06. April 2020

Beurkundung eines Testaments oder Erbvertrags durch Übergabe einer offenen Schrift; Beurkundungsverfahren; notwendige Unterzeichnung des Erblassers

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Gutachten des Deutschen Notarinstituts
Abruf-Nr.: 177054
letzte Aktualisierung: 6. April 2020

BGB § 2231; BeurkG § 30
Beurkundung eines Testaments oder Erbvertrags durch Übergabe einer offenen Schrift;
Beurkundungsverfahren; notwendige Unterzeichnung des Erblassers

I. Sachverhalt

Der Notar soll in einem Pflegeheim vor Ort das Testament eines betagten Heimbewohners
beurkunden. Es besteht beim Erblasser der Verdacht auf eine Infektion mit dem Corona-
Virus. Die Beurkundung des Testaments soll durch Übergabe einer offenen Schrift erfolgen.
Dem liegt ein notarieller Entwurf zugrunde, den der Notar im Vorfeld mit dem
Heimbewohner ausführlich telefonisch erörtert hat.

II. Frage

Was hat der Notar verfahrensrechtlich bei der Beurkundung des Testaments zu beachten?
Speziell: Handelt es sich bei der vom Notar anzufertigenden Urkunde um eine
Tatsachenbescheinigung oder um eine Niederschrift i. S. d. §§ 8 ff. BeurkG, die auch vom
Erblasser zu unterzeichnen ist?

III. Zur Rechtslage

1. Errichtung eines öffentlichen Testaments/Erbvertrags durch Übergabe einer Schrift
Ein öffentliches Testament kann grundsätzlich nur durch den Notar errichtet werden.

Üblicherweise geschieht dies durch mündliche Erklärung gegenüber dem Notar und
Anfertigung einer Niederschrift hierüber (§ 2232 S. 1 Alt. 1 BGB). Als alternative
Errichtungsform sieht § 2232 S. 1 Alt. 2 BGB die Übergabe einer Schrift des Erblassers mit
der Erklärung vor, dass diese seinen letzten Willen enthalte. Dabei kann die Schrift nach
§ 2232 S. 2 BGB offen oder verschlossen übergeben werden. § 2232 BGB gilt über den
Verweis in § 2276 Abs. 1 S. 2 BGB gleichermaßen für die Errichtung eines Erbvertrags.
Beim Erbvertrag ist es sogar möglich, dass nur die Willenserklärung des einen Teils durch
Übergabe einer Schrift erfolgt, während der andere Vertragsteil seine Willenserklärung
mündlich gegenüber dem Notar abgibt (BeckOGK-BGB/Röhl, Std.: 1.3.2020, § 2276 Rn. 4;
Staudinger/Kanzleiter, BGB, 2019, § 2276 Rn. 5).

Die Schrift braucht vom Erblasser nicht selbst (eigenhändig oder sonst) geschrieben oder
unterschrieben sein (vgl. § 2232 S. 2 Hs. 2 BGB). Sie muss auch nicht mit Orts- oder
Datumsangabe versehen sein. Die Schrift kann auch von einem Dritten, beispielsweise dem
Urkundsnotar, entworfen sein (vgl. Palandt/Weidlich, BGB, 79. Aufl. 2020, § 2232 Rn. 3
m. w. N.). Die Schrift kann ferner in Maschinen-, Kurz-, oder Blindenschrift oder in
fremden Schriftzeichen in jeder lebenden oder toten Sprache verfasst sein, sofern nur der
Erblasser die Schrift kennt und entziffern kann (Keim, in: Beck'sches Formularbuch Erbrecht,
4. Aufl. 2019, B II 3 Anm. 5; Palandt/Weidlich, § 2232 Rn. 3). Keine „Schrift“ liegt
dagegen vor, wenn der Wille in einem anderen Speichermedium, wie z. B. gesprochen auf
einem Tonträger oder gespeichert auf einem elektronischen Datenträger (USB-Stick, CDRom,
usw.) enthalten ist (Burandt/Rojahn/Egerland, Erbrecht, 3. Aufl. 2019, § 30 BeurkG
Rn. 8; BeckOK-BGB/Litzenburger, Std.: 1.2.2020, § 2232 Rn. 13).

