26. September 2019
GmbHG § 74 Abs. 1; AktG § 293; AktG § 298

Fortbestand einer gelöschten GmbH wegen nicht gekündigten Beherrschungsvertrags

GmbHG § 74 Abs. 1; AktG §§ 291, 293, 298, 303
Fortbestand einer gelöschten GmbH wegen nicht gekündigten Beherrschungsvertrags

I. Sachverhalt
Im Jahre 1997 schlossen die A-GmbH als herrschende und die B-GmbH als beherrschte Gesellschaft einen Beherrschungsvertrag. Die B-GmbH ist als Untergesellschaft zudem Vertragspartei eines Gewinnabführungsvertrags mit der C-GmbH. Die A-GmbH wurde im Jahre 2014 im Handelsregister gelöscht, nachdem das Ende der Liquidation gem. § 74 Abs. 1 S. 2 GmbHG zum Handelsregister angemeldet worden war. Der Beherrschungsvertrag wurde niemals aufgehoben oder gekündigt, sondern im Rahmen der Liquidation „übersehen“. Im Handelsregisterblatt der B-GmbH ist der Beherrschungsvertrag weiterhin eingetragen.

II. Fragen
1. Ist die A-GmbH bei dieser Sachlage erloschen, wenn es kein weiteres Vermögen gab?

2. Falls nein: Kann das Registerblatt der A-GmbH wieder angelegt werden oder ist lediglich ein Nachtragsliquidator zu bestellen?

III. Zur Rechtslage
1. Grundsätzlich: Voraussetzungen der Vollbeendigung der GmbH
Nach der heute überwiegend vertretenen Lehre vom Doppeltatbestand setzt die Vollbeendigung einer GmbH (ihr Erlöschen als Rechtssubjekt) kumulativ die Eintragung ihres Erlöschens und die tatsächliche Vermögenslosigkeit der Gesellschaft voraus (BAG NZA 2003, 1049, 1050; OLG Celle NZG 2008, 271; OLG Düsseldorf NZG 2004, 916, 918; OLG Stuttgart NZG 1999, 31, 32; Scholz/K. Schmidt, GmbHG, 11. Aufl. 2015, § 74 Rn. 14; MünchKommGmbHG/H.-F. Müller, 3. Aufl. 2018, § 74 Rn. 32). Allein aus der Eintragung des Erlöschens lässt sich nicht auf die Vollbeendigung der Gesellschaft schließen, denn diese kann zu Unrecht erfolgt sein. Stellt sich später noch Gesellschaftsvermögen heraus, so hat die Gesellschaft nämlich in Wahrheit fortbestanden und besteht bis zur vollständigen Abwicklung weiter. Wurde die GmbH etwa wegen Vermögenslosigkeit nach § 394 FamFG gelöscht, so findet dann erstmals eine Liquidation statt und ist gem. § 66 Abs. 5 GmbHG ein Liquidator zu bestellen. Hat die Gesellschaft eine Liquidation nach den §§ 66 ff. GmbHG durchlaufen, ist nach wohl h. M. analog § 273 Abs. 4 AktG ein Nachtragsliquidator zu bestellen (BGH NJW 1970, 1044 = DNotZ 1970, 427; MünchKommGmbHG/H.-F. Müller, § 74 Rn. 42 m. w. N. aus der Rspr.).

Umstritten ist, ob auch sonstige offene Abwicklungsmaßnahmen die Bestellung eines Nachtragsliquidators rechtfertigen, wozu in der Praxis häufig die Abgabe von Löschungsbewilligungen gehört (vgl. KG FGPrax 2007, 185, 186; OLG Düsseldorf NJOZ 2011, 600, 601 = NotBZ 2010, 411: subjektiv-persönliches Vorkaufsrecht als „formale Rechtsposition“). Wohl überwiegend wird auch insoweit – sowohl bei erstmaliger Liquidation nach Löschung wegen Vermögenslosigkeit als auch bei Nachtragsliquidation – auf § 273 Abs. 4 AktG verwiesen (sog. „Lehre vom erweiterten Doppeltatbestand“; KG BeckRS 2011, 27139; FGPrax 2007, 185, 186; OLG München NZG 2008, 555, 556; NZG 2016, 790 Tz. 18 f.; Baumbach/Hueck/Haas, GmbHG, 21. Aufl. 2017, § 60 Rn. 105 m. w. N. aus der Rspr., § 66 Rn. 38; Lutter/Hommelhoff/Kleindiek, GmbHG, 19. Aufl. 2016, § 74 Rn. 19; offenlassend BGH NJW 1989, 220; wohl bejahend BGH DNotZ 2017, 551 Tz. 18), teilweise wird die analoge Anwendung von § 74 Abs. 2 S. 2 GmbHG (OLG Jena NZG 2007, 717, 718 f.; Scholz/K. Schmidt, § 74 Rn. 20a; GroßkommGmbHG/Casper, 2. Aufl. 2016, § 60 Rn. 98) oder von § 1913 BGB (Hachenburg/Ulmer, GmbHG, 8. Aufl. 1997, Anh. § 60 Rn. 40) befürwortet.

