29. November 2019
BGB § 2269; BGB § 2050; BGB § 5052

Ausgleichungspflichtigkeit von Zuwendungen des vorverstorbenen Ehegatten im Schlusserbfall bei Vorliegen eines gemeinschaftlichen Testaments mit Einheitslösung; Wertanordnung

BGB §§ 2050, 2052, 2269
Ausgleichungspflichtigkeit von Zuwendungen des vorverstorbenen Ehegatten im Schlusserbfall bei Vorliegen eines gemeinschaftlichen Testaments mit Einheitslösung; Wertanordnung

I. Sachverhalt
Die Ehegatten A und B haben sich gegenseitig zu Alleinerben und ihre fünf Kinder zu Schlusserben des Letztversterbenden (untereinander zu gleichen Teilen) eingesetzt. Sie beabsichtigen, zu Lebzeiten ihrem Sohn C einen Betrag von 250.000 € zur Finanzierung eines Wohnungskaufs zu schenken. C soll im Gegenzug auf seinen Pflichtteil nach seinen Eltern verzichten. Weiter wollen die Eltern anordnen, dass C den Betrag nach § 2050 BGB in voller Höhe zur Ausgleichung zu bringen hat, und zwar (erst) beim zweiten Erbfall, also nach dem Tod des Letztversterbenden der beiden. Zudem soll der zugewandte Betrag nicht inflationsbereinigt, aber mit einer Verzinsung von 2 % p. a. bei einer etwaigen Ausgleichung berücksichtigt werden, da dies in etwa der durchschnittlichen Rendite einer Wohnung entspräche.

II. Frage
Ist es bei der Anordnung einer Ausgleichung einer Zuwendung durch beide Elternteile möglich, anzuordnen, dass der Betrag in voller Höhe im Schlusserbfall zur Ausgleichung zu bringen ist und zwar mit einer bestimmten Verzinsung?

III. Zur Rechtslage
1. Sinn der Ausgleichung und grundsätzliche Voraussetzungen
Die Ausgleichungspflicht nach §§ 2050 ff. BGB soll dem mutmaßlichen Willen des Erblassers Rechnung tragen, der seinen Abkömmlingen schon zu Lebzeiten gewisse Zuwendungen gemacht hat. Das Gesetz geht davon aus, dass der Erblasser die gleichmäßige Stammeserbfolge nicht durchbrechen, sondern alle Abkömmlinge grundsätzlich gleich bedenken will. Die gesetzlich genannten lebzeitigen Zuwendungen sollen deshalb als Vorausgabe auf den künftigen Erbteil angesehen werden (Staudinger/Löhnig, BGB, 2016, § 2050 Rn. 1; Werner, DNotZ 1978, 83). Die gesetzliche Vermutung gilt an sich nur bei der gesetzlichen Erbfolge (§ 2050 Abs. 1 BGB; Palandt/Weidlich, BGB, 78. Aufl. 2019, § 2050 BGB Rn. 1), indes auch bei der Erbfolge aus Verfügung von Todes wegen, wenn die testamentarische Erbfolge die gesetzliche zumindest verhältnismäßig abbildet (vgl. § 2052 BGB).

Nach dem Gesetzeswortlaut der §§ 2052, 2050 Abs. 3 BGB wäre im vorliegenden Fall die Ausgleichungspflichtigkeit der Zuwendung durch den später erstversterbenden Ehegatten an den Sohn C zweifelhaft. Da C aufgrund der gegenseitigen Erbeinsetzung durch die Ehegatten nicht Erbe des erstversterbenden Ehegatten wird, sondern lediglich – wie regelmäßig beim sog. Berliner Testament nach § 2269 BGB – Erbe des zuletzt versterbenden Ehegatten, ist für die Zuwendung des erstversterbenden Ehegatten die vom Wortlaut der §§ 2050, 2052 BGB aufgestellte Voraussetzung („Erblasser“) nicht erfüllt.

