Bauträgervertrag; Erwerb durch Nachzügler; Vereinbarung des „Ist-Zustandes“ als geschuldete Beschaffenheit
BGB §§ 650u, 650j
Bauträgervertrag; Erwerb durch Nachzügler; Vereinbarung des „Ist-Zustandes“ als geschuldete Beschaffenheit
I. Sachverhalt
Ein Bauträger möchte eine bislang nicht genutzte Wohnung eines Mehrfamilienhauses veräußern. Die weiteren Wohnungen sind bereits veräußert und werden seit einiger Zeit genutzt, Gebrauchsspuren am Gemeinschaftseigentum sind sichtbar.
Der Erwerber hat den Vertragsgegenstand (Sonder- und Gemeinschaftseigentum) vor Vertragsschluss eingehend besichtigt. Im Vertrag soll vorrangig vor der Baubeschreibung der Ist-Zustand als geschuldete Beschaffenheit des Vertragsgegenstands vereinbart werden, sofern die Bauausführung sichtbar von der Baubeschreibung abweicht.
II. Frage
Kann der Ist-Zustand des Vertragsgegenstands als geschuldete Beschaffenheit vereinbart werden?
III. Zur Rechtslage
1. Abgrenzung zwischen Kaufvertrag und Bauträgervertrag bei fertiggestellten Objekten („Erwerb durch Nachzügler“)
Der Klärung bedarf zunächst, ob es sich bei dem in Rede stehenden Vertrag um einen Kaufvertrag oder einen Bauträgervertrag handelt.
Ein Bauträgervertrag ist ausweislich des
Für sog. Nachzüglerfälle, wenn also der Bauträger eine Immobilie nach vollständiger Fertigstellung veräußert, gilt nach ständiger Rechtsprechung des BGH, dass sich die Ansprüche der Erwerber wegen Mängeln an neu errichteten Häusern oder Eigentumswohnungen grundsätzlich nach Werkvertragsrecht richten, mag auch das Bauwerk bei Vertragsschluss bereits fertiggestellt sein (BGH
Aus der zum 1.1.2018 in Kraft getretenen Regelung des
Wo die zeitliche Grenze für das Vorliegen eines dem Bauträgerrecht zu unterstellenden Nachzüglererwerbs zu ziehen ist, ist im Schrifttum seit jeher umstritten. Das Spektrum der vertretenen Ansichten reicht von zwei bis zu fünf Jahren nach Fertigstellung (vgl. die Nachweise bei Basty, Kap. 1 Rn. 13, dort insb. Fn. 24 und 25). Der BGH hatte bislang nur selten die Gelegenheit, sich hierzu zu positionieren. Ausdrücklich entschieden ist bislang lediglich, dass bei der Veräußerung einer Wohnung drei Jahre nach Errichtung und zwischenzeitlicher Vermietung im Regelfall keine Errichtungsverpflichtung mehr anzunehmen sein wird (BGH
Im vorliegenden Fall handelt es sich somit vorrangig um eine seitens des DNotI nicht abschließend zu beurteilende Tatfrage, ob der Vertrag als Kaufvertrag oder als Bauträgervertrag zu qualifizieren ist. Zumindest die Gebäudeteile, die den Gegenstand des veräußerten Sondereigentums bilden, wird man mangels bisheriger Nutzung nach der Verkehrsanschauung als neu errichtet zu qualifizieren haben, wenn nicht wenigstens drei Jahre seit Fertigstellung vergangen sind. Sofern die Fertigstellung des Bauwerks insgesamt noch nicht allzu lang zurückliegt, dürfte auch der Gegenstand des Gemeinschaftseigentums noch nicht als gebrauchte, sondern als neu errichtete Immobilie zu betrachten sein. Gegenteiliges könnte wohl frühestens nach einer Nutzungsdauer von mindestens zwei bis drei Jahren angenommen werden (vgl. Basty, Kap. 14 Rn. 41, wonach jedenfalls eine Nutzungsdauer von bis zu einem Jahr nicht ausreichen soll; s. auch BGH
Als Zwischenergebnis lässt sich damit festhalten, dass hier ein Bauträgervertrag vorliegen dürfte, nach dessen Inhalt der Bauträger eine Errichtungspflicht sowohl hinsichtlich des veräußerten Sondereigentums als auch hinsichtlich des Gemeinschaftseigentums schuldet. Der Vertrag ist daher als Bauträgervertrag i. S. d.
