19. Februar 2021
BGB § 32; BGB § 58 Abs. 4

„Umwandlung“ einer Präsenzversammlung in eine virtuelle Mitgliederversammlung nach Einberufung der Präsenzversammlung; Absage und Neueinberufung

MaßnG-GesR § 5 Abs. 2; BGB §§ 32, 58 Nr. 4
„Umwandlung“ einer Präsenzversammlung in eine virtuelle Mitgliederversammlung nach Einberufung der Präsenzversammlung; Absage und Neueinberufung

I. Sachverhalt
Ein eingetragener Verein hat zu einer Mitgliederpräsenzversammlung mit satzungsmäßiger 4-Wochen-Frist geladen. Angesichts der COVID-19-Pandemie möchte der Verein nun doch keine Präsenzversammlung abhalten. Stattdessen soll die einberufene Versammlung ohne neue Einberufung als „Online-Versammlung“ i. S. d. § 5 Abs. 2 Nr. 1 MaßnG-GesR durchgeführt werden.

II. Frage
Kann die Präsenzversammlung ohne neue Einberufung als Online-Versammlung durchgeführt werden?

III. Zur Rechtslage
1. Allgemeines zur Erleichterung durch § 5 Abs. 2 u. 3 MaßnG-GesR
Durch das Gesetz über Maßnahmen im Gesellschafts-, Genossenschafts-, Vereins-, Stiftungs- und Wohnungseigentumsrecht zur Bekämpfung der Auswirkungen der COVID-19-Pandemie (BGBl. I 2020, S. 570, dort Art. 2; im Folgenden kurz: MaßnG-GesR) ist die Beschlussfassung im Verein erleichtert worden (vgl. DNotI-Report 2020, 61, 62).

Gem. § 5 Abs. 2 Nr. 1 MaßnG-GesR kann der Vorstand abweichend von § 32 Abs. 1 S. 1 BGB auch ohne statutarische Ermächtigung den Vereinsmitgliedern die elektronische Teilnahme an der Mitgliederversammlung ermöglichen, nach § 5 Abs. 2 Nr. 2 MaßnG-GesR auch die schriftliche Stimmabgabe vor der Versammlung. Diese Möglichkeiten beziehen sich auf den Fall, dass der anstehende Beschluss nach wie vor in einer Mitgliederversammlung gefasst wird, die Vereinsmitglieder dabei aber nicht zwingend physisch anwesend sind (präsenzlose Versammlung; zum Terminus „virtuelle Versammlung“ vgl. Schwenn/Blacher, npoR 2020, 154, 155).

Anders als § 1 Abs. 2 S. 1 MaßnG-GesR für die AG erlaubt es das Gesetz dem Vereinsvorstand bisher nicht ausdrücklich, das persönliche Erscheinen der Vereinsmitglieder in der Versammlung gänzlich zu untersagen. Mit Blick auf etwaige Versammlungsverbote wäre es freilich wenig praxisfreundlich, wenn die Mitglieder nicht ausschließlich auf die elektronische und schriftliche Rechtewahrnehmung verwiesen werden könnten. So scheint auch die Gesetzesbegründung die gänzlich präsenzlose („virtuelle“) Versammlung im Auge zu haben (vgl. BT-Drucks. 19/18110, S. 30), ein Konzept, das nur dann aufgeht, wenn man das physische Erscheinen der Mitglieder tatsächlich verhindern kann (für die Möglichkeit des Präsenzausschlusses i. E. Forschner, NotBZ 2020, 445, 446; wohl auch Schmidt, in: Schmidt, COVID-19, 2. Aufl. 2020, § 8 Rn. 10). Aus diesen Überlegungen folgt freilich zugleich, dass eine kombinierte oder Hybridversammlung zulässig ist, bei der sich ein Teil der Mitglieder „vor Ort“ physisch versammelt und ein anderer Teil die Mitgliedschaftsrechte in anderer Weise ausübt. Auf diese Möglichkeit weist der Gesetzgeber in der Begründung zu § 5 Abs. 2 Nr. 1 MaßnG-GesR ausdrücklich hin (BT-Drucks. 19/18110, S. 30).