Bislang hat die Beurkundung eines öffentlichen Testaments durch Übergabe einer Schrift in
der Praxis keine bedeutende Rolle erlangt (vgl. nur BeckOGK-BeurkG/Grziwotz, Std.:
1.1.2020, § 30 Rn. 1). Dieses Beurkundungsverfahren kann sich aber beispielsweise
anbieten, wenn die Verfügung von Todes wegen von einem anderen Berater als dem Notar
verfasst wurde, sie sehr umfangreich ist oder der Testator schwerkrank (aber noch testierfähig)
ist, und er sich einer Vertrauensperson bedient, die die Schrift entweder selbst verfasst
hat oder ihm dabei behilflich war (Keim, B II 3 Anm. 1). In Frage kommt diese
Beurkundungsform auch bei sprachunkundigen Ausländern oder in Fällen, in denen etwa
die als Zeuge hinzugezogene Person vom Inhalt der Verfügung von Todes wegen keine
Kenntnis erhalten soll (Keim, B II 3 Anm. 1; BeckOGK-BeurkG/Grziwotz, § 30 Rn. 1, 12).

Dies ergibt sich daraus, dass bei dieser Beurkundungsform eine Verlesung der vom Erblasser
offen übergebenen Schrift nicht erforderlich ist (vgl. § 30 Abs. 5 Hs. 2 BeurkG).
Auch im Zusammenhang mit der aktuellen Corona-Krise wird von Seiten der Notarkammern
z. T. wegen des Infektionsrisikos auf die Möglichkeit der Beurkundung von
Testamenten durch Übergabe einer offenen Schrift hingewiesen, die der Notar formuliert
und dem Beteiligten vorab (z. B. elektronisch) übermittelt haben kann. Hierdurch könnte
ggf. eine Verkürzung des Kontakts des Notars mit dem Beteiligten während der
anschließenden Beurkundung und die Gefahr einer Ansteckung des Notars verringert
werden.

2. Beurkundungsverfahren

Das Beurkundungsverfahren regelt § 30 BeurkG (i. V. m. den allgemeinen Vorschriften).

Bei der offen übergebenen Schrift soll der Notar vom Inhalt Kenntnis nehmen, sofern er
der Sprache, in der die Schrift verfasst ist, hinreichend kundig ist (§ 30 S. 4 BeurkG). Aus
der dort enthaltenen Verweisung auf § 17 BeurkG folgt ferner, dass der Notar die ihm offen
übergebene Schrift nicht nur lesen soll, sondern er diese auch auf ihre Rechtswirksamkeit
prüfen und wie bei einer selbst verfassten Verfügung belehren muss (BGH DNotZ 1974,
296, 297; Winkler, BeurkG, 19. Aufl. 2019, § 30 Rn. 8; Keim, B II 3 Anm. 4; BeckOGKBeurkG/
Grziwotz, § 30 Rn. 6, 10). Damit bestehen bei der Errichtung eines Testaments
durch eine offene Schrift, abgesehen von der Formulierungspflicht des Notars, die
gleichen Pflichten des Notars wie bei der Testamentserrichtung durch Erklärung
(BeckOGK-BeurkG/Grziwotz, § 30 Rn. 6; anders wäre dies nur beim Verfahren der
Testamentserrichtung durch Übergabe einer verschlossenen Schrift, bei der den Notar keine
Prüfungs- und Belehrungspflicht hinsichtlich des Inhalts trifft, die fehlende sachkundige
Betreuung durch den Notar aber wiederum auch zahlreiche Risiken birgt).

