02. Juni 2022
BGB § 2134; BGB § 2138; BGB § 2111; BGB § 2136

Befreite Vorerbschaft; Tilgung von Eigenverbindlichkeiten mit Nachlassmitteln; Kettensurrogation; Ansprüche gegen den Vorerben

BGB § 2111, 2134, 2136, 2138
Befreite Vorerbschaft; Tilgung von Eigenverbindlichkeiten mit Nachlassmitteln; Kettensurrogation; Ansprüche gegen den Vorerben

I. Sachverhalt
Der Erblasser hat in einem gemeinschaftlichen Testament Vor- und Nacherbfolge angeordnet und seine Ehefrau zur befreiten Vorerbin eingesetzt. Aufgrund ergänzender Vorausvermächtnisse unterliegt im Ergebnis nur eine Immobilie des Erblassers der Nacherbenbindung. Diese Immobilie hat die Vorerbin nach dem Tod des Erblassers verkauft und mit dem Erlös Eigenverbindlichkeiten getilgt, mit denen sie zu Lebzeiten des Erblassers eine eigene Immobilie erworben hatte.

II. Fragen
1. Setzt sich die Nacherbenbindung im Wege der dinglichen Surrogation an der Immobilie der Vorerbin fort?

2. Welche sonstigen Ansprüche könnte der Nacherbe im Nacherbfall wegen der Mittelverwendung geltend machen?

3. Wäre es im Ergebnis möglich, sich durch Tilgung von Eigenverbindlichkeiten der Nacherbenbindung zu entziehen, obschon eine Befreiung vom Surrogationsprinzip (§ 2111 BGB) eigentlich nicht möglich ist?

III. Zur Rechtslage
I. Zur Reichweite der Nacherbenbindung infolge Surrogation (Frage 1)

1. Grundsätze
Nach § 2111 Abs. 1 S. 1 Var. 3 BGB gehört zur (Vor-)Erbschaft, was der Vorerbe durch Rechtsgeschäft mit Mitteln der Erbschaft erwirbt (Mittelsurrogation). Für diese sog. Mittelsurrogation genügt es, dass der Gegenwert objektiv aus dem Nachlass stammt (s. nur Grüneberg/Weidlich, BGB, 81. Aufl. 2022, § 2111 Rn. 5 ff.; BeckOGK-BGB/Müller-Christmann, Std.: 1.12.2021, § 2111 Rn. 20 ff.). Bei Veräußerung der ursprünglich im Nachlass befindlichen Immobilie erlangt die Vorerbin im Gegenzug den Kaufpreisanspruch bzw. den geleisteten Kaufpreis. Soweit der veräußerte Grundbesitz der Nacherbenbindung unterlag, ist der betreffende Kaufpreis folglich mit Nachlassmitteln in diesem Sinne erlangt und damit nach § 2111 Abs. 1 S. 1 Var. 3 BGB wiederum der Nacherbenbindung unterworfen.

Ist insofern der aus der Veräußerung erworbene Geldbetrag als Surrogat noch nacherbengebunden, so könnte dessen weitere Verwendung wiederum einen Surrogationstatbestand gem. § 2111 BGB erfüllen. Tritt nämlich an die Stelle eines Surrogats ein weiteres Surrogat (sog. Kettensurrogation), so gehört auch dieses zur Erbschaft (MünchKommBGB/Lieder, 8. Aufl. 2020, § 2111 Rn. 10 m. w. N.). Da der Erblasser auch im Fall der hier angeordneten befreiten Vorerbschaft gem. § 2136 BGB nicht vom Surrogationsprinzip des § 2111 BGB befreien kann, gilt diese Surrogation nach § 2111 BGB folglich auch für die befreite Vorerbin. In Betracht kommt wiederum v. a. § 2111 Abs. 1 S. 1 Var. 3 BGB, wonach die Gegenstände kraft Surrogation in den Nachlass fallen, die rechtsgeschäftlich mit Mitteln des Nachlasses erworben sind (sog. Mittelsurrogation). Voraussetzung dafür ist ein rechtsgeschäftlicher Mitteleinsatz durch den Vorerben (vgl. Staudinger/Avenarius, BGB, 2019, Updatestand 30.4.2021, § 2111 Rn. 23), was beispielsweise der Fall sein kann, wenn der Vorerbe mit diesen Mitteln ein Grundstück rechtsgeschäftlich erwirbt.