Durch Art. 11 des Gesetzes zur weiteren Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens und zur Anpassung pandemiebedingter Vorschriften im Gesellschafts-, Genossenschafts-, Vereins- und Stiftungsrecht sowie im Miet- und Pachtrecht v. 22.12.2020 (BGBl. I, S. 3328; i. F. MaßnG-GesR-AnpassG) hat der Gesetzgeber § 5 Abs. 2 Nr. 1 MaßnG-GesR nun modifiziert: Ab Inkrafttreten am 28.2.2021 (Art. 14 Abs. 3 MaßnG-GesR-AnpassG) erlaubt es die Norm dem Vorstand, eine präsenzlose Mitgliederversammlung anzuordnen („kann der Vorstand … vorsehen, dass Vereinsmitglieder an der Mitgliederversammlung ohne Anwesenheit am Versammlungsort teilnehmen, und Mitgliederrechte im Wege der elektronischen Kommunikation ausüben können oder müssen, …“). Wir würden davon ausgehen, dass es sich dabei lediglich um eine Klarstellung handelt. Deshalb dürfte sich daraus kein Umkehrschluss derart ziehen lassen, dass der Ausschluss der Präsenz bisher unzulässig war.

Eine zwingend präsenzlose Beschlussfassung bringt das Verfahren nach § 5 Abs. 3 MaßnG-GesR mit sich. Diese Norm erleichtert das in § 32 Abs. 2 BGB bereits vorgesehene versammlungslose Umlaufverfahren. Im modifizierten Umlaufverfahren muss bei allseitiger Beteiligung nur mehr die Hälfte der Mitglieder ihre Stimme bis zum festgesetzten Termin in Textform (statt schriftlich) abgeben. Dies ändert freilich nichts an inhaltlichen Mehrheitserfordernissen: Die gesetzlich oder statutarisch vorgesehene Beschlussmehrheit ist zu erzielen; das Mehrheitserfordernis aus § 5 Abs. 3 MaßnG-GesR bezieht sich also letztlich nur auf die Zustimmung zur Verfahrensart (vgl. BT-Drucks. 19/18110, S. 30; Schmidt, § 8 Rn. 17).

2. „Umstellung“ der Präsenzversammlung auf virtuelle Versammlung
Die Literatur geht mehr oder weniger selbstverständlich davon aus, dass der Umstand der virtuellen Durchführung der Versammlung (im obigen Sinne) Gegenstand der Einberufung ist (vgl. Schwenn/Blacher, npoR 2020, 154, 155; Schmidt, § 8 Rn. 10, 12; zur AG Stelmaszczyk/Forschner, Der Konzern 2020, 221, 226). Mit der Ladung seien den Mitgliedern alle Informationen zu übermitteln, die sie für die elektronische Teilnahme an der Versammlung brauchten (Segna, npoR 2020, 148, 150). Die Einberufung ihrerseits folgt grundsätzlich den allgemeinen Regeln (Segna, npoR 2020, 148, 150). Insbesondere muss die Einladungsfrist eingehalten werden (Schwenn/Blacher, npoR 2020, 154, 155; Schmidt, § 8 Rn. 12).

Dass der Versammlungsmodus noch während laufender Einberufungsfrist auf die virtuelle Versammlung hin geändert werden kann, halten wir für schwer begründbar. Bzgl. der AG wird dies in der Literatur ausdrücklich abgelehnt (Stelmaszczyk/Forschner, Der Konzern 2020, 211, 226; Lieder, ZIP 2020, 837, 839; Mayer/Jenne, BB 2020, 835, 838 f.; Bücker u. a., DB 2020, 775, 777; Grigoleit/Herrler, AktG, 2. Aufl. 2020, § 118 Rn. 36g; allg. zu Einberufungsmodalitäten BeckOGK-AktG/Rieckers, Std.: 19.10.2020, § 121 Rn. 99; Grigoleit/Herrler, § 121 Rn. 41), dies wegen der signifikanten Unterschiede zwischen den Versammlungsarten und wegen der gravierenden Unterschiede in puncto Teilhabe an der Versammlung. In der Konsequenz ist daher die einberufene Versammlung abzusagen und die virtuelle Versammlung (neu) einzuberufen. So wird dies auch im Vereinsrecht für die Verlegung der einberufenen Versammlung vertreten und für die der Verlegung gleichzustellende Änderung des Versammlungsorts (Reichert/Wagner, Vereins- und Verbandsrecht, 14. Aufl. 2018, Kap. 2 Rn. 1191; zur AG Hüffer/Koch, AktG, 14. Aufl. 2020, § 121 Rn. 18).

