12. Juni 2020
MaßnG-GesR § 5 Abs. 3; BGB § 126b; BGB § 32 Abs. 2

Eingetragener Verein; Beschlussfassung im Rahmen einer sog. Doodle-Umfrage; Anforderungen an Textform

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Gutachten des Deutschen Notarinstituts
Abruf-Nr.: 177725
letzte Aktualisierung: 1 2 . Juni 2020

BGB §§ 32 Abs. 2, 126b; MaßnG-GesR § 5 Abs. 3
Eingetragener Verein; Beschlussfassung im Rahmen einer sog. Doodle-Umfrage;
Anforderungen an Textform

I. Sachverhalt

Ein eingetragener Verein kann wegen der Corona-Pandemie aktuell keine Mitgliederversammlung
abhalten. Die anstehenden Beschlüsse sollen daher gem. § 5 Abs. 3 des Gesetzes
über Maßnahmen im Gesellschafts-, Genossenschafts-, Vereins-, Stiftungs- und Wohnungseigentumsrecht
zur Bekämpfung der Auswirkungen der COVID-19-Pandemie (BGBl. I 2020,
S. 570, dort Art. 2; im Folgenden kurz: MaßnG-GesR) gefasst werden. Konkret ist geplant, die
Beschlüsse über die Internet-Plattform „Doodle“ abzuwickeln.

„Doodle“ ist eine Internetseite, auf der die Benutzer Umfragen und Abstimmungen einrichten
und die Teilnehmer dazu per E-Mail einladen können. Dafür wird den Teilnehmern ein Link zu
einer Internetseite bereitgestellt, auf der diese ihre Stimmen unter Nennung ihres Namens
abgeben können. Die Identität der Teilnehmer wird nicht überprüft. Es können aber nur diejenigen
ihre Stimme abgegeben, denen der Einladungslink bekannt ist. Das Ergebnis der Umfrage
lässt sich auf der Internetseite unter dem bereitgestellten Link dauerhaft abrufen. Der
Initiator (= Administrator der jeweiligen Umfrage) kann die Abstimmungsmodalitäten festlegen.
Je nachdem, ob eine kostenlose Basisversion oder eine kostenpflichtige Version verwendet wird,
stehen verschiedene Einstellungsmöglichkeiten zur Verfügung (Stimmen veränderbar,
Abstimmungsfristen, „versteckte Umfrage“, anonyme Abstimmung etc.). Unter anderem lässt
sich bestimmen, dass nur die eigene Stimme sichtbar ist und dass die Stimme nur unter
bestimmten Voraussetzungen bis zu einem bestimmten Zeitpunkt geändert werden kann. Ab
dem festgelegten Zeitpunkt ist die eigene Stimme unveränderlich.

II. Frage

Genügt diese Art der Abstimmung den Anforderungen des § 5 Abs. 3 MaßnG-GesR?

III. Zur Rechtslage

1. Modifikation des § 32 Abs. 2 BGB durch § 5 Abs. 3 MaßnG-GesR

Gem. § 32 Abs. 1 BGB werden die Angelegenheiten des Vereins grundsätzlich durch
Beschlussfassung in einer Versammlung der Mitglieder geordnet. Davon macht § 32 Abs. 2
BGB eine Ausnahme für den Fall, dass alle Mitglieder ihre Zustimmung zum Beschluss
schriftlich erklären. Geschieht dies, so ist die Abhaltung einer Versammlung entbehrlich.

Bisher konnte aber selbst eine einzige Nein-Stimme den Beschluss im schriftlichen Verfahren
verhindern (vgl. BeckOGK-BGB/Notz, Std.: 15.9.2018, § 32 Rn. 196).

§ 5 Abs. 3 MaßnG-GesR modifiziert § 32 Abs. 2 BGB dahingehend, dass ein versammlungsloser
Beschluss auch dann gültig ist, „wenn alle Mitglieder beteiligt wurden,
bis zu dem vom Verein gesetzten Termin mindestens die Hälfte der Mitglieder ihre
Stimmen in Textform abgegeben haben und der Beschluss mit der erforderlichen Mehrheit
gefasst wurde“. Für eine wirksame Beschlussfassung ist demnach erforderlich, dass die
Stimmen mindestens in Textform abgegeben wurden. Es stellt sich also die Frage, ob die
Stimmabgabe im Rahmen einer sog. Doodle-Umfrage den Anforderungen des § 126b BGB
genügt. Die Gesetzesbegründung nennt beispielhaft eine Abstimmung per E-Mail und Telefax
(vgl. BT-Drucks. 19/18110, S. 30), schließt aber andere Methoden der Stimmabgabe in
Textform nicht aus. Das Gesetz ist insofern medienoffen gestaltet. Es dürfte daher grundsätzlich
möglich sein, auf andere Verfahren zurückzugreifen, solange diese den Anforderungen
des § 126b BGB genügen.

