30. September 2022
BauGB § 195

Pflicht zur Übersendung von Überlassungsverträgen; Teilentgeltlichkeit

BauGB § 195
Pflicht zur Übersendung von Überlassungsverträgen; Teilentgeltlichkeit

I. Sachverhalt
Der Gutachterausschuss einer Gemeinde verlangt unter Berufung auf § 195 Abs. 1 BauGB die Übersendung sogenannter Überlassungsverträge (Grundstücksübertragungen im Wege der vorweggenommenen Erbfolge).

II. Fragen
1. Sind Überlassungsverträge gem. § 195 Abs. 1 BauGB dem Gutachterausschuss zu übersenden?

2. Was gilt, wenn es sich um (teil-)entgeltliche Verträge handelt, Rechte (etwa ein Wohnungsrecht oder ein Nießbrauch) vorbehalten werden oder sonstige Gegenleistungen vereinbart sind?

3. Verstößt der Notar gegen seine Verschwiegenheitspflicht, wenn er die Abschrift eines Vertrags, der kein Kauf-, Tausch- oder Erbbaurechtsbestellungsvertrag ist, an den Gutachterausschuss übersendet?

III. Zur Rechtslage
1. Allgemeines zur Übersendung von Vertragsabschriften an den Gutachterausschuss
Gem. § 195 Abs. 1 BauGB ist jeder Vertrag über eine entgeltliche Grundstücksveräußerung in Abschrift dem Gutachterausschuss zur Führung der Kaufpreissammlung zu übersenden. Entgeltlichkeit ist dann anzunehmen, wenn der Erwerber für die Eigentumsübertragung eine wirtschaftliche Gegenleistung erbringen muss. Als Gegenleistung kommen insbesondere die Zahlung einer Geldsumme oder einer Rente, der Erlass einer Schuld und der Verzicht auf einen Anspruch in Betracht (Schrödter/Köster, BauGB, 9. Aufl. 2019, § 195 Rn. 2; EZBK/Kleiber, BauGB, 145. EL 2/2022, § 195 Rn. 11 f.; BeckOK-BauGB/Federwisch, Std.: 1.8.2021, § 195 Rn. 4.1). Der Begriff der Entgeltlichkeit ist wie im Schenkungsrecht des BGB zu verstehen (BeckOK-BauGB/Federwisch, § 195 Rn. 4.1).

Nicht übersendungspflichtig sind daher Verträge, die zur unentgeltlichen Übertragung des Eigentums an einem Grundstück – etwa im Wege einer reinen Schenkung nach § 516 BGB – verpflichten (EZBK/Kleiber, § 195 Rn. 12; BeckOK-BauGB/Federwisch, § 195 Rn. 4.1; Schrödter/Köster, § 195 Rn. 2). Hierunter dürften jedenfalls Überlassungsverträge fallen, in denen weder bestimmte Gegenleistungen vereinbart noch Rechte vorbehalten werden.

2. Besonderheiten bei Überlassungsverträgen
Soweit der Überlassungsvertrag weitere Bestimmungen (bspw. einen Rechtevorbehalt oder Gegenleistungen) vorsieht, dürfte u. E. wie folgt zu differenzieren sein:

a) Vorbehalt von Rechten für den Veräußerer
Behält sich der Veräußerer lediglich ein Recht (bspw. Wohnungs-, Nießbrauchs- oder Rückforderungsrecht) vor, dürfte darin regelmäßig kein Entgelt des Erwerbers für die Übertragung i. S. d. § 195 BauGB zu sehen sein. Vielmehr erhält der Erwerber nur das mit einem Wohnungs-, Nießbrauchs- oder Rückforderungsrecht belastete Eigentum. Diese Rechte mindern nach allgemeinen Grundsätzen zwar den Wert der Schenkung, sind aber keine Gegenleistung oder ein Entgelt im eigentlichen Sinne (vgl. zu den Parallelwertungen im Rahmen des Schenkungsrechts des BGB MünchKommBGB/Koch, 8. Aufl. 2019, § 516 Rn. 25). Ähnlich wie bei der Übernahme bestehender Belastungen erbringt der Erwerber kein eigenes Vermögensopfer, sondern erhält lediglich weniger zugewendet, als wenn ihm das Eigentum an dem Grundstück ohne die Belastung verschafft worden wäre (vgl. BGH NJW 2012, 605, 606; BeckOGK-BGB/Harke, Std.: 1.7.2022, § 516 Rn. 63) bzw. kein Rückforderungsrecht vorgesehen wurde (vgl. insg. BeckOK-BNotO/Sander, Std.: 1.8.2022, § 18 Rn. 114). Insofern kommt es auch im Anwendungsbereich des § 195 BauGB auf eine „wirtschaftliche Gegenleistung“ (Schrödter/Köster, § 195 Rn. 2) an. Diese dürfte in den genannten Fällen nicht gegeben sein (i. E. ebenso Jäde/Dirnberger/Széchényi, BauGB, BauNVO, 10. Aufl. 2022, § 195 BauGB Rn. 2; BeckOK-BNotO/Sander, § 18 Rn. 110; unklar BeckOK-BauGB/Federwisch, § 195 Rn. 4.1 sowie Schrödter/Köster, § 195 Rn. 2, die pauschal die Entgeltlichkeit bei der „Einräumung eines Wohnungsrechts“ bejahen).

