13. Oktober 2022
BGB § 1978; BGB § 1985; BGB § 1984

Rechtsfragen im Vorfeld der Anordnung einer Nachlassverwaltung

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Abruf-Nr.: 193285
letzte Aktualisierung: 13. Oktober 2022

BGB §§ 1978, 1984, 1985
Rechtsfragen im Vorfeld der Anordnung einer Nachlassverwaltung

I. Sachverhalt
Ein Alleinerbe hat Nachlassverwaltung zur Beschränkung der Erbenhaftung beantragt gem.
§ 1975 BGB.

Alle bisher vom Nachlassgericht angefragten Personen haben die Übernahme der Nachlassverwaltung
wegen Arbeitsüberlastung abgelehnt. Es ist nicht absehbar, wann sich ein Nachlassverwalter
findet.

In der Zwischenzeit sind dringende Rechtshandlungen erforderlich. Beispielsweise sollen aus dem
Nachlass GmbH-Geschäftsanteile verkauft werden (Unternehmenskauf im Wege des Share-
Deals), weil das Unternehmen der GmbH kurzfristig wertlos wird, wenn eine sich jetzt bietende
Verkaufsgelegenheit nicht genutzt wird.

II. Fragen
1. Ist der Erbe, solange die Nachlassverwaltung durch das Nachlassgericht noch nicht angeordnet
wurde, verfügungsberechtigt? Oder verliert er durch den Antrag auf Anordnung der
Nachlassverwaltung bereits seine Verfügungsbefugnis?
2. Wie wirken sich Verfügungen des Erben in der Zwischenzeit (bis zur Anordnung der Nachlassverwaltung)
auf die Haftung des Erben aus? Besteht das Risiko, dass der Nachlassverwalter
bzw. ein späterer Nachlassinsolvenzverwalter entweder getätigte Geschäfte nach insolvenzrechtlichen
Regelungen rückgängig macht oder der Erbe Erstattungsansprüchen ausgesetzt
ist oder womöglich die Haftungsbeschränkung überhaupt entfällt?

III. Zur Rechtslage
1. Verfügungsbefugnis des Erben im Vorfeld einer Nachlassverwaltung
Nach § 1975 BGB beschränkt sich die Haftung des Erben für die Nachlassverbindlichkeiten
u. a. dann auf den Nachlass, wenn eine Nachlasspflegschaft zum Zwecke der Befriedigung
der Nachlassgläubiger (Nachlassverwaltung) angeordnet wurde. Mit der Anordnung der
Nachlassverwaltung verliert der Erbe die Befugnis, den Nachlass zu verwalten und über ihn
zu verfügen. Die Vorschriften der §§ 81 und 82 InsO finden entsprechende Anwendung
(§ 1984 Abs. 1 S. 1, 2 BGB). Zwangsvollstreckungen und Arreste in den Nachlass zugunsten
eines Gläubigers, der nicht Nachlassgläubiger ist, sind ausgeschlossen (§ 1984 Abs. 2 BGB).
Der Entzug der Verfügungsbefugnis zulasten des Erben tritt in Fällen der Nachlassverwaltung
also „mit der Anordnung der Nachlassverwaltung“ ein (§ 1984 Abs. 1 S. 1 BGB).
Gemeint ist damit die wirksam gewordene Anordnung der Nachlassverwaltung. Die Anordnung
der Nachlassverwaltung wird gem. § 40 Abs. 1 FamFG wirksam mit der Bekanntgabe
an den oder die Erben (Staudinger/Dobler, BGB, 2020, § 1984 Rn. 2; ohne inhaltliche
Abweichung: BeckOGK-BGB/Herzog, Std.: 1.9.2022, § 1984 Rn. 14). Bei mehreren Miterben
treten die Rechtsfolgen des § 1984 BGB bereits mit der ersten Bekanntgabe an einen von
ihnen diesem gegenüber ein. Erst mit der Bekanntgabe an alle sind sämtliche Miterben von
der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis ausgeschlossen. Da aber den Miterben die Verwaltung
des Nachlasses regelmäßig nur gemeinschaftlich zusteht (§ 2038 BGB) und sie auch
nur gemeinschaftlich über Nachlassgegenstände verfügen können (§ 2040 Abs. 1 BGB), setzt
das Verfügungsverbot in Fällen einer Erbengemeinschaft faktisch schon mit der Zustellung
an einen der Miterben ein (BeckOGK-BGB/Herzog, § 1984 Rn. 14.1; Staudinger/Dobler,
§ 1984 Rn. 3).

Ein vorwirkender Entzug der Verfügungsbefugnis des Erben bereits durch den Antrag auf
Anordnung der Nachlassverwaltung nach § 1975 BGB ist dem Gesetz dagegen unbekannt.
Es bewendet vielmehr bei den eben dargestellten Grundsätzen.

