07. Januar 2021
BGB § 2305; BGB § 2307; BGB § 2306

Zuwendung eines gem. § 2306 BGB belasteten Erbteils und eines Vermächtnisses an Pflichtteilsberechtigten; Handlungsmöglichkeiten

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Gutachten des Deutschen Notarinstituts
Abruf-Nr.: 178240
letzte Aktualisierung: 07. Januar 2021

BGB §§ 2305, 2306, 2307
Zuwendung eines gem. § 2306 BGB belasteten Erbteils und eines Vermächtnisses an
Pflichtteilsberechtigten; Handlungsmöglichkeiten

I. Sachverhalt

Mit notariellem Erbvertrag wurden die drei Söhne des kürzlich verstorbenen Erblassers E aus
erster Ehe als Nacherben, die den E überlebende zweite Ehefrau des E als befreite Vorerbin
eingesetzt. Der Nacherbfall tritt mit dem Tode der Vorerbin ein. Die drei Söhne erhalten zusätzlich
vermächtnisweise je 50.000,00 €, die drei Monate nach Ableben des Ehemannes auszuzahlen
sind. Der Nachlass beträgt ca. 1,6 bis 2 Mio. €. E und seine zweite Ehefrau lebten in Gütertrennung.
Der Pflichtteil der Söhne beträgt somit je 1/8, d. h. wertmäßig ca. 200.000,00 bis
250.000,00 €.

II. Frage

Welche Wahlmöglichkeiten haben die Söhne als Nacherben mit Blick auf §§ 2305 ff. BGB, mit
der Erbschaft umzugehen?

III. Zur Rechtslage

1. Grundsätzlich ist vorab zu beachten: Die drei Söhne des Erblassers E aus erster Ehe wurden
hier zu Nacherben des Erblassers berufen. Nach § 2306 Abs. 2 BGB wird der zum
Nacherben eingesetzte Pflichtteilsberechtigte wie ein beschwerter Erbe i. S. v. § 2306 Abs. 1
BGB behandelt. Die Beschwerung liegt darin, dass er nicht sofort, sondern erst zeitlich versetzt
mit dem Eintritt des Nacherbfalles Erbe wird (BeckOK-BGB/Müller-Engels,
Std.: 1.2.2020, § 2306 Rn. 26). § 2306 Abs. 2 BGB gilt nach einhelliger Meinung jedenfalls
für aufschiebend befristet eingesetzte Nacherben. Sind die Nacherben auf den Tod des
Vorerben berufen, wie es hier durch den Erblasser angeordnet wurde, so liegt eine
Befristung in diesem Sinne vor. Darüber hinaus wird die Anwendbarkeit von § 2306 Abs. 2
BGB mit der mittlerweile wohl überwiegenden Meinung auch dann bejaht, wenn ein Nacherbe
aufschiebend bedingt eingesetzt ist (OLG Köln ZEV 2015, 280, 281 f.; Schindler,
ZEV 2015, 316; Palandt/Weidlich, BGB, 79. Aufl. 2020, § 2306 Rn. 3; Gegenansicht insbes.
bei BeckOGK-BGB/Obergfell, Std.: 15.3.2020, § 2306 Rn. 7).

Die für die Erlangung des ungeschmälerten Pflichtteilsanspruchs gem. § 2303 Abs. 1 S. 2
BGB sonach jedenfalls erforderliche Ausschlagung der Nacherbschaft (§ 2306 Abs. 2, 1
BGB) kann der Nacherbe nach § 2142 Abs. 1 BGB bereits ab dem Erbfall tätigen (§ 1946
BGB), also noch vor Eintritt des Nacherbfalls. Die Ausschlagungsfrist des § 1944 BGB,
nach deren Ablauf eine wirksame Ausschlagung nicht mehr möglich ist, beginnt für den
Nacherben dagegen erst mit Kenntnis vom Nacherbfall gem. §§ 1944 Abs. 2, 2139 BGB, da
vor Anfall der Erbschaft noch keine Kenntnis davon gegeben sein kann (s. BayObLGZ
1966, 271, 274; Palandt/Weidlich, § 2142 Rn. 2).

2. Im vorliegenden Fall wurde nun den drei Söhnen des Erblassers neben dem i. S. v. § 2306
Abs. 2 BGB belasteten Erbteil jeweils ein Vermächtnis zugewendet. Logisch stehen den
Bedachten in derartigen Fällen jeweils vier Handlungsmöglichkeiten offen: Sie können
(1) beide Zuwendungen annehmen, (2) andererseits beide ausschlagen, (3) nur den Erbteil
annehmen und das Vermächtnis ausschlagen oder (4) umgekehrt vorgehen. Für die Rechtsfolgen
dieser Handlungsoptionen gilt nach einhelliger Meinung Folgendes (s. insbes.
BeckOK-BGB/Müller-Engels, § 2307 Rn. 14 f.; Überblicke ferner bei Staudinger/Otte,
BGB, 2015, § 2307 Rn. 24 ff.; ausführlich zur Rechtslage vor dem 1.1.2010:

Soergel/Dieckmann, BGB, 2002, § 2307 Rn. 14 ff.):

- Wurde dem Pflichtteilsberechtigten neben dem Vermächtnis ein Erbteil zugewandt, der
mit Belastungen i. S. v. § 2306 BGB versehen ist, und nimmt dieser Vermächtnis
und Erbteil an, so kann ihm ein Pflichtteilsrestanspruch nach § 2305 BGB zustehen,
aber nur dann, wenn Erbteil und Vermächtnis zusammengerechnet (ohne Berücksichtigung
ihrer Belastungen) den Pflichtteil nicht erreichen (so auch Horn, in:

Burandt/Rojahn, Erbrecht, 3. Aufl. 2019, § 2307 Rn. 43; Option (1)).