2. Vereinbarung des „Ist-Zustandes“ als geschuldete Beschaffenheit
In einem zweiten Schritt ist zu erörtern, ob die Vertragsbeteiligten den bei einer Besichtigung vorgefundenen, erkennbaren tatsächlichen Zustand des Bauwerks („Ist-Zustand“) zum Inhalt der werkvertraglich geschuldeten Beschaffenheit i. S. d.
a) Entscheidung des BGH zur Beurkundungsbedürftigkeit einer Baubeschreibung
In diesem Zusammenhang ist zunächst auf die Entscheidung des BGH vom 10.2.2005 (
„Der Bauträgervertrag, zu dessen Erfüllung der Kläger die Zahlung geleistet hat, ist gemäß
(BGH
Diese Entscheidung des BGH darf nicht etwa dahin missverstanden werden, bei einem Erwerb durch einen Nachzügler müsse das werkvertraglich geschuldete Leistungssoll stets durch eine Baubeschreibung konkretisiert werden. Im Grunde beschränkt sich die Kernaussage des BGH auf eine Selbstverständlichkeit: Die Beurkundungsbedürftigkeit nach
b) Bedeutung des
Ebenso wenig kann der seit 2018 geltenden Norm des
c) Meinungsstand in der Literatur
Es stellt sich vielmehr die grundsätzliche Frage, ob die Beteiligten eines Bauträger- bzw. eines Werkvertrags das geschuldete Leistungssoll durch den tatsächlich vorgefundenen Zustand definieren können. Diese Frage ist im Schrifttum umstritten.
Nach Basty soll dies (zumindest theoretisch) möglich sein (vgl. Kap. 1 Rn. 121). Er räumt jedoch ein, regelmäßig seien Leistungen über den sichtbaren Zustand hinaus geschuldet. Durch eine Besichtigung werde sich nicht der Umfang aller erforderlichen Arbeiten erschließen. Aus dem Zustand bei einer Besichtigung seien auch kaum Kriterien für die Auslegung des Vertrags im Hinblick auf die vom Bauträger insgesamt geschuldeten Leistungen abzuleiten (Basty, Kap. 11 Rn. 52). Somit sei es nur in seltenen Fällen gegeben, dass eine vorhandene Baubeschreibung nicht zum Vertragsinhalt gemacht werden solle (vgl. Basty, Kap. 1 Rn. 121). Basty empfiehlt letztlich die Mitbeurkundung einer Baubeschreibung anstelle der Verweisung auf den Ist-Zustand (Basty, Kap. 11 Rn. 52).
Folgt man der Ansicht von Basty, so obliegt es jedenfalls dem Notar gem.
Ebenso lassen auch Wolfsteiner/Bomhard (in: Kersten Bühling, Formularbuch und Praxis der Freiwilligen Gerichtsbarkeit, 27. Aufl. 2023, § 33 Rn. 38) eine Vereinbarung des gegenwärtigen Zustands als Sollzustand zu, allerdings mit der Einschränkung, dass das Bauwerk insbesondere unter Einhaltung der anerkannten Regeln der Technik errichtet worden ist. Hertel (in: Limmer/Hertel/Frenz, Würzburger Notarhandbuch, 6. Aufl. 2022, Teil 2 Kap. 3 Rn. 55) äußert sich etwas zurückhaltender und möchte wohl eine derartige Vereinbarung ebenfalls zulassen, räumt aber ein, am sichersten sei eine ausdrückliche vertragliche Regelung der einzelnen Abweichungen des Ist-Zustandes von den Angaben in der Baubeschreibung.
Wochner führt aus, die Beteiligten könnten zwar eine von der Baubeschreibung abweichende Beschaffenheitsvereinbarung treffen. Diese müsse aber in den Bauträgervertrag ausdrücklich aufgenommen und der Erwerber darauf hingewiesen werden, in welchen Punkten der Bauträger von der Baubeschreibung abgewichen sei. Der allgemein gehaltene Hinweis, es gelte der derzeitige Zustand als vereinbart, dürfte überraschend i. S. d.
Thode weist schließlich darauf hin, die Bezugnahme auf den bei einer Besichtigung vorgefundenen Zustand begründe ein hohes Maß an Auslegungsunsicherheit, weil der Vertrag auf die subjektiven Wahrnehmungen der Vertragsparteien im Zeitpunkt des Vertragsschlusses rekurriere (Thode,
d) Verweisung auf den Ist-Zustand als Widerspruch zur Nachzügler-Rechtsprechung
U. E. ist bereits ganz grundsätzlich in Zweifel zu ziehen, ob die Bestimmung des werkvertraglich geschuldeten Leistungssolls durch einen tatsächlich vorgefundenen Ist-Zustand möglich ist. Hierfür spricht zwar im Ausgangspunkt, dass die Vertragsparteien den seitens des Bauträgers geschuldeten Werkerfolg innerhalb der Grenzen der
Nun unterstellt aber bekanntermaßen der BGH den Erwerb durch Nachzügler trotz Erbringung der Bauleistung vor Vertragsschluss dem Bauträger- bzw. Werkvertragsrecht, wenn sich aus dem Inhalt solcher Verträge, aus ihrem Zweck und ihrer wirtschaftlichen Bedeutung sowie aus der Interessenlage die Verpflichtung des Veräußerers zu einer mangelfreien Errichtung des Bauwerks ergibt (BGH
Im Ergebnis sind wir daher der Auffassung, dass die werkvertraglichen Leistungspflichten des Bauträgers auch bei einem Erwerb durch einen Nachzügler nicht durch eine Verweisung auf den bei einer Besichtigung vorgefundenen Ist-Zustand bestimmt werden können.
