03. November 2022
BGB § 2298

Rücktritt vom gegenseitigen Erbvertrag; Ausschlagung des Zugewendeten

BGB § 2298
Rücktritt vom gegenseitigen Erbvertrag; Ausschlagung des Zugewendeten

I. Sachverhalt
Zwei Schwestern haben einen Erbvertrag errichtet. Eine der Schwestern (S1) ist bereits verstorben. In dem Erbvertrag hat S1 für den Fall, dass sie ohne Hinterlassung von Abkömmlingen verstirbt, erbvertraglich bindend ihre Schwester (S2) zur Erbin eingesetzt. S2 hat in dem Erbvertrag die zwischenzeitlich vorverstorbene S1, ersatzweise deren Abkömmlinge, erbvertraglich bindend zu Erben bestimmt. Beide Schwestern haben sich im Erbvertrag ein Rücktrittsrecht vorbehalten.

Bei Tod von S1 hinterließ diese ein Kind, sodass S2 nicht Erbin geworden ist.

S2 will nun andere Personen als die ersatzweise berufenen Abkömmlinge der S1 zu Erben einsetzen.

II. Frage
Ist die Änderung der Erbfolge trotz des bindenden Erbvertrages möglich, da S2 ein Rücktrittsrecht zusteht und gemäß § 2298 Abs. 2 S. 3 BGB der Überlebende seine Verfügung durch Testament aufheben kann, wenn er das ihm Zugewendete ausschlägt?

Zu bemerken bleibt, dass im vorliegenden Fall eine Ausschlagung durch S2 (bisher) nicht erfolgt ist, da S2 aufgrund des vorhandenen Kindes von S1 nicht Erbin ihrer Schwester geworden ist.

III. Zur Rechtslage
1. Rücktrittsvorbehalt im Erbvertrag und Rücktritt bei einseitigem Erbvertrag
Der Erblasser kann sich gem. § 2293 BGB im Erbvertrag ein Rücktrittsrecht vorbehalten. Die Ausübung des Rücktrittsrechts erfolgt dann gem. § 2296 Abs. 2 BGB durch notariell beurkundete Erklärung gegenüber dem anderen Vertragsschließenden. Mit dem Tod des anderen Vertragsschließenden wird die Ausübung des Rücktrittsrechts bei einem einseitigen Erbvertrag nicht unzulässig; es ändert sich lediglich die Form. Denn § 2297 S. 1 BGB sieht vor, dass der Rücktritt nach dem Tod des anderen Vertragsschließenden durch Testament erfolgen kann. Die vorstehende Regelung gilt allerdings nur im Falle eines einseitigen Erbvertrages (vgl. BeckOGK-BGB/Müller-Engels, Std.: 1.10.2022, § 2297 Rn. 4).

2. Rücktritt im Falle eines zweiseitigen Erbvertrages
Handelt es sich dagegen um einen zweiseitigen Erbvertrag, erlischt das Rücktrittsrecht gem. § 2298 Abs. 2 S. 2 BGB mit dem Tode des anderen Vertragsschließenden. Unter einem „zweiseitigen“ Erbvertrag versteht man einen Erbvertrag, in dem jeder Teil eine oder mehrere vertragsmäßige Verfügungen von Todes wegen getroffen hat, sei es zugunsten des Vertragspartners oder zugunsten eines Dritten (vgl. Staudinger/Kanzleiter, BGB, 2019, § 2298 Rn. 1). Ein solcher Fall liegt hier vor.

Nach dem Gesetz erlischt das vorbehaltene Rücktrittsrecht ausnahmsweise dann nicht durch den Tod des Vertragspartners, wenn der überlebende, rücktrittsberechtigte Vertragspartner das ihm durch den Erbvertrag Zugewendete ausschlägt (§ 2298 Abs. 2 S. 3 BGB) oder wenn ein abweichender Wille der Vertragsteile anzunehmen ist (§ 2298 Abs. 3 BGB). Nach § 2298 Abs. 2 S. 3 BGB kann sich der überlebende Vertragsteil folglich das Rücktrittsrecht, das er sich im Erbvertrag vorbehalten hat, über den Tod des Vertragspartners hinaus erhalten, wenn er das ihm durch den Erbvertrag Zugewendete ausschlägt (vgl. §§ 1942 ff., 2180 BGB). Er kann dann – ähnlich wie beim einseitigen Erbvertrag, dort ohne Ausschlagung (vgl. § 2297 BGB) – seine vertragsmäßige Verfügung durch Testament aufheben (Staudinger/Kanzleiter, § 2298 Rn. 17).

