09. Oktober 2020
BGB § 1587

Rückgängigmachung des Versorgungsausgleichs nach Rechtskraft der Scheidung

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Gutachten des Deutschen Notarinstituts
Abruf-Nr.: 175619
letzte Aktualisierung: 9. Oktober 2020

BGB § 1587
Rückgängigmachung des Versorgungsausgleichs nach Rechtskraft der Scheidung

I. Sachverhalt
Eine im Jahr 2005 geschlossene Ehe (deutscher Güterstand) wurde im Jahr 2019 rechtskräftig
geschieden; eine notarielle Scheidungsfolgenvereinbarung war zuvor nicht getroffen worden.
Ein Antrag hinsichtlich des Versorgungsausgleichs wurde nicht gestellt, der Versorgungsausgleich
wurde dementsprechend durch das Gericht gesetzlich durchgeführt, Anwartschaftsrechte
wurden übertragen.

Nunmehr fragen die früheren Eheleute, ob der bereits durchgeführte Versorgungsausgleich
durch Vereinbarung rückgängig gemacht werden kann (ehebedingte Nachteile liegen nicht vor,
jeder frühere Ehegatte verfügte über hinreichende eigene Versorgungsanwartschaften) bzw. ob
die bereits erfolgte Durchführung des Versorgungsausgleichs nachträglich aufgehoben und ausgeschlossen
werden kann. Als Begründung gaben die Eheleute an, sie hätten im Scheidungsverfahren
nicht hinreichend verstanden, was der Versorgungsausgleich bedeutet und hätten nicht
gewusst, dass die Durchführung – bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen, vorbehaltlich
einer Angemessenheitsprüfung – auch kraft Vereinbarung ausgeschlossen werden kann.

II. Fragen
1. Lässt sich der bereits durchgeführte Versorgungsausgleich nach Rechtskraft der gerichtlichen
Entscheidung durch Vereinbarung der rechtskräftig geschiedenen Ehegatten
nachträglich aufheben bzw. lässt sich die bereits erfolgte Durchführung des Versorgungsausgleichs
nachträglich ausschließen und damit rückgängig machen?
2. Welcher Form bedarf eine solche Vereinbarung, falls diese überhaupt möglich ist?
3. Lässt sich die Durchführung des Versorgungsausgleichs rechtsgeschäftlich anfechten (ggf.
wegen Irrtums), obwohl die Durchführung nicht auf einer unmittelbaren Willenserklärung
beruht, sondern als Folge der Scheidung eintritt? Falls eine Anfechtung überhaupt in Betracht
kommt, ist die Unkenntnis der Beteiligten dann ein hinreichender Grund oder ein für
die Irrtumsanfechtung unbeachtlicher Rechtsirrtum?

III. Zur Rechtslage
1. Zur Rückgängigmachung der gerichtlichen Ehescheidung
Wie sich der Regelung des § 7 Abs. 1 VersAusglG entnehmen lässt, sind die Möglichkeiten
der Ehegatten, Vereinbarungen über den Versorgungsausgleich zu schließen, nicht auf die
Zeit bis zur Rechtskraft der Entscheidung über den Wertausgleich bei der Scheidung
beschränkt. Vielmehr ist der Regelung des § 7 Abs. 1 VersAusglG zu entnehmen, dass es
für Vereinbarungen über den Versorgungsausgleich vor Rechtskraft der Entscheidung
hierüber als besondere Wirksamkeitsvoraussetzung der notariellen Beurkundung bedarf.
Im Umkehrschluss folgt hieraus, dass Vereinbarungen über den Versorgungsausgleich nach
diesem Zeitpunkt keiner besonderen Form bedürfen (vgl. nur Palandt/Brudermüller,
BGB, 79. Aufl. 2020, § 7 VersAusglG Rn. 3; BeckOK-BGB/Bergmann, Std.: 1.8.2020, § 7
VersAusglG Rn. 10; Schwamb, in: Göppinger/Börger, Vereinbarungen anlässlich der Ehescheidung,
11. Aufl. 2018, Teil 3 II. Rn. 88, 89).