Wenn auch die virtuelle Vereinsmitgliederversammlung mit weniger Eingriffen in versammlungsbezogene Mitgliedschaftsrechte einhergeht als bei der AG-Hauptversammlung (vgl. § 1 Abs. 2 MaßnG-GesR sowie Forschner, NotBZ 2020, 445, 447; s. aber § 1 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 u. S. 2 MaßnG-GesR i. d. F. des Art. 11 MaßnG-GesR-AnpassG), so bedeutet dennoch die Umstellung auf die virtuelle Versammlung eine gravierende Veränderung. Nicht zuletzt sind die mit der Einberufungsfrist verfolgten Zwecke zu berücksichtigen: Soweit diese Frist dem Vereinsmitglied die sachgerechte Vorbereitung auf die Versammlung ermöglichen soll (BeckOGK-BGB/Notz, Std.: 15.9.2018, § 32 Rn. 55), kann dieser Zweck durchaus gefährdet sein. Es ließe sich etwa argumentieren, dass sich Mitglieder, die sich vor dem Hintergrund der ursprünglichen Einberufung zur Nichtteilnahme an der Präsenzversammlung entschieden haben (was ihr Recht war), angesichts der modifizierten Einberufung anders entscheiden könnten (was ebenfalls ihr Recht wäre). Dann bliebe ihnen aber nicht mehr die volle Einberufungsfrist zur (inhaltlichen) Vorbereitung auf die Versammlung. Jedem Mitglied sollte aber die volle Einberufungsfrist für sämtliche Entscheidungen zustehen, die es im Zusammenhang mit der Versammlung zu treffen hat. Auch die organisatorischen Aspekte können eine Rolle spielen, etwa die zeitliche Disposition, wenngleich weniger stark als bei der physischen Versammlung, die ggf. mit Anreise und Auswärtsübernachtung verbunden ist. Als Adressat der ursprünglichen Einberufung musste das Mitglied auch nicht erwarten, dass der Versammlungsmodus umgestellt würde, sondern allenfalls mit einer Verlegung der Versammlung rechnen (vgl. Horst, MDR 2020, 543). Kurz gesagt: Jedes Vereinsmitglied muss von vornherein wissen, welche Versammlung ihm bevorsteht, damit es die durch die Einberufungsfrist gesicherten Rechte voll wahrnehmen kann. Diese Überlegungen mögen sogar dann gelten, wenn die elektronische Teilnahme nur als Zusatzoption eingeführt würde.

Konsequenz etwa einer verletzten Einberufungsfrist kann ein (evtl. rügebedürftiger) Mangel des gleichwohl in der Mitgliederversammlung gefassten Beschlusses sein (BeckOGK-BGB/Notz, § 32 Rn. 57 mit dem Hinweis, dass bei dennoch hinreichender Vorbereitungszeit eine Berufung auf den Mangel gegen § 242 BGB verstoßen kann). Die Mangelhaftigkeit solcher Beschlüsse mag aber umfassender sein, da man durchaus die Einberufung an sich in Frage stellen kann.

3. Fazit
Ein Wechsel in die virtuelle Mitgliederversammlung ohne neue Einberufung erscheint uns nicht möglich. Die Einberufung der Präsenzversammlung dürfte eine „virtuelle“, präsenzlose Mitgliederversammlung nicht abdecken.

Gutachten/Abruf-Nr:

180891

Erscheinungsdatum:

19.02.2021

Rechtsbezug

National

Rechtsgebiete:

Verein

Erschienen in:

DNotI-Report 2021, 25-27

Normen in Titel:

BGB § 32; BGB § 58 Abs. 4