Die Voraussetzung des Rechtsgeschäfts wird dabei nicht eng verstanden (Staudinger/Avenarius, § 2111 Rn. 25). Wenn der Vorerbe beispielsweise mit Mitteln des Nachlasses eine ein Nachlassgrundstück belastende Hypothek tilgt, entsteht die Eigentümergrundschuld zwar kraft Gesetzes (§§ 1163, 1177 BGB), ihre Entstehung steht aber in so engem Zusammenhang mit der vom Vorerben rechtsgeschäftlich bewirkten Erfüllung, dass der Tatbestand der Mittelsurrogation als erfüllt gelten kann (vgl. BGH NJW 1963, 2320; Staudinger/Avenarius, § 2111 Rn. 25 m. w. N.). Die durch Rückzahlung einer Nachlasshypothek mit Nachlassmitteln entstehende Eigentümergrundschuld ist damit Nachlassbestandteil (Staudinger/Avenarius, § 2111 Rn. 27). Tilgt der Vorerbe dagegen die Nachlasshypothekenschuld mit eigenen Mitteln, erwirbt er die Eigentümergrundschuld zu freiem Recht (BGH NJW 1993, 3198).

2. Besonderheiten des vorliegenden Sachverhalts
Im vorliegenden Sachverhalt sind insofern zwei Besonderheiten zu berücksichtigen. Zum einen nutzte die Vorerbin die der Nacherbenbindung unterliegenden Mittel, um eigene Verbindlichkeiten abzulösen, die sie wiederum zwecks Erwerbs eines Grundstücks vor dem Erbfall aufgenommen hatte (dazu unter lit. a). Zum anderen – dies unterstellen wir im Folgenden mangels anderweitiger Angaben – erfolgte die Tilgung der Verbindlichkeiten teilweise durch Eigenmittel und insofern nur teilweise durch gebundene Mittel (dazu unter lit. b).

a) Was den kreditfinanzierten Erwerb eines Gegenstandes anbelangt, wird im Ausgangspunkt grds. danach unterschieden, ob der Kredit ursprünglich aus dem freien Vermögen des Vorerben oder aus dem Nachlass zurückgezahlt werden sollte. Im letztgenannten Fall fällt der erworbene Gegenstand mit dem Erwerb in den Nachlass (vgl. MünchKommBGB/Lieder, § 2111 Rn. 33; BeckOGK-BGB/Müller-Christmann, § 2111 Rn. 37 ff.). Wird der Kredit dagegen – so verstehen wir die Angaben zum vorliegenden Sachverhalt – zunächst vom Vorerben persönlich aufgenommen, später aber aus Nachlassmitteln zurückgezahlt, soll der erworbene Gegenstand zunächst zum freien Vermögen des Vorerben gehören, aber im Augenblick der Rückzahlung in den Nachlass übergehen (vgl. so BeckOGK-BGB/Müller-Christmann, § 2111 Rn. 39; MünchKommBGB/Lieder, § 2111 Rn. 34; BeckOK-BGB/Litzenburger, 61. Ed., Std.: 1.2.2022, § 2111 Rn. 5; jew. mit Verweis auf BGH NJW 1990, 1237, 1238, wonach der Vorerbe ein Grundstück mit Mitteln der Erbschaft erwerbe, wenn er das Erblassergrundstück verkaufe und mit dem Erlös später den Kredit für den Erwerb des anderen Grundstücks ablöse). Zwar könnte sich durchaus hinterfragen lassen, ob in diesem Fall tatsächlich ein Erwerb mit Nachlassmitteln stattfindet, da das erworbene Grundstück ggf. vor Kredittilgung schon für einen längeren Zeitraum im Eigentum des Vorerben stand. Dagegen dürfte jedoch sprechen, dass sich der Erwerb bei einer wirtschaftlichen Betrachtung gleichwohl als durch Nachlassmittel realisiert darstellt (vgl. im Ergebnis auch BeckOGK-BGB/Müller-Christmann, § 2111 Rn. 38.1). Eine solche wirtschaftliche Betrachtungsweise entspricht auch dem Schutzzweck des § 2111 BGB, wonach die Nacherbschaft wertmäßig erhalten werden soll (vgl. BeckOK-BGB/Müller-Christmann, § 2111 Rn. 2).

