30. September 2022
UmwG § 191; UmwG § 190

Grenzüberschreitender Formwechsel; identitätswahrende grenzüberschreitende Sitzverlegung; keine Vorwirkung der Umwandlungsrichtlinie

AEUV Art. 49, 54; UmwG §§ 190, 191
Grenzüberschreitender Formwechsel; identitätswahrende grenzüberschreitende Sitzverlegung; keine Vorwirkung der Umwandlungsrichtlinie

I. Sachverhalt
Eine dänische ApS will ihren Satzungs- und Verwaltungssitz von Dänemark nach Deutschland verlegen und sich identitätswahrend in eine deutsche GmbH umwandeln.

II. Fragen
1. Kann die dänische ApS ihren Satzungs- und Verwaltungssitz bei gleichzeitigem Formwechsel in eine deutsche GmbH nach Deutschland verlegen? Bleibt die Identität gewahrt?

2. Wie gestaltet sich das durchzuführende Verfahren?

III. Zur Rechtslage
1. Grenzüberschreitender Formwechsel in der EU
Die Zulässigkeit und die Einzelheiten eines grenzüberschreitenden Formwechsels und einer grenzüberschreitenden Verlegung des Satzungssitzes in der EU werden durch die Niederlassungsfreiheit der Art. 49, 54 AEUV und deren Auslegung durch den EuGH bestimmt. Der EuGH hat zur Frage der Reichweite der Niederlassungsfreiheit in Bezug auf grenzüberschreitende Umwandlungsvorgänge in den letzten Jahren mehrfach Stellung genommen.

a) Cartesio-Entscheidung
In der Rechtssache Cartesio (Urt. v. 16.12.2008 – C-210/06, NJW 2009, 569) befasste sich der EuGH zum ersten Mal mit der grenzüberschreitenden Sitzverlegung. Die Cartesio Oktató és Szolgáltató Bt war eine Gesellschaft ungarischen Rechts und hatte ihren effektiven Verwaltungssitz nach Italien verlegt. Beim ungarischen Bezirksgericht, bei dem sie eingetragen war, beantragte die Gesellschaft, die Sitzverlegung nach Italien zu bestätigen und den neuen Sitz einzutragen. Der Antrag wurde vom Bezirksgericht mit der Begründung abgelehnt, dass nach ungarischem Recht eine Sitzverlegung ins Ausland unter Beibehaltung des ungarischen Gesellschaftsstatuts nicht möglich sei. Der EuGH entschied hierzu, dass es keine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit darstelle, wenn ein Mitgliedstaat einer nach seinem Recht gegründeten Gesellschaft vorschreibe, dass sich deren effektiver Verwaltungssitz in seinem Hoheitsgebiet befinden müsse. Der Mitgliedstaat könne bestimmen, welche Anforderungen er für den Erhalt der Eigenschaft, eine Gesellschaft seines Rechts zu sein, an die Gesellschaften stelle. Die Verlegung des effektiven Verwaltungssitzes in einen anderen Mitgliedstaat könne der Mitgliedstaat einer Gesellschaft seines nationalen Rechts nur verwehren, wenn die Gesellschaft ihre Eigenschaft als Gesellschaft des Wegzugsstaates erhalten wolle. Hiervon zu unterscheiden sei der Fall, dass die Gesellschaft ihren effektiven Verwaltungssitz in einen anderen Mitgliedstaat verlegen wolle und dabei akzeptiere, dass sich das auf sie anwendbare Recht ändere. Die Niederlassungsfreiheit untersage es, dass ein Mitgliedstaat eine Gesellschaft seines Rechts unter der Sanktion ihrer Auflösung und Liquidation daran hindere, sich in eine Rechtsform eines anderen Mitgliedstaates umzuwandeln, wenn dies das dortige Recht zulasse.