Die (ehemaligen) Ehegatten können folglich nach Rechtskraft der Entscheidung über den
Versorgungsausgleich im erstinstanzlichen Verfahren zulässigerweise formfreie Vereinbarungen
über den Versorgungsausgleich treffen. Hierdurch kann jedoch die Rechtskraft der
gerichtlichen Gestaltungsentscheidung über den Versorgungsausgleich nicht beseitigt
werden. Vielmehr ist die in Rechtskraft erwachsene Entscheidung des Gerichts über
die interne Teilung von gesetzlichen Rentenanwartschaften sowie über den Ausgleich
von Beamtenversorgungen nicht mehr durch eine nachträgliche Vereinbarung rückgängig
zu machen (vgl. BGH NJW 2002, 3463; Ruland, Versorgungsausgleich, 4. Aufl. 2015,
Rn. 933; Hahne, FamRZ 2009, 2041, 2047; Schwamb, Teil 3 II. Rn. 90). Die bereits vollzogene
Übertragung von Rentenanwartschaften ist damit endgültig. Die übertragenen
oder begründeten Anwartschaften sind der Disposition der Beteiligten entzogen.
Denkbar ist lediglich eine schuldrechtliche Vereinbarung der Parteien, die die Auswirkungen
der rechtskräftigen Gestaltungsentscheidung auf schuldrechtlicher Ebene „rückabwickelt“,
etwa indem Rentenzahlungen erstattet werden (vgl. Hahne, FamRZ 2009, 2041,
2047; Ruland, Rn. 933; OLG Zweibrücken FPR 2002, 148). Diese Vereinbarung erzeugt
Rechtswirkungen nur zwischen den Vertragsparteien, nicht aber gegenüber dem Versorgungsträger.
In der Gestaltungsliteratur wird jedoch auf die strukturellen Nachteile dieser
schuldrechtlichen Vereinbarungen hingewiesen, die insbes. darin bestehen, dass die Verpflichtung
zur Auskehr der erhaltenen Rentenzahlung vom tatsächlichen Rentenbezug des
begünstigten Ex-Ehegatten abhängt und mit seinem Ableben hinfällig wird. Als interessengerechter
werden deshalb in der Literatur die Verpflichtung zum Abschluss einer Lebensversicherung
oder zur Nachentrichtung von Beiträgen zugunsten des belasteten Ehegatten
angesehen, soweit der begünstigte Ehegatte hierzu finanziell in der Lage ist (vgl. Schwamb,
Teil 3 II. Rn. 92).

Anders verhält sich die Rechtslage dagegen beim internen oder externen Ausgleich
von betrieblichen oder berufsständischen Altersversorgungen. Hier wird eine Rückgängigmachung
durch Vereinbarung für möglich gehalten, sofern der jeweilige Versorgungsträger
zustimmt (vgl. § 8 Abs. 2 VersAusglG;
Johannsen/Henrich/Althammer/Holzwarth, Familienrecht, 7. Aufl. 2020, § 6 VersAusglG
Rn. 7; Schwamb, Teil 3 II. Rn. 91).

Welche Anwartschaften im vorliegenden Fall übertragen wurden, lässt sich dem mitgeteilten
Sachverhalt nicht mit Eindeutigkeit entnehmen. Sofern es sich hierbei aber um Anwart-
schaften aus der gesetzlichen Rentenversicherung oder der Beamtenversorgung handelte,
würde – wegen der gestalterischen Wirkung der Entscheidung des Familiengerichts – keine
Dispositionsbefugnis der Beteiligten bestehen.

2. Zur Anfechtung
Angefochten werden können nach den §§ 119 ff. BGB grundsätzlich nur Willenserklärungen
und geschäftsähnliche Handlungen (vgl. BeckOK-BGB/Wendtland, Std.: 1.8.2019,
§ 119 Rn. 3). Prozesshandlungen unterliegen dagegen nach ganz h. M. nicht der Anwendbarkeit
der Anfechtungsvorschriften (vgl. Palandt/Ellenberger, § 119 Rn. 6). Etwas
anderes gilt nur für Prozessverträge, wie z. B. Prozessvergleiche (BeckOKBGB/
Wendtland, § 119 Rn. 4 m. w. N.). Man könnte daher allenfalls über die Einlegung
eines Rechtsmittels gegen die Versorgungsausgleichsentscheidung bzw. den Scheidungsbeschluss
nachdenken. Dies setzt voraus, dass die Entscheidungen noch nicht rechtskräftig
sind. Ansonsten kommt eine Wiederaufnahme nach § 118 FamFG in entsprechender Anwendung
der §§ 578-591 ZPO in Betracht. Dies setzt aber schwerwiegende prozedurale
Fehler voraus (wofür hier nichts ersichtlich ist).

In der Sache handelt es sich bei den von den Beteiligten vorgetragenen Fehlvorstellungen
um einen reinen Rechtsirrtum, der auf Unkenntnis der Gesetzeslage beruht. Unter
anderem um solche Irrtümer und Unkenntnisse zu vermeiden, ist im Scheidungsverfahren
die zwingende Beteiligung von mindestens einem Rechtsanwalt vorgesehen. Sofern es im
vorliegenden Fall gute Gründe gab, den Versorgungsausgleich auszuschließen, hätte u. E.
der Anwalt im Scheidungsverfahren auf die Möglichkeit einer Vereinbarung hinweisen
müssen.

Gutachten/Abruf-Nr:

175619

Erscheinungsdatum:

09.10.2020

Rechtsbezug

National

Rechtsgebiete:

Versorgungsausgleich

Normen in Titel:

BGB § 1587