und Mitwirkungsrechte kann nach der Übertragung des Anwartschaftsrechts nur noch der Erwerber ausüben (RGZ 80, 377; 83, 437; Staudinger/Avenarius, § 2100 Rn. 83).

3. Nacherbenbindung und Teilungsversteigerung
Der Wirksamkeit der Teilungsversteigerung nach den §§ 180 ff. ZVG stehen nicht die Vorschriften der §§ 2113, 2115 BGB zum Schutz der Nacherben entgegen (BGH DNotZ 2005, 123, 124; Staudinger/Avenarius, § 2115 Rn. 14). Denn die Teilungsversteigerung wird überwiegend weder als Verfügung des Vorerben (vgl. § 2113 BGB) noch als Zwangsvollstreckung wegen einer Geldforderung (vgl. § 2115 BGB) angesehen (BGH DNotZ 2005, 123, 124; Böttcher, in: Böttcher, ZVG, 6. Aufl. 2016, § 180 Rn. 43; BeckOGK-BGB/Müller-Christmann, Std.: 15.6.2020, § 2115 Rn. 14; Klawikowski, Rpfleger 1998, 100, 102; für entsprechende Anwendung des § 2113 BGB dagegen Najdecki, DNotZ 2007, 643, 645 ff.). Zur Begründung führt man an, dass das Verfahren lediglich die Betätigung des nach den Regeln der Erbengemeinschaft (§ 2042 Abs. 1 BGB) oder der Bruchteilsgemeinschaft (§ 749 Abs. 1 BGB) bestehenden Rechts auf Aus­einandersetzung sei (Staudinger/Avenarius, § 2115 Rn. 14; BeckOGK-BGB/Müller-Christmann, § 2115 Rn. 14).

Der oder die Nacherben müssen nach h. A. daher die Teilungsversteigerung gegen sich gelten lassen und die Nichtberücksichtigung eines im Grundbuch eingetragenen Nacherbenvermerks im geringsten Gebot sowie dessen Löschung nach dem Zuschlag hinnehmen (OLG Hamm NJW 1969, 516; vgl. auch BayObLGZ 1965, 212, 216 = NJW 1965, 1966). Denn der Erwerber eines Nachlassgrundstücks erwirbt aufgrund des Zuschlagsbeschlusses bei einer Teilungsversteigerung wirksam auch gegenüber dem Nacherben (BeckOGK-BGB/Müller-Christmann, § 2115 Rn. 14).

Nach Durchführung der Teilungsversteigerung fällt der an den Vorerben ausgekehrte Ver­steigerungserlös gem. § 2111 Abs. 1 S. 1 Hs. 1 BGB (rechtsgeschäftliche Mittelsurrogation) in den Nachlass und tritt an die Stelle des versteigerten Grundstücks (BGH DNotZ 1995, 699; DNotZ 2005, 123, 125; Staudinger/Avenarius, § 2115 Rn. 15; vgl. auch BeckOGK-BGB/Müller-Christmann, Std.: 15.6.2020, § 2111 Rn. 25). Die Teilungsversteigerung führt dazu, dass nunmehr der Ver­äußerungserlös von der Nacherbschaft erfasst wird (vgl. BGH DNotZ 1995, 699; BeckOGK-BGB/Müller-Christmann, § 2115 Rn. 15). Auf diese Weise wird dem Schutzbedürfnis des oder der Nacherben Rechnung getragen.

Nach der Durchführung der Teilungsversteigerung würde hinsichtlich des Erlöses auch der Schutz des § 2115 BGB eingreifen: Der Nacherbe könnte einen Eigengläubiger des Vorerben an der Pfändung und Verwertung des Erlöses (§ 815 ZPO) durch Erhebung der Drittwiderspruchsklage des Nacherben (§ 773 ZPO) hindern (vgl. Staudinger/Avenarius, § 2115 Rn. 15).

4. Ergebnis
Die (zulässige) Übertragung der Nacherbenanwartschaftsrechte von A und B auf X führt vorliegend nicht dazu, dass X Vollerbin wird. Es sind nämlich Ersatznacherben eingesetzt und es handelt sich um nicht vererbliche Nacherbenanwartschaftsrechte.

Nach h. A. steht die Anordnung der Nacherbfolge mangels Anwendbarkeit der §§ 2113, 2115 BGB einer Teilungsversteigerung auf Antrag eines Mitvorerben nicht entgegen. Die Nacherben werden dadurch geschützt, dass der Versteigerungserlös gem. § 2111 Abs. 1 S. 1 Hs. 1 BGB als Surrogat an die Stelle des versteigerten Grundstücks tritt.

Gutachten/Abruf-Nr:

175986

Erscheinungsdatum:

11.09.2020

Rechtsbezug

National

Erschienen in:

DNotI-Report 2020, 139-141

Normen in Titel:

BGB § 2113; ZVG § 180; BGB § 2115