15. Mai 2020
UmwG § 13 Abs. 1; GenG § 43

Elektronische Teilnahme an einer Generalversammlung; virtuelle Generalversammlung; Präsenzgebot

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Gutachten des Deutschen Notarinstituts
Abruf-Nr.: 177537
letzte Aktualisierung: 15. Mai 2020

Bitte beachten Sie zur Thematik auch die Entscheidung des OLG Karlsruhe (Beschl. v. 26.3.2021 – 1 W 4/21 (Wx), BeckRS 2021, 9260 – nicht rechtskräftig, Rechtsbeschwerde anhängig beim BGH unter Az. II ZB 7/21).

GenG § 43; MaßnG-GesR § 3; UmwG § 13 Abs. 1 S. 2
Elektronische Teilnahme an einer Generalversammlung; virtuelle Generalversammlung;
Präsenzgebot

I. Sachverhalt und Frage

Ist insbesondere vor dem Hintergrund des § 13 Abs. 1 S. 2 UmwG eine „virtuelle Generalversammlung“
bzw. elektronische Teilnahme nach § 3 Abs. 1 MaßnG-GesR im Falle der Verschmelzung
von zwei Genossenschaften zulässig?

II. Zur Rechtslage

1. Vorbemerkung

Am 25.3.2020 hat der Bundestag ein umfangreiches Maßnahmenpaket beschlossen, um die
Folgen der COVID-19-Pandemie abzumildern. Am 27.3.2020 wurden die entsprechenden
Gesetze nach Zustimmung durch den Bundesrat im Bundesgesetzblatt verkündet. Ziel des
gesamten Maßnahmenpakets ist es, die Handlungsfähigkeit der Gesellschaften zu erhalten,
auch wenn die Möglichkeiten zur Durchführung von Präsenzversammlungen eingeschränkt
sind. Von Interesse für die notarielle Praxis sind vor allem das Gesetz zur Abmilderung der
Folgen der COVID-19-Pandemie im Zivil-, Insolvenz- und Strafverfahrensrecht
(COVID-19-G, BGBl. I vom 27.3.2020, S. 569) und das Gesetz zur Errichtung eines Wirtschaftsstabilisierungsfonds
(WStFG, BGBl. I vom 27.3.2020, S. 543). Das COVID-19-G
enthält in Art. 2 das für die notarielle Praxis besonders relevante Gesetz über Maßnahmen
im Gesellschafts-, Genossenschafts-, Vereins-, Stiftungs- und Wohnungseigentumsrecht zur
Bekämpfung der Auswirkungen der COVID-19-Pandemie (im Folgenden kurz: MaßnGGesR).

Zu den gesellschaftsrechtlichen/genossenschaftsrechtlichen Modifizierungen aufgrund des
MaßnG-GesR fehlt es noch nahezu völlig an erläuternder Literatur oder praktischen Erkenntnissen.

Vor diesem Hintergrund bitten wir zu berücksichtigen, dass diesbezügliche
Einschätzungen nur sehr eingeschränkt möglich sind und unter dem Vorbehalt weiterer
Rechtsentwicklung stehen.

2. Modifikation des GenG durch das MaßnG-GesR

Gem. § 3 Abs. 1 MaßnG-GesR können Beschlüsse der Mitglieder in Abweichung von § 43
Abs. 7 S. 1 GenG auch dann schriftlich oder elektronisch gefasst werden, wenn dies in der
Satzung nicht ausdrücklich zugelassen ist. § 43 Abs. 7 S. 1 GenG wird also dahingehend
modifiziert, dass es für die elektronische oder schriftliche Beschlussfassung keiner Satzungsgrundlage
mehr bedarf. Im Übrigen werden die Modalitäten des § 43 Abs. 7 S. 1
GenG nicht erweitert oder modifiziert (im Gegensatz bspw. zur Aktiengesellschaft). Es
stellt sich also die Frage, ob schon unter dem jetzigen § 43 Abs. 7 S. 1 GenG eine
elektronische Teilnahme an einer Generalversammlung möglich ist. Dies wird in der
Literatur unterschiedlich bewertet. Nach einer Auffassung soll eine elektronische Teilnahme
an einer Generalversammlung nicht möglich sein (Henssler/Strohn/Geibel, GesR, 4. Aufl.
2019, § 43 GenG Rn. 6; Pöhlmann/Fandrich/Bloehs/Fandrich, GenG, 4. Aufl. 2012, § 43
Rn. 60). Nach wohl überwiegender Auffassung – die u. E. überzeugen kann – ist die Abhaltung
einer Generalversammlung unter elektronischer Teilnahme der Mitglieder bereits
jetzt möglich (Beck, RNotZ 2014, 160, 167; Geschwandtner/Helios, NZG 2006, 691, 692;
Lang/Weidmüller/Holthaus/Lehnhoff, GenG, 39. Aufl. 2018, § 43 Rn. 114b; Bauer,
Genossenschaftshandbuch, Lfg. 3/13 – VII.13, § 43 Rn. 206). Diese Auffassung kann sich
maßgeblich auf die Gesetzgebungsmaterialien zu § 43 Abs. 7 S. 1 GenG stützten. Dort
heißt es wörtlich:

„Mit dem neuen Abs. 7 wird in S. 1 die Regelung des Art. 58
Abs. 4 der SCE-Verordnung aufgegriffen. Danach können
künftig Beschlüsse der Generalversammlung auch schriftlich oder
elektronisch gefasst werden, sofern die Satzung dies vorsieht. Sie
muss durch ein entsprechendes Regelwerk sicherstellen, dass die
Rechte aller Mitglieder gewahrt bleiben und die Ordnungsmäßigkeit
der Stimmabgabe gewährleistet ist. Unter diesen
Voraussetzungen ist auch die Durchführung einer virtuellen
Generalversammlung per Internet denkbar; in der Praxis wird
dies aber derzeit nur in seltenen Ausnahmefällen, z. B. bei einer
Genossenschaft aus dem IT-Bereich, in Betracht kommen.“

(BT-Drucks. 16/1025, S. 87)

Dieser eindeutige gesetzgeberische Wille wird in der Literatur teilweise deswegen als unbeachtlich
angesehen, weil der Gesetzeswortlaut des § 43 Abs. 7 S. 1 GenG lediglich von der
Beschlussfassung spricht, nicht aber von der elektronischen Teilnahme, wie bspw. § 118
Abs. 1 S. 2 AktG (Pöhlmann/Fandrich/Bloehs/Fandrich, § 43 Rn. 60). Diese Argumentation
kann u. E. jedoch nicht überzeugen. Der Wortlaut der Norm ist mit „elektronische
Form“ denkbar weit gefasst. Hierunter lässt sich auch die elektronische Abstimmung im
Rahmen einer Präsenzversammlung fassen, auch wenn diese Möglichkeit bspw. in § 118
Abs. 1 S. 2 AktG differenzierter und deutlicher zum Ausdruck kommt. Der Wortlaut der
Norm („elektronische Form“) geht auf den Wortlaut der Art. 58 Abs. 4 SCE-Verordnung
zurück (EU VO 1435/2003). Dieser Wortlaut wurde in das Genossenschaftsgesetz übernommen.

Ein Präjudiz dahingehend, dass der Gesetzgeber hier nur die Beschlussfassung im
Rahmen eines schriftlichen/elektronischen Umlaufverfahrens regeln wollte, halten wir für
eher fernliegend. Deutlich wird dies auch durch einen Vergleich mit der englischen Fassung
der SCE-Verordnung. Dort heist es in Art. 58 Abs. 4 „The statutes may permit postal voting or
electronic voting in which case they shall lay down the necessary procedures“. Hieraus wurde in der
deutschen Fassung der Richtlinie „Abstimmungen auf schriftlichem Wege oder in
elektronischer Form“.

Zusammenfassend halten wir deshalb schon nach dem jetzigen § 43 Abs. 7 S. 1 GenG die
elektronische Teilnahme an einer Generalversammlung ebenso für zulässig wie die vor-
herige Abstimmung im Rahmen einer schriftlichen Stimmabgabe (Briefwahl). Dass der Gesetzgeber
dies im Rahmen des § 3 MaßnG-GesR nicht nochmal explizit klargestellt hat, hindert
u. E. eine solche Interpretation nicht.

3. Verhältnis zu § 13 Abs. 1 S. 2 UmwG

Gem. § 13 Abs. 1 S. 2 UmwG kann der Beschluss zur Zustimmung zu einer Verschmelzung
nur in einer Versammlung der Anteilsinhaber gefasst werden. Es herrscht sog. Versammlungszwang
(BeckOGK-UmwG/Rieckers/Cloppenburg, Std.: 1.7.2019, § 13 Rn. 40). Eine
Beschlussfassung im Umlaufverfahren durch Beurkundung sämtlicher Einzelstimmen
scheidet schon aus diesem Grund aus.

Versteht man die „schriftliche“ und „elektronische“ Beschlussfassung in Übereinstimmung
mit dem Wortlaut der SCE-Verordnung nicht als schriftliches Umlaufverfahren, sondern als
schriftliche Stimmabgabe i. S. e. Briefwahl/elektronischer Teilnahme, so dürfte dies nicht
gegen § 13 Abs. 1 S. 2 UmwG verstoßen. Eine solche schriftliche Stimmabgabe im Vorfeld
einer Versammlung, bei der die Stimme in der Versammlung gezählt und durch den Versammlungsleiter
festgestellt wird, ist bereits jetzt bei der AG möglich und verstößt nach
h. M. auch nicht gegen § 13 Abs. 1 S. 2 UmwG (BeckOGKUmwG/
Rieckers/Cloppenburg, § 13 Rn. 42; Semler/Stengel/Gehling, UmwG, 4. Aufl.
2017, § 13 Rn. 14; MHdB-GesR/Ghassemi-Tabar, Band 8, 5. Aufl. 2018, § 11 Rn. 13;
Schöne/Arens, WM 2012, 381, 387; einschränkend nur auf die AG Lutter/Drygala, UmwG,
6. Aufl. 2019, § 13 Rn. 12). Um dem Formerfordernis des § 13 Abs. 3 S. 1 UmwG gerecht
zu werden, müsste also jedenfalls – analog zur Protokollierung der Versammlung einer
Aktiengesellschaft – ein notarielles Protokoll über die Versammlung unter Anwesenheit des
Versammlungsleiters und des Notars erstellt werden.