2. Haftung des Erben für Verfügungen im Vorfeld; Geltungsumfang des Insolvenzrechts
a) Ist die Nachlassverwaltung angeordnet, so ist der Erbe den Nachlassgläubigern für die
bisherige Verwaltung des Nachlasses so verantwortlich, wie wenn er von der Annahme
der Erbschaft an die Verwaltung für sie als Beauftragter zu führen gehabt hätte. Auf die
vor der Annahme der Erbschaft von dem Erben besorgten erbschaftlichen Geschäfte
finden die Vorschriften über die Geschäftsführung ohne Auftrag entsprechende Anwendung
(§ 1978 Abs. 1 BGB). Der Regelung des § 1978 BGB ist zunächst implizit die gesetzgeberische
Grundentscheidung zu entnehmen, dass dem Erben trotz des gesetzlichen
Zwecks der Befriedigung der Nachlassgläubiger (§ 1975 BGB) in Fällen der Anordnung
einer Nachlassverwaltung nicht rückwirkend auf den Erbfall die Verfügungsmacht über
die Nachlassgegenstände genommen wird. Eine derartige Rückwirkung wird lediglich
ausnahmsweise in § 1976 BGB für die Konfusion und Konsolidation sowie in § 1977
BGB für das Unwirksamwerden einer Aufrechnung angeordnet. Hinsichtlich der Verfügungsbefugnis
belassen es die gesetzlichen Vorschriften hingegen bei den durch den Erben
als Berechtigten vorgenommenen Verfügungen. Das Gesetz macht den Erben aber
für seine Verwaltungsmaßnahmen den Nachlassgläubigern gegenüber verantwortlich,
wobei § 1978 Abs. 1 S. 1, 2 BGB zwischen der Zeit vor und nach der Annahme der
Erbschaft unterscheiden. Damit wird – wenn auch nur schuldrechtlich – erreicht, dass
der Erbe mit dem ganzen Nachlass (cum viribus hereditatis) den Gläubigern haftet
(vgl. BGH NJW 2014, 391 Rn. 11; MünchKommBGB/Küpper, 9. Aufl. 2022, § 1978
Rn. 1).

b) Stellt ein Nachlassgläubiger den Antrag auf Anordnung der Nachlassverwaltung, so ist
der Antrag ausgeschlossen, wenn seit der Annahme der Erbschaft zwei Jahre verstrichen
sind (§ 1981 Abs. 2 S. 2 BGB). Demgegenüber besteht für das in § 1981 Abs. 1 BGB
normierte Antragsrecht des Erben keine vergleichbare zeitliche Beschränkung.
Lediglich in Sonderfällen ist eine Verwirkung des Rechts der Haftungsbeschränkung
praeter legem denkbar (RG DR 1939, 381). Im Übrigen hat das Antragsrecht des Erben auf
Anordnung der Nachlassverwaltung gem. § 1981 Abs. 1 BGB zur alleinigen Voraussetzung,
dass er nicht bereits allen Nachlassgläubigern gegenüber unbeschränkbar haftet
(vgl. § 2013 Abs. 1 BGB). Demgegenüber wird das Recht des Erben, die Anordnung
einer Nachlassverwaltung zu beantragen, nicht bereits dadurch ausgeschlossen, dass er
lediglich einzelnen Nachlassgläubigern gegenüber unbeschränkt haftet (§ 2013 Abs. 2
BGB; MünchKommBGB/Küpper, § 1981 Rn. 2).

c) In Rechtsprechung und Literatur wird zwar vielfach allgemein betont, dass die rechtliche
Stellung des Nachlassverwalters weitgehend derjenigen eines Nachlassinsolvenzverwalters
entspreche (RGZ 61, 122; BGHZ 38, 281, 284; OLG Braunschweig OLGZ 1988,
392, 394; Staudinger/Dobler, § 1985 Rn. 2). Daran ist sicher die grundsätzliche Erkenntnis
richtig, dass sowohl Nachlassverwalter wie Nachlassinsolvenzverwalter jeweils ein
ihnen fremdes Vermögen zu verwalten haben, wobei zur Erläuterung der Verwalterstellung
in beiden Fällen eine umfangreiche Theorienbildung bemüht wird (s. nur
Staudinger/Dobler, § 1985 Rn. 2 f.).