2. Anforderungen an die Textform i. S. d. § 126b BGB

a) Dauerhafter Datenträger

Gem. § 126b S. 1 BGB verlangt „Textform“ eine lesbare Erklärung, in der die Person
des Erklärenden genannt ist, auf einem dauerhaften Datenträger. Dauerhafter Datenträger
ist gem. § 126b S. 2 BGB jedes Medium, das es dem Empfänger ermöglicht, eine
auf dem Datenträger befindliche, an ihn persönlich gerichtete Erklärung so aufzubewahren
oder zu speichern, dass sie ihm während eines für ihren Zweck angemessenen
Zeitraums zugänglich ist und geeignet ist, die Erklärung unverändert
wiederzugeben. Weitere Anforderungen, bspw. an die Feststellung der
Identität oder die Identifizierbarkeit mittels Unterschrift, stellt das Gesetz an die Textform
nicht. Die Textform bietet demnach keinen Schutz der Authentizität oder
Integrität der Erklärung und erfüllt keine Identifizierungs- oder Beweisfunktion. Ihr
Sinn und Zweck erschöpft sich darin, dass die Beteiligten den Inhalt der Erklärung in
Ruhe durchlesen und später ggf. noch einmal nachlesen können (BeckOGKBGB/
Primaczenko/Frohn, Std.: 1.5.2020, § 126b Rn. 5; Staudinger/Hertel, BGB,
2017, § 126b Rn. 10). Vor diesem Hintergrund reicht etwa die dauerhafte Speicherung
auf Festplatte, USB-Stick, CD-ROM, DVD oder E-Mail.

Die Frage, ob eine sog. Doodle-Umfrage (oder eine sonstige „Abstimmungs-
Website“) den genannten Anforderungen genügt, haben wir nicht unmittelbar erörtert
gefunden. Auch sind uns die technischen Hintergründe des Ablaufs und der
Speicherung der Umfrageergebnisse nicht vollumfänglich bekannt. Geht man – wie im
Sachverhalt – davon aus, dass die Ergebnisse dauerhaft gespeichert und jedenfalls dem
Administrator der Umfrage dauerhaft zugänglich sind, so wird letztlich vom Initiator
eine Plattform bei einem Drittanbieter bereitgestellt, auf der die einzelnen Vereinsmitglieder
ihre Stimme dauerhaft „hinterlegen“ können. Im Hinblick auf die Mindestanforderungen
der Textform ist jedenfalls auf einen Abstimmungsmodus zu achten, in
dem die Stimmen nicht von anderen Benutzern oder noch nach Abstimmungsende
vom Abstimmenden selbst geändert werden können.

b) Zugang der Erklärung

Erforderlich ist zudem der formgerechte Zugang der Erklärung i. S. d. § 130 BGB (vgl.
BeckOGK-BGB/Primaczenko/Frohn, § 126b Rn. 20). Während Fax, PDF-Scan oder
E-Mail beim Empfänger unproblematisch zugehen können, ist bei digitalisierten
Inhalten auf einer Internetseite zu differenzieren. Die Literatur geht überwiegend davon
aus, dass das Einstellen von Informationen auf einer Website nur dann dem Textformerfordernis
genügt, wenn der Empfänger die im Internet bereitgehaltene
Erklärung tatsächlich abspeichert oder ausdruckt (vgl. BeckOGKBGB/
Primaczenko/Frohn, § 126b Rn. 18; MünchKommBGB/Einsele, 8. Aufl. 2018,
§ 126b Rn. 11; für das Bereitstellen einer Widerrufsbelehrung auf einer Website BGH
NJW 2014, 2857). Die vorhandene Rechtsprechung betraf allerdings Fälle, in denen die
Erklärung (dort: Widerrufsbelehrung) auf einem Server des Erklärenden gespeichert war.
Dies ist mit dem vorliegenden Fall nicht vergleichbar. Dort eröffnet nämlich der
Erklärungsempfänger eine technische Möglichkeit, die abgegebene Erklärung auf einer
Homepage zu hinterlegen. Die Homepage wird zwar von einem Drittanbieter
betrieben, die konkrete Umfrage unterliegt jedoch der Herrschaftsmacht des
Erklärungsempfängers (über die Administrationsseite der konkreten Umfrage). Es
dürfte also schon mit der Stimmabgabe auf der bereitgestellten Homepage ein „Abspeichern“
der Erklärung im vorgenannten Sinne zu bejahen sein, denn es kann keinen
Unterschied machen, ob dem Empfänger eine E-Mail zugeht, die auf dem Server des
E-Mail-Providers gespeichert wird, oder für ihn eine Ja/Nein-Erklärung auf einer
sonstigen Website, die der Empfänger zum Empfang bereitstellt, hinterlegt wird
(ähnlich jurisPK-BGB/Junker, 9. Aufl. 2020, § 126b Rn. 40).