b) VALE-Entscheidung
In der Entscheidung VALE (Urt. v. 12.7.2012 – C-378/10, NJW 2012, 2715) befasste sich der EuGH mit einem grenzüberschreitenden Formwechsel in Form des Hereinformwechsels. Die Gesellschaft italienischen Rechts VALE Costruzioni S.r.l. beabsichtigte, ihren Sitz und ihre Geschäftstätigkeit nach Ungarn zu verlegen. Sie beantragte daher die Löschung im italienischen Handelsregister. Das Handelsregister löschte die Eintragung und vermerkte, dass die Gesellschaft ihren Sitz nach Ungarn verlegt habe. In der Folge schloss der Geschäftsführer der VALE Costruzioni S.r.l. mit einer dritten Person den Gesellschaftsvertrag der VALE Építési Kft, einer Gesellschaft ungarischen Rechts. Nach der Kapitalaufbringung beantragte die VALE Építési Kft ihre Eintragung unter Angabe der VALE Costruzioni S.r.l. als Rechtsvorgängerin. Dies wurde jedoch mit der Begründung abgelehnt, dass eine Gesellschaft italienischen Rechts nach ungarischem Recht nicht als Rechtsvorgängerin eingetragen werden könne, weil die ungarischen Umwandlungsvorschriften nur auf innerstaatliche Sachverhalte anwendbar seien. Der EuGH bestätigte seine Sichtweise aus der Cartesio-Entscheidung auch für die Hineinumwandlung in Gestalt eines Hineinformwechsels (vgl. Kindler, EuZW 2012, 888, 890; Teichmann, DB 2012, 2085; Wicke, DStR 2012, 1756, 1758). Es sei unionsrechtswidrig, wenn ein Mitgliedstaat „zwar für inländische Gesellschaften die Möglichkeit einer Umwandlung vorsieht, aber die Umwandlung einer dem Recht eines anderen Mitgliedstaats unterliegenden Gesellschaft in eine inländische Gesellschaft mittels Gründung der letztgenannten Gesellschaft generell nicht zulässt.“ Einschränkend stellte der EuGH fest, dass der Zielstaat die für den Umwandlungsvorgang maßgeblichen Vorschriften bestimmen dürfe, solange er unter Beachtung des Äquivalenzgrundsatzes bei den geregelten Sachverhalten innerstaatliche Sachverhalte nicht besser behandle. Die Mitgliedstaaten seien jedoch nicht verpflichtet, bestimmte Umwandlungsvorgänge überhaupt in der Rechtsordnung zu ermöglichen.

c) Polbud-Entscheidung
Schließlich befasste sich der EuGH in der Polbud-Entscheidung mit einer grenzüberschreitenden Sitzverlegung, die mit einem Formwechsel einhergeht (Urt. v. 25.10.2017 – C-106/16, NJW 2017, 3639). Die polnische Polbud sp. z o.o. wollte ihren Satzungssitz nach Luxemburg verlegen und dadurch eine haftungsbeschränkte Gesellschaft luxemburgischen Rechts (S.à.r.l.) werden. Das Handelsregister in Luxemburg trug den Vorgang antragsgemäß ein, während das polnische Handelsregister die Löschung der Gesellschaft mit dem Hinweis verweigerte, diese müsse zunächst ein Liquidationsverfahren nach polnischem Recht durchlaufen. Der EuGH stellte zunächst klar, dass der Anwendungsbereich der Niederlassungsfreiheit eröffnet sei, wenn eine Gesellschaft einen grenzüberschreitenden Formwechsel mit dem Ziel anstrebe, mit der künftig dem ausländischen Recht unterliegenden Gesellschaft eine inländische Niederlassung zu betreiben (vgl. Teichmann/Knaier, GmbHR 2017, 1314, 1320). Ein grenzüberschreitender Formwechsel setzt dabei nicht zwangsläufig voraus, dass der Verwaltungssitz im Zuzugsstaat angesiedelt wird. Mit der Polbud-Entscheidung hat der EuGH die zuvor streitige Frage nach der Möglichkeit einer isolierten Satzungssitzverlegung in der EU bejaht. Der Zuzugsstaat könne jedoch vorgeben, dass die zuziehende Gesellschaft ihren Verwaltungssitz oder eine andere Art dauerhafter Anknüpfung in dessen Staatsgebiet begründen müsse. Jeder Mitgliedstaat könne entscheiden, welches Anknüpfungskriterium für eine Anwendung des eigenen Gesellschaftsrechts erfüllt sein müsse (vgl. Teichmann/Knaier, GmbHR 2017, 1314, 1318 ff.). Die vom polnischen Register vorgenommene Beschränkung der Niederlassungsfreiheit war nach Ansicht des EuGH nicht gerechtfertigt.

d) Folgerungen
Demnach schützt die Niederlassungsfreiheit eine grenzüberschreitende Umwandlung in den Formen, die das Heimatrecht eines aufnehmenden Staates zulässt (Wöhlert/Degen, GWR 2012, 432, 433 f.; Wasmeier, Grenzüberschreitende Umstrukturierung von Kapitalgesellschaften, 2014, S. 71 ff.). Mit den drei vorgenannten Entscheidungen hat der EuGH zudem die durch Art. 49, 54 AEUV ausdrücklich statuierte Gründungsfreiheit zu einer Umwandlungsfreiheit fortentwickelt (Teichmann/Knaier, GmbHR 2017, 1314, 1319 ff.). Aus der Perspektive des Umwandlungsrechts entspricht der Formwechsel funktional einem gründungsgleichen Vorgang. Der Rechtsträger bleibt zwar erhalten, im Übrigen sind aber die Gründungsvorschriften, die für seine neue Rechtsform gelten, entsprechend anzuwenden. Für die Gründung dürfen die Gründer diejenige Rechtsordnung wählen, deren Rechtsregeln ihnen am günstigsten erscheinen (EuGH GmbHR 1999, 474 Rn. 27). Dies muss auch für die spätere Umwandlung gelten (EuGH NJW 2017, 3639 Rn. 40). Daraus ergibt sich eine Freiheit der Rechtswahl im Gesellschaftsrecht, die nicht allein bei der Gründung greift, sondern auch einen nachträglichen Wechsel der gewählten Rechtsordnung ermöglicht (Teichmann/Knaier, GmbHR 2017, 1314, 1319; Kieninger, NJW 2017, 3624, 3626 f.; ähnl. Schön, ZGR 2013, 333, 353 ff.).

