13. Oktober 2022
BGB § 185; BGB § 2202

Beginn des Testamentsvollstreckeramtes; maßgeblicher Zeitpunkt für Nichtberechtigteneigenschaft bei § 185 BGB

BGB §§ 185, 2202
Beginn des Testamentsvollstreckeramtes; maßgeblicher Zeitpunkt für Nichtberechtigteneigenschaft bei § 185 BGB

I. Sachverhalt
In einem Erbvertrag hat eine Erblasserin ihre Tochter zur Testamentsvollstreckerin ernannt und mit der Aufgabe betraut, ein zu ihren Gunsten angeordnetes Grundstücksvermächtnis zu vollziehen. Erben der Erblasserin sind ihre beiden Kinder, die Tochter und ein Sohn. In der zum Vollzug des Vermächtnisses errichteten Urkunde erklärte die Tochter zunächst, das Amt als Testamentsvollstreckerin anzunehmen. Sodann übertrug sie in derselben Urkunde den ihr vermachten Grundbesitz an sich. Das Nachlassgericht bestätigte die Annahme des Amtes als Testamentsvollstreckerin. Die notarielle Urkunde wurde zusammen mit der Annahmebestätigung des Nachlassgerichts beim Grundbuchamt zum Vollzug der Eigentumsumschreibung eingereicht. Das Grundbuchamt fordert nun die Genehmigung der Urkunde durch die Testamentsvollstreckerin. Zum Zeitpunkt der Beurkundung des Vermächtnisvollzugs sei die Tochter noch nicht verfügungsbefugt gewesen, da sie erst durch den Eingang ihrer Erklärung beim Nachlassgericht Testamentsvollstreckerin geworden sei.

II. Frage
Ist eine Genehmigung durch die Testamentsvollstreckerin erforderlich?

III. Zur Rechtslage
1. Beginn des Amtes des Testamentsvollstreckers
Nach § 2202 Abs. 1 BGB beginnt das Amt des Testamentsvollstreckers mit dem Zeitpunkt, in welchem der Ernannte das Amt annimmt. Die Annahme sowie die Ablehnung des Amtes erfolgen durch Erklärung gegenüber dem Nachlassgericht. Die Erklärung kann erst nach dem Eintritt des Erbfalls abgegeben werden (vgl. § 2202 Abs. 2 BGB). Bis zu dieser Amtsannahme hat der zum Testamentsvollstrecker Ernannte keinerlei Verfügungsbefugnis über den Nachlass. Vorher vorgenommene Rechtsgeschäfte sind unwirksam (MünchKommBGB/Zimmermann, 9. Aufl. 2022, § 2202 Rn. 4 m. w. N.). Die Verfügungsbeschränkung der Erben bei Anordnung einer Testamentsvollstreckung (§ 2211 Abs. 1 BGB) beginnt jedoch bereits mit dem Erbfall und nicht erst mit der Annahme des Testamentsvollstreckeramtes, weil sonst in der Zwischenzeit durch Erbenverfügungen der Normzweck des § 2211 BGB vereitelt werden könnte (BGH NJW 1957, 1916; NJW 1967, 2399; MünchKommBGB/Zimmermann, § 2211 Rn. 3 m. w. N.).

2. Wirksamwerden von Verfügungen des Testamentsvollstreckers vor Amtsannahme
Auf welcher Grundlage vor Amtsannahme vorgenommene Verfügungen des Testamentsvollstreckers wirksam werden können, ist in Rechtsprechung und Literatur umstritten. Ein Teil von Rechtsprechung und Lehre will auf diesen Sachverhalt § 185 Abs. 2 S. 1 Var. 2 BGB entsprechend anwenden. Hiernach würde eine vorzeitige Verfügung des Testamentsvollstreckers ohne Weiteres wirksam werden, wenn er das Amt annimmt und damit die Verfügungsmacht erlangt (s. OLG München ZEV 2006, 173 f.; LG Saarbrücken FamRZ 2009, 1252, 1253; zust. Staudinger/Dutta, BGB, 2021, § 2202 Rn. 33).