b) Teilentgeltliche Überlassungsverträge
Anders stellt es sich jedoch dar, sofern der Erwerber wirtschaftlich betrachtet eine Gegenleistung erbringen muss, etwa Zahlungen an den Veräußerer oder weichende Geschwister, Pflichtteilsverzichte, Rentenzahlungs- oder Pflegeverpflichtungen. Auch wenn in derartigen Fällen die Gegenleistung regelmäßig hinter dem Wert des Grundstücks zurückbleibt und somit lediglich Teilentgeltlichkeit vorliegt, dürfte ein am Wortlaut der Norm orientiertes Verständnis dafür sprechen, dass derartige Verträge dem Gutachterausschuss zu übersenden sind (so die h. Lit. bezüglich teilentgeltlicher Verträge, vgl. EZBK/Kleiber, § 195 Rn. 11 f.; BeckOK-BauGB/Federwisch, § 195 Rn. 4.1; Schrödter/Köster, § 195 Rn. ; Frenz/Miermeister/Bremkamp, BNotO, 5. Aufl. 2020, § 18 Rn. 105; a. A. aber wohl Széchényi, § 195 BauGB Rn. 2). Für die Frage der Entgeltlichkeit soll es gerade nicht darauf ankommen, ob das Entgelt wirtschaftlich angemessen ist (EZBK/Kleiber, § 195 Rn. 12; BeckOK-BauGB/Federwisch, § 195 Rn. 4.1).

Dagegen lässt sich zwar einwenden, dass die Übersendung teilentgeltlicher Überlassungsverträge an die Kaufpreissammlung mit Blick auf die Aufgaben des Gutachterausschusses wenig zweckmäßig erscheint. Der Wert eines Grundstücks ist einem teilentgeltlichen Vertrag nicht zu entnehmen, sodass derartige Verträge für die Kaufpreissammlung kaum auswertbar sind (mit teleologisch begründeten Zweifeln auch Széchényi, § 195 BauGB Rn. 2). Angesichts der wohl herrschenden Auffassung in der Literatur dürfte sich eine Übersendung in der Praxis gleichwohl empfehlen. So betont Széchényi (§ 195 BauGB Rn. 3), dass der Notar zur Übersendung verpflichtet sei, soweit das Geschäft nicht eindeutig unentgeltlich sei. Der Notar sei nicht dazu berufen, selbst zu beurteilen, „ob tatsächlich ein entgeltliches oder nur ein sich als solches gerierendes, in Wirklichkeit aber (teilweise) unentgeltliches Veräußerungsgeschäft“ vorliege.

3. Vereinbarkeit mit der Verschwiegenheitspflicht (§ 18 BNotO)
Durch die Übersendung von Abschriften an den Gutachterausschuss verstößt der Notar nicht gegen seine Pflicht zur Verschwiegenheit (§ 18 BNotO). § 195 Abs. 1 BauGB geht § 18 BNotO als lex specialis vor, sodass die Übersendung von Vertragsurkunden an den Gutachterausschuss mit der grundsätzlichen Verpflichtung zur Verschwiegenheit vereinbar ist (vgl. EZBK/Kleiber, § 195 Rn. 7; BeckOK-BauGB/Federwisch, § 195 Rn. 3).

4. Ergebnis
Überlassungsverträge ohne Rechtevorbehalt oder vereinbarte Gegenleistungen sind dem Gutachterausschuss nicht nach § 195 BauGB zu übersenden. Soweit Rechte vorbehalten oder Gegenleistungen vereinbart wurden, wird danach zu differenzieren sein, ob diese bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise eine Gegenleistung darstellen oder sich hierdurch nur der Umfang der Zuwendung schmälert.

Gutachten/Abruf-Nr:

192144

Erscheinungsdatum:

30.09.2022

Rechtsbezug

National

Rechtsgebiete:

Öffentliches Baurecht

Erschienen in:

DNotI-Report 2022, 148-149

Normen in Titel:

BauGB § 195