2. Vermögen bzw. Abwicklungsbedarf aufgrund nicht gekündigten Beherrschungsvertrags?
a) Auswirkung der Auflösung auf Beherrschungsvertrag
Vor diesem Hintergrund dürfte im konkreten Fall eines nicht gekündigten Beherrschungsvertrags mit der gelöschten GmbH als herrschender Gesellschaft Folgendes gelten: Die Löschung der GmbH im Handelsregister hat nur dann zu ihrer Vollbeendigung und damit zu ihrem Untergang geführt, wenn diese zur Gänze vermögenslos war und (nach der Lehre vom erweiterten Doppeltatbestand) kein sonstiger Abwicklungsbedarf mehr bestanden hat. Dies wäre nur der Fall, wenn auch der noch im Handelsregister eingetragene Beherrschungsvertrag mit der abhängigen B-GmbH beendet worden wäre. An einer Beendigung durch ordentliche oder außerordentliche Kündigung fehlt es indes, ebenso an einem Aufhebungsvertrag.

Allerdings entspricht es der wohl h. L., dass bereits mit der Auflösung der herrschenden GmbH (dem ersten Schritt auf dem Wege zur Vollbeendigung) ein Beherrschungsvertrag kraft Gesetzes, also ohne Zutun einer der Vertragsparteien endet (für Unternehmensverträge Henssler/Strohn/Paschos, Gesellschaftsrecht, 4. Aufl. 2019, § 297 AktG Rn. 13; Raiser/Veil, Kapitalgesellschaftsrecht, 5. Aufl. 2010, § 54 Rn. 119; jedenfalls für den Beherrschungs- und/oder Gewinnabführungsvertrag: Hüffer/Koch, AktG, 13. Aufl. 2018, § 297 Rn. 22; GroßkommAktG/Hopt/Wiedemann, 4. Aufl. 2013, § 297 Rn. 135; Krieger, in: Münchener Handbuch des Gesellschaftsrechts, Bd. 4, 4. Aufl. 2015, § 71 Rn. 207; Wilhelm, Beendigung des Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrags, 1976, S. 33 f.). Zur Begründung wird – wenn überhaupt eine solche gegeben wird – auf die Zweckänderung bei der aufgelösten Gesellschaft weg von einer werbenden hin zu einer liquidierenden Gesellschaft verwiesen. Der Liquidationszweck sei mit der Konzernleitungsfunktion der herrschenden GmbH nicht vereinbar; zumindest sei es nicht vom Zustimmungsbeschluss der beherrschten GmbH zum Beherrschungsvertrag gedeckt, dass das Weisungsrecht nunmehr aufgrund des Liquidationszwecks inhaltlich verändert sei (GroßkommAktG/Hopt/Wiedemann, § 297 Rn. 135).

Eine vor allem von Koppensteiner (in: KölnKomm-AktG, 3. Aufl. 2004, § 297 Rn. 44) und Karsten Schmidt (ZGR 1983, 513, 530 f.) befürwortete Gegenansicht geht nicht von einer automatischen Beendigung des Beherrschungsvertrags mit Auflösung der herrschenden GmbH aus, sondern vielmehr davon, dass der Beherrschungsvertrag in seinen Wirkungen suspendiert sei. Hintergrund dieser Ansicht ist, dass bei eventueller Fortsetzung der aufgelösten GmbH auch eine Weiterdurchführung des Beherrschungsvertrags möglich bleibt. Hierfür spricht u. E. einiges; im konkreten Fall ist allerdings zu berücksichtigen, dass die GmbH mittlerweile bereits gelöscht ist, die ganz h. M. aber die Fortsetzungsfähigkeit einer gelöschten GmbH verneint (aus der Rspr. jüngst KG DNotZ 2019, 554 Tz. 11). Im vorliegenden Fall käme daher die skizzierte Gegenansicht zum gleichen Ergebnis wie die h. L.