Die Erklärung muss dem Empfänger dabei dauerhaft und unveränderlich zur Verfügung
stehen (BeckOK-BGB/Wendtland, Std.: 1.5.2020, § 126b Rn. 9). Inwieweit
dieses Merkmal bei einer sog. Doodle-Umfrage erfüllt ist, vermögen wir nicht
abschließend zu beurteilen. Es erscheint uns jedoch naheliegend, dass man über entsprechende
Einstellungen – jedenfalls ab einem bestimmten Zeitpunkt – eine
Bearbeitung der Erklärung durch den Erklärenden verhindern kann.

Für das gewählte Verfahren spricht zudem, dass letztlich auch Erklärungen, die über die
Doodle-Website an den Initiator gerichtet werden, dauerhaft auf einer Festplatte
gespeichert sind – wenngleich nicht auf der Festplatte des Empfängers. Der Empfänger
kann jedoch über den Link dauerhaft auf diese Erklärung zugreifen. Ein Erfordernis,
dass der Empfänger selbst „Herr über das Speichermedium“ sein muss, lässt sich dem
Gesetz nicht entnehmen.

c) Lesbarkeit der Erklärung / Person des Erklärenden

Die Erklärung muss schließlich lesbar sein und die Person des Erklärenden erkennen
lassen, wobei genügt, dass die elektronische Erklärung über ein Anzeigeprogramm
lesbar ist (Palandt/Ellenberger, BGB, 79. Aufl. 2020, § 126b Rn. 3). Der Wahrung der
Textform dürfte also nicht entgegenstehen, dass die einzelnen Stimmen als Code der
Website für den Empfänger nur insofern lesbar sind, als die Website die „Übersetzung“
des Quellcodes für den Empfänger übernimmt.

Darüber hinaus muss die Person des Erklärenden genannt werden
(Palandt/Ellenberger, § 126b Rn. 4; MünchKommBGB/Einsele, § 126b Rn. 7). Aus-
reichend dürfte sein, dass die Mitglieder im Abstimmungsfeld ihren Namen angeben,
soweit dieser dann auch für den Empfänger (Initiator der Anfrage) lesbar ist. Eine
irgendwie geartete Identifizierung des Erklärenden ist gerade nicht erforderlich (vgl.
lit. a).

d) Abschluss der Erklärung

Einen „Abschluss der Erklärung“ verlangt die Neufassung des §§ 126b BGB zwar nicht
mehr ausdrücklich; in der Literatur besteht jedoch weitgehend Einigkeit, dass eine
inhaltliche Änderung der bisherigen Rechtslage nicht beabsichtigt war
(Palandt/Ellenberger, § 126b Rn. 5; BeckOGK-BGB/Primaczenko/Frohn, § 126b
Rn. 23; vgl. auch BT-Drucks. 17/12637, S. 44). Der Sinn und Zweck des Erfordernisses
liegt darin, dass für den Empfänger ersichtlich ist, ob die Erklärung rechtlich
bindend sein soll und vollständig ist (BeckOGK-BGB/Primaczenko/Frohn, § 126b
Rn. 23; MünchKommBGB/Einsele, § 126b Rn. 8). Die Erklärung soll sich damit von
bloßen Entwürfen ohne rechtliche Bindung abgrenzen lassen
(MünchKommBGB/Einsele, § 126b Rn. 8).

Bei der Stimmabgabe im Rahmen einer sog. Doodle-Umfrage gibt es regelmäßig überhaupt
nur die Option, seinen Namen einzugeben und mit „Ja“ oder „Nein“ zu
stimmen. Für den Empfänger ist also ohne Weiteres ersichtlich, wo die Erklärung
beginnt und endet. Abgrenzungsschwierigkeiten zu einem bloßen Entwurf dürften sich
hier von vornherein nicht einstellen. Die Erklärung ist vielmehr ihrer Natur nach mit
dem Abschicken der Stimme vollständig und „abgeschlossen“. Nach dem Normzweck
wird man dieses Erfordernis deshalb vorliegend als erfüllt ansehen können.

3. Fazit

Im Ergebnis würden wir davon ausgehen, dass bei entsprechender Gestaltung des Verfahrens
auch die Abstimmung mittels einer sog. Doodle-Umfrage den Anforderungen der
Textform genügen kann. Voraussetzung dafür ist, dass die Ergebnisse – jedenfalls ab einem
bestimmten Zeitpunkt (dem „Abstimmungsende“) – unveränderlich auf der vom
Administrator eingerichteten Abstimmungsseite gespeichert werden.

Gutachten/Abruf-Nr:

177725

Erscheinungsdatum:

12.06.2020

Rechtsbezug

National

Normen in Titel:

MaßnG-GesR § 5 Abs. 3; BGB § 126b; BGB § 32 Abs. 2