Bei Errichtung des öffentlichen Testaments durch Übergabe einer offenen Schrift bedarf es
– wie oben bereits erwähnt – keiner Verlesung der Schrift (§ 30 S. 5 BeurkG). Insoweit
unterscheidet sich diese Form der Errichtung eines öffentlichen Testaments von der
Beurkundung durch Niederschrift einer mündlichen Erklärung (BeckOGKBeurkG/
Grziwotz, § 30 Rn. 12), wo der Testamentsinhalt selbst beurkundet wird. Wird die
offen übergebene Schrift gleichwohl verlesen (was im Hinblick auf die erforderliche
Kenntnisnahme des Notars vom Inhalt und seine Belehrungspflicht zweckmäßig sein kann),
ist dies jedoch unschädlich (BeckOGK-BeurkG/Grziwotz, § 30 Rn. 12, der darauf hinweist,
dass der Erblasser die Verlesung jedoch untersagen kann).

Bei Übergabe einer Schrift durch den Erblasser soll diese der Niederschrift beigefügt
werden mit einer Kennzeichnung, die eine Verwechslung ausschließt. Die Art und Weise
der Kennzeichnung steht im pflichtgemäßen Ermessen des Notars (BeckOGKBeurkG/
Grziwotz, § 30 Rn. 16; MünchKommBGB/Sticherling, 8. Aufl. 2020, § 30 BeurkG
Rn. 14). Eine Kennzeichnung kann handschriftlich, maschinenschriftlich oder mittels eines
Stempels erfolgen (BeckOGK-BeurkG/Grziwotz, § 30 Rn. 16). Die Kennzeichnung kann
beispielsweise dadurch erfolgen, dass die übergebene Schrift genau beschrieben oder ihr
Inhalt ganz oder teilweise wiedergegeben wird (vgl. Keim, B II 3: „Der Erschienene
übergab eine offene Schrift, die mit den Worten … beginnt und mit den Worten …
endet.“). Eine Verwechslungsgefahr dürfte jedoch am weitestgehenden vermieden sein,
wenn man die Kennzeichnung – wie bei Anlagen zu Urkunden – mithilfe der
Urkundsnummer des konkreten Urkundsvorgangs vornimmt (vgl. Winkler, Rn. 7 Fn. 13
m. w. N.: „Zur UR-Nr. … übergebene Schrift“; Burandt/Rojahn/Egerland, § 30 BeurkG
Rn. 9; BeckOGK-BeurkG/Grziwotz, § 30 Rn. 16 mit Formulierungsvorschlag in Rn. 18.1:
„Die offen übergebene Schrift wurde von mir durch folgenden Vermerk gekennzeichnet:
„Offen übergebene Schrift zu URNr. … des Notars … in … URNr. …/Jahr…““). Dabei
wird die Kennzeichnung am besten unmittelbar nach der Übergabe der Schrift während der
Urkundsverhandlung vorgenommen (Burandt/Rojahn/Egerland, § 30 BeurkG Rn. 9;
Armbrüster/Preuß/Renner/Seger, Beurkundungsgesetz und Dienstordnung für Notarinnen
und Notare, 8. Aufl. 2020, § 30 BeurkG Rn. 9).

Die übergebene Schrift ist nach § 30 S. 5 BeurkG der Niederschrift beizufügen.

3. Anfertigung der Niederschrift

Bei der Testamentserrichtung durch Übergabe einer (offenen oder verschlossenen) Schrift
handelt es sich um einen beurkundungsverfahrensrechtlichen Sonderfall
(Burandt/Rojahn/Egerland, § 30 BeurkG Rn. 1; vgl. auch
Armbrüster/Preuß/Renner/Seger, § 30 BeurkG Rn. 2: „einzigartige Beurkundungsform“).

