22. Januar 2021
BGB § 1901a

Patientenverfügung im Zeichen der Corona-Pandemie; Gestaltungshinweise

BGB § 1901a
Patientenverfügung im Zeichen der Corona-Pandemie; Gestaltungshinweise

I. Sachverhalt
Der Notar ist von einer Vielzahl von Personen, die über ihn Vorsorgevollmachten mit Patientenverfügungen oder aber eigenständige Patientenverfügungen errichtet haben, danach gefragt worden, ob sie ihre Patientenverfügung in Bezug auf die Corona-Pandemie hinsichtlich der künstlichen Beatmung anpassen müssen.

Der Notar verwendet üblicherweise für die Patientenverfügung einen Textvorschlag, der aus unserer Sicht ungefähr den Festlegungen in der Musterbroschüre des BMJV (Std.: 2019) bzw. der Vorsorgebroschüre des Bayerischen Staatsministeriums für Justiz („Vorsorge für Unfall, Krankheit und Alter“, 19. Aufl. Juli 2019), entspricht (beide abrufbar unter www.dnoti.de/Arbeitshilfen/Familienrecht). Ein Beteiligter wünscht deshalb folgende Regelung in die Patientenverfügung aufzunehmen:

„Falls ich an COVID-19 erkrankt bin, möchte ich nur dann eine künstliche Beatmung, wenn diese medizinisch notwendig ist und keine schwerwiegenden Folgeschäden zu erwarten sind.“

Ein weiterer Beteiligter wünscht folgende Formulierung:

„Wenn ich infolge einer COVID-19-Infektion mit einem Tubus beatmet werden müsste, soll dies nur erfolgen, wenn die Maßnahme nach kurzer Zeit beendet werden kann und keine schwerwiegenden Folgeschäden zu erwarten sind.“

In den Mustern die der Notar bisher verwendet hat, ist folgender Passus enthalten:

„… dass insbesondere eine künstliche Beatmung oder künstliche Flüssigkeitszufuhr nicht mehr erfolgen soll, wenn ich mich mit aller Wahrscheinlichkeit unabwendbar in einem unmit­telbaren Sterbeprozess befinde bzw. ich mich im Endstadium ei­ner unheilbaren, tödlich verlaufenden Krankheit befinde, selbst wenn der Todeszeitpunkt noch nicht absehbar ist.“

Der Notar sieht durch letztgenannte Formulierung die COVID-19-Erkrankung ausreichend berücksichtigt: Erkranke eine Person an COVID-19, hätte ohne Weiteres eine künstliche Beatmung zu erfolgen, wenn die Ärzte und auch der Bevollmächtigte der Auffassung seien, dass durch die künstliche Beatmung die Erkrankung beseitigt und ein Versterben damit verhindert werden könne. Sei es dagegen klar, dass die COVID-19-Erkrankung zu einem unabwendbaren Sterbeprozess führe, solle die künstliche Beatmung nicht mehr erfolgen.

II. Frage
Bildet das bisher vom Notar verwendete Muster den Fall einer COVID-19-Erkrankung hinreichend ab?

III. Zur Rechtslage
1. Stand der Diskussion
Soweit ersichtlich, liegen bislang keine „offiziellen“ Formulierungsmuster des BMJV oder der Länderministerien hinsichtlich der Anpassung von Patientenverfügungen an die Corona-Pandemie und die ggf. COVID-19-bedingten intensivmedizinischen Behandlungen vor. Es gibt im Internet lediglich an der einen oder anderen Stelle Hinweise auf die etwaige Ergänzung oder Aktualisierung von Patientenverfügungen. Dabei ist das Meinungsbild sehr vielfältig.

Es ist daher derzeit nicht abschließend geklärt, ob die bereits errichteten Patientenverfügungen im Hinblick auf die besondere Pandemiesituation und die Eigenart einer COVID-19-Erkrankung (oder vergleichbarer Virusinfektionen) einer Änderung oder Anpassung bedürfen. Allgemeingültig beantworten lässt sich die aufgeworfene Frage ohnehin nicht. Schließlich erfolgt die Ausgestaltung von Patientenverfügungen individuell unterschiedlich, da in Bezug auf intensivmedizinische Behandlungen wie künstliche Ernährung oder künstliche Beatmung ganz unterschiedliche Patientenwünsche bestehen und die unter­schiedlichen Einstellungen hierzu in der abgefassten Patientenverfügung auch zum Tragen kommen können.

Auch in der rechtswissenschaftlichen Literatur wird das Problem inzwischen wahrgenommen und kontrovers diskutiert. Dazu nachfolgend eine Zusammenstellung der bislang publizierten Ansichten.