U. E. genügt entsprechend eine nach § 3 MaßnG-GesR i. V. m. § 43 Abs. 7 S. 1 GenG
durchgeführte Versammlung den Anforderungen des § 13 Abs. 1 S. 2 UmwG, wenn
zumindest Notar und Versammlungsleiter vor Ort anwesend sind. Zwar hat das OLG
Hamm für die Mitgliederversammlung eines eingetragenen Vereins entschieden, dass auch
beim Verein, der in seiner Satzung eine virtuelle Teilnahme an der Mitgliederversammlung
vorsieht, im Falle von Umwandlungsbeschlüssen eine physische Präsenz erforderlich ist
(OLG Hamm NJW 2012, 940, 941). Diese Rechtsprechung ist jedoch u. E. durch die
aktuellen gesetzgeberischen Maßnahmen überholt. Denn ebenso wie für die AG anerkannt
ist, dass die Abstimmung mittels Briefwahl oder elektronischer Teilnahme bei gleichzeitiger
Durchführung einer Versammlung nicht gegen § 13 Abs. 1 S. 2 UmwG verstößt (vgl. oben),
muss dies bei entsprechender gesetzlicher Grundlage auch bei der Genossenschaft gelten.

Denn § 13 Abs. 1 S. 2 UmwG fordert nach seinem Wortlaut her die Durchführung einer
Versammlung, aber nicht zwingend physische Präsenz. § 3 MaßnG-GesR verweist aber
gerade auf § 43 Abs. 7 S. 1 GenG verwiesen, der die die Modalitäten der Abhaltung einer
Generalversammlung betrifft.

Sinn und Zweck des § 13 Abs. 1 S. 2 UmwG ist zwar, dass den Anteilsinhabern ermöglicht
wird, sich über den Verschmelzungsvertrag auszutauschen und ihn gegebenenfalls mit der
Verwaltung zu diskutieren (BeckOGK-UmwG/Rieckers/Cloppenburg, Std.: 1.7.2019, § 13
Rn. 40). Bereits vor Inkrafttreten des MaßnG-GesR war jedoch anerkannt, dass es sich
hierbei nicht zwingend um eine Präsenzversammlung handeln muss, wenn dies nicht nach
den gesetzlichen Bestimmungen für die jeweilige Rechtsform erforderlich ist
(Henssler/Strohn/Heidinger, § 13 UmwG Rn. 11). In den Fällen, in denen Satzung oder
Gesetz es zulassen (wie bspw. bei der AG in § 118 Abs. 1 S. 2 AktG) war also auch bisher
schon keine körperliche Präsenz erforderlich. Mit dem MaßnG-GesR wird der Kreis der
Rechtsformen erweitert, bei denen eine elektronische Teilnahme zugelassen werden soll, so
dass diese Form der Versammlung auch den Anforderungen des § 13 Abs. 1 S. 2 UmwG
genügen muss. Eine andere Interpretation würde offensichtlich dem Willen des Gesetzgebers
widersprechen, der auch im Rahmen der COVID-19-Pandemie die Handlungsfähigkeit
der Gesellschaften sicherstellen wollte. Ein gesetzgeberischer Wille dahingehend,
dass die Erleichterungen für umwandlungsrechtliche Maßnahmen nicht gelten sollen, lässt
sich nicht feststellen.

4. Fazit

Wir halten eine elektronische Teilnahme oder eine Abstimmung im Vorfeld per Briefwahl
bereits unter dem jetzigen § 43 Abs. 7 S. 1 GenG für zulässig. § 3 Abs. 1 MaßnG-GesR
modifiziert dieses Verfahren lediglich dahingehend, dass keine Satzungsgrundlage erforderlich
ist. Den Anforderungen des § 13 Abs. 1 S. 2 UmwG kann u. E. dadurch genüge getan
werden, dass eine Versammlung unter Präsenz des Versammlungsleiters und des Notars abgehalten
wird und die Mitglieder elektronisch zugeschaltet werden oder per Briefwahl ihre
Stimme im Vorfeld der Versammlung abgeben. Aufgrund der bestehenden Rechtsunsicherheit
unter der Neuregelung des § 3 MaßnG-GesR empfiehlt sich ggf. vorab eine Abstimmung
mit dem Registergericht, ob es diese Rechtsauffassung teilt.

Gutachten/Abruf-Nr:

177537

Erscheinungsdatum:

15.05.2020

Rechtsbezug

National

Normen in Titel:

UmwG § 13 Abs. 1; GenG § 43