22. Dezember 2022
BGB § 164; GmbHG § 35

Vollmacht zum Handeln für GmbH an Alleingesellschaftergeschäftsführer; gleichzeitiges Nebeneinander von organschaftlicher und rechtsgeschäftlicher Vertretungsmacht

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Gutachten des Deutschen Notarinstituts
Abruf-Nr.: 193175
letzte Aktualisierung: 22. Dezember 2022

GmbHG § 35; BGB §§ 164 ff.
Vollmacht zum Handeln für GmbH an Alleingesellschaftergeschäftsführer; gleichzeitiges
Nebeneinander von organschaftlicher und rechtsgeschäftlicher Vertretungsmacht

I. Sachverhalt

Der von den Beschränkungen des § 181 BGB befreite Alleingesellschaftergeschäftsführer einer
GmbH soll von der GmbH eine Bietervollmacht erhalten. Dadurch soll es dem Geschäftsführer
erspart werden, bei Gericht ständig neue Handelsregisterauszüge zum Nachweis seiner Vertretungsmacht
vorzulegen.

II. Fragen

1. Kann die GmbH ihren Geschäftsführer bevollmächtigen?

2. Ggf.: Unter welchen Bedingungen kann die GmbH ihren Geschäftsführer bevollmächtigen?

III. Zur Rechtslage

1. Gleichzeitiges Nebeneinander von organschaftlicher und rechtsgeschäftlicher Vertretungsmacht
Die GmbH kann, vertreten durch ihre Geschäftsführer, grundsätzlich ohne Weiteres rechtsgeschäftliche
Vertreter bestellen, insbesondere Prokuristen oder Handlungsbevollmächtigte
(siehe nur Scholz/U. H. Schneider/S. H. Schneider, GmbHG, 12. Aufl. 2021, § 35 Rn. 17).
Problematisch erscheint es jedoch, wenn die rechtsgeschäftliche Vertretungsmacht einem organschaftlichen
Vertreter der Gesellschaft zukommen soll. Zumindest im Ausgangspunkt
dürfte dabei das Verbot einer gleichzeitigen rechtsgeschäftlichen und organschaftlichen Vertretungsmacht
in demselben Bereich gelten. Dieses Verbot ist vom BGH zwar bisher nur
eher beiläufig angesprochen worden (NJW 1975, 1117, 1118: „Denn niemand kann in demselben
Bereich gleichzeitig gesetzliche und gewillkürte Vertretungsmacht innehaben …“), es entspricht aber der
wohl h. M. (zur GmbH: Beurskens, in: Noack/Servatius/Haas, GmbHG, 23. Aufl. 2022, § 35
Rn. 3; GroßkommGmbHG/Paefgen, 3. Aufl. 2020, § 35 Rn. 44; Scholz/U. H.
Schneider/S. H. Schneider, § 35 Rn. 17; MünchKommGmbHG/Stephan/Tieves, 3. Aufl.
2019, § 35 Rn. 92; Lenz, in: Michalski/Heidinger/Leible/J. Schmidt, GmbHG, 3. Aufl. 2017,
§ 35 Rn. 9; Henssler/Strohn/Oetker, Gesellschaftsrecht, 5. Aufl. 2021, § 35 GmbHG Rn. 47;
Rowedder/Pentz/Belz, GmbHG, 7. Aufl. 2022, § 35 Rn. 8; Altmeppen, GmbHG, 10. Aufl.
2021, § 35 Rn. 14; allg., insbes. zur Prokuraerteilung: MünchKommHGB/Krebs, 5. Aufl.
2021, § 48 Rn. 31; Roth, in: Koller/Kindler/Roth/Morck, HGB, 9. Aufl. 2019, § 48 Rn. 6;
Oetker/Schubert, HGB, 7. Aufl. 2021, § 48 Rn. 28; unklar, aber nicht problematisierend
jüngst OLG Schleswig, Urt. v. 8.6.2022 – 9 U 128/21, Rn. 44 [juris]).