2. Anwendungsbereich der Patientenverfügung eröffnet?
Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass in der Literatur nicht so sehr die konkrete Anpassung der Patientenverfügung im Mittelpunkt steht als vielmehr die Frage, ob der Anwendungsbereich der Patientenverfügung überhaupt eröffnet ist. So berichtet Raude (notar 2020, 317) aus der Praxis, dass die aktuelle Corona-Pandemie insbesondere zur Sorge der Beteiligten geführt habe, die in der Vergangenheit errichteten Patientenverfügungen, die ein Verbot der künstlichen Beatmung am Lebensende enthielten, bewirkten, in Corona-Zeiten im Krankenhaus bei einem schweren Verlauf nicht mehr behandelt zu werden. Diese Sorge hält die Autorin für unbegründet, da aus ihrer Sicht regelmäßig der Anwendungsbereich der Patientenverfügung überhaupt nicht eröffnet ist (Raude, notar 2020, 317).

Der allgemeinen Aussage, dass die durch Corona verursachten Erkrankungen regelmäßig nicht in den Anwendungsbereich von bereits erstellten Patientenverfügungen fielen, können wir uns in dieser Generalität nicht anschließen. Schließlich ist der Inhalt einer Patientenverfügung durchaus sehr individuell. Dabei ist zu berücksichtigen, dass Patientenverfügungen in ihrer herkömmlichen Ausgestaltung auch nicht auf bestimmte medizinische Krankheitsbilder oder einzelne Krankheitserreger abstellen, sondern auf bestimmte typische Behandlungs­situationen, die auf unter­schiedliche medizinische Ursachen zurückgehen können. Dass das Corona-Virus und die COVID-19-Erkrankung bei Abfassung der Patientenverfügung noch nicht bekannt waren, ist aus unserer Sicht kein Grund für die Annahme, dass die Patientenverfügung nicht auf Zustände, die auf eine COVID-19-Erkrankung zurückgehen, anwendbar sein könnte (so aber wohl Mertens/Meinecke in ihrer Glosse „Die Patientenverfügung in Coronazeiten – mutig oder lebensgefährlich?“, FF 2020, 445, 446: „Deswe­gen besteht so gut wie keine Gefahr, dass Sie Ihre jetzige Erkrankung damals bereits be­schreiben konnten und die künstliche Beatmung für den Fall, dass die Aussicht auf Heilung ausgeschlossen ist, abgelehnt haben.“). Denn bei der Patientenverfügung handelt es sich um eine prospektive Erklärung, die notwendigerweise in einem gewissen Grad allgemein und abstrakt gehalten sein muss (vgl. dazu nur G. Müller, ZEV 2016, 605, 608), um gerade auf die künftigen medizinischen Entwicklungen wie das Auftreten neuer Erkrankungen oder die Schaffung neuer medizinischer Behandlungsmöglichkeiten eingestellt zu sein. Zudem ist zu berücksichtigen, dass es sich bei COVID-19 nach dem derzeitigen Stand der Wissenschaft wohl um eine in vielen Fällen – wenn auch ggf. unter Intensivbedingungen – gut behandelbare Krankheit handelt. Aus unserer Sicht ist daher der Anwendungsbereich einer Patientenverfügung, die sich auch mit intensivmedizinischen Behandlungsmaßnahmen befasst, nicht von vornherein ausgeschlossen. Dies gilt u. E. namentlich, wenn sich infolge einer COVID-19-Erkrankung eine „Koma“-Situation einstellt oder die Erkrankung einen unheilbaren Verlauf nimmt und aller Voraussicht nach zum Tode führen wird.

Ausgehend von dem herkömmlichen – bspw. in den Musterempfehlungen der Justizministerien enthaltenen – Standardinhalt ist aus unserer Sicht damit nicht ausgeschlossen, dass aufgrund einer COVID-19-Erkrankung Zustände eintreten können, die in der Patientenverfügung beschrieben sind und die dann einen Behandlungsverzicht nach den Festlegungen der Patientenverfügung zur Folge haben.

3. Prüfung und ggf. Anpassung der Patientenver-fügung
Da nach den obigen Ausführungen der Anwendungsbereich einer bereits errichteten Patientenverfügung eröffnet sein kann, besteht wegen des neuartigen Coronavirus und seiner pandemischen Ausbreitung aus unserer Sicht ggf. Anlass, eine bestehende Patientenverfügung zu überprüfen und die dort getroffenen Regelungen u. U. zu ändern, zu konkretisieren oder zu ergän­zen.

