17. September 2021
GBO § 35

Erbscheinsverlangen des Grundbuchamts bei Ausschlagung der Erbschaft durch den aufgrund notariellen Testaments primär berufenen Alleinerben; Nachweis der Ersatzerbfolge

GBO § 35
Erbscheinsverlangen des Grundbuchamts bei Ausschlagung der Erbschaft durch den aufgrund notariellen Testaments primär berufenen Alleinerben; Nachweis der Ersatzerbfolge

I. Sachverhalt
Ersatzerben beabsichtigen, eine Immobilie zu veräußern. Als Erbnachweis liegt eine notariell beurkundete Verfügung von Todes wegen vor, in der ein Alleinerbe und die Ersatzerben namentlich benannt sind. Der Alleinerbe hat die Erbschaft zu Protokoll des Nachlassgerichts ausgeschlagen, gleichzeitig haben die Ersatzerben zu Protokoll des Nachlassgerichts erklärt, dass sie die Erbschaft annehmen. Aus dem Protokoll ergibt sich weiter, dass die Ausschlagung des Alleinerben innerhalb der Ausschlagungsfrist erfolgt ist.

II. Frage
Genügt als Erbnachweis im Sinne des § 35 GBO die eröffnete Verfügung von Todes wegen in Verbindung mit dem Protokoll des Nachlassgerichts, um den erfolgten Eintritt der (Ersatz-)Erben nachzuweisen, oder ist ein Erbschein erforderlich?

III. Zur Rechtslage
1. Nachweis der Erbfolge
Der Nachweis der Erbfolge kann regelmäßig nur durch einen Erbschein oder ein Europäisches Nachlasszeugnis geführt werden (§ 35 Abs. 1 S. 1 GBO). Beruht jedoch die Erbfolge auf einer Verfügung von Todes wegen, die in einer öffentlichen Urkunde enthalten ist, so genügt es, wenn anstelle des Erbscheins die Verfügung und die Niederschrift über die Eröffnung der Verfügung vorgelegt werden. Erachtet das Grundbuchamt die Erbfolge durch diese Urkunden nicht für nachgewiesen, so kann es die Vorlegung eines Erbscheins oder eines Europäischen Nachlasszeugnisses verlangen (§ 35 Abs. 1 S. 2 GBO).

Im vorliegenden Sachverhalt liegt eine öffentlich beurkundete Verfügung vor. Jedoch steht nicht der Nachweis des Erbrechts des dort primär benannten Alleinerben in Frage, sondern der für die namentlich benannten Ersatzerben, die nach Ausschlagung der Erbschaft durch den Alleinerben nachrücken. Fraglich ist, ob auch in dieser Fallkonstellation die Vorlage eines Erbscheins noch nach § 35 Abs. 1 S. 2 Hs. 1 GBO entbehrlich ist. § 35 Abs. 1 S. 2 Hs. 2 GBO räumt nach ständiger obergerichtlicher Rechtsprechung dem Grundbuchamt kein Ermessen ein, ob es sich mit der Vorlegung der öffentlich beurkundeten Verfügung begnügt oder ob es einen Erbschein fordern will. Das Grundbuchamt hat eine ihm vorgelegte letztwillige Verfügung vielmehr zunächst nach ihrer äußeren Form und nach ihrem Inhalt zu prüfen. Einen Erbschein darf es in diesen Fällen nur dann verlangen, wenn sich bei der Prüfung der Verfügung hinsichtlich des behaupteten Erbrechts Zweifel ergeben, die nur durch weitere Ermittlungen über den Willen des Erblassers oder über die tatsächlichen Verhältnisse geklärt werden können (allgemeiner Überblick: Meikel/Krause/Weber, GBO, 12. Aufl. 2021, § 35 Rn. 116 ff.; Demharter, GBO, 32. Aufl. 2021, § 35 Rn. 39; BeckOK-GBO/Wilsch, Std.: 1.8.2021, § 35 Rn. 102 ff.). Eigene Ermittlungen tatsächlicher Art darf das Grundbuchamt also nicht anstellen. Jedoch hat es vorgelegte öffentliche Urkunden anderer Art sowie offenkundige Tatsachen bei der Aus­legung der Verfügung (und der Feststellung des Erbrechts) zu berücksichtigen (etwa OLG Hamm ZEV 2014, 609; OLG Hamm FGPrax 2011, 223; BayObLG FGPrax 2000, 179; Demharter, § 35 Rn. 40; Letzteres grundsätzlich ablehnend dagegen Meikel/Krause/Weber, § 35 Rn. 127).

2. Nachweis im Fall der Ausschlagung
Aus den dargelegten allgemeinen Grundsätzen ist in der früheren untergerichtlichen Rechtsprechung (LG Aschaffenburg ZEV 2009, 577, 579) abgeleitet worden, dass das Grundbuchamt auch die Wirksamkeit der Ausschlagung einer Erbschaft grundsätzlich in eigener Verantwortung zu prüfen habe. Eine zu notarieller Urkunde erklärte Ausschlagung war dementsprechend samt Eingangsstempel des Nachlassgerichts zu berücksichtigen. Daraufhin hielt das LG Aschaffenburg in der genannten Entscheidung die Ausschlagung für nachgewiesen und das Erbscheinsverlangen des Grundbuchamts folglich für unbegründet.

