18. November 2022
BGB § 1923

Erbfähigkeit einer Gewerkschaft bzw. einer Untergliederung der Gewerkschaft als nicht rechtsfähiger Verein

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Gutachten des Deutschen Notarinstituts
Abruf-Nr.: 194211
letzte Aktualisierung: 18. November 2022

BGB § 1923
Erbfähigkeit einer Gewerkschaft bzw. einer Untergliederung der Gewerkschaft als nicht
rechtsfähiger Verein

I. Sachverhalt
Ein Erblasser möchte die Gewerkschaft „N. Landesbezirk Südwest“ in S. als Erbe einsetzen. Die
Gewerkschaft tritt als nicht rechtsfähiger Verein auf.

II. Frage
Kann die Gewerkschaft bzw. ein Landesbezirk als Untergliederung der Gewerkschaft Erbe sein?

III. Zur Rechtslage
1. Erbfähigkeit der Gewerkschaft als nicht rechtsfähiger Verein
Nach § 1923 Abs. 1 BGB kann nur derjenige Erbe werden, der zur Zeit des Erbfalls lebt.
Dabei muss der Erbe die Fähigkeit besitzen, das Vermögen des Erblassers als Gesamtrechtsnachfolger
zu übernehmen, wodurch Rechtsfähigkeit des Erben erforderlich ist
(Grüneberg/Weidlich, 81. Aufl. 2022, § 1923 Rn. 1). Zwar fehlt dem nicht rechtsfähigen
Verein die für § 1923 Abs. 1 BGB erforderliche Rechtsfähigkeit, doch wird dieser heute –
entgegen der Absicht des Gesetzgebers (vgl. § 54 S. 1 BGB) – als selbstständige, vom Mitgliederwechsel
unabhängige und unter eigenem Namen auftretende Einheit behandelt. Konsequenterweise
muss dies auch im Erbrecht beachtet werden, sodass die Erbfähigkeit des
nicht rechtsfähigen Vereins nach h.M. zu bejahen ist (MünchKommBGB/Leipold,
9. Aufl. 2022, § 1923 Rn. 44; BeckOGK-BGB/Tegelkamp, Std.: 1.8.2022, § 1923 Rn. 51).
Folglich ist die Gewerkschaft insgesamt als nicht rechtsfähiger Verein erbfähig und kann
gegenüber dem Erblasser Erbe werden.

2. Erbfähigkeit des Landesbezirks als Untergliederung der Gewerkschaft
Für die Frage der Erbfähigkeit des Landesbezirks kommt es darauf an, ob der Landesbezirk
eine selbstständige oder unselbstständige Untergliederung darstellt. Zur Klärung dieser
Rechtsfrage gelten dabei jedenfalls im Ergebnis die Grundsätze des Vereinsrecht im BGB
(Stöber/Otto, Handbuch zum Vereinsrecht, 12. Aufl. 2021, Rn. 1755).

a) Unselbstständiger Teil des Gesamtvereins
Um eine unselbstständige Untergliederung handelt es sich, wenn keine eigene vereinsmäßige
Verfassung mit Außenwirkung besteht, sondern die Rechtsverhältnisse der Untergliederung
vielmehr bereits durch die Satzung des Gesamtvereins verbindlich festgesetzt
werden. Dies hat zur Folge, dass die unselbstständige Untergliederung nach außen nur
im Namen des Gesamtvereins auftreten und folglich auch nur dieser berechtigt und verpflichtet
werden kann (Neudert/Waldner, in: Sauter/Schweyer/Waldner, Der eingetragene
Verein, 21. Auf. 2021, Rn. 330; Stöber/Otto, Rn. 1417). Mangels eigener Rechtsfähigkeit
der unselbstständigen Untergliederung nach außen muss daher eine eigenständige
Erbfähigkeit abgelehnt werden. Erbe kann in diesem Fall nur der Gesamtverein
sein.

b) Selbstständiger Teil
Handelt es sich bei der Untergliederung dagegen um einen selbstständigen Teil, ist die
Untergliederung regelmäßig selbst nicht rechtsfähiger Verein. Voraussetzung dafür ist
jedoch, dass die Untergliederung im Gegensatz zum unselbstständigen Teil eine körperschaftliche
Verfassung besitzt, einen Gesamtnamen führt, vom Wechsel ihrer Mitglieder
unabhängig ist und neben ihrer unselbstständigen Tätigkeit für den Hauptverein Aufgaben
auch eigenständig wahrnimmt. Nicht erforderlich ist jedoch, dass Zweck und Organisation
in einer von ihr selbst beschlossenen Satzung festgelegt sind, sie können sich
auch aus der Satzung des Gesamtvereins ergeben (Neudert/Waldner, in:
Sauter/Schweyer/Waldner, Rn. 329; Stöber/Otto, Rn. 1403 f.). Soweit es sich somit bei
der Untergliederung um einen eigenständigen nicht rechtsfähigen Verein handelt, ist die
Untergliederung eigenständig rechtsfähig und demnach auch selbst erbfähig
(s. Punkt 1), sodass die Untergliederung Erbe sein kann.

Ob es sich bei der Untergliederung um einen unselbstständigen Teil des Gesamtvereins
oder um einen eigenständigen nicht rechtsfähigen Verein handelt, kann nur im Einzelfall
nach dem Gesamtbild, das sich aus der Satzung des Gesamtvereins und der in der in der
Satzung festgelegten Organisation ergibt, beurteilt werden. Nach neuer Rechtsprechung
des BGH sind die Anforderungen an eine Selbstständigkeit allerdings zu lockern (BGH
NJW 2008, 69; Stöber/Otto, Rn. 1404). Letztlich ist die Einordnung jedoch Tatfrage.

3. Ergebnis
Gewerkschaften können als nicht eingetragener Verein grundsätzlich gem. § 1923 BGB
Erben sein. Soweit eine Untergliederung der Gewerkschaft Erbe werden soll, kommt es auf
die rechtliche Stellung der Untergliederung an. Eine eigene Erbfähigkeit liegt lediglich bei
einer selbstständigen Untergliederung vor. Soweit der Landesbezirk eine unselbstständige
Untergliederung ist, kann nur die Gewerkschaft als Gesamtverein als Erbe eingesetzt werden.
Die Erbschaft wäre sodann im Innenverhältnis durch die Gewerkschaft an den Landesbezirk
zuzuteilen.

Gutachten/Abruf-Nr:

194211

Erscheinungsdatum:

18.11.2022

Rechtsbezug

National

Rechtsgebiete:

Gesetzliche Erbfolge

Normen in Titel:

BGB § 1923