2. Die Entwicklung der Rechtsprechung zum Erblasserbegriff bei §§ 2050, 2052, 2327 BGB
Gleichwohl sind verschiedentlich bei der Auseinandersetzung unter Miterben im Falle eines Berliner Testaments Zuwendungen des vorverstorbenen Ehegatten berücksichtigt worden. Das Reichsgericht hatte die Frage schon im Jahre 1914 für einen Fall der Gütergemeinschaft bejaht (Urt. v. 26.3.1914 – IV 686/13, LZ 1915, 1362 Nr. 19) und dabei auf die Einheitlichkeit des Vermögens der Ehegatten abgestellt. Später hat es allgemein geurteilt, dass – unabhängig von dem für die Ehegatten geltenden Güterstand – im Fall eines gemeinschaftlichen Testaments als Erblasser i. S. d. § 2052 BGB auch der zuerst verstorbene Ehegatte gelte (RG WarnR 1938 Nr. 22, S. 51, 52).

Später hat die Rechtsprechung die Frage nur noch im Zusammenhang mit Fallgestaltungen des § 2327 BGB behandeln können. Das KG (OLGZ 1974, 257, 259) ist bei Anwendung des § 2327 BGB der Linie des RG noch gefolgt: Die Anwendbarkeit des § 2327 Abs. 1 S. 1 BGB hängt aus Sicht des KG, falls die Ehegatten ein gemeinschaftliches Testament i. S. v. § 2269 BGB errichtet haben, nach dem Tode des längstlebenden Ehegatten nicht davon ab, von welchem der Ehegatten der Pflichtteilsberechtigte das Geschenk erhalten hatte. Für die Bewertung tragend ist nicht, dass es sich bei § 2052 BGB um eine Auslegungsregel handelt. Entscheidend soll vielmehr das Besondere bei der Erbfolge i. S. d. § 2269 BGB sein, dass der Schlusserbe zwar nur Erbe des Letztversterbenden wird, aber das Vermögen beider Ehegatten insofern eine Einheit darstellt, als im Nachlass des zuletzt Versterbenden – soweit noch vorhanden – auch das Vermögen des zuerst Verstorbenen enthalten ist. Diese wertungsmäßig ausschlaggebende Besonderheit liegt im Falle der Errichtung eines Berliner Testamentes auch bei § 2327 BGB vor.

Der BGH hat die Frage in seinem Urteil vom 13.7.1983 (DNotZ 1984, 497 ff.) für §§ 2050, 2052 BGB ausdrücklich offengelassen, dagegen aber im Zusammenhang mit § 2327 BGB mit ausführlicher Begründung festgestellt, dass als Erblasser im Sinne dieser Vorschrift auch im Fall eines Berliner Testaments nicht der vorverstorbene Ehegatte angesehen werden kann. Gegen die Auffassung des KG führt der BGH in seiner allein auf § 2327 BGB eingehenden Argumentation u. a. an, dass sich dessen Standpunkt als unbillige Doppelanrechnung des Geschenks auswirken kann, wenn der Pflichtteilsberechtigte nach dem Tode des Erstversterbenden von der Erhebung eines Pflichtteilsanspruches absieht, weil er sich mit dem Geschenk für ausreichend bedacht hält.

