Verwirkung des Mietervorkaufsrechts bei Auszug eines von mehreren Mietern aus der gemeinsamen Wohnung; Ausübung des Mietervorkaufsrechts, das mehreren gemeinsam zusteht
Verwirkung des Mietervorkaufsrechts bei Auszug eines von mehreren Mietern aus der gemeinsamen Wohnung; Ausübung des Mietervorkaufsrechts, das mehreren gemeinsam zusteht
I. Sachverhalt
Der Käufer hat von dem Verkäufer im Juli 2021 eine Wohnung erworben. Für das Objekt ist kurz zuvor eine Teilungserklärung vollzogen worden. Im Kaufvertrag wird davon ausgegangen, dass für die Mieter A und B ein Vorkaufsrecht nach
II. Fragen
1. Kann A das Mietervorkaufsrecht ausüben, obwohl er seit acht Jahren nicht mehr in der Wohnung lebt, oder kommt eine Verwirkung dieses Rechts in Betracht?
2. Ist die Ausübung des Mietervorkaufsrechts allein durch A überhaupt möglich oder müsste dies gemeinschaftlich durch A und B erfolgen, da sie auch den Mietvertrag gemeinsam geschlossen haben? Wie wirkt es sich aus, dass B bereits unwiderruflich auf die Geltendmachung verzichtet hat?
III. Zur Rechtslage
1. Grundsätzliches Bestehen des Mietervorkaufsrechts auch für ausgezogene Mieter
Gemäß
„Mieter“ ist dabei derjenige, der den Mietvertrag abgeschlossen hat; haben mehrere den Mietvertrag abgeschlossen, sind sie alle Adressaten des Vorkaufsrechts (BeckOGK-BGB/Klühs, Std.: 1.7.2022, § 577 Rn. 86; Staudinger/Rolfs, BGB, 2021, § 577 Rn. 56; Blank/Fervers, in: Schmidt-Futterer, Mietrecht, 15. Aufl. 2021,
Dem ist zuzugeben, dass
Für die Ansicht des LG Köln spricht immerhin, dass auch der ausgezogene Mieter – sofern keine „Entlassung“ aus dem Mietvertrag oder keine Verwirkung vorlag, s. dazu unten – zumindest im Außenverhältnis gegen den Vermieter noch einen Anspruch auf Einräumung von Besitz an der Wohnung hätte (was in manchen Situationen, etwa bei einem Versterben oder Auszug des zunächst in der Wohnung verbleibenden Mieters, auch in praktischer Hinsicht nicht ausgeschlossen erscheinen mag). Es lässt sich daher argumentieren, dass das Mietervorkaufsrecht auch dazu dient, diesen (hypothetischen) Anspruch des Mieters vor einer Eigenbedarfskündigung zu schützen. Dies erscheint auch wertungsmäßig solange nicht unangemessen, wie der Mieter auch nach seinem Auszug noch für den Mietzins zumindest im Außenverhältnis haftet.
Weitere Rechtsprechung ist nicht ersichtlich, abgesehen von der weiteren Entscheidung des OLG München (
Die Literatur folgt dem LG Köln weitgehend mit der Aussage, dass auch Mieter, die ausgezogen sind, das Vorkaufsrecht haben, wenn sie aus den gemeinsam angemieteten Wohnräumen ausgezogen sind (BeckOGK-BGB/Klühs, § 577 Rn. 22; Bärmann/Armbrüster, WEG, 14. Aufl. 2018, § 1 Rn. 238; MünchKommBGB/Häublein, 8. Aufl. 2020, § 577 Rn. 5; Schmidt-Futterer/Blank, § 577 Rn. 28; BeckOK-MietR/Bruns, Std.: 1.5.2022,
2. Konkludente Vertragsanpassung?
Der Fall gibt Anlass, über eine konkludente Vertragsanpassung nachzudenken. Das LG Köln hat eine solche nicht thematisiert. Eine „Entlassung“ des ausgezogenen Mieters aus dem Vertrag hat immerhin das OLG München angeprüft, wobei es sich auf einen notariellen Vertrag stützen konnte, in dem der Vermieter offenbar davon ausgegangen war, dass nur noch ein Mieter Partei des Mietvertrags war.
Die Hürden für eine konkludente Vertragsanpassung sind dabei allerdings nicht zu niedrig anzusetzen. Es ist vor dem Hintergrund der
Mangels genauer Kenntnis aller Umstände des Einzelfalls kann das DNotI das Vorliegen einer konkludenten Vertragsanpassung nicht abschließend beurteilen; nach dem mitgeteilten Sachverhalt liegt diese jedoch eher fern.
3. Verwirkung des Mietervorkaufsrechts
Es stellt sich jedoch die Frage, ob das Mietervorkaufsrecht durch den Auszug des Ehemanns vor acht Jahren verwirkt ist.
a) Tatbestand der Verwirkung
Der Verwirkung unterliegen grundsätzlich alle subjektiven Rechte. Eine Verwirkung wird auf den Grundsatz von Treu und Glauben gestützt (
b) Zeitmoment
Im erwähnten Fall des LG Köln war der ausgezogene Mieter ebenfalls vor einem Zeitraum von relativ genau acht Jahren vor der Mitteilung über den Vorkaufsfall ausgezogen, das LG Köln hat die Verwirkung jedoch nicht angesprochen.