Ermöglichen daher Deutschland und Dänemark einen innerstaatlichen Rechtsformwechsel, so kommt es bei einem grenzüberschreitenden Formwechsel einer ApS in eine deutsche GmbH unter der Niederlassungsfreiheit der Art. 49, 54 AEUV zu einem identitätswahrenden Formwechsel. Der Rechtsträger bleibt identisch, er wechselt lediglich sein Rechtskleid. Dies bestätigt auch die bisherige Rechtsprechung der deutschen Oberlandesgerichte zu dieser Thematik (zum grenzüberscheitenden Hineinformwechsel nach Deutschland: OLG Nürnberg DNotZ 2014, 150; KG DStR 2016, 1427; OLG Düsseldorf NZG 2017, 1354; zum grenzüberschreitenden Herausformwechsel: OLG Frankfurt DNotZ 2017, 381; OLG Saarbrücken NZG 2020, 390).

2. Verfahren des grenzüberschreitenden Formwechsels
a) Vereinigungstheorie
Die Verlegung des Satzungssitzes kann grundsätzlich rechtsformwahrend erfolgen oder mit einem Formwechsel einhergehen (Schön, ZGR 2013, 333, 355 f.; Leible, ZGR 2004, 531, 553 f.). Soweit ersichtlich, gestattet derzeit jedoch kein Mitgliedstaat der EU eine Satzungssitzverlegung ins Ausland unter Wahrung der Rechtsform (Behme, Rechtsformwahrende Sitzverlegung, 2015, S. 9; Braun, Die Wegzugsfreiheit als Teil der Niederlassungsfreiheit, 2010, S. 222). Die Verlegung des Satzungssitzes innerhalb der EU geht daher stets mit einem Formwechsel einher (Janisch, Die grenzüberschreitende Sitzverlegung, 2015, S. 72; Leible, FS Roth, 2011, S. 447, 451). Bei der Durchführung des Formwechsels ist derzeit insbesondere die EuGH-Rechtsprechung zu beachten. Im Wesentlichen kommen sowohl die Rechtsordnung des Wegzugsstaates als auch die Rechtsordnung des Zuzugsstaates komplementär zur Anwendung (Bayer/J. Schmidt, ZIP 2012, 1481, 1490; Hushahn, RNotZ 2014, 137, 138). Im Rahmen dieser „Vereinigungstheorie“ sind die Rechtsordnungen jedoch nicht schlicht zu kumulieren. Vielmehr sind Vorgänge, die nur einen Mitgliedstaat allein betreffen, ausschließlich nach dessen Recht zu beurteilen (Stiegler, KSzW 2014, 107, 109; Frank, Formwechsel im Binnenmarkt, 2016, S. 160; Knaier/Pfleger, GmbHR 2017, 859). Zu einer Kombination der Rechtsordnungen kommt es lediglich, wenn die Regelungsmaterie beide Mitgliedstaaten gleichermaßen betrifft und nur einheitlich geregelt werden kann (Frank, S. 161; Knaier/Pfleger, GmbHR 2017, 859). Zum Ablauf eines grenzüberschreitenden Formwechsels existieren mittlerweile ausführliche Darstellungen und Mustersätze (etwa Stucken/Förster, in: Happ, Umwandlungsrecht, 4.06; Limmer/Knaier, in: Limmer, Handbuch der Unternehmensumwandlung, Teil 6 Rn. 270 ff.).

b) Vorwirkung
Angesichts der noch laufenden Umsetzungsfrist der Umwandlungsrichtlinie stellt sich die Frage, ob die Richtlinie Vorwirkung entfalten kann.