Die neuere obergerichtliche Rechtsprechung steht demgegenüber im Ergebnis einhellig auf dem Standpunkt, dass der Nachweis einer wirksamen Erbausschlagung in der Form des § 29 Abs. 1 S. 2 GBO nicht geführt werden könne, sodass ein Erbschein verlangt werden müsse (etwa OLG München RNotZ 2016, 683; OLG Hamm ZEV 2017, 455; OLG Frankfurt/M. ZEV 2018, 425; zuvor OLG Frankfurt/M. NJW-RR 2012, 784; kürzlich OLG Köln FGPrax 2020, 60). Hierfür wird in den genannten Entscheidungen im Wesentlichen übereinstimmend argumentiert, der förmliche Nachweis über Form und Frist der Ausschlagung gem. § 29 Abs. 1 S. 2 GBO decke nicht weitere tatsächliche Fragen ab, die für die Beurteilung der Wirksamkeit der Erbausschlagung mitentscheidend seien. Insbesondere schließe gem. § 1943 BGB eine zuvor – auch schlüssig – erklärte Annahme der Erbschaft die Ausschlagung aus. Daher erklärte beispielsweise das OLG Hamm (ZEV 2017, 455 Rn. 5) das Erbscheinsverlangen des Grundbuchamts im dort unterbreiteten Sachverhalt für gerechtfertigt, obwohl keine konkreten Anhaltspunkte für eine vorangegangene Annahme der Erbschaft gegeben waren. Auch in der neueren Kommentarliteratur wird der Standpunkt der obergerichtlichen Rechtsprechung zustimmend rezipiert (etwa Demharter, § 35 Rn. 40; ausführlich BeckOK-GBO/Wilsch, § 35 Rn. 123b f.; Meikel/Krause/Weber § 35 Rn 128.1). Die Literatur führt zusätzlich für die Notwendigkeit eines Erbscheinsverlangens (im hier zu betrachtenden Fall nicht relevante) Schwierigkeiten bei der Überprüfung der Wahrung der Ausschlagungsfrist gem. § 1944 BGB an und hebt die Beweismittelbeschränkung im Grundbuchverfahren gem. § 29 GBO in diesem Zusammenhang hervor (ausführlich Meikel/Krause/Weber § 35 Rn 128.1).

Für den vorliegenden Fall ist zudem im Blick zu behalten, dass das Nachlassgericht über die Wirksamkeit der Erbausschlagung noch nicht anlässlich der Entgegennahme der Ausschlagungserklärung gem. § 1945 Abs. 1 BGB zu entscheiden hat. Seine Tätigkeit erschöpft sich hier in der reinen Entgegennahme der Ausschlagungserklärung (etwa OLG München MittBayNot 2010, 486 mit abl. Anm. Kroiß; OLG Köln FGPrax 2008, 71, 73; BeckOGK-BGB/Heinemann, Std.: 15.4.2021, § 1945 Rn. 109). Eine derartige Entscheidung über die Wirksamkeit der Ausschlagung hat vielmehr das Nachlassgericht erst und nur im Erbscheinserteilungsverfahren zu treffen, auch dann, wenn das Landesrecht dem Nachlassgericht die Erbenermittlung von Amts wegen vorschreibt (BayObLGZ 1985, 244 ff.; Palandt/Weidlich, BGB, 80. Aufl. 2021, § 1945 Rn. 7). Das Nachlassgericht muss daher eine Ausschlagungserklärung beispielsweise auch dann entgegennehmen, wenn es sie für ver­spätet oder unwirksam hält (OLG München MittBayNot 2010, 486).

3. Ergebnis
Für die Praxis wird man diese nunmehr ganz vorherrschende Auffassung zugrunde legen müssen, auch wenn dies als misslich empfunden werden mag. Ausschlaggebend dürfte – wie in den genannten Entscheidungen vor allem betont – die mit den Beweismitteln des § 29 GBO auch u. E. nicht abschließend zu beurteilende Möglichkeit einer vorhergehenden Erbschaftsannahme gem. § 1943, 1. Var. BGB ins Gewicht fallen, die der Wirksamkeit der Erbausschlagung durch den primär berufenen Erben entgegenstehen könnte. Im Ergebnis ist daher auf der dargestellten Linie der neueren Rechtsprechung davon auszugehen, dass auch im vorliegenden Fall die eröffnete Verfügung von Todes wegen in Verbindung mit dem Eröffnungsprotokoll zum Nachweis der Stellung des nach Ausschlagung berufenen Ersatzerben nicht genügt, sondern vielmehr gem. § 35 Abs. 1 S. 2 Hs. 2 GBO ein Erbschein erforderlich ist.

Gutachten/Abruf-Nr:

182088

Erscheinungsdatum:

17.09.2021

Rechtsbezug

National

Rechtsgebiete:

Grundbuchrecht

Erschienen in:

DNotI-Report 2021, 137-139

Normen in Titel:

GBO § 35