16. Juli 2021

Obstbau kein Fall der „gartenbaulichen Erzeugung“ i. S. d. § 1 ASVG

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Gutachten des Deutschen Notarinstituts
Abruf-Nr.: 184307
letzte Aktualisierung: 1 6 . J u l i 2021

ASVG § 1
Obstbau kein Fall der „gartenbaulichen Erzeugung“ i. S. d. § 1 ASVG

I. Sachverhalt

Das ASVG sieht eine Genehmigungserfordernis für Grundstücksübertragungsverträge vor, bei
denen ein Grundstück betroffen ist, welches land- oder forstwirtschaftlich genutzt wird oder
nutzbar wäre und mindestens ein Hektar groß ist. Dient das Grundstück dem Weinbau oder Betrieben
mit gartenbaulicher Erzeugung, beträgt die Mindestgröße 0,5 Hektar. Da sich im fraglichen
Bezirk sehr viele Erwerbsobstbaubetriebe befinden, bei denen gehandelte Grundstücke
häufig unter der Grenze von einem Hektar liegen, wurde bisher davon ausgegangen, dass diese
Verträge nicht der Genehmigungspflicht unterliegen. Das zuständige Landwirtschaftsamt ist nun
ohne nähere Begründung dazu übergegangen, Intensivobstbau unter „gartenbauliche
Erzeugung“ einzuordnen und verlangt auch die Vorlage dieser Verträge zur Genehmigung. Auf
Nachfrage konnte keine rechtlich fundierte Begründung geliefert werden. Es wurde mit der allgemeinen
Verkehrsanschauung argumentiert. So werde in Wikipedia der „Obstbau“ unter
„Gartenbau“ geführt.

II. Frage

Ist dem DNotI aus den Gesetzgebungsmaterialien oder sonstiger Literatur zum ASVG, hilfsweise
zum Grundstücksverkehrsgesetz, eine nähere Definition der gartenbaulichen Erzeugung bekannt?
Inwiefern liegt es im freien Ermessen der Landwirtschaftsbehörde, verschiedene landwirtschaftliche
Nutzungen darunter beliebig zu subsumieren?

III. Zur Rechtslage

Kommentare zum ASVG (Agrarstrukturverbesserungsgesetz Baden-Württemberg) liegen uns
leider nicht vor. Nachfolgend nehmen wir eine Auslegung aufgrund der uns zugänglichen
Materialien vor.

1. Wortlaut

Eine Auslegung nach dem Wortlaut deutet u. E. in keine klare Richtung. „Gartenbau“ kann
nach dem allgemeinen Sprachgebrauch umfassend verwendet werden und dann auch Obstbau
umfassen, aber auch enger gefasst sein und in Abgrenzung zum Obstbau etwa lediglich
den Anbau von Gemüse oder ähnlichen Erzeugnissen beschreiben.

Der Begriff der „gartenbaulichen Erzeugung“ findet sich neben dem ASVG auch so oder
ähnlich in anderen Normen des Bundesrechts, etwa in § 201 BauGB, § 5 Abs. 2 Nr. 8
BauNVO („Gartenbaubetrieb“), § 585 Abs. 1 BGB. Verwandt ist zudem der Begriff des
„Erwerbsgartenbaus“, der sich z.B. in § 1 GrdstVG findet und der früher auch in § 201
BauGB verwendet wurde. Der Übergang von „Erwerbsgartenbau“ zu „gartenbaulicher Erzeugung“
war der Anpassung des BauGB an die in § 585 BGB verwendete Definition von
Landwirtschaft geschuldet und sollte klarstellen, dass auch die bodenunabhängige Erzeugung
von Pflanzen (d. h. in Containern oder durch Abdichtung zum gewachsenen Boden)
umfasst sein soll (EZBK/Söfker, 140. EL Oktober 2020, BauGB § 201 Rn. 19a; zur anderen
Funktion von „gartenbaulicher Erzeugung“ in § 585 BGB s. auch
MünchKommBGB/Harke, 8. Aufl. 2020, BGB § 585 Rn. 5). In §§ 201 BauGB, 585 BGB
ist die „gartenbauliche Erzeugung“ jeweils Teil einer Definition von Landwirtschaft, die hier
durch Aufzählung verschiedener Sparten umrissen wird. In § 201 BauGB ist daneben noch
der Erwerbsobstbau genannt, in § 585 BGB nicht.

