18. Oktober 2021
BGB § 470; BGB § 463

Übertragung eines Grundstücks zur Abfindung eines Pflichtteilsanspruchs; Vorkaufsrecht

BGB §§ 463, 470
Übertragung eines Grundstücks zur Abfindung eines Pflichtteilsanspruchs; Vorkaufsrecht

I. Sachverhalt
In einem Grundbuch sind außer einem Erbbaurecht auch ein Vorkaufsrecht für alle Verkaufsfälle für den Erbbauberechtigten eingetragen. Der Eigentümer des Stammgrundstücks möchte das Grundstück an eines seiner Kinder übertragen, und zwar als Teilabfindung für einen bislang noch nicht geltend gemachten, nach dem Tode des anderen Elternteils aber bereits entstandenen Pflichtteilsanspruch dieses Kindes.

II. Frage
Besteht ein Vorkaufsrecht trotz § 470 BGB auch dann, wenn das Vertragsgrundstück nicht durch Verkauf an einen Dritten, sondern nach dem Tode des Vaters von der Mutter an ein Kind zur Abfindung für einen entstandenen, aber noch nicht geltend gemachten Pflichtteilsanspruch des Kindes übertragen wird?

III. Zur Rechtslage
Grundsätzlich ist für die Auslösung eines schuldrechtlichen wie dinglichen Vorkaufsrechts das Vorliegen eines Vorkaufsfalls erforderlich. Hierzu muss zwischen den Parteien ein Kaufvertrag zustande kommen. Auch ein Grundstückskaufvertrag, der als Gegenleistung keine klassische Kaufpreiszahlung, sondern die Vereinbarung anderer Zahlungsverpflichtungen vorsieht, kann einen Vorkaufsfall i. S. d. §§ 1094, 1098, 463 ff. BGB begründen.

1. Dogmatische Einordnung der Erfüllung eines Pflichtteilsanspruchs
Zunächst ist – aus Perspektive des Pflichtteilsrechts betrachtet – der Anspruch des Pflichtteilsberechtigten auf Geld gerichtet (BGH NJW 1958, 1964, 1965; BeckOGK-BGB/Obergfell, Std.: 1.7.2021, § 2303 Rn. 41). Die Übertragung eines Grundstücks ist folglich nicht die Erfüllung des Pflichtteilsanspruchs, sondern eine Leistung an Erfüllungs statt (vgl. hierzu Gutachten DNotI-Report 2012, 70, 71; Lohr/Otto, in: Schlitt/Müller, Handbuch Pflichtteilsrecht, 2. Aufl. 2017, § 12 Rn. 146). Mithin verhält es sich nicht so, dass durch den Vertrag zwischen Erbin und Pflichtteilsberechtigten ein vertragliches Schuldverhältnis begründet wird. Vielmehr dient das dingliche Rechtsgeschäft nach §§ 873, 925 BGB lediglich der Erfüllung eines bereits bestehenden gesetzlichen Schuldverhältnisses zwischen Erbin und Pflichtteilsberechtigten (zur dahingehenden Klassifizierung: BeckOGK-BGB/Obergfell, § 2303 Rn. 41).

2. Erfüllung eines Pflichtteilsanspruchs mit Grundstücksübereignung als Vorkaufsfall?
In der Literatur wird ein Vorkaufsfall auch dann angenommen, wenn der Vorkaufsverpflichtete den Vorkaufsgegenstand zur Erfüllung einer dem Dritten gegenüber bestehenden Geldschuld an Zahlungs statt hingibt (sog. kaufähnlicher Vertrag; BeckOGK-BGB/Daum, Std.: 1.10.2020, § 463 Rn. 61; Staudinger/Schermaier, BGB, 2013, § 463 Rn. 20; Soergel/Wertenbruch, BGB, 2009, § 463 Rn. 48; Schurig, Das Vorkaufsrecht im Privatrecht, 1975, S. 136; Burbulla, Der Vorkaufsfall im Zivilrecht, 2006, S. 41).