3. Das Meinungsbild in der Literatur
Ganz überwiegend befürwortet dagegen das neuere Schrifttum zu §§ 2050, 2052 BGB weiterhin den bereits vom RG hier eingeführten „erweiterten Erblasserbegriff“ (zustimmend etwa MünchKommBGB/Ann, 8. Aufl. 2020, § 2052 Rn. 2; Palandt/Weidlich, BGB, 78. Aufl. 2019, § 2052 Rn. 2; BeckOK-BGB/Lohmann, Std.: 1.11.2019, § 2052 Rn. 1; Staudinger/Löhnig, BGB, 2016, § 2052 Rn. 6; RGRK-BGB/Kregel, 12. Aufl. 1974, § 2052 Rn. 4). Die Gegenauffassung vertritt im Schrifttum zu §§ 2050, 2052 BGB im Anschluss an die eben genannte BGH-Entscheidung vor allem Rißmann (in: BeckOGK-BGB/Rißmann, Std.: 1.10.2019, § 2052 Rn. 4.5). Begrifflich könne der „Erblasser“ keine schon vor dem Erbfall verstorbene Person sein. Eine Rechtfertigung für einen hiervon abweichenden Gebrauch des Begriffs „Erblasser“ könne nicht den Vorschriften über das gemeinschaftliche Testament entnommen werden, da der Begriff dort überhaupt nicht verwendet werde. Durch die Errichtung eines gemeinschaftlichen Testaments bleibe es bei zwei Erbfällen, die getrennt zu beurteilen seien. Billigkeitserwägungen griffen gegen diesen begrifflichen Ausgangspunkt letztlich nicht durch. Denn die Erblasser hätten die Möglichkeit, durch lebzeitige Regelungen sowie solche in der letztwilligen Verfügung ein unbilliges Ergebnis zu vermeiden. Weder Wortlaut noch Entstehungsgeschichte des Gesetzes gäben für die Möglichkeit der erweiternden Auslegung etwas her.

4. Folgerungen für den Sachverhalt
Im Ergebnis bleibt zu konstatieren, dass die Rechtslage wegen der ausführlichen Gegenargumentation des BGH zu § 2327 BGB ohne weitere kautelarjuristische Maßnahmen nicht mehr als ganz eindeutig gelten kann. Nach dem Prinzip des sichersten Weges (hierzu nur Winkler, BeurkG, 19. Aufl. 2019, § 17 Rn. 210) dürfte es sich deshalb empfehlen, sich nicht auf den Fortbestand der bisherigen Rechtsprechung des RG zu §§ 2050, 2052 BGB zu verlassen, sondern explizit anzuordnen, dass der zugewendete Betrag in voller Höhe nach dem letztversterbenden Elternteil zur Ausgleichung zu bringen ist, und zwar so, als sei neben dem Letztversterbenden auch der erstverstorbene Ehegatte im Verhältnis zu C zuwendender Erblasser, wobei im Übrigen die Ausgleichungsregeln unverändert gelten. Dogmatisch noch überzeugender wäre wohl die Lösung der gesamten Gleichbehandlungsproblematik der Geschwister durch eine gesonderte Verfügung von Todes wegen mit Vermächtnisanordnung (vgl. auch Thubauville, MittRhNotK 1992, 289, 295 f. mit Formulierungsvorschlägen; s. zudem BeckOGK-BGB/Rißmann, § 2052 Rn. 6 f.)

5. Gesetzliche Durchführung der Ausgleichung und abweichende Wertbestimmung
Die Durchführung der Ausgleichung ist in § 2055 BGB geregelt. Da die Ausgleichung nur unter den Abkömmlingen stattfindet (§§ 2050 Abs. 1, 2052 BGB), ist nach Abzug der Nachlassverbindlichkeiten (§ 2046 Abs. 1 S. 1 BGB) (i.) vorab ohne Berücksichtigung der ausgleichungspflichtigen Zuwendungen aus dem real noch vorhandenen Nachlasswert der Erbteil des ggf. überlebenden Ehegatten und der ggf. sonst an der Ausgleichung nicht beteiligten Miterben zu berechnen und vorweg abzuziehen. Der verbleibende „Nettonachlass“ steht insgesamt den an der Ausgleichung beteiligten Abkömmlingen zu. Diesem Nettonachlass werden (ii.) nunmehr alle auszugleichenden lebzeitigen Zuwendungen an die Abkömmlinge insgesamt hinzugerechnet (§ 2055 Abs. 1 S. 2 BGB). Aus diesem rechnerisch erhöhten Nachlass werden (iii.) die Erbteile der an der Ausgleichung beteiligten Abkömmlinge berechnet. Von den so berechneten Erbteilen wird (iv.) bei jedem Abkömmling jeweils die von ihm individuell zur Ausgleichung zu bringende Zuwendung abgezogen (§ 2055 Abs. 1 S. 1 BGB; s. hierzu nur Palandt/Weidlich, § 2055 Rn. 2). Daraus ergibt sich der jedem Abkömmling zustehende Nachlasswert.