Auf Verwirkung hat sich allerdings das OLG München (
Im Fall des OLG München dürfte es dabei allerdings nicht entscheidend auf die Verwirkung angekommen sein, da der in der Wohnung Verbleibende das Vorkaufsrecht auch dann alleine ausüben kann, wenn die anderen Berechtigten – im Fall des OLG München also der ausgezogene Ehegatte – sein Recht nicht innerhalb der Frist ausübt (vgl. den Wortlaut von
Zusammenfassend lässt sich damit sagen, dass das erforderliche Zeitmoment für die Verwirkung in der Vergangenheit, soweit ersichtlich, nur bei Fällen angenommen worden ist, bei denen eine längere Zeitspanne (mehr als zehn Jahre) zwischen Auszug und Vorkaufsfall lag; in einem Fall mit vergleichbarer Zeitspanne (LG Köln) wurde das Vorkaufsrecht dagegen bejaht.
c) Umstandsmoment
Auch wenn man im vorliegenden Fall zum erforderlichen Zeitmoment kommt, müsste noch gesondert begründet werden, worin das Umstandsmoment liegt, das für die Verwirkung erforderlich ist. Eine solche Verwirkung liegt u. E. noch nicht im bloßen stillschweigenden Entgegennehmen des Mietzinses durch einen der Mieter. Auch bei Mietern, die in einer Wohnung wohnen, wird selten die Überweisung des gesamten Mietzinses quotal von verschiedenen Konten der Mieter erfolgen; darin liegt jedoch nicht ohne Weiteres ein Einrichten auf diesen Zustand und damit ein Umstandsmoment, das für eine Verwirkung erforderlich ist.
Erforderlich ist vielmehr, dass sich der Vermieter darauf einrichtet, dass der ausgezogene Mieter sein Recht aus dem Mietvertrag nicht mehr in Anspruch nehmen würde. U. E. würde dies erfordern, dass der Vermieter sich dann auch darauf einrichtet, dass der Mieter auch keine Pflichten mehr aus dem Mietvertrag hat, d. h. es wäre notwendig, dass der Vermieter für den Fall, dass der in der Wohnung verbleibende Mieter die Miete nicht mehr bezahlt, sich nicht mehr an den ausgezogenen Mieter gewendet hätte. Sofern sich der Vermieter dagegen den ausgezogenen Mieter als Haftungsschuldner vorbehält, kann er diesem u. E. schlecht die (in der Verwirkung zum Ausdruck kommende) Treuwidrigkeit vorwerfen, wenn der Mieter auf seinen Rechten aus dem Mietvertrag besteht.
Ob für ein solches Abstandnehmen des Vermieters von einer (hypothetischen) Inanspruchnahme des ausgezogenen Mieters Umstände vorliegen – etwa Fälle nicht gezahlter Miete, in denen kein Rückgriff beim ausgezogenen Mieter genommen wurde, Anpassungen des Mietvertrags alleine im Verhältnis zwischen dem Vermieter und B – ist für uns nicht ersichtlich.
d) Ergebnis
Auch bei der Frage der Verwirkung handelt es sich damit um eine Frage des Einzelfalls, die wir nicht abschließend beurteilen können. Wir gehen jedoch davon aus, dass ein mit der Sache einmal befasstes Gericht eher dem LG Köln folgen und – ggf. gestützt auf die Begründung, dass (noch) kein Zeitmoment gegeben sei – keine Verwirkung annehmen würde. Für Zwecke des Gutachtens unterstellen wir, dass das Vorkaufsrecht nicht verwirkt wurde.
4. Rechtsfolgen für die Ausübung des Mietervorkaufsrechts
Geht man davon aus, dass das Mietervorkaufsrecht im Zeitpunkt des Vorkaufsfalls noch beiden Mietern zustand, gilt für diese
Wenn B vorliegend auf das Mietervorkaufsrecht bereits verzichtet hat, hat dies daher lediglich zur Folge, dass A das Vorkaufsrecht für die Wohnung insgesamt ausüben kann (und auch muss, wenn er es überhaupt ausüben möchte, d. h. er kann nicht mehr lediglich die Hälfte der Wohnung erwerben).
Zwar hat nach unserem Verständnis des Sachverhalts B den Verzicht bereits zu einem Zeitpunkt mitgeteilt, in dem die Frist für den A mangels dessen Kenntnis noch gar nicht angelaufen war. Da in der Literatur vertreten wird, dass die Frist für das Vorkaufsrecht erst dann zu laufen beginnt, wenn sämtliche Vorkaufsberechtigten eine Mitteilung nach
5. Ergebnis
Im Ergebnis halten wir es für wahrscheinlich, dass ein zur Entscheidung berufenes Gericht davon ausgehen würde, dass A alleine zur Ausübung des Vorkaufsrechts im Ganzen berechtigt ist. Der Notar wird dies letztlich mangels hinreichender Tatsachenkenntnis ebenso wenig abschließend entscheiden können wie das DNotI, sodass die Beteiligten – sollte eine Einigung nicht zustande kommen – auf den Zivilrechtsweg mit entsprechender Beweiserhebung zu verweisen wären.
187276
Erscheinungsdatum:15.07.2022
RechtsbezugNational
Rechtsgebiete:Miete
Erschienen in: Normen in Titel:BGB § 577