22. Januar 2021
MaßnG-GesR § 3; UmwG § 63 Abs. 1; UmwG § 83

„Auslegen“ von Unterlagen bei elektronischer Durchführung der Generalversammlung

Gutachten-Abruf-Dienst
Gutachten des Deutschen Notarinstituts
Abruf-Nr.: 181373
letzte Aktualisierung: 22. Januar 2021

UmwG §§ 83, 63 Abs. 1; MaßnG-GesR § 3
„Auslegen“ von Unterlagen bei elektronischer Durchführung der Generalversammlung

I. Sachverhalt

Eine Genossenschaftsbank möchte eine ihr zu 100 % gehörende Tochter-GmbH auf sich selbst
verschmelzen. Die Vertreterversammlung soll aufgrund der Corona-Pandemie online durchgeführt
werden. Bei dieser Versammlung soll der entsprechende Verschmelzungsbeschluss
beschlossen und beurkundet werden.

II. Frage

Wie erfolgt die nach § 83 UmwG erforderliche Auslegung der Unterlagen nach § 63 UmwG bei
Durchführung einer Online-Versammlung?

III. Zur Rechtslage

1. Ausgangspunkt

§ 82 Abs. 1 S. 1 UmwG sieht vor, dass von der Einberufung der Generalversammlung an
(also noch vor der Versammlung) die in § 63 Abs. 1 Nr. 1-4 UmwG bezeichneten Unterlagen
in den Geschäftsräumen jeder beteiligten Genossenschaft zur Einsicht der Mitglieder
auszulegen sind (dazu ausführlich Althanns, in: Althanns/Buth/Leißl, Genossenschafts-
Handbuch, Band 1, UmwG, Lfg. 1/2020 - V/2020, Kapitel B. Rn. 118). Diese Pflicht
besteht gemäß § 82 Abs. 3 UmwG nicht, wenn die genannten Unterlagen für denselben Zeitraum
über die Internetseite der Genossenschaft zugänglich sind.

Gemäß § 83 Abs. 1 S. 1 UmwG müssen die in § 63 Abs. 1 Nr. 1-4 UmwG bezeichneten
Unterlagen zudem in der Generalversammlung ausgelegt werden. Eine dem § 82 Abs. 3
UmwG entsprechende Erleichterung bezüglich der Auslegung in der Generalversammlung
enthält das Umwandlungsgesetz nicht.

2. Rechtslage nach Inkrafttreten des MaßnG-GesR

Durch das Gesetz zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie im Zivil-, Insolvenz-
und Strafverfahrensrecht vom 27. März 2020 (BGBl. Teil I vom 27. März 2020,
S. 569, dort Art. 2, im Folgenden: MaßnG-GesR) wurde die Beschlussfassung bei verschiedenen
Gesellschaftsformen erleichtert. Das Gesetz enthält in § 3 auch Erleichterungen
für die Genossenschaften. Abweichend von § 43 Abs. 7 S. 1 GenG können Beschlüsse der
Mitglieder auch schriftlich oder elektronisch gefasst werden, wenn dies die Satzung nicht
ausdrücklich vorsieht (vgl. dazu und zur Rechtslage bzgl. § 13 Abs. 1 S. 2 UmwG schon
DNotI-Abrufgutachten Nr. 177537). Gemäß § 3 Abs. 2 MaßnG-GesR kann die Einberufung
der Generalversammlung abweichend von § 46 Abs. 1 S. 1 GenG auch im Internet
auf der Internetseite der Genossenschaft oder durch unmittelbare Benachrichtigung in
Textform erfolgen.

