05. August 2022
BGB § 2351

Möglichkeit und Modalitäten der Aufhebung eines Zuwendungsverzichts

BGB § 2351
Möglichkeit und Modalitäten der Aufhebung eines Zuwendungsverzichts

I. Sachverhalt
Eheleute mit vier Kindern, wovon eines behindert ist, errichten ein handschriftliches Testament. Der Inhalt entspricht einem Berliner Testament mit der Widersprüchlichkeit, dass bei den Schlusserben von Nacherben gesprochen wird und auch Ersatzschlusserben und Ersatznacherben benannt werden. Das Testament sieht vor, dass die behinderte Tochter nach dem Tod des Vaters und der Mutter jeweils nur ein Vermächtnis in Höhe ihres Pflichtteils erhält, weiter wurde Dauertestamentsvollstreckung angeordnet. Dieses Testament wurde durch den Tod des Vaters im Jahr 1995 bindend.

2013 wurde aufgrund der Widersprüchlichkeit des gemeinschaftlichen Testaments ein Zuwendungsverzicht vereinbart und ein Erbvertrag geschlossen, in dem die behinderte Tochter als Alleinerbin der Mutter eingesetzt wurde. Ferner sah der Erbvertrag Geldvermächtnisse zugunsten der anderen Geschwister i. H. v. 60 % ihres gesetzlichen Erbteils und Dauertestamtentsvollstreckung vor. Die behinderte Tochter wurde dabei aufgrund Vollmacht von ihrer Schwester vertreten.

Nunmehr wollen die Geschwister und die Mutter durch Aufhebung des Zuwendungsverzichts und des Erbvertrages erreichen, dass für die Erbfolge nach der Mutter wieder das handschriftliche gemeinsame Testament maßgeblich ist. Die behinderte Tochter soll erneut aufgrund notarieller Vollmacht vertreten werden. Ein Sohn soll nachträglich genehmigen.

II. Fragen
1. Ist es möglich, den Zuwendungsverzicht sowie den Erbvertrag aufzuheben, um damit die Wirkung des gemeinschaftlichen Testaments wiederherzustellen?

2. Kann die behinderte Tochter durch notarielle Vollmacht vertreten werden? Kann der Sohn vollmachtlos vertreten werden und dann genehmigen?

3. Wie wirkt die Aufhebung des Zuwendungsverzichts?

III. Zur Rechtslage
1. Analoge Anwendung des § 2351 BGB auf die Aufhebung des Zuwendungsverzichts; Ausgangspunkt
Die für den Zuwendungsverzicht geltende Vorschrift des § 2352 BGB verweist in Satz 3 nicht auf § 2351 BGB, der die Aufhebung eines Erbverzichts zum Gegenstand hat. Bereits vor einiger Zeit hat der BGH (ZEV 2008, 237 = DNotZ 2008, 624) jedoch die analoge Anwendung von § 2351 BGB auf die Aufhebung eines Zuwendungsverzichts zumindest im Grundsatz anerkannt. Im Einzelnen hat der BGH noch für den vor 2010 geltenden Rechtszustand, also vor Aufnahme von § 2349 BGB in die Verweisungsvorschrift des § 2352 S. 3 BGB, ausgeführt (ZEV 2008, 237 Rn. 12):

„Zwar verweist § 2352 S. 3 BGB für den Zuwendungsverzicht lediglich auf die in §§ 2347 und 2348 BGB für den Erbverzicht geforderten persönlichen Anforderungen und Formvorschriften, nicht aber auf die in § 2351 BGB geltende Aufhebung des Erbverzichts. Das steht jedenfalls einer analogen Anwendung des § 2351 BGB aber nicht entgegen, soweit die Interessenlage übereinstimmt. Anders als bei einem Verzicht auf das gesetzliche Erb- und Pflichtteilsrecht kann der Erblasser bei einem Zuwendungsverzicht die Erbfolgeregelung, auf die der Begünstigte verzichtet hat, durch eine neue Verfügung von Todes wegen wiederherstellen, sodass insofern für die Aufhebung des Zuwendungsverzichts keine Notwendigkeit besteht. Anders liegt es aber, wenn der Erblasser nicht wirksam neu verfügen kann, etwa weil er durch einen vor dem Zuwendungsverzicht geschlossenen Erbvertrag oder ein wechselbezügliches gemeinschaftliches Testament gebunden ist. Jedenfalls in solchen Fällen kann § 2351 BGB entsprechend auf die Aufhebung eines Zuwendungsverzichts angewandt werden. Ob die Verweisung auf § 2347 Abs. 2 S. 2 BGB, wonach der Aufhebungsvertrag bei Geschäftsunfähigkeit des Erblassers durch seinen gesetzlichen Vertreter mit Genehmigung des Vormundschaftsgerichts geschlossen werden kann, auch auf die Aufhebung eines Zuwendungsverzichts trotz den insoweit bestehenden Bedenken im Hinblick auf das Selbstbestimmungsrecht des Erblassers (§§ 2064, 2065 BGB) angewandt werden kann, bedarf hier keiner Entscheidung.“

