03. Juli 2020
EGBGB Art. 15

Volksrepublik China: Rückverweisung aufgrund Inkrafttretens des Rechtsanwendungsgesetzes nach der Heirat in China

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Gutachten des Deutschen Notarinstituts
Abruf-Nr.: 177627
letzte Aktualisierung: 3. Juli 2020

EGBGB a. F. Art. 15
Volksrepublik China: Rückverweisung aufgrund Inkrafttretens des Rechtsanwendungsgesetzes
nach der Heirat in China

I. Sachverhalt

Der Erblasser hat 1990 in China geheiratet. Damals waren er und seine Ehefrau beide chinesische
Staatsangehörige. Seit ca. 2000 leben sie beide in Deutschland. Zwischenzeitlich hat der
Ehemann auch die deutsche Staatsangehörigkeit erworben. Im Jahr 2018 ist er verstorben.
Das Nachlassgericht hat einen Erbschein erteilt, wonach die überlebende Ehefrau eine Erbquote
von ¼ und das Kind eine Erbquote von ¾ kraft gesetzlicher Erbfolge erhält.

II. Frage

Bestimmt sich die Erbquote vorliegend nach § 1371 BGB?

III. Zur Rechtslage

1. Auf die Erbfolge anwendbares Recht

Im vorliegenden Fall findet auf die Erbfolge gem. Art. 21 Abs. 1 EuErbVO das Recht des
Staates Anwendung, in dem der Erblasser zum Zeitpunkt seines Todes seinen gewöhnlichen
Aufenthalt hatte. Da der Erblasser seit nahezu 18 Jahren in Deutschland lebte, hier
auch die deutsche Staatsangehörigkeit erworben hatte und offenbar kaum noch
Beziehungen nach China hatte, hat er seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland
gehabt, so dass deutsches Recht Erbstatut ist.

Mit der Anwendbarkeit deutschen Rechts ergibt sich auch die Anwendbarkeit von § 1931
BGB insbesondere §§ 1931 Abs. 3 und 1371 Abs. 1 BGB für die Bestimmung der Erbquote
der Ehefrau im Rahmen der gesetzlichen Erbfolge (vgl. EuGH NJW 2018, 1377
„Mahnkopf“). Insoweit wäre also zu ermitteln, in welchem Güterstand die Eheleute zuletzt
gelebt haben, insbesondere ob sie im Güterstand der Zugewinngemeinschaft gelebt haben.

2. Auf die güterrechtlichen Wirkungen der Ehe anwendbares Recht
Da die Eheschließung vor dem 29.1.2019 stattgefunden hat, ist gem. Art. 229 § 47 Abs. 1
EGBGB das auf die güterrechtlichen Wirkungen der Ehe anwendbare Recht nach Art. 15
Abs. 1 EGBGB a. F. zu bestimmen. Da die Eheleute zum Zeitpunkt der Eheschließung
beide Staatsangehörige der Volksrepublik China waren, gilt über Art. 15 Abs. 1 i. V. m.
Art. 14 Abs. 1 Ziff. 1 EGBGB a. F. also das Recht der Volksrepublik China.
Die Verweisung auf das chinesische Recht erfasst gem. Art. 4 Abs. 1 EGBGB auch das
chinesische Internationale Privatrecht. Insbesondere wäre eine Rückverweisung durch das
chinesische IPR zu beachten.

Das Internationale Privatrecht der Volksrepublik China (Festland) war zum Zeitpunkt der
Eheschließung des Erblassers im Jahr 1990 nur unvollständig kodifiziert. Weder die
international-privatrechtlichen gesetzlichen Bestimmungen im 8. Kap. der „Allgemeinen
Regeln des Zivilrechts der Volksrepublik China“ vom 12.4.1986 noch die dazu ergangenen
„Versuchsweise durchgeführten Ansichten des Obersten Volksgerichts zu einigen Fragen
der Anwendung der Allgemeinen Regeln des Zivilrechts der Volksrepublik China“ vom
26.1.1988 (deutsche Übersetzung beider Texte in: Kropholler/Krüger/
Riering/Samtleben/Siehr, Außereuropäische IPR-Gesetze, 1999, S. 188 ff.) enthalten
eine Regelung, die das auf die Ehewirkungen anwendbare Recht bestimmt. Allerdings bestimmte
Ziff. 188 der Ansichten des Obersten Volksgerichts, dass in Ehescheidungsfällen
mit Auslandsberührung, die von chinesischen Gerichten angenommen werden, auf die
Scheidung und die von der Scheidung herbeigeführte Vermögensteilung das chinesische
Recht angewandt wird. Hieraus ließ sich folgern, dass chinesische Gerichte nicht nur bei
Scheidungen, sondern auch in anderen Verfahren zur Beurteilung güterrechtlicher Fragen
chinesisches Recht anwenden, soweit nur die internationale Zuständigkeit chinesischer Gerichte
gegeben ist (vgl. Süß, in: Rieck, Ausländisches Familienrecht, Länderbericht China
(Stand: November 2006) Rn. 39).