Für das weitere Vorgehen im hier vorliegenden Fall wird es geboten sein, den Willen der Beteiligten sorgfältig zu erforschen,
3. Vereinbarkeit mit dem AGB-Recht
Weiterhin stellt sich die Frage, ob eine Verweisung auf den bei der Besichtigung vorgefundenen Zustand mit dem AGB-Recht vereinbar ist.
Insoweit sind zwei Ansatzpunkte denkbar. Versteht man die Verweisung auf den Ist-Zustand als Bestimmung des werkvertraglichen Leistungssolls, so kommt – so man dies entgegen der hier vertretenen Auffassung für möglich hält – (nur) ein Verstoß gegen das Transparenzgebot in Betracht (dazu nachfolgend lit. a; die Hauptleistungspflichten sind einer AGB-Inhaltskontrolle im Übrigen nicht zugänglich, vgl.
Im Rahmen der folgenden Ausführungen wird die Anwendbarkeit der
a) Transparenzgebot
Zunächst sei der von Wochner geäußerte Gedanke aufgegriffen, eine pauschale Verweisung auf den Ist-Zustand verstoße gegen das AGB-rechtliche Transparenzgebot,
Auch wenn Wochner seine Ansicht nicht explizit begründet, dürfte sie u. E. zutreffen. Klargestellt sei zunächst, dass es für die Anwendbarkeit des Transparenzgebots nicht darauf ankommt, ob man in der Bezugnahme auf den Ist-Zustand eine Vereinbarung über die werkvertraglichen Hauptleistungspflichten des Bauträgers oder eine Regelung über Mängelgewährleistungsrechte erblickt. In beiden Fällen ist das Transparenzgebot anwendbar, vgl.
Weiter gilt es sich zu vergegenwärtigen, dass das geschuldete Leistungssoll nicht durch objektive Kriterien, sondern durch die subjektive Wahrnehmung des Erwerbers bei der Besichtigung definiert wird (vgl. Thode,
Rechtsfolge eines Verstoßes gegen das Transparenzgebot ist, dass die Verweisung auf den Ist-Zustand unwirksam ist. Wird – wie hier wohl beabsichtigt – i. Ü. auf die Baubeschreibung verwiesen, so spricht viel dafür, dass der Vertrag i. Ü. wirksam bleibt und der Bauträger die Errichtung nach Maßgabe der Baubeschreibung schuldet,
b) Verstoß gegen
Weiterhin könnte in der Verweisung auf den bei einer Besichtigung vorgefundenen Ist-Zustand ein Verstoß gegen
Diese Vorschrift ist allerdings nur anwendbar, wenn man in der entsprechenden Vertragsklausel keine Vereinbarung über die Hauptleistungspflichten sieht,
Soweit der hiesige Vertrag eine Werkleistung bzw. ein neu errichtetes Objekt zum Gegenstand hat, würde die Klausel als unzulässiger Haftungsausschluss gegen
c) „Verschleiß-Klausel“
Ergänzend sei klargestellt, dass eine Klausel, nach der der übliche Verschleiß keinen Baumangel begründet, zwar zulässig, aber inhaltlich überflüssig und allenfalls aus Gründen der vertraglichen Klarheit sinnvoll ist. Denn der typischerweise entstehende gebrauchsbedingte Verschleiß begründet ohnehin keinen Mangel (Basty, Kap. 14 Rn. 14).
4. Abschließende Zusammenfassung
Der vorliegende Vertrag dürfte insgesamt als Bauträgervertrag zu qualifizieren sein, da sowohl die im gegenständlichen Bereich des Sondereigentums als auch die im Bereich des Gemeinschaftseigentums befindlichen Gebäudeteile nach der Verkehrsanschauung als neu errichtet anzusehen sein dürften und den Bauträger somit nach dem Inhalt des Vertrags eine werkvertragliche Herstellungspflicht trifft.
Ob bei einem Bauträgervertrag die geschuldete Werkleistung durch den bei einer Besichtigung vorgefundenen Zustand definiert werden kann, wird im Schrifttum uneinheitlich beurteilt. U. E. ist dies nicht möglich, da darin ein unauflöslicher Widerspruch zu der Qualifikation des Vertrags als Bauträgervertrag läge. Selbst diejenigen Stimmen in der Literatur, die eine Bezugnahme auf den Ist-Zustand grundsätzlich für möglich halten, betonen, dass dies regelmäßig nicht dem Willen der Beteiligten (insbesondere des Erwerbers) entsprechen werde. Darüber hinaus ist eine bloße Bezugnahme auf den Ist-Zustand zur Bestimmung des vertraglich geschuldeten Leistungssolls nach unserer Auffassung intransparent i. S. d.
Verweist ein Bauträgervertrag dennoch auf den bei einer Besichtigung vorgefundenen Ist-Zustand, so wird dies als Gewährleistungsausschluss für erkennbare Mängel anzusehen sein. Dieser ist bei einem dem Bauträgerrecht zuzuordnenden Erwerb durch Nachzügler gem.
199854
Erscheinungsdatum:02.11.2023
RechtsbezugNational
Rechtsgebiete:Bauträgervertrag und Werkvertrag
Erschienen in: Normen in Titel:BGB § 650u; BGB § 650j