Eine Regelung zur Erleichterung der Vorgaben des § 83 Abs. 1 S. 1 UmwG enthält das
MaßnG-GesR hingegen nicht. Die Literatur geht grundsätzlich davon aus, dass § 83 Abs. 1
UmwG ausschließlich die Zugänglichmachung in Papierform zulässt (vgl. BeckOGKUmwG/
Lakenberg, Std.: 1.10.2020, § 83 Rn. 3 mit kritischer rechtspolitischer Stellungnahme
ebd. Rn. 3.1; Lang/Weidmüller, GenG, 39. Aufl. 2018, § 83 UmwG Rn. 1; implizit
auch Henssler/Strohn/Wardenbach, Gesellschaftsrecht, 4. Aufl. 2019, UmwG § 83 Rn. 1;
Widmann/Mayer/Fronhöfer, UmwR, Stand: April 2011, § 83 UmwG Rz. 10). Hierbei sind
mehrere Exemplare vorzuhalten, damit sämtliche Teilnehmer eine realistische Möglichkeit
haben, von den Unterlagen Kenntnis zu nehmen (Lutter/Bayer, UmwG, 6. Aufl. 2019, § 83
UmwG, Rn. 4; Frenz in: Maulbetsch/Klumpp/Rose, UmwG, 2. Aufl. 2017, § 83 Rn. 4;
Widmann/Mayer/Fronhöfer, UmwR, Stand: April 2011, § 83 UmwG Rz. 11). Eine
fehlende oder fehlerhafte Auslegung der Unterlagen führt grundsätzlich zur Anfechtbarkeit
(Henssler/Strohn/Wardenbach, § 83 UmwG Rn. 3).

Das MaßnG-GesR enthält zur Thematik der Auslegung von Unterlagen keine Regelung.
Unseres Erachtens ist es gut vertretbar, diese Regelungslücke für planwidrig zu halten, da
der Gesetzgeber wohl die Regelung des § 83 Abs. 1 UmwG in der Eile des Gesetzgebungsverfahrens
nicht bedacht hat. In Betracht käme deshalb eine analoge Anwendung des § 3
Abs. 2 MaßnG-GesR. Zur Begründung könnte man einen Erst-recht-Schluss heranziehen.

Wenn sogar die Einberufung im Internet über die Internetseite der Genossenschaft möglich
ist, so sollte es auch möglich sein, die erforderlichen Unterlagen dort bereitzustellen und in
diesem Sinne „auszulegen“. § 4 MaßnG-GesR zeigt, dass der Gesetzgeber Umwandlungsvorgänge
auch während der Pandemie ermöglichen wollte. Es würde im Ergebnis schlicht
wenig Sinn ergeben, wenn der Gesetzgeber zwar in § 3 Abs. 1 MaßnG-GesR die
elektronische Beschlussfassung zulässt, wegen der formalen Vorgaben des § 83 Abs. 1 S. 1
UmwG der Umwandlungsvorgang aber allein deswegen nicht möglich wäre, weil die Unterlagen
nicht in Papierform ausgelegt werden können. Die Zurverfügungstellung auf der
Homepage oder – soweit es sich um vertrauliche Unterlagen handelt – im internen Bereich
der Generalversammlung vermag nach persönlicher Auffassung der Unterzeichner den Sinn
und Zweck des § 83 Abs. 1 S. 1 UmwG funktionsadäquat zu erreichen (vgl. zur Aktiengesellschaft
Simons/Hauser, NZG 2020, 488, 493).

Demgegenüber würde es wenig Sinn ergeben, § 83 Abs. 1 UmwG beim Wort zu nehmen
und die Unterlagen am Versammlungsort (also dem Ort, an dem die Funktionsträger
zusammenkommen) in Papierform auszulegen. Diese Unterlagen wären für die elektronisch
zugeschalteten Genossen nicht „greifbar“, sodass das Auslegen zur bloßen Förmelei verkäme.
Ausdrückliche Stellungnahmen hierzu in der Literatur konnten wir zum Genossenschaftsrecht
nicht ausfindig machen, sodass eine gewisse Rechtsunsicherheit verbleibt.

Gutachten/Abruf-Nr:

181373

Erscheinungsdatum:

22.01.2021

Rechtsbezug

National

Rechtsgebiete:

Umwandlungsrecht

Normen in Titel:

MaßnG-GesR § 3; UmwG § 63 Abs. 1; UmwG § 83