Ferner dürfte auch zu beachten sein, dass in der Begleichung der Darlehensverbindlichkeiten gegenüber der Bank keine unentgeltliche Verfügung der Vorerbin (zugunsten der Bank) liegt. Die Vorerbin haftet gegenüber der Bank – was wir unterstellen – in Höhe der gesamten Darlehensschuld auf Rückzahlung (§ 488 Abs. 1 S. 2 BGB). Durch die Tilgung dieser Eigenverbindlichkeiten der Vorerbin, unter Einsatz der Geldmittel als Surrogat aus dem Verkauf des Erblasser-Grundstücks, hat diese ihre aus dem Darlehensvertrag folgenden Verpflichtungen gegenüber der Bank erfüllt, was im Ergebnis ein entgeltliches Geschäft darstellt. Allerdings ist zu berücksichtigen, dass die reine durch die Tilgung der Eigenverbindlichkeiten resultierende Schuldbefreiung der Vorerbin keinen tauglichen Gegenstand der Surrogation i. S. d. § 2111 Abs. 1 S. 1 BGB darstellt (vgl. auch BeckOGK-BGB/Müller-Christmann, § 2111 Rn. 22 a. E.). Zu beachten ist jedoch, dass zur Sicherung der Darlehensverbindlichkeiten der Bank regelmäßig ein Grundpfandrecht an dem betreffenden Grundstück bestellt sein wird. Insofern liegt es nahe, dass im Wege der Kettensurrogation zwar nicht die Schuldbefreiung, wohl aber der gegen die Grundpfandrechtsgläubigerin gerichtete Anspruch auf Rückgewähr des Grundpfandrechts in den Nachlass übergeht.

b) Ferner ist im vorliegenden Sachverhalt zu berücksichtigen, dass das Darlehen mutmaßlich nicht ausschließlich durch Mittel, die der Nacherbenbindung unterliegen, zurückgeführt wurde und insofern das Grundstück jedenfalls teilweise auch aus Eigenmitteln der Vorerbin erworben wurde. Ist der Erwerb (bzw. die Rückzahlung des Darlehens) teilweise mit Mitteln des Nachlasses und teilweise durch Eigenmittel erfolgt, unterliegt im Wege der Kettensurrogation auch die neu erworbene Immobilie wiederum nur insoweit der Nacherbenbindung, als hierfür Nachlassmittel aufgewandt wurden. Die Anteile sind dabei nach dem Verhältnis der eingesetzten Mittel zu bemessen (so der Sache nach bereits BGH NJW 1977, 1631; OLG Köln, Urt. v. 27.8.2009, BeckRS 2011, 58; BeckOGK-BGB/Müller-Christmann, § 2111 Rn. 48 ff.; Staudinger/Avenarius, § 2111 Rn. 32 m. w. N.). Zwar ist die vorgenannte Entscheidung des BGH (NJW 1977, 1631) in der Literatur auf Kritik gestoßen (vgl. Krebber, FamRZ 2000, 197, 201 ff.; Peters, NJW 1977, 2075; Roggendorff, MittRhNotK 1981, 29, 31; Wolf, JuS 1981, 14 sowie m. w. N. BeckOGK-BGB/Müller-Christmann, § 2111 Rn. 49.1). Allerdings wurde insofern maßgeblich hinterfragt, ob die in der Entscheidung vorgenommene Aufteilung zwischen Grundstück (Erwerb mit Eigenmitteln des Vorerben) und darauf errichtetem Gebäude (aus Nachlassmitteln) nach dem Verhältnis der jeweils eingesetzten Mittel gem. §§ 741 ff. BGB der vorrangigen Anwendung der sachenrechtlichen Vorschrift des § 946 BGB und damit dem Alleineigentum des Vorerben hätte weichen und der Nacherbe auf Geldansprüche nach §§ 2138 Abs. 2, 2134 BGB hätte verwiesen werden müssen (dafür etwa BeckOGK-BGB/Müller-Christmann, § 2111 Rn. 49.1). Die allgemein eintretenden Rechtsfolgen der Surrogation nach Bruchteilen sind aber grds. unstreitig.

