28. August 2020
ErbbauRG § 1 Abs. 3; BGB § 912

Überbau: Überbauung eines Erbbaurechts bzw. eines Erbbaugrundstücks von einem Nachbargrundstück aus; Abgrenzung von sog. Nachbarerbbaurecht und einfachem Überbau

BGB §§ 912 ff.; ErbbauRG § 1 Abs. 3
Überbau: Überbauung eines Erbbaurechts bzw. eines Erbbaugrundstücks von einem Nachbargrundstück aus; Abgrenzung von sog. Nachbarerbbaurecht und einfachem Überbau

I. Sachverhalt
Es soll ein Gebäude (Halle) auf ein erbbaurechtsbelastetes Grundstück überbaut werden. Das Grundstück, von dem aus die Überbauung erfolgt, gehört weder dem Erbbauberechtigten noch dem Eigentümer des Erbbaugrundstücks. Das Eigentum am Gebäude soll einheitlich dem Eigentümer des Grundstücks zustehen, von dem aus überbaut wird.

II. Fragen
1. Ist die gewünschte Eigentumszuordnung durch Eintragung einer Grunddienstbarkeit zulasten des überbauten Erbbaurechts und/oder Grundstücks möglich?

2. Besteht die Gefahr, dass das Erbbaurecht wegen Verstoßes gegen § 1 Abs. 3 ErbbauRG unwirksam ist?

III. Zur Rechtslage
1. Eigentumszuordnung nach Maßgabe der Überbaugrundsätze
Die Rechtsprechung unterscheidet verschiedene Fallgruppen des Überbaus, namentlich den entschuldigten unrechtmäßigen Überbau, den rechtmäßigen Überbau, den unentschuldigten unrechtmäßigen Überbau (vgl. dazu ausf. m. w. N. Staudinger/Roth, BGB, 2016, § 912 Rn. 66 ff.).

In dem zu begutachtenden Sachverhalt soll eine „vorsätzliche“ Verletzung der Grundstücksgrenze durch Überbauung stattfinden. Eine eigentumsrechtliche Zuordnung der gesamten Halle zum überbauenden (Stamm-)Grundstück kommt folglich nur dann in Betracht, wenn ein sog. rechtmäßiger Überbau herbeigeführt werden kann. Der sicherste Weg dahin dürfte im vorliegenden Fall darin bestehen, dass sowohl der benachbarte Erbbauberechtigte als auch der Eigentümer des benachbarten Erbbaugrundstücks der Überbauung zustimmen und dass die jeweilige Zustimmung durch Begründung von Überbaudienstbarkeiten grundbuchlich dokumentiert wird (s. Ziff. 2 lit. c).

2. Verstoß gegen § 1 Abs. 3 ErbbauRG: (Un-)Zulässigkeit von sog. Nachbarerbbaurechten?
Wenn ein Überbau im Zusammenhang mit einem Erbbaurecht auftritt, besteht regelmäßig die Sorge, dass ein sog. Nachbarerbbaurecht entstehen könnte. Dessen Zulässigkeit ist mit Blick auf § 1 Abs. 3 ErbbauRG umstritten. Allerdings gilt es, verschiedene Fallgruppen zu unterscheiden:

a) Gesamterbbaurecht
Ein Gesamterbbaurecht ist dadurch gekennzeichnet, dass einem oder mehreren Bauwerken ein einziges Erbbaurecht zugrunde liegt, wobei sich allerdings dieses einheitliche Erbbaurecht über mehrere rechtlich selbständige Grundstücke erstreckt (vgl. Winkler/Schlögel, in: v. Oefele/Winkler/Schlögel, Handbuch Erbbaurecht, 6. Aufl. 2016, § 3 Rn. 37 ff.). Diese Fallgruppe ist vorliegend nicht einschlägig.

b) Nachbarerbbaurecht
Bei einem sog. Nachbarerbbaurecht wird ebenfalls ein einheitliches Bauwerk auf mehreren rechtlich selbständigen Grundstücken errichtet; an diesen besteht allerdings kein Gesamterbbaurecht (vgl. zum Begriff im Wiedervereinigungsrecht § 39 Abs. 3 SachenRBerG). Vielmehr bestehen an den benachbarten Grundstücken entweder jeweils selbständige Einzelerbbaurechte oder es ist nur eines der benachbarten Grundstücke mit einem Erbbaurecht belastet. In einer solchen Situation fragt sich, ob das (jeweilige) Einzelerbbaurecht das Recht i. S. v. § 1 Abs. 1 ErbbauRG zu vermitteln vermag, einen unselbständigen Teil eines einheitlichen Bauwerks zu haben (vgl. Winkler/Schlögel, § 3 Rn. 70-86; Heckscher, RNotZ 2016, 1, 6 ff.).