Die in den Kommentierungen zu den genannten Gesetzen angebotenen Definitionen sind
uneinheitlich. Teilweise wird „Obstbau“ unter die gartenbauliche Erzeugung gefasst (Gartenbaubetriebe
umfassen „die Erzeugung von Pflanzen im Rahmen einer Gartenbauproduktion
[…] wie Gemüse, Obst, Erdbeerpflanzen, Himbeersträucher, Kirschbäume, unabhängig
davon, ob eine unmittelbare Bodenertragsnutzung vorliegt oder nicht“,
EZBK/Söfker, 140. EL Oktober 2020, BauNVO § 5 Rn. 53), teilweise nicht
(Soergel/Heintzmann, BGB, 13. Aufl. 2001, § 585 Rn. 2: „Gartenbauliche Erzeugung ist der
Anbau von Gemüse auf Freilandflächen, ebenso Baumschulen; …“).

U.E. sind die zu den vorgenannten Gesetzen genannten Definitionen nicht unmittelbar aussagekräftig
für das ASVG. Da dort jeweils die gesamte Landwirtschaft unter die genannten
Gesetze fällt, entfällt das Bedürfnis einer genauen Abgrenzung zwischen den einzelnen Elementen
der Landwirtschaft (vgl. Netz, GrdstVG, 8. Aufl. 2017/2018, Teil C Rn. 652-655,
S. 485).

2. Zweck

In §§ 585 BGB, 201 BauGB übernimmt der Begriff „gartenbauliche Erzeugung“ zudem die
Funktion, in Abgrenzung zur „Bodenbewirtschaftung“ klarzustellen, dass Landwirtschaft
nicht an eine Tätigkeit im Erdreich gebunden ist, sondern auch in Pflanzenbehältnissen
erfolgen kann (MünchKommBGB/Harke, § 585 Rn. 5). Der mit § 1 ASVG verfolgte
Zweck unterscheidet sich von dem der §§ 201 BauGB, 585 BGB.

Hintergrund der Freigrenzen war nämlich, dass es sich bei Betrieben des Garten- und
Weinbaus um solche mit besonderen Betriebsstrukturen handelt, die sich von denen der übrigen
Landwirtschaft deutlich unterscheiden. Bereits die Veräußerung einer Fläche, die nur
0,5 ha beträgt, hat für die genannten Betriebe eine außerordentlich hohe agrarstrukturelle
Relevanz (Landtag von Baden-Württemberg, Drs. 14/5140, S. 45). Ob diese Erwägung auch
für den Obstbau zutrifft, kann von uns allerdings nicht beurteilt werden. Die Auslegung
nach dem Zweck ist für uns daher ebenfalls nicht eindeutig.

3. Gesetzeszusammenhang

§ 1 ASVG ist jedoch im Zusammenhang mit anderen Normen zu lesen. Für die im ASVG
maßgebliche Definition von „Landwirtschaft“ wird auf § 4 Abs. 1 Landwirtschafts- und
Landeskulturgutgesetz Baden-Württemberg (LLG) verwiesen (in § 1 Abs. 2 ASVG). Eine
eigenständige Definition hielt man demgegenüber für entbehrlich (Landtag von Baden-
Württemberg, Drs. 14/5140, S. 46). § 4 Abs. 1 LLG lautet:

„Landwirtschaft im Sinne dieses Gesetzes ist die Bodenbewirtschaftung
zur Gewinnung pflanzlicher Erzeugnisse einschließlich
des Garten-, Obst- und Weinbaues, die mit der Bodenbewirtschaftung
verbundene Tierhaltung sowie die Fischerei und die
Imkerei.“

Hier werden also Garten- und Weinbau neben dem Obstbau genannt. Dies spricht aus unserer
Sicht klar dafür, den Obstbau nicht unter den Gartenbau zu subsumieren, wenn in § 1
ASVG auf einzelne Elemente dieser Definition Bezug genommen wird, auf andere dagegen
explizit nicht. Ein Versehen des Gesetzgebers erscheint ausgeschlossen, da auch in der Gesetzesbegründung
explizit auf die Definition von „Landwirtschaft“ Bezug genommen wurde
(Landtag von Baden-Württemberg, Drs. 14/5140, S. 46).