II. Weitere Anspruchsgrundlagen des Nacherben gegen den Vorerben (Frage 2)
In dem Fall, dass ein Vorerbe der Nacherbenbindung unterliegende Nachlassmittel verwendet, dürften – abhängig von den Umständen des Einzelfalles – insbesondere Ausgleichsansprüche des Nacherben gegen diesen nach § 2134 S. 1 BGB und Schadensersatzansprüche nach §§ 280, 2130, 2131, 277 BGB, nach § 2138 Abs. 2 BGB und/oder nach § 826 BGB in Betracht kommen (vgl. m. w. N. BeckOGK-BGB/Deppenkemper, Std.: 1.3.2021, § 2134 Rn. 15, § 2138 Rn. 52; Staudinger/Avenarius, § 2138, Rn. 14-17). Allerdings ist darauf hinzuweisen, dass der Erblasser den Vorerben von den Verpflichtungen des § 2134 BGB sowie § 2130 BGB befreien kann (vgl. § 2136 BGB), sodass es im Einzelfall bei etwaigen Schadensersatzansprüchen nach § 2138 Abs. 2 BGB bzw. § 826 BGB verbleiben dürfte, die aber bei Befreiung des Vorerben nur in seltenen Fällen einschlägig sein dürften. Daneben hat der Erbe nach Eintritt des Nacherbfalls die Rechte gem. § 260 BGB, sodass er die Vorlage eines Bestandsverzeichnisses und ggf. die Abgabe einer eidesstattlichen Versicherung (§ 261 BGB) verlangen kann (Staudinger/Avenarius, § 2138 Rn. 5).

III. Möglichkeit der Entziehung aus der Nacherbenbindung durch Tilgung von Eigenverbindlichkeiten (Frage 3)
Soweit darüber hinaus gefragt wird, ob es im Ergebnis möglich sei, sich durch Tilgung von Eigenverbindlichkeiten der Nacherbenbindung zu entziehen, ist uns eine abstrakte Einschätzung losgelöst vom jeweiligen Sachverhalt kaum möglich. Dies dürfte jedoch dann nicht per se auszuschließen sein, wenn zum einen eine Befreiung des Vorerben insb. von §§ 2130, 2134 BGB angeordnet ist und zum anderen kein Surrogationsgegenstand (mehr) vorhanden ist; dies wiederum dürfte insbesondere denkbar sein, wenn der Surrogationsgegenstand ersatzlos verbraucht wurde oder die Verbindlichkeiten gar nicht zum Erwerb eines Gegenstandes, sondern bspw. zwecks Inanspruchnahme einer Dienstleistung (z.B. ärztliche Behandlung) aufgenommen wurden. Insofern dürfte insb. zu beachten sein, dass in derartigen Konstellationen auch ein für grds. einschlägige Schadensersatzansprüche (§§ 2138 Abs. 2, 826 BGB) notwendiges Verschulden nicht zwingend vorliegen wird. Dies überzeugt im Ergebnis auch wertungsmäßig, da der befreite Vorerbe gerade berechtigt ist, die Erbschaft zu verbrauchen (vgl. nur BeckOGK-BGB/Deppenkemper, § 2136 Rn. 46).

Gutachten/Abruf-Nr:

188459

Erscheinungsdatum:

02.06.2022

Rechtsbezug

National

Erschienen in:

DNotI-Report 2022, 83-85

Normen in Titel:

BGB § 2134; BGB § 2138; BGB § 2111; BGB § 2136