Nach der chinesischen Rechtsprechung sollten sich im Ausland ansässige chinesische Staatsangehörige
für die Scheidung ihrer Ehe grundsätzlich an die Gerichte ihres Ansässigkeitsstaates
wenden, selbst dann, wenn beide chinesische Staatsangehörige sind. Eine subsidiäre
Zuständigkeit der chinesischen Gerichte wurde nur ausnahmsweise angenommen, wenn
sich die Gerichte des Ansässigkeitsstaates für die Scheidung aufgrund der chinesischen
Staatsangehörigkeit der Ehegatten bzw. der Eheschließung in China für unzuständig
erklären (vgl. von Senger, Internationales Privat- und Zivilverfahrensrecht der Volksrepublik
China, Zürich 1994, Bd. 1, S. 367; Süß, Grundzüge des chinesischen Internationalen
Privatrechts, 1991, S. 142). Dabei liegt eine Ansässigkeit in einem ausländischen Staat dann
vor, wenn ein chinesischer Bürger in einem ausländischen Staat langfristig wohnt und dort
das Aufenthaltsrecht erhalten hat. Langfristig bedeutet hier i. d. R. mehr als drei Jahre. Vorübergehende
Aufenthalte zur Arbeit oder zum Studium sind ausgenommen (Süß, S. 60).

Vom 1.4.2011 an gilt in der Volksrepublik China das Gesetz der Volksrepublik China über
die Rechtsanwendung in Zivilsachen mit Auslandsberührung vom 1.11.2010 (RAG). Dieses
bestimmt in § 24 das auf die güterrechtlichen Wirkungen der Ehe anwendbare Recht wie
folgt:

§ 24.

Die Parteien können für die Vermögensbeziehungen der Eheleute das Recht des
gewöhnlichen Aufenthalts einer Partei, das Recht ihrer Staatsangehörigkeit oder
das Recht des Ortes, an dem das Vermögen im Wesentlichen belegen ist, einvernehmlich
wählen. Haben die Parteien nicht gewählt, wird das Recht des gemeinsamen
gewöhnlichen Aufenthalts angewandt; gibt es keinen gemeinsamen gewöhnlichen
Aufenthalt, wird das Recht der gemeinsamen Staatsangehörigkeit angewandt.

Hiernach gilt das Recht des Staates, in dem beide Eheleute ihren gewöhnlichen Aufenthalt
haben. Im Gegensatz zu Art. 15 EGBGB wird der Anknüpfungspunkt für das Güterstatut
hierbei nicht auf einen bestimmten Zeitpunkt fixiert. Vielmehr wird auf das Recht des
Staates verwiesen, in dem die Eheleute jeweils aktuell ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben
(wandelbare Anknüpfung). Auch wenn im deutschen Internationalen Privatrecht das Güterstatut
unwandelbar an die Umstände bei Eheschließung angeknüpft wird, ein späterer
Wechsel der für die Anknüpfung maßgeblichen Umstände also unbeachtlich bleibt, wird
dennoch nach der in Deutschland wohl überwiegenden Rechtsprechung und Lehre es akzeptiert,
wenn es zu einem Statutenwechsel aufgrund einer beweglich ausgestalteten Rückverweisung
kommt (so z. B. OLG Hamm, MittBayNot 2010, 223; OLG Düsseldorf,
FamRZ 2011, 1511; KG FamRZ 2007, 1564; scheinbar a. A., da nur für ein Spezialfall des
Auseinanderfallens der jugoslawischen Föderation und des damit einhergehenden Verlustes
der gemeinsamen Staatsangehörigkeit OLG Nürnberg, MittBayNot 2011, 237 und OLG
Frankfurt, IPRax 2001, 140). Dementsprechend leben also im vorliegenden Fall die Eheleute
spätestens seit Inkrafttreten des neuen Rechtsanwendungsgesetzes der Volksrepublik
China aufgrund des Umstandes, dass sie nicht mehr gemeinsam in China leben im gesetzlichen
Güterstand der Zugewinngemeinschaft deutschen Rechts.

