Wirksamkeit eines Pflichtteilsverzichts gegenüber dem erstversterbenden Elternteil; Scheidung der Eltern; stillschweigende Vereinbarung einer auflösenden Bedingung
BGB § 2346
Wirksamkeit eines Pflichtteilsverzichts gegenüber dem erstversterbenden Elternteil; Scheidung der Eltern; stillschweigende Vereinbarung einer auflösenden Bedingung
I. Sachverhalt
Zwei Kinder haben gegenüber ihren Eltern formwirksam auf ihren Pflichtteil verzichtet. Darin heißt es:
„ … verzichtet hiermit unwiderruflich und vorbehaltslos gegenüber ihren Eltern auf den Tod des ersten Ehegatten auf ihr gesetzliches Pflichtteilsrecht. (…)
Durch diesen Verzicht, der auf den Pflichtteil beschränkt ist, bleibt zwar die gesetzliche Erbfolge bestehen, es steht den Eheleuten… aber frei, eine beliebige Verfügung von Todes wegen zu errichten, ohne dass für die Verzichtende oder deren Abkömmlinge daraus Pflichtteilsansprüche erwachsen können.“
Die Wirksamkeit der Pflichtteilsverzichte wird nach dem Wortlaut der Urkunden an keinerlei Bedingungen geknüpft, also nicht daran, dass der Verzichtende letztlich Schlusserbe wird oder sein Erbteil nicht durch Pflichtteilsansprüche Dritte gemindert wird.
Die Ehe der Eltern ist nun rechtskräftig geschieden worden, das Ehegattenerbrecht entfällt. Einer der Eheleute will neu testieren.
II. Fragen
1. Gilt der Pflichtteilsverzicht der Kinder gegenüber ihren Eltern nach Scheidung der Ehe fort, wenn die Erklärung keine entsprechende ausdrückliche auflösende Bedingung enthält?
2. Kann sich eine auflösende Bedingung durch Auslegung der in der Urkunde verwendeten Formulierungen oder aus dem Gesamtzusammenhang ergeben?
III. Zur Rechtslage
1. Zulässige Bedingtheit von Pflichtteilsverzichtsverträgen
Ein Pflichtteilsverzichtsvertrag (vgl.
Ein Pflichtteilsverzichtsvertrag kann demgemäß auch zulässigerweise unter der aufschiebenden bzw. auflösenden Bedingung vereinbart werden, dass er nur zugunsten eines Dritten (bspw. des Ehegatten oder der anderen Abkömmlinge) abgegeben wird (vgl. J. Mayer,
Eine Alternative zur Absicherung der Abkömmlinge durch „relativen Pflichtteilsverzicht“ besteht darin, dass die Wirksamkeit des Verzichts daran geknüpft wird, dass der Verzichtende tatsächlich auch Schlusserbe nach dem Tod beider Elternteile wird (vgl.J. Mayer,
2. Wirksamkeitsbeschränkungen im vorliegenden Fall
Im vorliegenden Fall enthält die Urkunde keine entsprechenden Einschränkungen der Wirksamkeit des Pflichtteilsverzichts.
Auch die beiden gesetzlichen Auslegungsregeln des
Allerdings ist des Weiteren anerkannt, dass beim reinen Pflichtteilsverzicht durch ausdrückliche Vereinbarung einer Bedingung der Verzicht dahingehend eingeschränkt werden kann, dass nur bestimmte Erben von der Pflichtteilslast befreit sein sollen (vgl. BeckOGK-BGB/Everts, Std.: 1.9.2021, § 2350 Rn. 3).
3. Auslegung der vorliegenden Formulierung
Auch wenn damit feststeht, dass bei einem reinen Pflichtteilsverzichtsvertrag die „Relativität“ nicht kraft Gesetzes gilt und es insoweit an einer ausdrücklichen Regelung der Urkunde fehlt, so lässt sich nicht ausschließen, dass gleichwohl eine entsprechende Bedingtheit des Pflichtteilsverzichts gewünscht war. Eine solche Bedingtheit ließe sich u. E. auch im Wege einer Auslegung der in der Urkunde verwendeten Formulierungen bzw. aus dem Gesamtzusammenhang herleiten. Zu denken wäre hieran beispielsweise dann, wenn der Pflichtteilsverzicht mit einer erbvertraglichen Regelung im Sinne der Einheitslösung verbunden war bzw. in engem zeitlichen Zusammenhang mit dem Pflichtteilsverzichtsvertrag ein gemeinschaftliches Testament zustande gekommen ist, auf das möglicherweise in dem Pflichtteilsverzichtsvertrag Bezug genommen worden ist.
Auch in der Rechtsprechung ist anerkannt, dass eine Bedingung oder Befristung des Pflichtteilsverzichts nicht ausdrücklich formuliert werden muss, sondern auch stillschweigend vereinbart worden sein kann, was sich bspw. aus einer Gesamtwürdigung der in den notariellen Verträgen von den Parteien abgegebenen Erklärungen herleiten lassen kann. So hat bspw. das OLG München (
Auch in der vorliegenden Konstellation ist es daher aus unserer Sicht auf Basis der bisherigen Rspr. nicht ausgeschlossen, die Vereinbarungen zwischen den Beteiligten dahingehend auszulegen, dass sie nur für den Fall des wirksamen Fortbestands der Ehe Bestand haben sollten. Dies gilt auch im Hinblick darauf, dass auf das gesetzliche Pflichtteilsrecht auf den Tod des ersten Ehegatten (nicht: Elternteils) verzichtet worden ist.
Im Hinblick darauf, dass die Ehegatten vorliegend zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses noch keine Verfügung von Todes wegen errichtet hatten und im Pflichtteilsverzichtsvertrag betont worden ist, dass es den Eheleuten aufgrund des Verzichts frei stehe, eine beliebige Verfügung von Todes wegen zu errichten, tendieren wir jedoch zur Annahme, dass der Pflichtteilsverzicht nicht unter bestimmten Bedingungen, insbesondere nicht der Bedingung des Fortbestands der Ehe, vereinbart werden sollte. Diese Annahme wird u. E. auch gestützt durch den Umstand, dass der Pflichtteilsverzicht explizit „vorbehaltlos“ gegenüber den Eltern erklärt worden ist.
Letztlich handelt es sich hierbei aber um eine Auslegungsfrage, die ein zur Entscheidung berufenen Gericht aufgrund tatsächlicher Feststellungen anders beurteilen könnte, so dass für die Praxis eine gewisse Rechtsunsicherheit verbleibt, solange der Verzicht nicht einvernehmlich aufgehoben wird.
186526
Erscheinungsdatum:12.11.2021
RechtsbezugNational
Rechtsgebiete:Erbverzicht
Erschienen in: Normen in Titel:BGB § 2346