30. September 2022
BGB § 2096; BGB § 2108; BGB § 2100

Ausdrückliche Berufung von Ersatznacherben; Verhältnis zur Vererblichkeit des Nacherbenanwartschaftsrechts

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Gutachten des Deutschen Notarinstituts
Abruf-Nr.: 190745
letzte Aktualisierung: 30. September 2022

BGB §§ 2096, 2100, 2108
Ausdrückliche Berufung von Ersatznacherben; Verhältnis zur Vererblichkeit des
Nacherbenanwartschaftsrechts

I. Sachverhalt

K war mit L verheiratet. K ist 1997 verstorben. Er hat ein Testament hinterlassen, in welchem er
L zur befreiten Vorerbin eingesetzt hat. Nacherben sind die Kinder von K (H und B), im Falle
des Vorversterbens der Kinder treten deren leibliche Kinder an die Stelle. H ist 2018 verstorben.

Die Kinder von H haben die Erbschaft nach H ausgeschlagen. L ist 2021 verstorben.

II. Fragen

1. Sind die Kinder von H jetzt trotzdem noch Nacherben nach K geworden oder ist nun B
alleiniger Nacherbe nach K?

2. Wie ist die Wirkung der Ausschlagung hinsichtlich des Nacherbenanwartschaftsrechts des H?

II. Zur Rechtslage

1. Einführende Überlegungen; Grundregel der Vererblichkeit des Nacherbenanwartschaftsrechts
Nachdem die Vorerbin L mittlerweile verstorben ist, ist die Nacherbfolge eingetreten
(§§ 2100, 2106 Abs. 1, 2139 BGB). Als Nacherben waren ursprünglich H und B bestimmt.

H ist jedoch nach Eintritt des Erbfalls und vor Eintritt des Nacherbfalls (Versterben von L
im Jahre 2021) verstorben, wobei H seinerseits Kinder hinterließ.

Damit könnte das Nacherbenanwartschaftsrecht des H, das mit Eintritt des Erbfalls zur Entstehung
gelangt ist, gem. § 2108 Abs. 2 S. 1 BGB auf seine Erben übergegangen sein, sofern
nicht ein anderer Wille des Erblassers anzunehmen ist. Das Anwartschaftsrecht des Nacherben
geht nach der genannten Bestimmung grundsätzlich als Teil seines Nachlasses auf seine
Erben über: Obwohl der vorverstorbene Nacherbe nicht Erbe wird und seine Erben im Fall
des Eintritts der Nacherbfolge den Nachlass unmittelbar vom Erblasser erwerben, erben
seine Erben daher im Regelfall des § 2108 Abs. 2 S. 1 BGB dennoch kraft einer ihm zustehenden
anwartschaftlichen nacherbenrechtlichen Zwischenstellung (RGZ 103, 354;
Staudinger/Avenarius, BGB, 2019, § 2108 Rn 14). Insoweit wäre folglich auch die seitens der
Kinder erfolgte Ausschlagung der Erbschaft nach dem Nacherben H von Bedeutung, weil in
diesem Fall ein Übergang des Nacherbenanwartschaftsrechts auf die Ausschlagenden gem.
§ 2108 Abs. 2 BGB ausscheiden würde.