4. Historische Auslegung

Eine historische Auslegung spricht für das gleiche Ergebnis. Zwar ist die Gesetzesbegründung
zum ASVG (Landtag von Baden-Württemberg, Drs. 14/5140) selbst
unergiebig für die Frage, ob gartenbauliche Erzeugung auch den Obstbau umfasst. Die
Regelung zu den Freigrenzen wurde jedoch aus § 1 AGGrdstVG BW übernommen, da sich
die Regelung bewährt hatte (Landtag von Baden-Württemberg, Drs. 14/5140, S. 45). Dies
legt den Schluss nahe, dass eine inhaltliche Änderung mit der Übernahme nicht beabsichtigt
war.

Das Vorgängergesetz enthielt den Wortlaut „Weinbau oder … Erwerbsgartenbau“ (§ 1
Abs. 1 AGGrdstVG). Das Gesetz erging vor der Föderalismusreform und ist nicht als eigenständiges
Gesetz, sondern als Ausführungsgesetz zum GrdstVG des Bundes zu lesen.

Eine Abweichungskompetenz war (und ist, da das GrdstVG noch in Kraft ist) in § 2 Abs. 3
Nr. 2 GrdstVG für die Länder vorgesehen, die dadurch abweichende Freigrenzen vorsehen
konnten. Die Norm war daher in Zusammenhang mit dem GrdstVG zu lesen, das ausweislich
seines § 1 Abs. 1 (u.a.) für „landwirtschaftliche Grundstücke“ galt. Landwirtschaft ist
gem. § 1 Abs. 2 GrdstVG „die Bodenbewirtschaftung und die mit der Bodennutzung verbundene
Tierhaltung, um pflanzliche oder tierische Erzeugnisse zu gewinnen, besonders der
Ackerbau, die Wiesen- und Weidewirtschaft, der Erwerbsgartenbau, der Erwerbsobstbau
und der Weinbau sowie die Fischerei in Binnengewässern.“ Hier werden also Erwerbsgartenbau,
Erwerbsobstbau und Weinbau als drei gesonderte Elemente der Landwirtschaft genannt.

„Gartenbau“ wäre vor diesem Hintergrund eng zu verstehen (vgl. auch Vorwerk/
von Spreckelsen, GrdstVG, 1963, § 1 Rn. 24: „Gartenbau“ umfasst den Gemüseanbau
sowie die Blumen- und Samenzucht). Das AGGrstVG nahm nur auf zwei Elemente
Bezug, was den Schluss erlaubt, dass das weitere Element – der Erwerbsobstbau – hiervon
nicht betroffen sein sollte.

5. Ergebnis zur Auslegung

Während Wortlaut und Zweck des Gesetzes keine eindeutigen Ergebnisse liefern, spricht
der Gesetzeszusammenhang u. E. klar dafür, dass Obstbau nicht unter Gartenbau bzw. gartenbauliche
Erzeugung fällt. Dies ergibt sich auch aus dem früheren Zusammenhang mit
dem GrdstVG; eine inhaltliche Änderung wurde nach der Föderalismusreform nicht vorgenommen.
Wir halten die Auslegung des Landwirtschaftsamts im Ergebnis für nicht
zutreffend.

6. Kein Ermessen der Behörde

Beim Begriff der gartenbaulichen Erzeugung handelt es sich um einen Rechtsbegriff, der
voll (im Zweifelsfall gerichtlich) nachprüfbar ist (vgl. zur Frage insbesondere auch
unbestimmter Rechtsbegriffe allgemein Stelkens/Bonk/Sachs/Sachs, 9. Aufl. 2018, VwVfG
§ 40 Rn. 147 f.; BVerfG NVwZ 2012, 694, 695). Die Behörde ist insoweit an das Gesetz
gebunden, auch wenn dieses sich in weniger bestimmter Weise äußert. Ein Ermessen der
Behörde besteht nicht.

Gutachten/Abruf-Nr:

184307

Erscheinungsdatum:

16.07.2021

Rechtsbezug

National