Die Gegenansicht wendet in derartigen Fällen § 185 Abs. 2 S. 1, Var. 1 BGB an und verlangt für das Wirksamwerden der Verfügung eine Genehmigungserklärung des Testamentsvollstreckers nach Amtsannahme. Hierfür hat in der neueren Rechtsprechung insb. das OLG Nürnberg (ZEV 2017, 98, 100) ausführlich argumentiert: Die von der Gegenauffassung aufgeführten Rechtsprechungsbeispiele beträfen nur Fallgestaltungen, in denen der Verfügende die Verfügungsmacht über einem ihm gehörenden Gegenstand erlange. Damit sei eine Verfügung des Testamentsvollstreckers vor Amtsantritt nicht gleichzusetzen. Der Konvaleszenzregelung des § 185 Abs. 2 S. 1 Var. 2 BGB liege der Gedanke der Treuwidrigkeit zugrunde (Verbot des venire contra factum proprium). Dieser greife in derartigen Fällen nicht, weil die Konvaleszenz nicht zu Lasten eines fremden Vermögens gehen solle (OLG Nürnberg a. a. O.; BGH ZIP 1999, 447; zust. BeckOGK-BGB/Leitzen, Std.: 1.9.2022, § 2202 Rn. 20 f.).

3. Maßgeblicher Zeitpunkt für Feststellung der Berechtigteneigenschaft hinsichtlich der Vornahme einer Verfügung
Grundsätzlich kommt es für die Berechtigung bzw. Nichtberechtigung i. S. v. § 185 BGB nicht auf die Rechtsinhaberschaft, sondern auf die Verfügungsmacht an. Nichtberechtigter i. S. d. § 185 BGB ist also, wer über einen Gegenstand verfügt, obwohl ihm die dafür erforderliche Verfügungsmacht nicht oder nicht allein zusteht (s. nur Grüneberg/Ellenberger, BGB, 81. Aufl. 2022, § 185 Rn. 5 f.).

Der vorliegende Sachverhalt weist die – im Sachenrecht typische – Besonderheit auf, dass es bei der Grundstücksübereignung an die Vermächtnisnehmerin um einen mehraktigen Verfügungstatbestand geht, der neben der Auflassung die Grundbucheintragung des Erwerbers voraussetzt (§§ 873 Abs. 1, 925 Abs. 1 BGB). Damit stellt sich die Frage, welcher Zeitpunkt dafür maßgeblich ist, ob der Handelnde i. S. v. § 185 BGB als Berechtigter oder als Nichtberechtigter anzusehen ist.

Im Allgemeinen ist hierfür auf die vom Handelnden vorgenommenen Verfügung (also das Hauptgeschäft) abzustellen. Besteht die Verfügung jedoch aus mehreren Teilakten, so kommt es auf den letzten Teilakt an (BeckOGK-BGB/Regenfus, Std.: 1.7.2022, § 185 Rn. 32; Staudinger/Klumpp, BGB, 2019, § 185 Rn. 54 m. w. N.). Denn die Verfügungsmacht muss erst in dem Moment vorhanden sein, in dem eine Verfügung vorliegt, was erst mit Vollendung aller Tatbestandsmerkmale gegeben ist. Bei Grundstücksübereignungen ist die Grundbucheintragung gem. § 873 Abs. 1 BGB für den Verfügungstatbestand konstitutives Tatbestandsmerkmal. Erwirbt also der zum Zeitpunkt der Erklärung der Auflassung Nichtberechtigte die Verfügungsmacht bis zum Zeitpunkt der Eintragung im Grundbuch, so liegt eine Verfügung des Berechtigten vor. Für eine Anwendung des § 185 Abs. 2 S. 1, Var. 1 BGB ist daher kein Raum, sodass keine Genehmigung erforderlich ist (vgl. Staudinger/Klumpp, § 185 Rn. 54; BeckOGK-BGB/Regenfus, § 185 Rn. 33). Dieser Standpunkt entspricht auch der gefestigten Rechtsprechung des BGH, wie aus einer älteren Entscheidung folgt (Urt. v. 22.5.1957 – IV ZR 4/57 = BeckRS 1957, 31378952). Der BGH führt dort unter Ziff. 4b der Entscheidungsgründe aus:

„In vielen Fällen reicht aber für die Verfügung und ebenso für das Verpflichtungsgeschäft die Abgabe einer bloßen Willenserklärung nicht aus. Um die gewollte Rechtswirkung herbeizuführen, verlangt das Gesetz zusätzlich vielmehr entweder die Vornahme eines Realaktes (z. B. die Übergabe der Sache bei der Übertragung des Eigentums an einer beweglichen Sache) oder die Mitwirkung einer Behörde (wie die Eintragung bei der Verfügung über ein Recht an einem Grundstück nach den §§ 873 und 925 BGB). In derartigen Fällen gehört dieser Sachverhalt aber ebenfalls zum Tatbestand der Verfügung […]. Wenn § 185 BGB von Verfügungen eines Nichtberechtigten spricht, so hat er die Verfügung ihrem vollen Tatbestand nach im Auge und nicht nur die zum Verfügungstatbestand gehörende Willenserklärung des Verfügenden. Für die Frage der Berechtigung zur Verfügung kann es grundsätzlich nur auf den Zeitpunkt ankommen, in dem sich der Verfügungstatbestand vollendet, wie sich aus § 878 BGB entnehmen lässt.“

Die Verfügung der Testamentsvollstreckerin im unterbreiteten Sachverhalt ist folglich für Zwecke des § 185 BGB als diejenige des Berechtigten zu behandeln, da die Testamentsvollstreckerin ihre Verfügungsmacht nach § 2205 S. 2 BGB durch die Erklärung der Annahme des Amtes gem. § 2202 BGB noch vor Vollendung des Verfügungstatbestandes durch die Umschreibung des Eigentums im Grundbuch erlangt hat.

4. Gesamtergebnis
Die Testamentsvollstreckerin erlangte die Verfügungsbefugnis zwar erst mit Zugang ihrer Erklärung über die Amtsannahme beim Nachlassgericht (§ 2202 Abs. 1 BGB). Ausreichend ist übrigens auch die Annahme gegenüber dem Grundbuchamt desselben Amtsgerichts (LG Saarbrücken FamRZ 2009, 1252; MünchKommBGB/Zimmermann, § 2202 Rn. 3; Staudinger/Dutta, § 2202 Rn 4; a. A. früher OLG Colmar OLGE 26, 349). Da zu diesem Zeitpunkt der Verfügungstatbestand (Grundstücksübereignung) wegen noch ausstehender Grundbucheintragung (§§ 873 Abs. 1, 925 Abs. 1 BGB) aber noch nicht vollendet war, ist die Testamentsvollstreckerin bei der Prüfung der Auflassungserklärung durch das Grundbuchamt gem. § 20 GBO (materielles Konsensprinzip) bereits als Berechtigte zu behandeln. § 185 BGB ist nicht mehr anwendbar. Das Grundbuchamt kann daher nicht unter Berufung auf § 185 Abs. 2 S. 1 Var. 2 BGB eine Genehmigung der Testamentsvollstreckerin verlangen. Die der Auflassung zugrundeliegende schuldrechtliche Verpflichtung rührt aus dem von der Erblasserin abgeschlossenen Erbvertrag und der darin enthaltenen Vermächtnisanordnung (§§ 2147 ff. BGB) her, ist also ebenfalls wirksam. Das Fehlen weiterer Eintragungshindernisse vorausgesetzt, müsste daher das Grundbuchamt die Eigentumsumschreibung ohne weitere Erklärungen durch die Testamentsvollstreckerin vollziehen.

Gutachten/Abruf-Nr:

191120

Erscheinungsdatum:

13.10.2022

Rechtsbezug

National

Rechtsgebiete:

Vollmacht, Genehmigung, Ermächtigung
Testamentsvollstreckung

Erschienen in:

DNotI-Report 2022, 153-155

Normen in Titel:

BGB § 185; BGB § 2202