In diesem Zusammenhang befasste sich das OLG Saarbrücken (GmbHR 2020, 656) mit der Satzungssitzverlegung einer deutschen GmbH nach Frankreich. Die deutsche GmbH hatte nur einen Gesellschafter, keine Arbeitnehmer und keine Arbeitnehmervertretung. Der Sitz sollte von Saarbrücken nur wenige Kilometer über die Grenze an den Ort verlegt werden, an dem die Gesellschaft ohnehin ihre wirtschaftlichen Tätigkeiten ausübte. In der Bilanz waren Verbindlichkeiten von rund 2.800 € aufgeführt. Bei der Anmeldung zum deutschen Registergericht wurde versichert, dass keine Arbeitnehmer und auch keine Arbeitnehmervertretung vorhanden seien und daher Auswirkungen auf die Arbeitnehmer und ihre Interessen nicht in Frage kämen. Außerdem seien Gläubigerinteressen nicht betroffen. Auf die Abgabe eines Sitzverlegungsberichts wurde vorsorglich verzichtet und die Vorabeintragung in Saarbrücken beantragt, der dann die Eintragung in Frankreich folgen sollte. Nach Auffassung des OLG Saarbrücken reicht die ausschließliche analoge Anwendung der §§ 190 ff. UmwG nicht aus, um eventuell betroffene Interessengruppen ausreichend zu schützen. Das Gericht wandte daher ergänzend die Vorschriften für die grenzüberschreitende Verschmelzung analog an, insbesondere § 122d und § 122e UmwG.

Bemerkenswerterweise begründete das OLG Saarbrücken die Anwendung der §§ 122d, 122e UmwG insbesondere damit, dass die §§ 190 ff. UmwG konform mit der Umwandlungsrichtlinie auszulegen seien. Eine Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung nationaler Rechtsvorschriften vor Ablauf der Umsetzungsfrist wird jedoch u. E. zu Recht kritisch beurteilt (vgl. Stelmaszczyk, notar 2021, 107, 110; Heckschen, GWR 2020, 449, 451). Nach den Grundsätzen des BGH (NJW 1998, 2208) ist eine richtlinienkonforme Auslegung vor Ablauf der Umsetzungsfrist nur möglich, wenn eine nationale Rechtsvorschrift Auslegungsspielräume enthält, die durch Rückgriff auf eine inhaltlich unbedingte und hinreichend genau bestimmte Richtlinienbestimmung ausgefüllt werden können, und wenn die richtlinienkonforme Auslegung nicht dazu führt, dass den Unternehmen bereits vor der Richtlinienumsetzung Pflichten auferlegt werden, die unter der derzeit geltenden Rechtslage nicht bestehen (vgl. Stelmaszczyk, notar 2021, 107, 110; Heckschen/Stelmaszczyk, BB 2020, 1734, 1739). Eine Ausnahme ist allenfalls dann zu machen, wenn anderenfalls die Verwirklichung der Richtlinienziele endgültig vereitelt werden könnte (vgl. Wachter/Stelmaszczyk, Praxis des Handels- und Gesellschaftsrechts, 5. Aufl. 2021, § 14 Rn. 373). Mit diesen Aspekten hat sich das OLG Saarbrücken nicht auseinandergesetzt. Im Ergebnis ist daher eine Vorwirkung der Regelungen der Umwandlungsrichtlinie abzulehnen (so auch Heckschen/Stelmaszczyk, BB 2020, 1734, 1737 ff.). Daran ändert sich auch nichts dadurch, dass mittlerweile ein Referenten- und ein Regierungsentwurf für ein Gesetz zur Umsetzung der Umwandlungsrichtlinie (UmRUG) vorliegen.

Im Ergebnis kommt eine unmittelbare Anwendung der Umwandlungsrichtlinie erst nach Ablauf der Umsetzungsfrist in Betracht, sofern bis dahin das UmRUG nicht in Kraft getreten sein sollte. Selbst danach muss aber für jede Regelung der Umwandlungsrichtlinie, die angewendet werden soll, einzeln geprüft werden, ob sie hinreichend bestimmt und inhaltlich unbedingt ist.

3. Ergebnis
Bei einer grenzüberschreitenden Verlegung des Satzungssitzes einer dänischen ApS nach Deutschland unter gleichzeitigem Wechsel der Rechtsform in eine deutsche GmbH wechselt die Identität des Rechtsträgers nicht. Der Rechtsformwechsel vollzieht sich nach den unionsrechtlichen Vorgaben identitätswahrend. Für das Verfahren sind die innerstaatlichen Regelungen über den grenzüberschreitenden Formwechsel kombiniert anzuwenden, soweit keine nationalen Regeln über den grenzüberschreitenden Formwechsel bestehen. Eine Vorwirkung der Umwandlungsrichtlinie, die Regeln für den grenzüberschreitenden Formwechsel vorsieht, scheidet derzeit aus. Insofern ist die Umsetzung im Rahmen des UmRUG abzuwarten.

Gutachten/Abruf-Nr:

193008

Erscheinungsdatum:

30.09.2022

Rechtsbezug

National

Rechtsgebiete:

Umwandlungsrecht

Erschienen in:

DNotI-Report 2022, 145-148

Normen in Titel:

UmwG § 191; UmwG § 190