Die Zuwendung ist gesetzlich zum Zeitpunkt ihrer Vornahme zu bewerten (§ 2055 Abs. 2 BGB). Die Rechtsprechung nimmt jedoch an, dass zum Ausgleich des Kaufkraftschwundes ihr Wert auf den Tag des Erbfalls hochzurechnen ist. Dazu wird der Verbraucherpreisindex für Deutschland verwendet (s. etwa BeckOGK-BGB/Rißmann, § 2055 Rn. 26 ff.; Staudinger/Löhnig, § 2055 Rn. 6 ff.; Palandt/Weidlich, § 2055 Rn. 3).

Im geschilderten Sachverhalt beabsichtigen die Zuwendenden eine von den Grundsätzen der Rechtsprechung abweichende Regelung, die die eingangs genannten rechnerischen Schritte (ii.) und (iv.) betrifft, also den Hinzurechnungs- und Anrechnungsbetrag. Dieser soll nicht inflationsbereinigt, sondern stattdessen fix mit 2 % p. a. verzinst werden. Vom Gesetz abweichende Wertbestimmungen durch Erblasseranordnung sind aufgrund der Testierfreiheit möglich (s. BeckOGK-BGB/Rißmann, § 2055 Rn. 20 ff.; Palandt/Weidlich, § 2055 Rn. 3). In dieser Weise kann im vorliegenden Fall also auch hinsichtlich der Festsetzung des Anrechnungswertes vorgegangen werden. Dogmatisch wird man die Anordnung wiederum als Vermächtnis zugunsten derjenigen Miterben aufzufassen haben, die durch die Anordnung gegenüber der gesetzlichen Berechnungsweise begünstigt werden. Formal sind bei Aufnahme einer solchen Bestimmung die Vorschriften des Beurkundungsgesetzes über Verfügungen von Todes wegen (§§ 27 ff. BeurkG) zu beachten.

Inhaltliche Grenze einer solchen Wertbestimmung durch den Erblasser bildet lediglich das Pflichtteilsrecht. Der Erblasser darf durch seine Wertbestimmung weder § 2316 Abs. 3 BGB umgehen und den Pflichtteilsanspruch der übrigen Abkömmlinge verkürzen, noch darf der anzurechnende Wert so hoch sein, dass der Pflichtteilsanspruch des Abkömmlings verkürzt wird, der die Zuwendung erhalten hat (BeckOGK-BGB/Rißmann, § 2055 Rn. 21 m. w. N.). Für die Überschreitung der durch das Pflichtteilsrecht gezogenen Grenze bietet der geschilderte Sachverhalt aber keine Anhaltspunkte. Dann bleibt eine entsprechende Erblasseranordnung möglich.

Die allgemeinen Voraussetzungen für das Eingreifen der Ausgleichungsanordnung (Eintritt gesetzlicher oder einer der gesetzlich entsprechenden testamentarischen Erbfolge nach dem letztversterbenden Ehegatten gem. §§ 2052, 2050 BGB) bleiben durch die besprochene Gestaltung dagegen unverändert.

6. Ergebnis
Sicherheitshalber empfiehlt es sich, die gewollte Ausgleichung des von beiden Eltern insgesamt zugewendeten Betrages in voller Höhe nach dem letztversterbenden Elternteil ausdrücklich in der Urkunde anzuordnen. Dasselbe gilt für die gewollte Verzinsungsregelung. Zusätzlich sollte klargestellt werden, dass eine Inflationsbereinigung des zugewendeten Betrages nach den Grundsätzen der Rechtsprechung neben der Verzinsung nicht stattfinden soll.

Gutachten/Abruf-Nr:

172507

Erscheinungsdatum:

29.11.2019

Rechtsbezug

National

Rechtsgebiete:

Gemeinschaftliches Testament
Vorweggenommene Erbfolge (Ausgleichung, Anrechnung)

Erschienen in:

DNotI-Report 2019, 187-189

Normen in Titel:

BGB § 2269; BGB § 2050; BGB § 5052