24. Januar 2020
BGB § 27 Abs. 2; BGB § 40

Eingetragener Verein: Widerruf der Bestellung des Vorstands; Widerruf aus wichtigem Grund; statutarische Erschwerung des Widerrufs durch qualifizierte Mehrheit

BGB §§ 27 Abs. 2, 40
Eingetragener Verein: Widerruf der Bestellung des Vorstands; Widerruf aus wichtigem Grund; statutarische Erschwerung des Widerrufs durch qualifizierte Mehrheit

I. Sachverhalt

Die Satzung eines eingetragenen Vereins sieht vor:

„Die Mitglieder des Vorstands und des er­weiterten Vorstands können durch einen Beschluss der Mitgliederversammlung mit 2/3-Mehrheit abgewählt werden.“

Am 21.9.2019 fasste die Mitgliederversammlung einen Beschluss über die Abberufung des geschäftsführenden Vorstands aus wichtigem Grund. Dabei wurden 60 % der Stimmen für die Abberufung abgegeben, 40 % dagegen. Der Wahlleiter stellte fest, dass der geschäftsführende Vorstand abgewählt worden sei. Die Abberufung wurde zur Eintragung ins Vereinsregister angemeldet.

Das Registergericht hat die Eintragung mit der Begründung verweigert, dass die statutarisch geforderte Mehrheit von 2/3 nicht erreicht worden sei. Die Satzungsbestimmung sei wirksam; abweichende Entscheidungen zum GmbH-Recht ließen sich auf das strukturell unterschiedliche Vereinsrecht nicht übertragen.

II. Frage
Ist die statutarisch vorgeschriebene 2/3-Mehrheit bei einer Abberufung des Vorstands aus wichtigem Grund zu beachten?

III. Zur Rechtslage
1. Problem: Dispositivität des § 27 Abs. 2 BGB
Gem. § 27 Abs. 2 BGB ist die Vorstandsbestellung jederzeit widerruflich (S. 1), die Wider­ruflichkeit kann durch die Satzung jedoch auf den Fall beschränkt werden, dass ein wichtiger Grund für den Widerruf vorliegt, insbesondere eine grobe Pflichtverletzung oder die Unfähig­keit zur ordentlichen Geschäftsführung (S. 2). Diese Widerrufsregelung wird von § 40 S. 1 BGB nicht in den Kreis der dispositiven Bestimmungen aufgenommen, sodass eine abwan­delnde statutarische Regelung nur in den immanenten Grenzen der gesetzlichen Regelung möglich ist (Staudinger/Schwennicke, BGB, 2019, § 40 Rn. 1: nicht aufgenommene Bestimmungen könnten satzungsdispositiv sein, wenn dies in der Bestimmung vorgesehen sei, etwa in § 27 Abs. 2 S. 2 BGB). Fraglich ist daher, ob § 27 Abs. 2 BGB die freie Widerruf­lichkeit für grundsätzlich dispositiv erklärt und lediglich den Widerruf aus wichtigem Grund gesichert sehen will oder ob die Vorschrift nur eine einzige statutarische Abweichung gestattet, nämlich die Beschränkung auf den außerordentlichen Widerruf. Im ersten Fall wären sämtliche statutarischen Abweichungen zulässig, solange sie nur den Widerruf aus wichtigem Grund nicht antasteten, im zweiten Fall könnte auch der einfache Widerruf nicht statutarisch erschwert werden. Dem Gesetzeswortlaut dürfte sich eine klare Antwort nicht entnehmen lassen und auch der Gesetzgeber schien den (grundsätzlich) dispositiven oder absoluten Charakter der Norm offenhalten zu wollen (vgl. Protokolle, in: Mugdan, Bd. 1, 1899, S. 611).

2. Meinungsstand
Die vereinsrechtliche Literatur äußert sich zu dieser Frage uneinheitlich:

Nach großzügiger (Minder-)Meinung kann die Satzung sogar die Abberufung aus wichtigem Grund erschweren, insbesondere durch ein höheres Mehrheitserfordernis (Reichert/Wagner, Vereins- und Verbandsrecht, 14. Aufl. 2018, Kap. 2 Rn. 2230). Die abweichende Rechtspre­chung zum GmbH-Recht (§ 38 Abs. 2 GmbHG) gelte im Vereinsrecht nicht, allerdings dür­fe die Abberufung „nicht zu sehr“ erschwert werden. Dem steht die strenge Ansicht gegenüber, dass sämtliche Erschwerungen über das Erfordernis des wichtigen Grunds hinaus (etwa ein qualifiziertes Mehrheitserfordernis) unwirksam seien (so offenbar Baumann, in: Baumann/Sikora, Hand- und Formularbuch des Vereinsrechts, 2. Aufl. 2017, § 8 Rn. 115).