2. Voraussetzungen für den Ausschluss der Vererblichkeit des Nacherbenanwartschaftsrechts
Die Vererblichkeit des Nacherbenanwartschaftsrechts kann vom Erblasser ausgeschlossen
werden. Der Ausschluss muss sich dabei aus einer letztwilligen Verfügung ergeben, nicht notwendigerweise
aber ausdrücklich angeordnet sein (Grüneberg/Weidlich, BGB, 81. Aufl.
2022, § 2108 Rn. 4). Wann ein konkludenter Ausschluss der Vererblichkeit angenommen werden
kann, ist im Einzelfall umstritten. Dies gilt auch im Hinblick auf die Frage, ob in der
Einsetzung eines Ersatznacherben zwangsläufig der Ausschluss der Vererblichkeit der Nacherbenanwartschaft
zu sehen ist. Während die einen vertreten, dass selbst die ausdrückliche
Benennung eines Ersatznacherben nicht ohne Weiteres den Ausschluss der Vererblichkeit
des Nacherbenanwartschaftsrechts bedeutet, weil die Ersatzberufung auch für andere Fälle
als den Wegfall durch Tod getroffen sein könne (s. Soergel/Wegmann, BGB, 14. Aufl. 2020,
§ 2108 Rn. 5 m. w. N.), vertritt die wohl h. M., dass die ausdrückliche Benennung eines Ersatznacherben
eine tatsächliche, frei widerlegbare Vermutung dafür begründet, dass der Erblasser
die Vererblichkeit des Nacherbenanwartschaftsrechts ausgeschlossen habe (OLG
Braunschweig FamRZ 1995, 443; OLG Schleswig ZEV 2010, 574, 576;
Staudinger/Avenarius, § 2108 Rn. 14; MünchKommBGB/Lieder, 9. Aufl. 2022, § 2102
Rn. 11; dahin tendierend auch BeckOGK-BGB/Müller-Christmann, Std.: 1.6.2022, § 2108
Rn. 15 m. w. N.). Denn andernfalls wäre der – hier eingetretene – Tod des Nacherben vor
Eintritt des Nacherbfalls kein Ersatzfall (vgl. Staudinger/Avenarius, § 2108 Rn. 14).

3. Übertragung auf den Sachverhalt

Im unterbreiteten Sachverhalt wurde eine nach unserer Einschätzung eindeutige testamentarische
Regelung getroffen: Im Fall des Vorversterbens der Kinder (hier: Vorversterben
von H) treten deren leibliche Kinder an die Stelle. Dies ist konstruktiv die ausdrückliche
Berufung eines Ersatznacherben (§ 2096 BGB), und zwar gerade speziell für den hier gegebenen
Fall des Vorversterbens eines der primär berufenen Nacherben. Es lässt sich daher
nicht bezweifeln, dass vorliegend die Ersatznacherbenberufung der Kinder des H gerade im
eingetretenen Sachverhalt (Vorversterben des H) Geltung beansprucht. Damit ist aber u. E.
davon auszugehen, dass die Vererblichkeit des Nacherbenanwartschaftsrechts des H
gem. § 2108 Abs. 2 S. 1 a. E. BGB durch abweichende Erblasseranordnung ausgeschlossen
wurde. Infolge des Vorversterbens des H ging also sein Nacherbenanwartschaftsrecht
nicht als vererblicher Vermögensgegenstand auf seine Erben über, sondern entstand
vielmehr aufgrund der abweichenden testamentarischen Regelung nunmehr in den Personen
der ausdrücklich als Ersatznacherben berufenen Kinder des H originär neu. Diese haben das
Nacherbenanwartschaftsrecht letztlich allein aufgrund der dahingehenden testamentarischen
Anordnung des ursprünglichen Erblassers K erlangt. Die zuvor bestehende anwartschaftliche
nacherbenrechtliche Zwischenstellung des H (oben Ziff. 1) spielt keine Rolle mehr, die noch
zusätzlich ein notwendiges Bindeglied für den Erwerb der Nacherbschaft durch die Kinder
des H sein könnte. Der Erwerb der Erbschaft nach K wird aber durch die erfolgte Ausschlagung
der Erbschaft nach H nicht berührt. Die (Mit-)Nacherbenstellung der Kinder des H
würde vielmehr nur berührt werden, wenn diese auch selbst die Nacherbschaft nach K ausgeschlagen
hätten (§ 1953 Abs. 1, 2 BGB). Zu einer solchen Ausschlagung ist es aber nicht
gekommen.

4. Ergebnis
Im Ergebnis gehen wir daher davon aus, dass die Kinder von H trotz ihrer Ausschlagung
der Erbschaft nach H gleichwohl noch – neben B – Nacherben nach K geworden
sind, da K die Vererblichkeit des Nacherbenanwartschaftsrechts durch eine gegenüber
§ 2108 Abs. 2 S. 1 BGB abweichende Anordnung ausgeschlossen hat. Deswegen beseitigt die
erfolgte Ausschlagung der Erbschaft nach H durch dessen Kinder nicht zugleich deren (Ersatz-)
Nacherbenstellung nach K.

Gutachten/Abruf-Nr:

190745

Erscheinungsdatum:

30.09.2022

Rechtsbezug

National

Rechtsgebiete:

Erbeinsetzung, Vor- und Nacherbfolge

Normen in Titel:

BGB § 2096; BGB § 2108; BGB § 2100