03. November 2022
ErbbauRG § 30

Vorausverzicht des Eigentümers auf das Kündigungsrecht eines Mietvertrages bei Ablauf des Erbbaurechts

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Gutachten des Deutschen Notarinstituts
Abruf-Nr.: 192399
letzte Aktualisierung: 3. November 2022

ErbbauRG § 30
Vorausverzicht des Eigentümers auf das Kündigungsrecht eines Mietvertrages bei Ablauf
des Erbbaurechts

I. Sachverhalt
Ein Erbbaurecht ist noch für sechs Jahre bestellt und erlischt danach aufgrund Zeitablaufs. Der
Erbbauberechtigte möchte über das Gebäude ein gewerbliches Mietverhältnis mit einer Laufzeit
von fünf Jahren abschließen. Der Mietvertrag soll auf Wunsch des Mieters eine Verlängerungsoption
um weitere fünf Jahre enthalten.

II. Frage
Wäre eine schon jetzt abgegebene Erklärung des Grundstückseigentümers, mit der er für den Fall
der Ausübung der Verlängerungsoption ausdrücklich auf sein späteres Kündigungsrecht nach § 30
ErbbauRG verzichtet, wirksam?

III. Zur Rechtslage
1. § 30 ErbbauRG regelt in Nachbildung insb. des § 1056 BGB das Schicksal noch laufender
Miet- und Pachtverhältnisse, die der Erbbauberechtigte mit einem Dritten begründet hat
(Börstinghaus/Pöpel, Kündigungs-Handbuch, 1. Aufl. 2021, Kap. 13 Rn. 36). Demnach ist
der Grundstückseigentümer, soweit das Erbbaurecht durch Zeitablauf erlischt, gem. § 30
Abs. 2 S. 1 ErbbauRG berechtigt, das Miet- oder Pachtverhältnis unter Einhaltung der gesetzlichen
Frist zu kündigen.

2. Fraglich ist im vorliegenden Sachverhalt nunmehr, ob der Eigentümer zu Kündigung auch
berechtigt ist, wenn er gegenüber dem Mieter bereits zum heutigen Tage ausdrücklich einen
Verzicht auf sein Kündigungsrecht nach § 30 Abs. 2 ErbbauRG erklärt. Im Ausgangspunkt
ist hierbei zu berücksichtigen, dass sich § 30 ErbbauRG zu dieser Fragestellung nicht ausdrücklich
verhält und uns insb. auch keine entsprechende Rechtsprechung bekannt ist.
Allerdings ist darauf hinzuweisen, dass im Hinblick auf die Parallelvorschrift des § 1056
Abs. 2 BGB trotz des grds. zwingenden Charakters der Norm in der Literatur eine Ausnahme
für den Fall angenommen wird, dass der Grundstückseigentümer selbst rechtsgeschäftlich
an den betreffenden Vertrag gebunden ist (vgl. nur BeckOGKBGB/
Servatius, Std.: 1.5.2022, § 1056 Rn. 74; Grüneberg/Herrler, BGB, 81. Aufl. 2022,
§ 1056 Rn. 2; Börstinghaus/Pöpel, Kap. 13 Rn. 40). Auch der BGH führte insofern aus (NZM
2012, 558 Rn. 13):

„Nach der Rechtsprechung des BGH, von der auch das BerGer.
im Ansatz zutreffend ausgeht, ist dem Eigentümer jedoch nach
Treu und Glauben eine Kündigung nach § 1056 II BGB verwehrt,
wenn er unabhängig von § 1056 I BGB persönlich an den Mietvertrag
gebunden ist, beispielsweise, wenn er ihn vor der Bewilligung
des Nießbrauchs noch als Eigentümer selbst abgeschlossen
hatte, wenn er dem Mietvertrag beigetreten oder wenn er Alleinerbe
des Vermieters geworden ist […]. In einem solchen Fall muss
sich der Eigentümer an einer vereinbarten bestimmten Laufzeit des
Mietvertrags oder einer sonstigen Erschwerung der ordentlichen
Kündigung festhalten lassen, denn anderenfalls würde die den
Schutz des Mieters bezweckende Vorschrift des § 1056 BGB in ihr
Gegenteil verkehrt […].“