In Betracht kommen dabei vor allem folgende Reaktionsmöglichkeiten:

- Erfasst die bestehende Patientenverfügung auch Folgezustände und Behandlungssituationen, wie sie mit einer COVID-19-Erkrankung einhergehen können, und ist dies vom Patienten gewünscht, so kann die Patientenverfügung aufrechterhalten bleiben. Zusätzlich könnte man ggf. klarstellen, dass die Patientenverfügung aktuell geprüft worden ist und es dem Patientenwillen entspricht, dass sie auch auf Behandlungssituationen, die auf eine COVID-19-Erkrankung zurückgehen, anzuwenden ist.

- Ergibt die Prüfung, dass COVID-19-Erkrankungen von der erstellten Patientenverfügung erfasst sind und sollen diese allgemein aus dem Anwendungsbereich herausgenommen werden, dann kann die Patientenverfügung entsprechend ergänzt werden. Sinngemäß könnte man auch formulieren, dass im Falle einer COVID-19-Erkrankung die vom Patienten bereits verfügte Ablehnung intensivmedizinischer Maßnahmen nicht gelten soll. So schlagen z. B. Düll/Kreienberg (ErbR 2020, 823, 830) eine Ergänzung der Patientenverfügung um die Bekräftigung vor, dass im Falle einer COVID-19-Erkrankung eine bestmögliche medizinische Behandlung mit je nach Krankheitsverlauf erforderlicher nicht invasiver Beatmung (z. B. mittels Maske) oder invasiver Beatmung (z. B. mittels Schlauch im künstlichen Koma) sowie sonstiger medizinischer und pflegerischer Behandlung und Gabe von Medikamenten, um die Erkrankung zu überstehen, gewünscht sei.

- Selbstverständlich wäre es auch möglich, eine bereits vorhandene Patientenverfügung mit speziellen Regelungen für den Fall einer COVID-19-Erkrankung zu ergänzen. In Betracht kommt bspw. eine Regelung, dass im Falle einer solchen Erkrankung keine Verlegung in ein Krankenhaus oder keine intensivmedizinische Behandlung oder keine künstliche Beatmung (oder nur spezielle Formen künstlicher Beatmung) stattfinden soll. Möglich wäre es auch, eine intensivmedizinische Behandlung – wie vom Notar angedacht – von den Erfolgsaussichten der Behandlung, dem voraussichtlichen Ausbleiben schwerwiegender Folgeschäden (jeweils nach den Einschätzungen des behandelnden Arztes oder sonstiger Mediziner) oder der Einhaltung einer bestimmten Behandlungsdauer abhängig zu machen. Will der Patient etwa – wie hier wohl angefragt – für den Fall einer COVID-19-Erkrankung eine künstliche Beatmung schon dann ablehnen, wenn gravierende gesundheitliche Folgeschäden zu befürchten sind (und nicht erst in der Komasituation oder wenn eine unheilbare Grunderkrankung mit tödlichem Verlauf vorliegt), könnte die Patientenverfügung inhaltlich angepasst und erweitert werden. Allerdings dürfte gleichzeitig klarzustellen sein, dass insoweit die Schwelle für den Abbruch der Behandlung gegenüber dem „Normalfall“ herabgesetzt wird.

Ob es allerdings sinnvoll ist, bereits im Vorfeld einer Erkrankung solche dezidierten Anweisungen zu bestimmten intensivmedizinischen Behandlungen niederzulegen, erscheint fraglich. Anweisungen zu einer konkreten medizinischen Behandlung bzw. zur Verweigerung einer solchen Behandlung dürften u. E. regelmäßig nur dann sinnvoll sein, wenn es sich um keine rein vorsorgende Patientenverfügung handelt, sondern die Erkrankung bereits eingetreten ist und sich die weiteren medizinischen Behandlungsoptionen einigermaßen verlässlich einschätzen lassen.

Insoweit bleibt abschließend klarstellend noch zu bemerken, dass vorrangig zur Patientenverfügung immer der aktuelle Wille des einwilligungsfähigen Patienten zu berücksichtigen ist. Solange der Patient selbst – auch nach Erkrankung an COVID-19 – noch über die Einwilligung in ärztliche Maßnahmen oder die Ablehnung der Behandlung befinden kann, kommt die Patientenverfügung daher nicht zum Tragen.

Gutachten/Abruf-Nr:

181927

Erscheinungsdatum:

22.01.2021

Rechtsbezug

National

Erschienen in:

DNotI-Report 2021, 13-15

Normen in Titel:

BGB § 1901a