Grundstücksschenkung von Vater an Tochter; Pflichtteilsergänzungsansprüche eines später vom Schenker adoptierten Sohns
Grundstücksschenkung von Vater an Tochter; Pflichtteilsergänzungsansprüche eines später vom Schenker adoptierten Sohns
I. Sachverhalt
Im Oktober 2007 wurde ein Übergabevertrag zur Vorwegnahme der Erbfolge beurkundet. In diesem Vertrag übertrug ein Vater seiner Tochter ein bebautes Grundstück unter Vorbehalt des Nießbrauchs sowie der „klassischen“ Rückübertragungsansprüche. Nunmehr beabsichtigt der Vater, einen Volljährigen zu adoptieren. Die Tochter ist besorgt, dass das neue „Familienmitglied“ nach dem Tod des Vaters Pflichtteilsergänzungsansprüche gegen sie geltend machen könnte.
II. Frage
Ist die Sorge der Tochter begründet?
III. Zur Rechtslage
1. Theorie von der Doppelberechtigung im Rahmen der Pflichtteilsergänzung
Nach lange Zeit gefestigter Rechtsprechung des BGH erfasste der Schutzzweck der
Die skizzierte Rechtsprechung des BGH war äußerst umstritten, zumal Wortlaut und Entstehungsgeschichte der Norm nicht unbedingt für ein derartiges Gesetzesverständnis sprachen. In der Literatur hatten sich daher nur wenige Autoren der Argumentation des BGH angeschlossen (abl. etwa Otte,
Ansatzweise überzeugend war die Argumentation des BGH ohnehin nur für den Konflikt zwischen Kindern aus früheren Ehen und der Ehefrau späterer Ehe, da die zweite Ehefrau nicht zwingend schutzwürdig im Hinblick auf Schenkungen an die erstehelichen Kinder vor der Eheschließung erscheint. Vor allem hinsichtlich der nachgeborenen Abkömmlinge war die Argumentation des BGH aber – schon allein wegen der dadurch bewirkten Ungleichbehandlung der Abkömmlinge – äußerst fragwürdig. In der Literatur wurde daher die Anwendung der Rechtsprechungsgrundsätze des BGH auf Abkömmlinge allgemein abgelehnt oder zumindest vertreten, dass eine abstrakte Pflichtteilsberechtigung der Abkömmlinge ausreichend sein müsse (vgl. Keller,
2. Änderung der höchstrichterlichen Rechtsprechung 2012
Mit Urteil vom 23.5.2012 hat der BGH (
Im Anschluss an diese Entscheidung kommt es damit bzgl. der Gläubigereigenschaft nicht auf die Pflichtteilsberechtigung im Zeitpunkt der Schenkung an, sondern im Zeitpunkt des Erbfalls.
Die Rechtsprechungsänderung ist in der Literatur einhellig begrüßt worden (vgl. nur Reimann,
Bei Abkömmlingen differenziert man – soweit ersichtlich – nicht danach, aus welchem Grund (Geburt, Anerkennung, Adoption usw.) diese erst nachträglich pflichtteilsberechtigt geworden sind; explizit bejaht wird der Pflichtteilsergänzungsanspruch namentlich für eine spätere Vaterschaftsanerkennung (MünchKommBGB/Lange, 8. Aufl. 2020, § 2325 Rn. 9) sowie für eine spätere Adoption (BeckOGK-BGB/Schindler, Std.: 1.6.2020, § 2325 Rn. 14). Dass es sich vorliegend um eine Volljährigen- und nicht um eine Minderjährigenadoption handelt, ist für die Frage der Pflichtteilsberechtigung nach dem Erblasser ebenfalls ohne rechtliche Bedeutung, da in beiden Fällen ein Kindschaftsverhältnis zum Adoptierenden begründet wird (vgl.
3. Ergebnis
Schließt man sich der aktuellen Rechtsprechung und herrschenden Ansicht in der Literatur an, so kommt es für den Pflichtteilsergänzungsanspruch auf die Pflichtteilsberechtigung im Zeitpunkt des Erbfalls an. Folglich kann auch ein nachgeheirateter Ehegatte oder ein nach der Schenkung als Pflichtteilsberechtigter hinzugetretener Abkömmling Pflichtteilsergänzungsansprüche geltend machen, sofern er nur im Zeitpunkt des Erbfalls vorhanden ist.
Es kann sich daher ein Pflichtteilsverzichtsvertrag empfehlen (der auch im Hinblick auf den übertragenen Grundbesitz gegenständlich beschränkt sein kann), um der Geltendmachung von Pflichtteilsergänzungsansprüchen durch das hinzukommende „Familienmitglied“ vorzubeugen. Dazu müssten Erblasser und Anzunehmender freilich willens und in der Lage sein.
176821
Erscheinungsdatum:28.08.2020
RechtsbezugNational
Rechtsgebiete:Pflichtteil
Erschienen in: Normen in Titel:BGB § 2325