Die Literatur stimmt dem im Wesentlichen zu (wobei die Ansichten in Nuancen abweichen, vgl. etwa Grüneberg/Weidlich, BGB, 81. Aufl. 2022, § 2352 Rn. 6; MünchKommBGB/Wegerhoff, 8. Aufl. 2020, § 2352 Rn. 19; BeckOGK-BGB/Everts, Std.: 1.6.2022, § 2352 Rn. 33 f.; ausführl. Staudinger/Schotten, BGB, 2022, § 2352 Rn. 96 ff.; grundsätzlich ablehnend aber Kornexl, ZEV 2008, 240 ff.).

2. Vorliegen der Voraussetzungen für die Aufhebung des Zuwendungsverzichts unter Berücksichtigung der BGH-Rechtsprechung im konkreten Fall; Aufhebungsmodalitäten bzgl. Erbvertrag und Zuwendungsverzicht
Es ist zu prüfen, ob die in der Rechtsprechung des BGH anerkannten Voraussetzungen für die Aufhebung eines Zuwendungsverzichts hier vorliegen und ob die Modalitäten für die Aufhebung des Zuwendungsverzichts und des Erbvertrages hier erfüllbar sind.

a) Zu den vom BGH nicht entschiedenen Fragen der Aufhebung eines Zuwendungsverzichts gehört, ob eine der ursprünglichen Zuwendung entgegenstehende erbrechtliche Bindung, die ein Erblasser in der Zeit zwischen dem Zuwendungsverzicht und seiner Aufhebung eingegangen ist, schon durch die Aufhebung des Zuwendungsverzichts selbst hinfällig würde, die Aufhebung also ex tunc wirkt (offengelassen BGH ZEV 2008, 237 Rn. 15). Die Literatur nimmt überwiegend an, dass dem Aufhebungsvertrag eine derartige ex tunc-Wirkung nicht zukommen könne, da andernfalls systemwidrig eine einseitige Durchbrechung der Bindungswirkung des zwischenzeitlich abgeschlossenen Erbvertrages bewirkt werden würde (etwa Staudinger/Schotten, § 2352 Rn. 99; MünchKommBGB/Wegerhoff, § 2352 Rn. 19). Hier kommt es auf diese vom BGH offengelassene Frage nicht an.

Zwar ist die überlebende Ehefrau im Jahre 2013 durch Abschluss des Erbvertrages unter Mitwirkung der behinderten Tochter eine neue erbrechtliche Bindung eingegangen. Jedoch besteht nach der Sachverhaltsschilderung Einigkeit unter allen Beteiligten (überlebende Ehefrau sowie alle Kinder), dass der Erbvertrag nach § 2290 BGB aufgehoben werden soll. Damit bleibt es hier für die in Aussicht genommene Gestaltung unschädlich, wenn man – mit der genannten Literaturauffassung u. E. zutreffend – annimmt, dass der Aufhebung des Zuwendungsverzichts keine Rückwirkung zukommen kann und er deswegen nicht per se das Entfallen zwischenzeitlich vom Erblasser neu eingegangener erbrechtlicher Bindungen zu bewirken vermag.