Denn zum einen muss die Niederschrift die Feststellung des Notars enthalten, dass die
Schrift übergeben worden ist (§ 30 S. 1 BeurkG). Diese Tatsachenfeststellung des
Notars ist Amtspflicht des Notars und unverzichtbar (BeckOGK-BeurkG/Grziwotz, § 30
Rn. 13). Die zwingend erforderliche Feststellung kann nicht durch die tatsächliche Übergabe
ersetzt werden (BeckOGK-BeurkG/Grziwotz, § 30 Rn. 18). Das Fehlen der Feststellung
würde vielmehr zur Unwirksamkeit der Niederschrift führen (BeckOGKBeurkG/
Grziwotz, § 30 Rn. 18). Zu vermerken ist dabei auch, ob die Schrift offen oder
geschlossen übergeben worden ist (§ 30 S. 3 BeurkG).

Zum anderen muss eine Protokollierung der Erklärung des oder der Beteiligten durch
den Notar erfolgen, dass ihm eine Schrift mit der Bestimmung übergeben wurde, es handle
sich dabei um ein Testament (oder eine Willenserklärung im Rahmen eines Erbvertrags)
(vgl. §§ 2232 S. 1, 2276 Abs. 1 BGB; BeckOGK-BeurkG/Grziwotz, § 30 Rn. 4).
S
Die Urkunde besteht daher aus zwei wesentlichen Bestandteilen: der Feststellung der Übergabe
der Schrift des Erblassers (als eigene Wahrnehmung des Notars) sowie der Testiererklärung
des Erblassers i. S. v. § 9 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 BeurkG (vgl. BeckOKBGB/
Litzenburger, Std.: 1.2.2020, § 30 BeurkG Rn. 1; Armbrüster/Preuß/Renner/Seger,
§ 30 BeurkG Rn. 8; MünchKommBGB/Sticherling, § 30 BeurkG Rn. 5). Hierbei handelt es
sich um eine Willenserklärung, die darauf gerichtet ist, aus dem bloßen Entwurf (der
offenen Schrift) ein wirksames Testament zu machen.

Hierüber ist nach einhelliger Ansicht vom Notar eine Niederschrift anzufertigen, für die
die 8 §§ff. BeurkG gelten (BeckOGK-BeurkG/Grziwotz, § 30 Rn. 4;
Burandt/Rojahn/Egerland, § 30 BeurkG Rn. 4; Winkler, § 30 Rn. 12). Dies bedeutet, dass
die Niederschrift vom Notar dem Erblasser gem. § 13 BeurkG vorzulesen und von ihm zu
genehmigen ist; außerdem muss die Niederschrift vom Notar und dem Erblasser (sowie
dem ggf. beigezogenen Dolmetscher, Zeugen, einem zweiten Notar oder einer Verständigungsperson)
eigenhändig unterschrieben werden (vgl. Winkler, § 30 Rn. 15; Keim,
B II 3 (Formulierungsmuster); Otto, in: Münchener Vertragshandbuch, Band 6, Bürgerliches
Recht II, 8. Aufl. 2020, XI 2 (Formulierungsmuster)). Etwas anderes gilt nur, wenn
ausnahmsweise § 25 BeurkG (Schreibunfähigkeit des Erblassers) eingreifen würde (vgl. auch
Winkler, § 30 Rn. 15).

4. Ergebnis

Die Errichtung eines öffentlichen Testaments durch Übergabe einer offenen Schrift ist
zulässig und insbesondere im Rahmen der COVID-19-Pandemie ein geeignetes Verfahren,
um beiderseitige Ansteckungsgefahren zu reduzieren. Über die Übergabe der Schrift hat der
Notar eine Niederschrift nach den §§ 8 ff. BeurkG zu errichten, die dem Erblasser zu verlesen
und von ihm auch eigenhändig zu unterschreiben ist. Insbesondere bei umfangreichen
Testamenten oder Erbverträgen kann sich das Verfahren anbieten. Wurde den Prüfungsund
Belehrungspflichten (wie im vorliegenden Fall) bereits im Rahmen der Entwurfsfertigung
nachgekommen, kann der persönliche Kontakt zwischen Notar und Beteiligtem
und damit das Ansteckungsrisiko verringert werden.

Gutachten/Abruf-Nr:

177054

Erscheinungsdatum:

06.04.2020

Rechtsbezug

National

Rechtsgebiete:

Testamentsform