Für den Erhalt des Rücktrittsrechts gem. § 2298 Abs. 2 S. 3 BGB genügt es, wenn der überlebende Vertragspartner dasjenige ausschlägt, was ihm „durch den Vertrag“, also in vertragsmäßigen Verfügungen zugewendet wurde; Zuwendungen in einseitigen Verfügungen muss er nicht ausschlagen (Staudinger/Kanzleiter, § 2298 Rn. 17 m. w. N.). Erforderlich ist jedoch die Ausschlagung aller vertragsmäßigen Zuwendungen (Staudinger/Kanzleiter, § 2298 Rn. 17).

Für den Fall, dass der verstorbene Vertragsteil dem Überlebenden nichts zugewendet hat, kann der Überlebende auch nichts ausschlagen; dies wird in der Literatur dahingehend interpretiert, dass der Überlebende dann die in § 2298 Abs. 2 S. 3 BGB eingeräumte Befugnis nicht ausüben kann (Grüneberg/Weidlich, BGB, 81. Aufl. 2022, § 2298 Rn. 5; Staudinger/Kanzleiter, § 2298 Rn. 17; MünchKommBGB/Musielak, 9. Aufl. 2022, § 2298 Rn. 6). Hat der Erstversterbende im Erbvertrag nur Dritte bedacht, erlischt das Rücktrittsrecht des Überlebenden daher mit dem Tod des Erstversterbenden, da es keine auszuschlagenden Verfügungen für den Überlebenden gibt, es sei denn, ein anderer Wille der Vertragsteile ist anzunehmen (Staudinger/Kanzleiter, § 2298 Rn. 17).

In diesem Zusammenhang ist eine etwaige Ausschlagung des Dritten nach h. A. im Übrigen bedeutungslos, mag dieser ausschließlich oder neben dem überlebenden Vertragsteil bedacht sein (Staudinger/Kanzleiter, § 2298 Rn. 17 m. w. N.).

3. Konsequenzen für den vorliegenden Fall
Für den vorliegenden Fall ergibt sich damit Folgendes: Wäre im Erbvertrag keine vertragsmäßige Verfügung zugunsten der S2 enthalten, gäbe es – vorbehaltlich eines abweichenden Willens der Vertragsschließenden – keine Möglichkeit mehr, die eigene vertragsmäßigeVerfügung (hier: zugunsten der ersatzweise berufenen Abkömmlinge der S1) aufzuheben. Im Erbvertrag war allerdings eine vertragsmäßige Erbeinsetzung der S2 für den Fall des Versterbens der S1 ohne Abkömmlinge enthalten. Es liegt daher eine vertragsmäßige Zuwendung zugunsten der S2 vor, die grundsätzlich auch ausgeschlagen werden kann. Dass diese (bislang) nicht zum Tragen gekommen ist, da S1 nicht ohne Abkömmlinge verstorben ist, steht der Wirksamkeit der (bedingten) Erbeinsetzung der S2 nicht entgegen, zumal die Erbeinsetzung des Kindes der S1 theoretisch nachträglich noch unwirksam werden könnte, bspw. infolge Anfechtung oder Erbunwürdigkeitsklage. Des Weiteren ist eine Ausschlagung durch S2 möglich, auch wenn S2 derzeit nicht zur Erbfolge berufen ist (und – wohlgemerkt – deswegen auch noch keine Ausschlagungsfrist angelaufen ist; vgl. § 1944 Abs. 2 S. 1, 2 BGB). Maßgeblich für die Ausschlagung ist nach dem Gesetz lediglich der Eintritt des Erbfalls (vgl. § 1946 BGB), nicht aber der Anfall der Erbschaft. Nachberufene können daher schon vor einem Wegfall des Erstberufenen für den Fall ausschlagen oder annehmen, dass ihnen die Erbschaft anfallen sollte (vgl. Grüneberg/Weidlich, § 1946 Rn. 2).

4. Ergebnis
Es liegt ein untypischer Fall des § 2298 Abs. 2 S. 3 BGB vor, weil die überlebende Schwester zwar durch vertragsmäßige Verfügung zur Erbin berufen wurde, die vertragsmäßige, lediglich bedingte Erbeinsetzung aber infolge Vorhandenseins eines eigenen Kindes der erstverstorbenen Schwester nicht zum Tragen kam. Gleichwohl dürfte S2 ihre eigene vertragsmäßige Verfügung zugunsten der Abkömmlinge der S1 durch Testament aufheben können, wenn sie ihre vertragsmäßige (bedingte) Erbeinsetzung durch S1 gegenüber dem Nachlassgericht ausschlägt. Dass die Erbschaft der S2 (bislang) nicht angefallen ist, steht der Wirksamkeit der Ausschlagung nicht entgegen (vgl. § 1946 BGB).

Gutachten/Abruf-Nr:

193603

Erscheinungsdatum:

03.11.2022

Rechtsbezug

National

Rechtsgebiete:

Erbvertrag

Erschienen in:

DNotI-Report 2022, 161-163

Normen in Titel:

BGB § 2298