Anders verhält es sich indes mit einer weiteren in der Literatur vertretenen Ansicht, derzufolge die Auflösung der herrschenden Gesellschaft eines Beherrschungsvertrags nur zu einem außerordentlichen Kündigungsrecht der beherrschten Gesellschaft führt (Emmerich, in: Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, 9. Aufl. 2019, § 297 AktG Rn. 50; MünchKommAktG/Altmeppen, 4. Aufl. 2015, § 297 Rn. 113; Spindler/Stilz/Veil, AktG, 4. Aufl. 2019, § 297 Rn. 40; Göhmann/Winnen, RNotZ 2015, 53, 61). Zur Begründung wird insoweit vor allem vorgetragen, dass der abhängigen Gesellschaft ohne deren Zustimmung nicht durch bloßen Auflösungsbeschluss der herrschenden Gesellschaft die Verlustübernahmepflicht des § 302 AktG genommen werden dürfe. Unseres Erachtens überzeugt dies im Lichte des Schutzzwecks des § 302 AktG. Überdies ist gegen die h. L. schon im Ansatz einzuwenden, dass nicht ersichtlich ist, weshalb Beherrschungsverträge anders als sonstige Dauerschuldverhältnisse mit Auflösung einer Vertragspartei von selbst erlöschen sollten; Dauerschuldverhältnisse bestehen normalerweise fort und sind im Rahmen der Liquidation abzuwickeln.

b) Konsequenzen für die Abwicklung
Folgt man der zuletzt genannten, auch von uns favorisierten Meinung, hätte dies zur Konsequenz, dass der Beherrschungsvertrag trotz Löschung der GmbH im Handelsregister noch fortbestünde. Er könnte allerdings von der abhängigen Gesellschaft gekündigt werden; schon zur Entgegennahme dieser schriftlichen Kündigung (§ 297 Abs. 3 AktG) müsste ein Rechtssubjekt als Adressat der Kündigung fortbestehen. Bereits dies spricht dafür, den Fortbestand der gelöschten GmbH anzunehmen. Insoweit könnte es erforderlich sein (wollte man nicht mit der oben zitierten Literaturansicht den Verwahrer für Bücher und Schriften bemühen), einen Nachtragsliquidator entsprechend § 273 Abs. 4 AktG gerichtlich bestellen zu lassen.

Folgt man dagegen der h. L., die eine automatische Beendigung des Beherrschungsvertrags befürwortet, hätte dies vorliegend auf den ersten Blick wohl zur Konsequenz, dass die gelöschte GmbH mangels fortbestehenden Beherrschungsvertrags weder über Vermögen verfügte noch in sonstiger Weise abwicklungsbedürftig wäre (sodass dahinstehen kann, ob – was wohl eher fernliegt – die bloße Berechtigung zur Weisungserteilung, die der isolierte Beherrschungsvertrag ohne Gewinnabführungsvertrag vermittelt, einen für den Gläubigerzugriff bedeutsamen Vermögenswert darstellt). An einem solchen Ergebnis wäre u. E. allerdings zu zweifeln. Es ist zu bedenken, dass bei einer automatischen Beendigung des Beherrschungsvertrags kraft Auflösung der beherrschten GmbH diese entsprechend § 303 Abs. 1 AktG jenen Gläubigern der abhängigen Gesellschaft Sicherheit leisten müsste, die sich binnen sechs Monaten nach Bekanntmachung der Eintragung der Vertragsbeendigung bei der GmbH melden. Eine solche Eintragung und Bekanntmachung der Beendigung des Beherrschungsvertrags ist hier unterblieben; sie wäre jedoch entsprechend § 298 AktG auch bei Beendigung infolge Auflösung der beherrschten GmbH notwendig gewesen (Spindler/Stilz/Veil, § 303 Rn. 6; gegen diese Ansicht könnte man allerdings – ohne dass dies für den vorliegenden Fall entscheidend wäre – argumentieren, dass schon die Eintragung der Auflösung der beherrschten Gesellschaft dem Rechtsverkehr die Beendigung des Beherrschungsvertrags indiziert; so wird vergleichbar befürwortet, dass bei Beendigung infolge Verschmelzung eine Anmeldung nach § 298 AktG entbehrlich ist, weil die Bestimmungen der §§ 16, 20 Abs. 1 Nr. 2 UmwG diese Funktion erfüllen; s. MünchKommAktG/Altmeppen, § 298 Rn. 4).