Dies vertritt ausdrücklich auch Falkner bzgl. der Möglichkeit eines Vorkaufsfalls bei Grundstückshingabe zur Leistung an Erfüllungs statt eines Pflichtteilsanspruchs, wenn der Wert des Grundstücks dem Pflichtteilsanspruch entspricht (Falkner, MittBayNot 2016, 378, 385): „In der Grundstückshingabe in Erfüllung eines bereits entstande­nen Pflichtteilsanspruches nach dem Tod des Erblassers (§ 364 Abs. 1 BGB) könnte man eine der Aufrechnung vergleichbare Sachverhaltslage erblicken. Hier wird man darauf abstellen müssen, ob der Vereinbarung zugleich ein Vergleich (§ 779 BGB) innewohnt und die Beteiligten auf eine genaue Ermittlung der Anspruchshöhe als möglichen Kaufpreis und als Aufrechnungsgröße bewusst verzichtet haben. Dies wird häufig, auch bei einer Grundstücksübertragung als Abfindung für sonstige bestehende Ansprüche (zum Beispiel Zugewinnausgleich), der Fall sein. Nur bei genauer monetärer Bemessung (Aufrechnungssachverhalt) ist ein Vorkaufsfall nach § 463 BGB gegeben.“

3. Stellungnahme und Ergebnis
Diese Erwägungen der herrschenden Meinung in der Literatur überzeugen nicht. Sie vermengen die Ebene des Verpflichtungsgeschäfts mit der Ebene der Erfüllung dieser Verpflichtung. Vielmehr muss für die Frage der Kaufähnlichkeit eines Vertrags und damit das Vorliegen eines Vorkaufsfalls eine Kontrollüberlegung ange­stellt werden: Kann der Vor­kaufsberechtigte die vom Dritten geschuldete Leistung gleichermaßen wie dieser erbringen (zu diesem Gedanken: OLG Frankfurt a. M. NJW 1996, 935; BeckOGK-BGB/Daum, § 463 Rn. 60, der dies aber wohl ausschließlich auf den Tausch beschränkt wissen will)? Nur in einem solchen Fall wird man von einer Kaufähnlichkeit des Rechtsgeschäfts ausgehen können, wenn nicht gerade durch die Wahl der Gegenleistung ein Umgehungsgeschäft konstruiert werden soll.

Wir würden im vorliegenden Sachverhalt die Pflichtteilsabfindung daher nicht als Vorkaufsfall einstufen. Zum einen erbringt der Dritte (= hier der Pflichtteilsberechtigte) gar keine Gegenleistung. Das Schuldverhältnis zwischen Erbin und Pflichtteilsberechtigten verpflichtet Erstere einseitig. Schon deswegen kann mangels Synallagmas nicht von einer Kaufähnlichkeit ausgegangen werden.

Zum anderen ist Wesensmerkmal eines Kaufvertrags das Vorliegen beiderseits übereinstimmender Willenserklärungen. Auch das ist beim gesetzlichen Schuldverhältnis des Pflichtteils nicht gegeben; denn der Anspruch des Pflichtteilsberechtigten basiert auf § 2303 BGB, also auf Gesetz und nicht auf Vertrag. Für die Abrede über die Leistung an Erfüllungs statt ist anerkannt, dass sie kein neues Schuldverhältnis begründen, sondern nur die bestehende Schuld zum Erlöschen bringen soll (BeckOGK-BGB/Looschelders, Std.: 1.9.2020, § 364 Rn. 12; MünchKommBGB/Fetzer, 8. Aufl. 2019, § 364 Rn. 1). Auch deswegen würden wir eine Kaufähnlichkeit verneinen.

Freilich kann angesichts der wenig differenzierenden (allerdings absolut herrschenden) Literaturmeinung nicht ausgeschlossen werden, dass ein Gericht auch in einem solchen Fall ein Vorkaufsrecht annimmt. Dem Gebot des sichersten Weges folgend wird man vorliegend einen Vorkaufsfall daher nicht ausschließen können.

Gutachten/Abruf-Nr:

180690

Erscheinungsdatum:

18.10.2021

Rechtsbezug

National

Rechtsgebiete:

Vorkaufsrecht schuldrechtlich, Wiederkauf

Erschienen in:

DNotI-Report 2021, 156-157

Normen in Titel:

BGB § 470; BGB § 463