3. Vor diesem Hintergrund erscheint es naheliegend, auch im Rahmen der Parallelvorschrift des
§ 30 Abs. 2 ErbbauRG davon auszugehen, dass dem Grundstückseigentümer ein Kündigungsrecht
nicht zusteht, wenn er persönlich an den entsprechenden Vertrag gebunden
ist. Insofern formuliert auch Pöpel (Börstinghaus/Pöpel, Kap. 13 Rn. 41):

„Gleiches muss nach diesseitiger Auffassung auch bei § 30 Abs. 2
ErbbauRG gelten. Wenn also der Grundstückseigentümer persönlich
an den vom Erbbauberechtigten mit dem Mieter geschlossenen
Vertrag gebunden ist, sei es weil er den Vertrag vor
Begründung des Erbbaurechts selbst abgeschlossen hat, dem Mietvertrag
beigetreten ist oder Alleinerbe des Erbbauberechtigten geworden
ist, ist dem Grundstückseigentümer aus Treu und Glauben
der Ausspruch der Kündigung gemäß § 30 Abs. 2 ErbbauRG zu
versagen.“

Im Hinblick auf den vorliegenden Sachverhalt dürfte es dabei u. E. im Grundsatz auch
keinen Unterschied machen, ob der Eigentümer dem Mietvertrag bereits vorab umfänglich
beigetreten ist oder insofern nur den Verzicht auf das Kündigungsrecht des § 30 Abs. 2
ErbbauRG erklärt hat. Dabei ist zum einen zu berücksichtigen, dass der einseitige Verzicht
auf Gestaltungsrechte grds. zulässig ist (vgl. nur BeckOGK-BGB/Wolber, Std.: 1.10.2022,
§ 397 Rn. 21). Zum anderen dürfte auch der Umstand, dass es sich bei dem Kündigungsrecht
erst um ein künftig (etwaig) entstehendes Gestaltungsrecht handelt, zu keiner anderen Beurteilung
führen. Denn im Grundsatz dürfte auch ein sog. Vorausverzicht bzgl. Gestaltungsrechte
und/oder Einreden möglich sein (vgl. bspw. im Hinblick auf die Einrede der Verjährung
BeckOGK-BGB/Wolber, § 397 Rn. 21). Hierfür spricht wertungsmäßig, dass auch
der Erlass künftiger Forderungen grds. für zulässig angesehen wird (vgl. m. w. N.
Soergel/Schreiber, BGB, 13. Aufl. 1999, § 397 Rn. 6; BeckOGK-BGB/Wolber, § 397
Rn. 33); dies soll jedenfalls dann gelten, wenn die zu erlassende künftige Forderung insb. hinreichend
bestimmbar ist (vgl. m. w. N. BeckOK-BGB/Dennhardt, 63. Ed. Std.: 1.8.2022,
§ 397 Rn. 6; BeckOGK-BGB/Wolber, § 397 Rn. 33). Insofern dürfte – die hinreichende Bestimmbarkeit
bei lebensnaher Betrachtung unterstellt – im Hinblick auf den vorliegenden
Sachverhalt auch ein Vorausverzicht auf ein aufgrund Erlöschens des Erbbaurechts dem
Eigentümer nach § 30 Abs. 2 ErbbauRG zustehendes Kündigungsrechts hinsichtlich eines
bereits mit dem Erbbauberechtigten geschlossenen Mietvertrages nicht unzulässig sein.

Sodann dürfte dem Eigentümer auch eine Kündigung nach § 30 Abs. 2 ErbbauRG jedenfalls
nach Treu und Glauben verwehrt sein. Vorsorglich sei darauf hingewiesen, dass dies
freilich grds. nur dann gelten kann, wenn der die Verzichtserklärung abgebende Eigentümer
mit dem im Zeitpunkt der etwaigen Ausübung des Kündigungsrecht vorhandenen Eigentümer
identisch ist bzw. letzterer an die Erklärung des vormaligen Eigentümers bspw. als
Gesamtrechtsnachfolger gebunden ist.

4. Im Ergebnis spricht einiges dafür, dass der Eigentümer bereits zum heutigen Tage einen
Vorausverzicht auf die Kündigung nach § 30 Abs. 2 ErbbauRG wirksam erklären
könnte.

Gutachten/Abruf-Nr:

192399

Erscheinungsdatum:

03.11.2022

Rechtsbezug

National

Rechtsgebiete:

Erbbaurecht

Normen in Titel:

ErbbauRG § 30