Das chinesische Gesetz sowie das internationale Privatrecht enthält nur wenige Übergangsvorschriften.
Gem. § 52 wird dieses vom 1.4.2011 an angewandt. § 51 bestimmt insoweit
„wenn dieses Gesetz nicht mit den §§ 146, 147 der allg. Grundsätze des Zivilrechts oder mit
§ 36 Erbgesetz der Volksrepublik China übereinstimmt, wird dieses Gesetz angewandt.“
Weitere Übergangsvorschriften sieht das Gesetz nicht vor. Insoweit wäre mithin davon auszugehen,
dass dieses für alle Rechtsverhältnisse ab dem 1.4.2011 anzuwenden ist. Insbesondere
im internationalen Güterrecht lässt sich diese Überlegung durch zwei weitere Aspekte
bestätigen: Zum einen ist zu berücksichtigen, dass es vor Erlass des IPR keinerlei Regeln
zum auf die güterrechtlichen Verhältnisse anwendbaren Recht gab (s. o.). Insoweit ist mithin
sogar zu vermuten, dass den kodifizierten Regeln für die Zeit vor dem formellen
Inkrafttreten der Neuregelung faktisch dadurch Rückwirkung zukommt, dass ihnen eine
klarstellende Funktion für den kodifikationslosen Zeitraum vor dem Inkrafttreten zugemessen
wird. Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass, anders als im deutschen Recht,
nach chinesischer Auffassung das Güterstatut wandelbar ist. Diese Vermutung wird auch
durch die Interpretationen des obersten Volksgerichts der Volksrepublik China zur Auslegung
des Rechtsanwendungsgesetzes v. 10.12.2012 (AZ 24/2012) bestätigt. So bestimmt
Art. 2 dieser Auslegungsregeln, dass dann, wenn eine zivilrechtliche Beziehung vor dem
Anwendungsstichtag für das Rechtsanwendungsgesetz entstanden ist, das Volksgericht die
Rechtsanwendung nach den zum Zeitpunkt der Entstehung dieser Beziehung geltenden
Regeln bestimmen soll. Enthielt das damalige Recht aber keinerlei Bestimmung, so können
die Vorschriften des Rechtsanwendungsgesetzes entsprechend angewandt werden. Aus
dieser Vorschrift ergibt sich u. E. zunächst, dass bei Dauerrechtsverhältnissen wie den
güterrechtlichen Beziehungen zwischen Eheleuten, die auf einer gesetzlichen Regelung
unmittelbar zurückzuführen sind, mit dem Zeitpunkt des Inkrafttretens des Rechtsanwendungsgesetzes
das neue Kollisionsrecht angewandt werden kann. Darüber hinaus
wäre aber auch für die Zeit vor dem Anwendungsstichtag für das Rechtsanwendungsgesetz
aufgrund des Umstandes, dass die damalige Rechtslage keinerlei gesetzliche Regelung für
das auf die güterrechtlichen Beziehungen von Eheleuten anwendbaren Rechts enthielt, auch
eine rückwirkende Anwendung der neuen Regeln auf den Zeitraum zwischen der Eheschließung
von 1990 bis zum Inkrafttreten des Rechtsanwendungsgesetzes am 1.1.2011
denkbar.

3. Ergebnis

Mithin kann also festgestellt werden, dass zumindest zum Zeitpunkt des Eintritts des Erbfalls
– welcher nach dem Anwendungsstichtag für das Rechtsanwendungsgesetz der Volksrepublik
China liegt – von einer Rückverweisung auf das aktuelle gemeinsame Aufenthaltsrecht
der Eheleute auszugehen ist, sodass diese also zuletzt im gesetzlichen Güterstand der
Zugewinngemeinschaft deutschen Rechts gelebt haben. Damit sind die Tatbestandsvoraussetzungen
für die Bestimmung der gesetzlichen Erbquote nach § 1931 Abs. 3 i. V. m. § 1371
Abs. 1 BGB erfüllt. Die überlebende Ehefrau erhält daher eine gesetzliche Erbquote von ½.

Gutachten/Abruf-Nr:

177627

Erscheinungsdatum:

03.07.2020

Rechtsbezug

National

Normen in Titel:

EGBGB Art. 15