Diese Frage ist sehr umstritten und bislang noch nicht höchstrichterlich entschieden. Rechtsdogmatisch entzündet sich der Streit an der Bestimmung des § 1 Abs. 3 ErbbauRG, wonach eine „Beschränkung des Erbbaurechts auf einen Teil eines Gebäudes, insbesondere ein Stockwerk unzulässig“ ist. Es ist insoweit unklar, ob die gesetzliche Bestimmung lediglich eine horizontale oder auch eine vertikale Beschränkung des Erbbau­rechts verbietet (Heckscher, RNotZ 2016, 1, 6 ff.; BeckOK-BGB/Maaß, Std.: 1.8.2020, § 1 ErbbauRG Rn. 22 m. w. N). Präzise formuliert stellt sich die Frage demnach wie folgt: Ist es mit § 1 Abs. 3 ErbbauRG vereinbar, wenn nach dem dinglichen Inhalt des Erbbaurechts dieses darauf gerichtet ist, das Recht zu vermitteln, auf oder unter der Oberfläche des Grundstücks einen unselbständigen Teil eines einheitlichen Bauwerks zu haben? Durch diese Formulierung wird deutlich, dass der Umstand, dass sich das einheitliche Gebäude über eine Grundstücksgrenze erstreckt, irrelevant ist. Die Frage nach der rechtlichen Vereinbarkeit mit § 1 Abs. 3 ErbbauRG würde sich nämlich auch dann stellen, wenn sich das Bauwerk insgesamt auf dem Erbbaurecht(-sgrundstück) befände, nach dem Inhalt des Erbbaurechts allerdings nicht das gesamte Gebäude vom Recht des Erbbauberechtigten umfasst sein sollte. Dass die Frage zumeist im Kontext einer grenzüberschreitenden Bebauung diskutiert wird und infolgedessen vom sog. „Nachbarerbbaurecht“ die Rede ist, zeugt eher von einer „phänomenologischen“ Umschreibung, denn in der Lebenswirklichkeit stellt sich die Frage zumeist im Zusammenhang mit einer grenzüberschreitenden Bebauung (vgl. BGH NJW 1973, 1656 = BeckRS 1973, 31123666). Dem Grunde nach ist diese tatsächliche Erscheinungsform (Überschreitung einer Grundstücksgrenze) für die rechtliche Beurteilung indes unbeachtlich, denn im Kern geht es um die Frage, ob der dingliche Inhalt eines Erbbaurechts darauf gerichtet sein kann, das Recht zu vermitteln, auf oder unter der Oberfläche des Grundstücks einen unselbständigen Teil eines einheitlichen Bauwerks zu haben.

Der dingliche Inhalt des Erbbaurechts richtet sich dabei nicht nach den tatsächlichen Gegebenheiten (z. B. nach dem tatsächlichen Vorliegen eines Überbaus; so völlig zutreffend BGH NJW 1973, 1656 = BeckRS 1973, 31123666, vgl. 2. Ls.), sondern nach dem Wortlaut und dem Sinn der grundbuchrechtlichen Erklärungen, wie sie sich für einen unbefangenen Betrachter als nächstliegende Bedeutung ergeben (sog. objektivierte Aus­legung bei Grundbucherklärungen, vgl. Reuber, BWNotZ 2018, 2; KEHE/Keller, Grundbuchrecht, 8. Aufl. 2019, Teil 1 § 2 Rn. 79).

Nach dem vorliegenden Sachverhalt ist nicht davon auszugehen, dass das überbaute Erbbaurecht seinem Inhalt nach darauf gerichtet ist, an dem überbauten Teil der Halle ein Recht i. S. v. § 1 Abs. 1 ErbbauRG zu begründen. Demzufolge stellt sich das Problem des sog. Nachbarerbbaurechts u. E. gar nicht.

c) Schlichter Überbau des Erbbaurechts bzw. Erbbaugrundstücks
Von einem sog. Nachbarerbbaurecht ist der schlichte Überbau zu unterscheiden. Diese Fallgruppe ist vorliegend einschlägig, indem von einem (Stamm-)Grundstück aus ein einheitliches Gebäude (Halle) auf das benachbarte Erbbaurecht bzw. Erbbaugrund­stück überbaut werden soll. Die eigentumsrechtliche Zuordnung des Überbaus erfolgt in einer solchen Konstellation nach den allgemeinen Überbaugrundsätzen (Winkler/Schlögel, § 3 Rn. 86-95i; Zander, BWNotZ 2017, 87).