Sichtet man den jeweils einschlägigen Normenbestand, so bleibt gleichwohl der Befund
festzuhalten, dass die jeweils einschlägigen Normenkomplexe grundsätzlich unterschiedliche
sind: So ist der Nachlassverwalter nach der gesetzlichen Definition ein Unterfall des
Nachlasspflegers (Nachlasspflegschaft zum Zwecke der Befriedigung der Nachlassgläubiger;
§ 1975 BGB), sodass grundsätzlich Pflegschaftsrecht Anwendung findet. Die Verweisung
in § 1915 Abs. 1 S. 1 BGB führt dann zur Anwendung des Vormundschaftsrechts
auf den Nachlasspfleger sowie zu einer gesetzlichen Aufsicht des Nachlassgerichts
(§§ 1962, 1915 Abs. 1 S. 1, 1837 BGB; s. als Überblick Staudinger/Dobler, § 1985
Rn. 33 ff.). Ab dem 1.1.2023 ist über die Verweisung in § 1888 Abs. 1 BGB n. F. auf den
Nachlasspfleger grundsätzlich das Betreuungsrecht anwendbar (§§ 1814 ff. BGB n. F.),
welches im neuen Recht als Modellregelung und Bezugsrahmen das bisher regelmäßig in
Bezug genommene Vormundschaftsrecht ablöst. Die Geltung insolvenzrechtlicher Vorschriften
für den Nachlassverwalter sieht das Gesetz demgegenüber nur vereinzelt vor
(insb. in § 1984 Abs. 1 S. 2 BGB).

Demgegenüber hält das Gesetz für das Nachlassinsolvenzverfahren in §§ 315 ff. InsO
ergänzende Vorschriften bereit. Soweit nicht die §§ 315 ff. InsO Sonderregeln enthalten,
kommen daher auf das Nachlassinsolvenzverfahren und den Nachlassinsolvenzverwalter
– gerade im Gegensatz zum Nachlassverwalter nach § 1985 BGB – die allgemeinen Vorschriften
über das Regelinsolvenzverfahren im Übrigen uneingeschränkt zur Anwendung
(Uhlenbruck/Lüer/Weidmüller, InsO, 15. Aufl. 2019, § 315 Rn. 1). Von diesem Ausgangspunkt
her ergibt sich nach hier vertretener Ansicht bspw. auch, dass das Recht zur
Erfüllungsablehnung gem. § 103 Abs. 2 InsO oder das Recht zur Insolvenzanfechtung
nach §§ 129 ff. InsO nur dem Nachlassinsolvenzverwalter im Nachlassinsolvenzverfahren
gem. §§ 315 ff. InsO zusteht, dagegen – mangels vorhandener Verweisung
auf die Insolvenzordnung für diese Sachfrage – nicht dem Nachlassverwalter
nach § 1985 BGB. Dies erklärt sich ohne Weiteres daraus, dass die Nachlassverwaltung
gem. § 1975 BGB an sich für einen zulänglichen Nachlass bestimmt ist, während in Fällen
der Zahlungsunfähigkeit oder der Überschuldung des Nachlasses die Einleitung eines
Nachlassinsolvenzverfahrens vorrangig ist (§ 1980 BGB). Nur für Letzteres besteht
daher eine Rechtfertigung für den Schutz und die Anreicherung der Insolvenzmasse mittels
der besonderen insolvenzrechtlichen Rechtsbehelfe (§§ 103 ff., 129 ff. InsO).

3. Ergebnis
Im Ergebnis bleibt somit der Erbe verfügungsbefugt, bis die Anordnung der Nachlassverwaltung
gem. § 40 Abs. 1 FamFG an den bzw. die Erben bekannt gegeben wurde. Ein bloßer
Antrag auf Anordnung der Nachlassverwaltung ist für die Verfügungsbefugnis des Erben
noch unschädlich.

Für seine Verwaltungsmaßnahmen im Vorfeld der wirksamen Anordnung der Nachlassverwaltung
ist der Erbe den Nachlassgläubigern schuldrechtlich nach § 1978 BGB verantwortlich.
Dies kann durchaus dazu führen, dass der Erbe nach näherer Maßgabe der §§ 662 ff.,
677 ff. BGB Erstattungsansprüchen ausgesetzt ist. Demgegenüber ist nach hier vertretener
Ansicht nicht zu gewärtigen, dass ein späterer Nachlassverwalter gem. § 1985 BGB getätigte
Geschäfte nach insolvenzrechtlichen Regelungen (§§ 103 ff., 129 ff. InsO) rückgängig macht,
da §§ 1975, 1984, 1985 BGB für den Nachlassverwalter insoweit nicht auf das Insolvenzrecht
Bezug nehmen. Anders wäre dies, wenn nachfolgend wegen Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung
des Nachlasses ein Nachlassinsolvenzverwalter bestellt wird (§ 1980 BGB). Auf
diesen ist das allgemeine Insolvenzrecht und die insolvenzrechtlichen Rechtsbehelfe – vorbehaltlich
eventueller Sonderregeln in §§ 315 ff. InsO – grundsätzlich uneingeschränkt anwendbar.

Gutachten/Abruf-Nr:

193285

Erscheinungsdatum:

13.10.2022

Rechtsbezug

National

Rechtsgebiete:

Erbenhaftung

Normen in Titel:

BGB § 1978; BGB § 1985; BGB § 1984