Allerdings ist umstritten, ob einem lediglich gesamtvertretungsberechtigten organschaftlichen
Vertreter eine zur Einzelvertretung ermächtigende Prokura oder sonstige Vollmacht
erteilt werden darf. Insoweit lässt sich womöglich vertreten, dass Einzelvertretungsbefugnis
aufgrund rechtsgeschäftlicher Vollmacht und organschaftliche Gesamtvertretungsbefugnis
nicht in denselben Bereich fallen; der Bevollmächtigte könnte nämlich dort allein
handeln, wo er als organschaftlicher Vertreter auf die Mitwirkung eines anderen angewiesen
wäre. Eine Reihe von Stimmen spricht sich daher inzwischen für die Möglichkeit rechtsgeschäftlicher
Vollmacht in diesem Fall aus (Beurskens, § 35 Rn. 3; Altmeppen, § 35 Rn. 14;
Weber, in: Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, HGB, 4. Aufl. 2020, § 48 Rn. 20, zur
Handlungsvollmacht § 54 Rn. 4; Roth, § 48 Rn. 6; BeckOK-HGB/Meyer, Std.: 15.10.2022,
§ 48 Rn. 33; Scholz/K. Schmidt, § 46 Rn. 120; ders., Handelsrecht, 6. Aufl. 2014, § 16 Rn. 22;
Bayer, GmbHR 2021, 968 Rn. 5). Die herkömmliche Meinung lehnt dies ab: Eine solche
rechtsgeschäftliche Vollmacht sei zwar nicht funktionslos, sie wäre aber funktionswidrig, weil
auch das nur gesamtvertretungsberechtigte Organmitglied umfassend Organmitglied sei, jede
Vertretungshandlung somit organschaftlichen Pflichten unterfalle (MünchKommHGB/
Krebs, § 48 Rn. 33; abl. auch BeckOGK-HGB/Schärtl, Std.: 1.1.2022, § 48 Rn. 154.2;
Oetker/Schubert, § 48 Rn. 29). Geklärt ist die Rechtslage daher derzeit nicht. Auch Befürworter
der großzügigeren Ansicht raten von einer entsprechenden Erteilung ab
(Scholz/K. Schmidt, § 46 Rn. 120).

2. Vorliegender Fall

Vorliegend geht es um den „Grundfall“, dass sich die organschaftliche Vertretungsbefugnis
und die rechtsgeschäftliche Vollmacht der Ausübung nach decken sollen, denn der Bevollmächtigte
wäre bereits als Alleingeschäftsführer einzelvertretungsbefugt. Die Vollmacht soll
lediglich den Handelsregisterauszug ersparen. Mit der wohl h. M. wäre die Möglichkeit einer
solchen Vollmacht abzulehnen (so auch Bayer, GmbHR 2021, 968 Rn. 5 ausdr. für einzelvertretungsberechtigtes
Organmitglied einer Kapitalgesellschaft).

Abschließend geklärt erscheint die Rechtslage indes nicht. Eine entsprechende Vollmacht
wäre daher wohl nicht mit Gewissheit nichtig. Eine Belehrung über das Unwirksamkeitsrisiko
wäre bei einer Beglaubigung/Beurkundung der Vollmacht aber sicherlich empfehlenswert.

Für den beteiligten Geschäftsführer mag die Vollmacht selbst unter Berücksichtigung des
Nichtigkeitsrisikos praktisch sinnvoll sein, wenn es ihm nur um eine Nachweismöglichkeit
geht. Materiell-rechtlich würde sich seine Vertretungsbefugnis nämlich bereits aus der organschaftlichen
Stellung ergeben; eine wirksame Vollmacht wäre also zur Begründung von Vertretungsmacht
nicht erforderlich.

Gutachten/Abruf-Nr:

193175

Erscheinungsdatum:

22.12.2022

Rechtsbezug

National

Rechtsgebiete:

GmbH
Vollmacht, Genehmigung, Ermächtigung

Normen in Titel:

BGB § 164; GmbHG § 35