Im geschilderten Sachverhalt wird demzufolge die Halle eigentumsrechtlich insgesamt dem überbauenden (Stamm-)Grundstück zugeordnet, sofern ein rechtmäßiger Überbau vorliegt, sofern also der Erbbauberechtigte und der Eigentümer des Erbbaugrundstücks dem Überbau zustimmen (vgl. Heckscher, RNotZ 2016, 1, 19; Ingenstau/Hustedt/Bardenhewer, ErbbauRG, 11. Aufl. 2018, Rn. 22 f.; Heller, in: Ring/Grziwotz/Keukenschrijver, BGB, 4. Aufl. 2016, § 12 ErbbauRG Rn. 7; BeckOK-BGB/Maaß, § 12 ErbbauRG Rn. 3-4; Staudinger/Rapp, 2017, § 1 ErbbauRG Rn. 34).

Die Frage, ob für einen rechtmäßigen Überbau die Zustimmung des Erbbaurechtsinhabers genügt, ist von der Rechtsprechung – soweit ersichtlich – noch nicht entschieden worden. Dagegen dürfte u. E. sprechen, dass sich die rechtlichen Befugnisse des Erbbaurechtsinhabers nach dem Inhalt des Erbbaurechts richten. Das Erbbaurecht ist seinem Inhalt nach „nur“ darauf gerichtet, dem Erbbauberechtigten das Recht einzuräumen, ein eigenes Bauwerk auf dem Erbbaugrundstück zu errichten und/oder zu haben. Es umfasst jedoch nicht die Befugnis, ohne Mitwirkung des Grundstückseigentümers einem Dritten den Überbau zu gestatten. Dies spricht dafür, dass für einen rechtmäßigen Überbau der Eigentümer des Erbbaugrundstücks der Überbauung zustimmen muss. Wollte man hingegen die alleinige Zustimmung des Erbbauberechtigten genügen lassen, würde sich die Frage stellen, was mit dem Überbau beim Erlöschen des Erbbaurechts durch Zeitablauf oder rechtsgeschäftliche Aufhebung geschähe: Fortbestehen eines rechtmäßigen Überbaus unter Aufleben einer Überbaurente zugunsten des Eigentümers des überbauten (Erbbau-)Grundstücks? Oder nachträgliche lotrechte „Teilung“ des Eigentums am übergebauten Gebäude an der Grundstücksgrenze? Andererseits könnte auch die alleinige Zustimmung des Eigentümers des Erbbaugrundstücks unzureichend sein, sofern sich der Ausübungsbereich des Erbbaurechts gem. § 1 Abs. 2 ErbbauRG auf jene Fläche erstreckt, die nunmehr überbaut werden soll (vgl. § 916 BGB).

Mit Blick auf den sichersten Weg sollte mithin die Zustimmung sowohl des Erbbauberechtigten als auch des Eigentümers des Erbbaugrundstücks eingeholt und der Überbau durch Bestellung von Überbaudienstbarkeiten auf beiden „Ebenen“ (Erbbaurecht und Erbbaugrundstück) dinglich gesichert werden. Die Zustimmung des Erbbauberechtigten erscheint uns indes dann entbehrlich, wenn sich der Ausübungsbereich des Erbbaurechts nicht auf die zu überbauende Fläche erstreckt.
3. Ergebnis
Im Ergebnis ist festzuhalten, dass im konkreten Fall kein sog. Nachbarerbbaurecht, sondern ein schlichter Überbau vorliegt. Beim schlichten Überbau richtet sich die eigentumsrechtliche Zuordnung nach den allgemeinen Überbaugrundsätzen. Vor dem Hintergrund, dass eine vorsätzliche Grenzverletzung stattfinden soll, kann eine eigentumsrechtliche „Teilung“ des Gebäudes an der Grundstücksgrenze nur bei einem rechtmäßigen Überbau verhindert werden. Dazu sollte sowohl die Zustimmung des Erbbauberechtigten als auch des Eigentümers des Erbbaugrundstücks eingeholt und der Überbau durch entsprechende Überbaudienstbarkeiten am Erbbaurecht und am Erbbaugrundstück dinglich gesichert werden. Sofern die Überbauung mit Zustimmung des Erbbauberechtigten und des Erbbaugrundstückseigentümers geschieht, haben die Überbaudienstbarkeiten hinsichtlich der Eigentumszuordnung zwar nur deklaratorische Bedeutung (Dokumentation der erteilten Zustimmung). Konstitutive Wirkung entfalten die Dienstbarkeiten indes in Ansehung des Ausschlusses einer Überbaurente, wenn bei dem Erbbaurecht oder dem Erbbaugrundstück eine Sonderrechtsnachfolge eintreten sollte.

Gutachten/Abruf-Nr:

177139

Erscheinungsdatum:

28.08.2020

Rechtsbezug

National

Rechtsgebiete:

Sachenrecht allgemein
Erbbaurecht

Erschienen in:

DNotI-Report 2020, 129-131

Normen in Titel:

ErbbauRG § 1 Abs. 3; BGB § 912