b) Der BGH hat die analoge Anwendung des § 2351 BGB auf die Aufhebung eines Zuwendungsverzichtsvertrages in der genannten Leitentscheidung nicht ohne Einschränkungen anerkannt. Vielmehr hat er die kautelarjuristisch notwendige Analogie explizit nur dann befürwortet, wenn eine mit der direkten Anwendung des § 2351 BGB übereinstimmende Interessenlage besteht. Dies sei aus Sicht des BGH dann der Fall, wenn der Erblasser die Erbfolgeregelung, auf die der Begünstigte verzichtet hatte, nicht durch eine neue Verfügung von Todes wegen wiederherstellen kann. Dann sei die Zulassung der Aufhebung des Zuwendungsverzichts notwendig. Sie komme also etwa dann in Betracht, wenn der Erblasser durch einen vor dem Zuwendungsverzicht geschlossenen Erbvertrag oder ein wechselbezügliches gemeinschaftliches Testament gebunden ist (BGH ZEV 2008, 237 Rn. 12). Diese vom BGH gemachte Einschränkung ist durchaus angreifbar (s. G. Müller, MittBayNot 2008, 484, 485 f.). Wesentlich ist jedenfalls auch das genaue Verständnis dieser einschränkenden Voraussetzung durch den BGH selbst (ZEV 2008, 237 Rn. 14, Hervorhebung i. F. durch die DNotI-Redaktion): Dort wird ausgeführt, der Erblasser habe trotz des Zuwendungsverzichts die im gemeinschaftlichen Testament von 1979 vorgesehene Schlusserbfolge zwar inhaltsgleich erneut anordnen können. Eine solche einseitige, wiederholte Verfügung hätte aber nicht an der Bindungswirkung des gemeinschaftlichen Testaments teilgenommen, sondern jederzeit vom Erblasser widerrufen werden können. Das berechtigte Interesse, das beim Erbverzicht an einer Aufhebung nach § 2351 BGB besteht, nämlich die vor dem Verzicht bestehende Rechtslage wiederherzustellen, sei mithin im vom BGH entschiedenen Fall auch für die Aufhebung des Zuwendungsverzichts gegeben. Über diese Fallkonstellation hinaus hat der BGH in der genannten Leitentscheidung die Möglichkeit einer analogen Anwendung des § 2351 BGB offengelassen.

Legt man das genannte Verständnis hier zugrunde, so genügt es also für die Zulassung einer Aufhebung des Zuwendungsverzichts, dass dadurch – i. V. m. der weiter geplanten Aufhebung des Erbvertrages nach § 2290 BGB – die Regelung aus dem gemeinschaftlichen Testament mit ihrer Bindungswirkung, wie sie durch Versterben des Ehemannes im Jahre 1995 eingetreten ist, wiederhergestellt werden kann. Durch die Möglichkeit der überlebenden Ehefrau, nach der geplanten Aufhebung des Erbvertrages einseitig neu zu testieren, wird also aus Sicht des BGH das Gestaltungsinstrument der Aufhebung des Zuwendungsverzichtsvertrages hier nicht ausgeschlossen. Denn ein derartiges neues einseitiges Testament der überlebenden Ehefrau wäre nicht in derselben Weise bindend, wie es die Regelung in dem gemeinschaftlichen Testament nach Versterben des Ehemannes geworden ist.

c) Fraglich ist weiterhin, ob die von den Beteiligten gewünschte Vertretung der behinderten Tochter sowie die vollmachtlose Vertretung des Sohnes vorliegend möglich ist.

Was zunächst die Aufhebung des Erbvertrages angeht, so ist § 2290 Abs. 2 BGB die einschlägige Regelung. Der Erblasser kann den Vertrag hiernach nur persönlich schließen. Dementsprechend ist es erforderlich, dass die Mutter als Erblasserin an der Aufhebung des Erbvertrages persönlich mitwirkt. Für sie wäre eine Stellvertretung unzulässig. Haben die anderen Beteiligten – insbesondere die Tochter und der genehmigende Sohn – dagegen keine eigenen Verfügungen von Todes wegen getroffen, die gem. § 2290 BGB aufgehoben werden sollen, dann wäre auf ihrer Seite Stellvertretung (oder vollmachtlose Vertretung) durchaus gesetzlich zugelassen. Denn das Vertretungsverbot des § 2290 Abs. 2 BGB gilt zur Wahrung des Selbstbestimmungsrechts des Erblassers wortlautgetreu nur für den Erblasser, dagegen nicht für den Vertragsgegner (s. etwa BeckOGK-BGB/Müller-Engels, Stand: 1.7.2022, § 2290 Rn. 25 f.; Grüneberg/Weidlich, § 2290 Rn. 2; MünchKommBGB/Musielak, § 2290 Rn. 6). Dementsprechend ist es vorliegend hinsichtlich der Aufhebung des Erbvertrages rechtlich möglich, dass die Tochter sich aufgrund notarieller Vollmacht vertreten lässt und für den Sohn ein vollmachtloser Vertreter handelt, dessen Handeln der Sohn nachfolgend nachgenehmigt.