Die damit noch ausstehende Anmeldung der Beendigung des Beherrschungsvertrags ist ihrerseits allerdings kein sonstiger Abwicklungsbedarf der gelöschten GmbH, denn für die Anmeldung ist die Geschäftsleitung der abhängigen Gesellschaft (hier: Geschäftsführung der B-GmbH) zuständig, nicht diejenige der herrschenden Gesellschaft (vgl. Emmerich, § 298 AktG Rn. 4). Gleichwohl ist fraglich, ob für die Entgegennahme der Gläubigermeldung nach nachgeholter Anmeldung und Eintragung mitsamt Bekanntmachung der Beendigung und evtl. sogar für die Pflicht zur Sicherheitsleistung vom Fortbestand der gelöschten GmbH auszugehen ist. Die Pflicht zur Sicherheitsleistung als solche kann u. E. den Fortbestand der GmbH noch nicht rechtfertigen; denn falls die GmbH ordnungsgemäß liquidiert wurde, erlöschen Verbindlichkeiten mit dem Erlöschen der GmbH. Anderes gilt, sofern die Liquidatoren die GmbH nicht ordnungsgemäß liquidiert haben und deshalb Schadensersatzansprüche der GmbH gegen die Liquidatoren erwachsen sein sollten. Eine solche Pflichtwidrigkeit dürfte aber wohl nicht bereits in der unterbliebenen Anmeldung der Beendigung des Beherrschungsvertrags liegen – eben weil diese nicht in den Pflichtenkreis der herrschenden Gesellschaft fällt. Ggf. könnte man aber die Pflichtwidrigkeit darin erblicken, dass nach Ablauf des Sperrjahres (womöglich) das Restvermögen unter die Gesellschafter verteilt wurde, obwohl die Pflicht zur Sicherheitsleistung aus § 303 AktG noch nicht erfüllt war (auch wenn diese noch nicht entstanden war, hätten zumindest bei möglicher Gläubigermeldung Rückstellungen gebildet werden müssen). Zudem könnte die nach etwaiger nachgeholter Anmeldung an sich zu gewährende Gelegenheit zur Gläubigermeldung bei der herrschenden GmbH (§ 303 Abs. 1 AktG) fortwirkenden Abwicklungsbedarf auslösen. Zwar ließe sich argumentieren, dass die Gläubigermeldung bei einer vollständig liquidierten, vermögenslosen GmbH letztlich sinnlos wäre, weil ohnehin keine Sicherheitsleistung erbracht werden könnte; indes lässt sich niemals ausschließen, dass künftig noch Vermögen der gelöschten GmbH auftaucht, diese daher fortbesteht und die Gläubigermeldung deshalb doch wieder Relevanz hat. Aus diesen Gründen halten wir es im vorliegenden Fall für gut vertretbar, auch auf Grundlage der h. L. vom Fortbestand der gelöschten GmbH auszugehen.

3. Ergebnis
Im Ergebnis erscheint es u. E. näherliegend, vom Fortbestand der gelöschten GmbH wegen fortwirkenden Abwicklungsbedarfs auszugehen. Insoweit wäre nach h. M. ein Nachtragsliquidator zu bestellen. Da nicht höchstrichterlich gesichert ist, dass der Beherrschungsvertrag kraft Gesetzes mit Auflösung der herrschenden GmbH endet, läge der sicherste Weg darin, dass die abhängige GmbH den Beherrschungsvertrag gegenüber dem Nachtragsliquidator kündigte oder mit der GmbH einen Aufhebungsvertrag schlösse.

Gutachten/Abruf-Nr:

171791

Erscheinungsdatum:

26.09.2019

Rechtsbezug

National

Rechtsgebiete:

GmbH

Erschienen in:

DNotI-Report 2019, 147-150

Normen in Titel:

GmbHG § 74 Abs. 1; AktG § 293; AktG § 298