- Soll der belastete Erbteil ausgeschlagen werden, so kommt es aufgrund der Neufassung
des § 2306 BGB im Zuge der Erbrechtsreform seit dem 1.1.2010 nicht mehr darauf an,
ob der hinterlassene Erbteil den Pflichtteil übersteigt oder nicht. Insoweit gilt nun einheitlich:

Wird der belastete Erbteil ausgeschlagen, so erwirbt der Pflichtteilsberechtigte
hierdurch gem. § 2306 Abs. 2 i. V. m. Abs. 1 BGB seinen vollen Pflichtteilsanspruch.
Auf diesen ist der Wert des Vermächtnisses nach § 2307 Abs. 1 S. 2 BGB anzurechnen
(Option (4)), sofern das Vermächtnis nicht auch ausgeschlagen wird. Seinen vollen
Pflichtteilsanspruch gem. § 2303 Abs. 1 S. 2 BGB erlangt der Pflichtteilsberechtigte
folglich nur durch Ausschlagung von Erbteil und Vermächtnis, wobei die zeitliche
Reihenfolge nicht von Bedeutung ist (so auch Palandt/Weidlich, § 2307 Rn. 5; Option
(2)).

- Wird dagegen nur das Vermächtnis ausgeschlagen, der belastete Erbteil dagegen
angenommen, so erwirbt der Pflichtteilsberechtigte entgegen § 2307 Abs. 1 S. 1 BGB
keinen vollen Pflichtteilsanspruch nach § 2303 Abs. 1 S. 2 BGB, da er Erbe geblieben
ist bzw. – im hier gegebenen Fall des § 2306 Abs. 2 BGB – noch Nacherbe wird. Ihm
steht allenfalls nach § 2305 BGB ein Pflichtteilsrestanspruch (Option (3)).

Der im Rahmen des § 2305 BGB geforderte Wertvergleich zwischen dem hinterlassenen
Erbteil und der Hälfte des gesetzlichen Erbteils erfolgt nach denselben Kriterien wie bei
§ 2306 Abs. 1 BGB, also primär nach den Erbquoten (Quotentheorie). Abweichend von
diesem Grundsatz geht die wohl überwiegende Meinung bis heute weiterhin davon aus, dass
im Falle der Anrechnung oder Ausgleichung gem. §§ 2315, 2316 BGB der Restanspruch
unter Berücksichtigung dieser Anrechnungs- und Ausgleichungspflichten zu errechnen ist
(Werttheorie; Staudinger/Otte, § 2305 Rn. 15 ff.; Palandt/Weidlich, § 2305 Rn. 3;
BeckOK-BGB/Müller-Engels, § 2305 Rn. 3; Gegenansicht insbes. bei
MünchKommBGB/Lange, 8. Aufl. 2020, § 2305 Rn. 5).

3. Für die in Frage kommenden Handlungsmöglichkeiten gilt u. E. demnach:

Die Söhne haben in der Tat die Möglichkeit, das ihnen jeweils zugewandte Vermächtnis
i. H. v. 50.000,00 € anzunehmen und zu warten, bis der Nacherbfall eintritt, und sie damit
Nacherben werden (zu Ihrer Anmerkung 1) = Option (1)). Nehmen die Söhne dementsprechend
jeweils das Vermächtnis und auch die Nacherbschaft an, so kommt nur dann ein
Pflichtteilsrestanspruch nach § 2305 BGB in Betracht, falls Erbteil und Vermächtnis
zusammengerechnet den Pflichtteil nicht erreichen. Davon wird man hier nicht ausgehen
können. Die Gefahr einer doppelten Begünstigung der Söhne besteht also nach der anerkannten
Rechtslage nicht (zu Ihrer Anmerkung 3); gehört noch zu Option (1)).

Schlagen sie das Vermächtnis aus, dagegen nicht die Nacherbschaft, so steht ihnen nicht
gem. § 2307 Abs. 1 S. 1 BGB der volle Pflichtteilsanspruch zu, da hierfür wegen § 2306
Abs. 2 BGB auch die Ausschlagung der Nacherbschaft erforderlich wäre. In dieser Fallkonstellation
kommt lediglich nach § 2305 BGB prinzipiell ein Pflichtteilsrestanspruch in
Betracht. Bleibt es insoweit bei der Grundregel, dass der Wertvergleich im Rahmen von
§ 2305 BGB nach den Erbquoten vorzunehmen ist, so scheidet aber auch ein derartiger
Pflichtteilsrestanspruch gänzlich aus, da die den Söhnen zugewandte Nacherbquote die
Hälfte ihres gesetzlichen Erbteils klar übersteigt (zu Ihrer Anmerkung 2= Option (3)).
Weiter haben die Söhne auch in dem Ihnen unterbreiteten Sachverhalt die unter Ziff. 2 dargestellten
Optionen (2) und (4).

Gutachten/Abruf-Nr:

178240

Erscheinungsdatum:

07.01.2021

Rechtsbezug

National

Rechtsgebiete:

Pflichtteil

Normen in Titel:

BGB § 2305; BGB § 2307; BGB § 2306