Was die Aufhebung des Zuwendungsverzichtsvertrages betrifft, so ist die rechtliche Grundlage für die Regelung der Vertretungsmöglichkeiten die vom BGH grundsätzlich anerkannte analoge Anwendung des § 2351 BGB. Im Rahmen dieser Analogie hat der BGH – wie bereits gesehen – offengelassen, ob die Verweisung des § 2351 BGB auf § 2347 Abs. 2 S. 2 BGB, wonach der Aufhebungsvertrag bei Geschäftsunfähigkeit des Erblassers durch seinen gesetzlichen Vertreter mit Genehmigung des Betreuungsgerichts geschlossen werden kann, auch auf die Aufhebung eines Zuwendungsverzichts übertragen werden kann oder ob der Rechtsgedanke der §§ 2064, 2065 BGB dem entgegensteht (BGH ZEV 2008, 237 Rn. 12). Auf diese nach der Entscheidung des BGH fortbestehende Rechtsunsicherheit kommt es hier aber nicht an, wenn und weil nur die Mutter als Erblasserin auftritt und diese am Abschluss auch der Aufhebung des Zuwendungsverzichtsvertrages jedenfalls persönlich mitwirkt, ohne dass insoweit eine Vertretung stattfände.

Im Übrigen nimmt die hier als Analogiebasis dienende Vorschrift des § 2351 BGB wiederum § 2347 Abs. 2 S. 1 Hs. 1 BGB in Bezug, wonach der Erblasser den Vertrag nur persönlich schließen kann. Insoweit entspricht also die Rechtslage derjenigen für die Aufhebung des Erbvertrages nach § 2290 Abs. 2 BGB: Auch hier muss nur der Erblasser persönlich erscheinen. Der Verzichtende kann sich dagegen vertreten lassen (Grüneberg/Weidlich, § 2347 Rn. 1; MünchKommBGB/Wegerhoff, § 2347 Rn. 3 f., 9; Staudinger/Schotten, § 2347 Rn. 6 ff.). Auch hinsichtlich der Aufhebung des Zuwendungsverzichtsvertrages ist es mithin erforderlich und ausreichend, dass die Erblasserin (Mutter) persönlich mitwirkt. Die persönliche Mitwirkung der weiteren Beteiligten ist dagegen nicht erforderlich; diese können sich nach der geschilderten Rechtslage vertreten lassen.

3. Wirkungen der Aufhebung des Zuwendungsverzichts
Die Wirkungen der Aufhebung des Zuwendungsverzichtsvertrages beschreibt der BGH für den ihm unterbreiteten Sachverhalt knapp dahin, dass durch den Aufhebungsvertrag die im vorangehenden gemeinschaftlichen Testament vorgesehene Schlusserbfolge wieder gültig geworden sei (ZEV 2008, 237 Rn. 15). Auch ansonsten ist allgemein anerkannt: Der Vertrag, durch den ein Zuwendungsverzicht aufgehoben wird, bewirkt, dass der Zuwendungsverzicht so beseitigt wird, als sei er nie vereinbart worden. Das hat zur Folge, dass die Zuwendung, auf die verzichtet wurde, im Rahmen der Verfügung von Todes wegen, in der sie angeordnet war, wieder wirksam wird, ohne dass der Erblasser erneut verfügen müsste (Staudinger/Schotten, § 2352 Rn. 99; Grüneberg/Weidlich, § 2352 Rn. 6; MünchKommBGB/Wegerhoff, § 2352 Rn. 18; ebenso bereits LG Kempten MittBayNot 1978, 63, 64).

Durch die Aufhebung des Zuwendungsverzichtsvertrages werden also im vorliegenden Sachverhalt die Zuwendungen, auf die im Vertrag aus dem Jahr 2013 verzichtet wurde, als Teil der von der Mutter für ihr Ableben getroffenen Regelungen wieder wirksam, wobei die betreffenden Zuwendungen durch die Aufhebung des Zuwendungsverzichtsvertrages insbesondere auch wieder an der Bindungswirkung des gemeinschaftlichen Testaments, welche im Jahr 1995 eingetreten ist, entsprechend dem seinerzeitigen Rechtszustand teilhaben. Durch die Aufhebung des Zuwendungsverzichts können die Beteiligten also vorliegend in der Tat den Regelungszustand aufgrund des gemeinschaftlichen Testaments wieder herstellen.

4. Gesamtergebnis
Im Ergebnis ist die von den Beteiligten geplante Gestaltung unter Einschluss der vorgesehenen Vertretungen der Tochter und des Sohnes – sofern beide nicht auch als Erblasser im Rahmen des Erbvertrages beteiligt waren – u. E. also zulässig. Durch die Aufhebung des Erbvertrages und des Zuwendungsverzichtsvertrages wird die Regelung des gemeinschaftlichen Testaments samt ihrer Bindungswirkung nach §§ 2270, 2271 Abs. 2 BGB wiederhergestellt.

Gutachten/Abruf-Nr:

189736

Erscheinungsdatum:

05.08.2022

Rechtsbezug

National

Rechtsgebiete:

Erbverzicht

Erschienen in:

DNotI-Report 2022, 116-119

Normen in Titel:

BGB § 2351