Die wohl überwiegende Meinung lässt statutarische Abweichungen zu, solange sie nicht die außerordentliche Abberufung weiter einschränken. Ein qualifiziertes Mehrheitser­fordernis wird also dann abgelehnt, wenn es (auch) den Widerruf aus wichtigem Grund betreffen soll (Staudinger/Schwennicke, § 27 Rn. 54; BeckOGK-BGB/Segna, Std.: 1.10.2019, § 27 Rn. 42; BeckOK-BGB/Schöpflin, Std.: 1.11.2019, § 27 Rn. 14; Wagner, in: Münchener Handbuch des Gesellschaftsrechts, Bd. 5, 4. Aufl. 2016, § 21 Rn. 8; Sauter/Schweyer/Waldner, Der eingetragene Verein, 20. Aufl. 2016, Rn. 269; wohl auch Soergel/Hadding, BGB, 13. Aufl. 2000, § 27 Rn. 19; zumindest tendenziell Stöber/Otto, Handbuch zum Vereinsrecht, 11. Aufl. 2016, Rn. 428 m. Fn. 6).

Im Hintergrund der vereinsrechtlichen Hauptmeinung steht die Rechtsprechung zum fast gleichlautenden § 38 Abs. 2 GmbHG. Hier hat der BGH bereits ausdrücklich entschieden, dass der Widerruf aus wichtigem Grund nicht an eine höhere als die einfache Mehrheit gebunden werden könne (NJW 1983, 938 f.; vgl. dazu auch GroßkommGmbHG/Paefgen, 2. Aufl. 2014, § 38 Rn. 20).

3. Stellungnahme
Unseres Erachtens sollte der überwiegenden Meinung zu folgen sein: Teleologisch betrachtet kann § 27 Abs. 2 BGB schwerlich einen anderen Schutz intendieren als den der Vorstandsabberufung aus wichtigem Grund. Es dürfte daher zulässig sein, einen Umkehrschluss aus der Grenze des § 27 Abs. 2 S. 2 BGB zu ziehen und Erschwerungen der Widerruflichkeit bis zur Grenze des wichtigen Grunds als gestattet zu betrachten (vgl. auch BeckOGK-BGB/Segna, § 27 Rn. 42, der a maiore ad minus Widerrufsgründe unterhalb des wichtigen Grunds zulässt; das heißt wohl zugleich, dass sonstige Erschwerungen der Widerruflichkeit bis zur Grenze des wichtigen Grunds erlaubt sind, denn auch einfache Widerrufsgründe sind Erschwerungen der Widerruflichkeit). Erschwerungen über diese Grenze hinaus erscheinen angesichts des Schutzzwecks und des Gesetzeswortlauts zumindest problematisch. Insoweit lässt sich die vorhandene Rechtsprechung zu § 38 Abs. 2 GmbHG durchaus auf das Vereinsrecht übertragen. Der pauschale Verweis auf die strukturelle Unterschiedlichkeit von Verein und Kapitalgesellschaft ist kein Argument. Pauschal genommen ist diese Behauptung sogar falsch, denn das Vereinsrecht ist dogmatisch und systematisch betrachtet die Grundlage des Körperschaftsrechts. Dies rechtfertigt es von Fall zu Fall, sowohl Normen des Vereinsrechts auf die GmbH anzuwenden (vgl. Gutachten DNotI-Report 2019, 113, 115) als auch Normen des Vereinsrechts mithilfe der Rechtsprechung zu GmbH-rechtlichen Parallelnormen auszulegen. Das konkretere Argument, dass der GmbH-Geschäftsführer im Unterschied zum Vereinsvorstand keinerlei Beschränkung in der Vertretungsmacht unterliegen könne (§ 37 Abs. 2 GmbHG) und sich daher leichter müsse abberufen lassen (vgl. Reichert/Wagner, Kap. 2 Rn. 2230), überzeugt ebenso wenig: Der Gesetzgeber zeigt mit der Bestimmung des § 27 Abs. 2 S. 2 BGB doch gerade, dass er auch im Vereinsrecht die Abberufung aus wichtigem Grund gesichert sehen will. Prima facie laufen die Regelungen parallel und es bedürfte u. E. gewichtigerer Gründe, den Wortlaut je nach Rechtsträger unterschiedlich auszulegen.

4. Fazit
Da es laut Sachverhalt um eine Abberufung aus wichtigem Grund ging, konnte die Satzung für den Beschluss der Mitgliederversammlung keine erhöhte Mehrheit vorschreiben. Die zitierte Klausel dürfte nach oben Gesagtem insoweit nichtig sein (wenn sich nicht bereits durch Auslegung ergeben sollte, dass sie lediglich die Abberufung ohne wichtigen Grund betrifft). Eine Gesamtnichtigkeit der Klausel ist damit nicht notwendigerweise verbunden; vielmehr kommt eine geltungserhaltende Reduktion in Betracht (vgl. GroßkommGmbHG/Paefgen, § 38 Rn. 21; Baumbach/Hueck/Beurskens, GmbHG, 22. Aufl. 2019, § 38 Rn. 5). Bei einer Abberufung ohne wichtigen Grund wäre daher die erhöhte Mehrheit zu beachten. Dem Verein mag dennoch zu empfehlen sein, den Anwendungsbereich des Mehrheitserfordernisses durch Satzungsänderung klarzustellen.

Das Registergericht freilich kann die Eintragung der Abberufung nach alledem nicht verweigern; die erforderliche Beschlussmehrheit wurde erreicht.

Gutachten/Abruf-Nr:

174655

Erscheinungsdatum:

24.01.2020

Rechtsbezug

National

Erschienen in:

DNotI-Report 2020, 9-11

Normen in Titel:

BGB § 27 Abs. 2; BGB § 40